Amour Fou

Amour fou, The Lobster und die gesellschaftlichen Grenzen der Liebe

von Jakob Bierbaumer

Was braucht es für die Liebe? Dieser Frage und vielem mehr widmet sich Jessica Hausner in ihrem Film Amour fou (2014). Der Dichter Heinrich von Kleist will nicht mehr leben, er ist des gutbürgerlichen Lebens im Preußen des Jahres 1811 leid. Sein Traum ist es, mit einer geliebten Person gemeinsam zu sterben. Als er Henriette Vogel, die das klassische Biedermeier-Leben mit Mann und Kindern führt, kennenlernt, sieht er in ihr eine ideale Partnerin. Es beginnt ein Spiel aus Einbildung, Wunschdenken und der Suche nach dem, was man noch nicht hat.

Jessica Hausner skizziert in Amour fou die Biedermeiergesellschaft in starren Bildern. Die Kamera von Martin Gschlacht ist dabei so ruhig und gleichzeitig einengend, wie das Leben der beiden Hauptfiguren. Die Menschen platziert Hausner so in ihren Bildern, als wären es Gemälde aus dieser Zeit. Sie inszeniert dieses historische Ereignis allerdings ohne Anspruch auf geschichtliche Korrektheit und nimmt sich die Freiheiten einer filmischen Adaption. Gleichzeitig greift sie auf den Briefverkehr der beiden Personen zurück und gestaltet die Dialoge im selben Stil. Der Film kann durch seine Sprache, sowohl der Worte als auch der Bilder, starr und künstlich wirken. Dieser Effekt ist jedoch gewollt und legt gekonnt die Rahmenbedingungen einer konservativen und gefühllosen Gesellschaft offen, der die Protagonisten zu entfliehen suchen.

Die Liebe zweier Menschen im Rahmen einer Gesellschaft, die diese Liebe strukturell verhindert, ist kein seltenes Motiv in der Filmgeschichte. Zwei Jahre nach Amour fou erschien Yorgos Lanthimos Film The Lobster (2015), der von einer Welt handelt, in der das Single-Leben als schlimmstes Übel angesehen wird. In der Stadt dürfen sich nur Paare aufhalten und alle Singles kommen in ein Hotel, in dem sie 45 Tage Zeit haben, ein_e Partner_in zu finden, ansonsten werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Die Parallelen zu Amour fou sind klar ersichtlich. Beide Filme verhandeln eine Beziehung in ihrem gesellschaftlichen Kontext, bei Amour fou ist es eine historische Epoche und bei The Lobster eine Dystopie.

Auch The Lobster wirft die Frage auf, was es für die wahre Liebe braucht und was wir alles bereit sind zu tun, um diese Liebe zu bekommen. Lanthimos inszeniert seinen Film jedoch mit viel Dynamik, Gewalt und dominanter Musik. Hausner hingegen gestaltet die Bilder ohne extradiegetische Musik, mit viel Ruhe und durchdachten Figurenanordnungen, die den Fokus auf das Verhalten der einzelnen Menschen legen. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass die Figuren den komplex strukturierten Bildern ebenso wenig entkommen können, wie das Publikum. Wer es dennoch schafft, aus dem Hotel oder dem Biedermeier-Leben zu entkommen, findet sich jedoch schnell in einer ähnlich strukturierten Welt wieder. Denn eine einzige Gemeinsamkeit ist scheinbar noch keine Liebe.

Das Thema, das die beiden Filme verhandeln, ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung und Hausners Film hat einiges über die heutige Zeit zu sagen, auch wenn er im 19. Jahrhundert spielt. So kann man ihren Film durchaus als feministisches Plädoyer und als Gegenstimme zur männlichen Vorherrschaft lesen. Ambivalent bleibt die Geschichte durch Figuren wie Henriettes Mann, der sie nicht unterdrückt, sondern ihr die Freiheit lässt, mit wem sie wie leben möchte. Bei The Lobster ist die Botschaft ebenfalls ambivalent, der Film lässt sein Ende sogar offen. Das Liebespaar hat sich zwar gefunden, aber es scheint auch hier so als wäre es eine keine echte Liebe. So wie Amour fou lässt The Lobster die Zuseher_innen mit der Frage zurück, was sie selbst als Liebe definieren und wie das Konzept der Liebe in unterschiedlichen Zeiten konstruiert wird.Beide Filme zielen nicht auf eine eindeutige Botschaft ab, sondern stellen die Ambivalenz der behandelten Materie selbst ins Zentrum der Verhandlung. Diese Tendenz lässt sich im gesamten Filmschaffen von Jessica Hausner wiederfinden. Sie forciert gekonnt die Uneindeutigkeit und lässt Dinge im Raum stehen, damit die Zuseher_innen sie betrachten. Diese Uneindeutigkeit ist auch eine große Stärke von Amour fou, da sie die Welt plausibel erscheinen lässt und außerdem zu einer tiefergehenden Reflexion anregt. Am Ende bleibt die Frage, was es für die Liebe braucht.

Die Liebe nach dem Tod 

von Nikodemus Murnberger

„Etwas zu lesen was einem selbst nie widerfahren möchte, was man aber dennoch umso gieriger sich vorzustellen sucht“ – solche Wünsche sollten mit Bedacht geäußert werden, vor allem wenn die Einbildungskraft in der Lage ist den eigenen Körper zu manipulieren. Henriette, die preußische Vorzeigefrau aus Amour Fou (2014) lebt ihrem Mann untergeordnet. Sie selbst akzeptiert dieses Schicksal – ihre Phantasie, ihr Unbewusstes und schließlich auch ihr Körper sehnen sich jedoch nach einer Veränderung.

Es sind Heinrich von Kleists Gedichte, die sich in Henriettes Gedankenwelt einnisten, in ihr eine emotionale Umwälzung verursachen und sich schließlich in einem Geschwür abzeichnen. Kleists Weltbild ist radikal und destruktiv: Seinem Verständnis nach muss die Liebe zu einer anderen Person wichtiger sein als das Leben selbst, und verlangt stets nach Gegenliebe, sonst erlischt die eigene. Seine Intention ist es eine Partnerin zu finden, mit der er sich durch den gemeinsamen Tod für die bedingungslose Liebe opfern kann. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch seine Schwester zum kollektiven Selbstmord zu überreden, versucht Kleist sein Glück bei Henriette. Er gibt ihr zu verstehen, dass sie in Wirklichkeit einsam, ungeliebt und unglücklich ist und nur wenige Stunden später erlebt sie ihr erstes körperliches Gebrechen. Ihr Körper versteht nun, dass Henriette das Leben einer untergeordneten Frau lebt, ihr Kopf aber hält diese Erkenntnis noch in ihrem Unbewusstsein verschlossen. Doch je stärker ihr Leiden voranschreitet, desto besser blickt sie durch ihre illusionierte Welt hindurch und erkennt langsam alle Unwahrheiten, an die sie vorher geglaubt hatte. Hausner verleiht dieser dramatischen Geschichte eine ironische Würze, indem sie für das ‘todbringende’ Geschwür die Einbildung selbst verantwortlich macht. Nur weiß Henriette jedoch nicht ob sie in Wirklichkeit krank ist oder sich ihren Zustand nur einbildet. Das resultierende Spiel aus Einbildung, Perspektivenwechsel und Realität selbst lehrt uns, dass die Illusion so wirklich sein kann wie die Wirklichkeit selbst.

Während die einzelnen Charaktere versuchen den Sinn ihres Lebens und der Liebe zu begreifen, können wir ihrem vornehmen Habitus und ihren dichterischen Gedankengängen lauschen. So erlaubt die Poesie der Sprache mehrere Assoziationen mit dem Sinn des gesprochenen Wortes. Indes gleicht die malerische Ästhetik einer Galerie aus komponierten Bildern, in denen jede Figur einem festen Platz zugewiesen ist. So werden sie visuell in ihre gesellschaftlichen Normen eingeschlossen und bewegen sich auch nur dann, wenn es ihnen ihre Choreographie erlaubt. Durch den lakonischen Schauspielstil wird die Emotionslosigkeit in der abstrakten und scheinbar abgeschotteten Welt unterstrichen. Deren statische Inszenierung im Raum entspricht ihrer Gefangenschaft im preußischen Palast – trotz allen Reichtums, stets nur Tristesse. Man könnte schon meinen die Figuren seien zu statisch in ihre festgefrorenen Normen inszeniert, jedoch umso größer ist die Dynamik in der philosophischen Bandbreite ihrer Dialoge. So führt uns Hausner anhand widersinniger Konversationen die preußische Kritik an der Gleichheit und der Freiheit vor Augen, damit wir erkennen wie irrational es sei über Grundrechte zu streiten.
Hausners Philosophien, die sie mit Amour Fou anzureißen versucht, sind vielseitig und vor allem durch die Vorzüge der literarischen Sprache möglich. So verkündet sie ihre Sichtweise auf tiefgründige Existenzfragen des Menschen: Sie ordnet die Wirklichkeit der Illusion unter, setzt Freiheit und Gleichheit voraus und erweitert das Leben durch die Liebe nach dem Tod. Zu guter Letzt gesteht sie sogar ihre Vorstellung von der Liebe – diese sei nämlich nur ein individuelles Erlebnis.