Me, We

AT 2020
Farbe, 115 min., OmeU

Regie: David Clay Diaz
Buch: David Clay Diaz, Senad Halilbašić

Produzent*innen: Bruno Wagner, Antonin Svoboda, Barbara Albert
Produktion: coop99 filmproduktion

Diagonale Schwerpunkt: Wettbewerb Spielfilm

Ein Wurf ins kalte Wasser

Alexander Brandl 

Der Film Me, We des ursprünglich in Paraguay geborenen Regisseurs David Clay Diaz, feierte seine Premiere bei der Diagonale 2021 in Graz und ist nach dem Drama Agonie, welcher 2016 erschien, der zweite Spielfilm von Diaz. Der Filmtitel leitet sich von dem selbsternannten kürzesten Gedicht der Welt von dem Boxer Muhammad Ali ab. Gemeint ist damit, nicht egozentrisch zu denken, sondern vielmehr als Gemeinschaft zu agieren. Dieser Grundgedanke des Miteinanders, des einander Helfens, wird in Diazs Film in Frage gestellt.

In Me, We lässt der Regisseur diesmal sein Publikum episodenartig an vier verschiedenen Perspektiven teilhaben, welche allesamt im Bezug zum Thema der Migration stehen. Die erste Person die wir im Film kennenlernen ist Marie, gespielt von der Österreicherin Verena Altenberger, welche sich nach Lesbos begibt um dort ankommenden Flüchtlingsbooten Hilfe zu leisten. Die zweite Geschichte handelt von dem Jugendlichen Marcel (Alexander Srtschin), welcher ebenfalls einen starken Helferinstinkt besitzt, sein Umfeld aber auf Grund von zunehmender Zuwanderung als gefährdet sieht. Der dritte Handlungsstrang erzählt von der in der Filmbranche tätigen Petra (Barbara Romaner), welche einen syrischen Flüchtling bei sich aufnimmt. Die letzte Episode beschäftigt sich mit Gerald (Lukas Miko), welcher in einem Asylheim arbeitet und mit einem Bewohner in mehrere Konflikte gerät.

Was alle Charaktere miteinander verbindet ist die Tendenz zum Helfersyndrom. Dieser Rettungszwang ist gleichzeitig der Stolperstein der Figuren, welcher sich bei manchen auch in Form von Egoismus ausdrückt. Petra nutzt so den vermeintlich syrischen und minderjährigen Flüchtling Mohammed (Mehdi Meskar) aus, um damit vor ihren Tanzkollegen zu prahlen, was für ein Gutmensch sie sei. Macht und Autoritätsausübung zeigt sich ebenfalls bei der Geschichte von Gerald, welcher seine Position gegenüber den Asylanten verdeutlicht und diese auch durch zunehmende Hilflosigkeit ausnutzt. Der Film präsentiert gegensätzliche Strömungen, welche den Zuschauer, zwischen Gelächter und tiefgründigen Gedanken in der Luft hängen lässt. Dabei verzichtet er auf Wertungen gegenüber den Charakteren, sondern gibt seinem Publikum die Möglichkeit selbst zu entscheiden. Der Film unternimmt indessen eine Gratwanderung zwischen Komödie, Satire und Drama, verknüpft mit dokumentarischen Inhalten aus Fernsehberichten bezüglich der Flüchtlingsthematik 

Alexander Brandl und der Fußball EM. Diese Mischung aus schwarzem Humor mit Sozialkritik wird in vielen Szenen erfahrbar, so kommt Mohammeds Taufe in der Donau dem Ertrinken gleich, im Museum wird der Künstler Egon Schiele als Perverser abgestempelt und Marie, welche Flüchtlingen helfen will, muss schlussendlich selbst gerettet werden. Diese Ambivalenz zieht sich fortwährend durch den gesamten Film. 

In puncto Musikinszenierung, wird größtenteils auf außerdiegetische Musik verzichtet und stattdessen auf dem Filmuniversum immanente Töne gesetzt. Das Vater Unser wird somit innerhalb der filmischen Diegese gesungen und begleitet dabei den Taufprozess. Einprägend ist auch eine Szene, welche mit der Carmina Burana von Carl Orff musikalisch untermalt wird. Anfangs noch von Marcels Handy abgespielt, wird sie schrittweise immer lauter, wodurch ein bedrohliches Gefühl des bevorstehenden Scheiterns der Figuren evoziert wird und hierbei den Blick auf das Ausschwärmen der Schutzengel AG, sowie die Rettungsfahrt von Marie wirft. Aus dem schauspielerischen Blickwinkel betrachtet, leisten die Darsteller eine großartige Performance. Die Charakter wirken wie aus dem Alltag gegriffen und zeigen Seiten der Sympathie, aber auch der Antipathie. Zwar entsprechen die Protagonisten anfänglich stereotypen Mustern, diese werden jedoch im Laufe des Films nach und nach aufgelöst und eine Charakterentwicklung ist deutlich wahrnehmbar, welche auch auf die Leistungen der Schauspieler zurückzuführen ist. 

Prägend ist auch das Ende des Films, welches durch den Schleier eines EM-Fußball Moderators, das Flüchtlingsthema erneut aufreißt und dies dem Publikum nochmals vor Augen hält. „Viele Menschen versuchen so schnell wie möglich durch die Sicherheitskontrollen in das Stadion zu kommen.“ Der Film lässt den Zuschauer aber nicht in einem komplett dystopischen Zustand in den Kinosesseln sitzen, er hinterlässt auch einen zukünftigen Hoffnungsschimmer, eine „Wall of Hope“.