Hotel

AT/DE 2004
Farbe, 74 min., dOF

Regie, Buch: Jessica Hausner

Produzent*innen: Antonin Svoboda, Martin Gschlacht, Philippe Bober, Susanne Marian
Produktion: coop99 filmproduktion
Koproduktion: Essential Filmproduktion (DE)

Diagonale Schwerpunkt: Jessica Hausner

Ein Horror ohne Ende

Manon-Margaux Haller

Das beklemmende Gefühl, das Hausner durch anschauliche Ästhetik, Horrorfilm Verweise und genretypische Stilmittel transportiert, lässt einen auch nach Ende des Films nicht los. Denn Hotel liefert keine Katharsis, die Erlösung bietet. 

Hotel ist ein 74-minütiger Thriller mit Horror-Elementen, von der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner. Er wurde 2004 bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt. Der Plot ist kurz erklärt: Die Hauptfigur, von der man den ganzen Film über kaum Persönliches erfährt, tritt ihre Stelle als Rezeptionistin eines angesehenen Berghotels an. Vergeblich versucht sie ihren Platz in der sozialen Ordnung der Hotelhierarchie zu finden. Doch trotz ihres unsicheren Auftretens scheint sie einen eigenen Willen zu haben, der bei der alteingesessenen Belegschaft nicht so gut ankommt. Langsam bemerkt sie eine Diskrepanz, aber dennoch verneint sie, ganz horrorfilm-typisch, ihre Intuition. Obwohl sie einen Zusammenhang zwischen dem eigentümlichen Verschwinden ihrer Vorgängerin und ihrer eigenen Lage erahnt… So verstrickt sie sich Stück für Stück in eine Geschichte, aus der sie nicht mehr herauskommt. 

Von Anfang an beherrscht den Film eine beklemmende Stimmung. Dies wird nicht zuletzt durch gehäuften Nahbildaufnahmen, schwere geschlossene Vorhänge in so gut wie jedem Zimmer, lange Korridore, die in Dunkelheit enden sowie einer Tonkulisse, die vorrangig auf Ambience-Sound fokussiert ist, vermittelt. Genauso wie die subtile Tonkulisse durch ihre wiederkehrenden Alltagsgeräusche allgegenwärtige Stille und Abgeschiedenheit in den Mittelpunkt rückt, zeugen die einsilbigen Dialoge von Distanz und Unverständnis. Unverständnis einer Gesellschaft die nach ihren eigenen, unausgesprochenen Regeln fungiert. So weiß man bis zuletzt nicht, ob die verschwundene Vorgängerin der sagenumwobenen Waldhexe oder einem Komplott zum Opfer gefallen ist. Man merkt jedoch, dass Fragen unerwünscht sind. Birgit Minichmayr besticht hier als eifersüchtige, ausschweifende Arbeitskollegin, die bei einem Polizeibesuch anmerkt „Jetzt haben sie sie.“, und auf die Frage „Die Leiche?“ lediglich stumm mit den Schultern zuckt. 

Durch die Kameraeinstellungen wird dieses Gefühl der Ungewissheit im Rezipienten noch verstärkt. Hausner verwendet in Hotel vorrangig Nah- und Detailbildaufnahmen sowie Halbtotalen. Damit wird das Gefühl des Raumes untergraben und somit eine unangenehme Stimmung ausgelöst. So wie die Protagonistin weiß man als Zuseher*in nicht was sich hinter den Vorhängen, am Ende der nicht beleuchteten Gänge oder zwischen dem Dickicht der Bäume verbirgt. Oder auch direkt neben den Figuren, da wo der Filmausschnitt endet und der Raum noch lange weitergehen muss. Wie sie, wissen wir nicht so recht was im Hotel nicht stimmt, aber wir schnappen die eigenartigen Blicke und die ungemütliche Stille auf. Eingefangen von der Kamera und zwischen knappen, einzeiligen Dialogen, die so wirken als wären sie nur dazu da, um die Distanziertheit und die Leere sichtbar zu machen. Eine Leere, so wie die Hauptfigur eine bloße Leerstelle ist. Hier muss man Franziska Weisz als Hauptdarstellerin für diese ungewöhnliche Schauspielarbeit loben. Den ganzen Film über bleibt die Figur für die Zuseher*innen nicht zu fassen, denn eine Wärme oder eine psychologische Disposition fehlt. Die Distanz bleibt also nicht nur zwischen den einzelnen Figuren, sondern auch zwischen Publikum und Figuren sowie nicht zuletzt zwischen Publikum und Film. Denn ohne Identifikationsfigur ist es einem auch nicht möglich sich in die diegetische Welt des Films hineinzuversetzen. 

Zusätzlich ist zu beachten, dass Hotel aufgrund dieser einzigartigen Distanziertheit ein Film ist, der auf das Kinodispositiv angewiesen ist. Zuhause im eignen Wohnzimmer wäre es durch eben diese Befremdlichkeit schwierig die Aufmerksamkeit zu halten, und nicht doch auf einen anderen Sender zu wechseln. 

Anzumerken ist zudem Hausners Talent eigenartige Situationen sichtbar zu machen, und das ganz ohne Worte. Indem sie sich auf Kameraeinstellungen wie Tiefenschärfe sowie präzises Schauspiel fokussiert. Dies macht den Film ebenso aus, wie die imposanten, stilisierten Bilder sowie die unzähligen Horrorfilmverweise. Hervorzuheben sind hier: Stanley Kubricks Shinning mit indirekter Beleuchtung, Hotelthema und der verschwundenen Vorgängerin; Psycho mitsamt der bekannten Duschszene; Blair Witch Project, auf das die „Waldfrau“ sowie die häufigen Waldaufnehmen, mit kargen, die Protagonistin umzingelnden Bäume, erinnern; und The Ring mit dem charakteristischen weißen Nachtkleid sowie der sich wiederholenden albtraumhaften Szenen. 

Diese Verweise schaffen, eingebettet in das kollektive Gedächtnis, eine Erwartungshaltung im Publikum, die bei Hotel kaum erfüllt wird. Zwar löst sich das Unbehagen am Ende des Films nicht auf, da keine prägnanten Szenen gezeigt werden. Aber dennoch handelt es sich bei Hotel um einen weiteren (Horror-)Film, der eine fantasielose Storyline wiedergibt. Und dennoch wird die Geschichte einer jungen religiösen Frau erzählt, die kurz nach sexueller Bekanntschaft und wiederholtem Missachten ihrer Intuition auf gewaltsame Weise ihr Leben verliert. 

Hier ist jedoch festzuhalten, dass die erwähnten Verweise und die genretypische Erzählstruktur stilisierte Eibettungen sind, um die Erwartungshaltung des Publikums zu schüren. Doch der Fakt, dass die Katharsis am Ende nicht auflöst wird; dass die Hauptfigur eine nicht zu fassende Leerstelle ohne Psyche ist; dadurch, dass Hausner dennoch mit bestimmten Techniken des Horrorfilm-Ein-Mal-Eins, wie der Zurschaustellung expliziter Sexualität und brutaler Gewalt bricht; ist ein klarer Hinweis auf die Metastruktur die Hausner mit Hotel ansprechen möchte. Sie stellt dadurch den Aufbau des klassischen Horrorfilms in Frage und damit auch die Rolle der Weiblichkeit. Eine feministische Genrekritik also. 

Wobei jedoch fraglich bleibt, ob diese implizite Kritik die Reproduktion antifeministischer Narrative rechtfertig. Man könnte argumentieren, dass die Thematik von einer weiblichen Regisseurin im Jahr 2004 innovativer hätte gelöst werden können, als nur die Katharsis zu verweigern. Dennoch muss man Hausners Kreativität herausstreichen, die durchaus origineller ist, als lediglich das Opfer zum Täter zu machen. Wenngleich diese Variante einen nicht zu verachtenden Machtzugewinn, auf gesellschaftlicher Ebene bedeuten würde. Ein vehementes Ablehnen der weiblichen Opferrolle, dessen soziologischer  Wert nicht zu unterschätzen ist. 

Die Auflösung in weniger binäre Geschlechterrollen, die ebenfalls von soziopolitischer Bedeutung wäre, ist logischerweise erst möglich, wenn nicht die gesamte Storyline auf  Dichotomien wie Gut/Böse, Weiblich/Männlich, Religion/Teufel bzw. Hexe oder Jungfräulichkeit/Sexualität beruhen. 

Abschließend ist zu sagen, dass Hotel auf ästhetischer und stilistischer Ebene für sich spricht und hier durchaus internationale Anerkennung bekam. Kameraführung und schauspielerische Leistung sind ebenfalls hervorzuheben. Eine Empfehlung an ein Publikum lässt sich jedoch genauso wenig aussprechen, wie sich der Film fassen lässt. Horror- und Psychothriller-Fans werden aufgrund der Auslassung von prägnanten Szenen vermutlich nicht erfreut sein. Die Identifizierung mit einer der Figuren ist ebenso wenig möglich, wie die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen. Hier bleibt der Film jedoch seiner Linie treu. Schreibt er doch mit der Weigerung einer auflösenden Katharsis das beklemmende Gefühl, das einen den gesamten Film über begleitet, ins reale Leben ein.