Usa 1948
SW , 107 min OF
Regie: Fred Zinnemann
Produktion: MGM
Diagonale Schwerpunkt: Displaced Persons
Zwei Festivals – ein Filmstoff
Gerhard Schindler
Vom 8. bis 13. Juni fand in Graz die »Diagonale« – das »Festival des österreichischen Films« statt. Neben einem breiten Spektrum von Spielfilmen, über Dokumentarfilme bis hin zu Expe rimental- und Animationsfilmen finden sich im Veranstaltungskonzept auch immer wieder in teressante Themenschwerpunkte wie z.B. heuer „Displaced Persons – Keine Heimat, nir
gendwo!“ der in Kooperation mit SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien gezeigt wurde. Einer der Highlights in dieser Sonderreihe war Fred Zinnemanns The Search (US/CH 1947/48) der die fiktionale Geschichte eines, im Konzentrationslager Auschwitz von seiner Mutter getrennten und verlorenen gegangenen, Jungen erzählt.
Bei den Filmfestspielen von Cannes hatte 2014 Michel Hazanavicius mit seinem gleichnami gen Drama The Search Premiere. Darin widerfährt im Tschetschenienkrieg einem Jungen ein ähnliches Schicksal wie in Zinnemanns Vorbild.
Im Original spielte Montgomery Clift den GI Steve, der im Nachkriegs-Deutschland dem stummen tschechischen Jungen Karel bei der Suche nach seiner Mutter hilft und sich mit ihm anfreundet. Karels Mutter kommt bei ihren Nachforschungen in jenes UNRRA Lager, in dem ihr Sohn untergebracht war und beginnt dort zu arbeiten. Durch die anstehende Heimkehr von Steve in die USA muss Karel zurück in das Lager, wo es zu einem Wiedersehen mit seiner Mutter kommt.
Im Remake sind es zwei Filmstränge, die erzählt werden. Nachdem seine Eltern im zweiten Tschetschenienkrieg in ihrem Dorf ermordet wurden, flieht der 9-jährigen Hadji und reiht sich in den Flüchtlingsstrom ein. Er trifft Carole, eine Delegationsleiterin der Europäischen Union, und nach und nach kehrt er mit ihrer Hilfe ins Leben zurück. Zur gleichen Zeit sucht seine äl tere Schwester Raïssa unermüdlich inmitten der Zivilflucht nach ihm. Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte von Kolia, einem 19-jährigen Studenten, der mit der russischen Armee in den Krieg zieht. Dann folgt der grausame Weg des jungen Mannes nach Tschetschenien, wo er misshandelt und gedemütigt wird, Leichen verpacken und Selbstmörder als „im Kampf ge fallen“ deklarieren muss.
Ein Vergleich der filmischen Gestaltungsmittel von zwei Filmen, die mit einem Abstand von fast 70 Jahre produziert wurden, kann nur eine lückenhafte Annäherung sein, da Unterschiede bei Farbe vs. Schwarz/Weiß, Bildverhältnisse oder Mono vs. Dolby Sourround Ton die Re zeption grundlegend different gestalten.
Deutlich ist jedoch, dass Zinnemann uns mehr Zeit und mehr Raum gibt, um in die Schrecken des zweiten Weltkrieges einzutauchen. Plansequenzen, eine ruhigere Kameraführung und oft mals langgedehnte Ab- und Aufblendungen zwischen den Szenen lassen die volle Breite der Katastrophe erfassen und leiten die Emotionalisierung.
Die Neuverfilmung hingegen ist kleinteiliger, blickt sensationslüstern nach Details in den bei den Strängen und springt gelegentlich hektisch zwischen ihnen hin und her. Gegenüber dem Organal sind es rund doppelt so viele Schnitte, die den Film mit Unruhe belegen und die auch von der Kamerabewegung mitgetragen wird. Doch es ist nicht nur die unbeständige und sprung hafte Ästhetik die die Rezeption des Films zermürbend und schwerfällig gestaltet, es ist auch eine Überladung an Narrativen. Neben den beiden Hauptgeschichten von Hadji und Kolia wer den noch politische Statements zur russischen Alleinherrschaft von Ministerpräsidenten Wla dimir Putin verhandelt, die Lähmung der Europäischen Union im Tschetschenienkrieg wird gesellschaftskritisch beleuchtet und eine Vielzahl von Kriegsschicksalen werden bildgewaltig erzählt. Das ehrgeizigere Vorhaben Hazanavicius, ein Remake von Fred Zinnemanns The Se arch in den modernen Kontext des Tschetschenienkrieges zu transformieren, ist angesichts des katastrophalen Ergebnisses eindeutig gescheitert.
Im Original hat der Regisseur ein klares Konzept was gezeigt werden darf, was nicht, welchen Sinn die Bilder von Armt, Hunger und Krankheit haben und wie man dramaturgisch die Ge schichte des jungen Karel in Szene setzt. In einer gelungenen Symbiose aus der Dokumenta tion des Schicksals verschleppter Kinder, die unter dem Wahn des deutschen Faschismus zu leiden hatten und der Struktur eines klassischen Dramas versteht es Zinnemann sein Publikum in die deutsche Nachkriegsumgebung zu versetzen und vermittelt mit umfangreichen Außen aufnahmen von Trümmern und zerstörten Landschaften ein authentisches Bild von Europa nach 1945.
Obwohl The Search für den modernen Geschmack sentimental erscheint und vielleicht zu ab rupt endet, wirkt er nie gestellt oder erzwungen und verdient zurecht die ihm entgegenge brachten Emotionen. Jarmila Novotnas Darstellung der Mutter ist, obwohl ihr der Schmerz deutlich ins Gesicht geschrieben steht, geprägt von Würde. Ivan Jandl, der einen Spezial-Os car für die herausragende Jugendleistung erhielt, ist bemerkenswert echt und tritt nie wie ein „Filmkind“ in Erscheinung.
The Serach ist ein trauriger Film, aber in seiner Entschlossenheit und seinem Mut ist er eine reiche und lohnende Erfahrung. Auch wenn der Film ein besonderes Ereignis in der Ge schichte behandelt, trifft er doch eine universelle Aussage über Millionen verlorener Kinder, die die Kollateralschäden von Kriegen sind.