Tod und Magie

Ene mene (2019) thematisiert zwei unterschiedliche Arten im Umgang mit Trauer und Verlust.

Von Coura Tall

Ein Unfall oder doch Schicksal? Es ist der Geburtstag Paulas kürzlich an Krebs verstorbenen Schwester Anna. Die Mutter steht angespannt in der Küche und knetet zwanghaft bunte Zuckerbällchen, um den Geburtstagskuchen vom letzten Jahr zu rekonstruieren. Paula versucht währenddessen verbotenerweise den Hamster ihrer Schwester zu füttern. Das Unglück scheint vorprogrammiert. Tatsächlich rutscht ihr der Schemel unter den Füßen weg und sie stößt den Hamsterkäfig aus dem offenen Fenster. Wie geht ein Kind, dass vermutlich den Tod seiner Schwester noch nicht richtig verarbeiten konnte, jetzt mit einem erneuten plötzlichen Verlust um? Was bedeutet der Tod des Hamsters für den Trauerprozess der Mutter, die sich so krampfhaft an den alten Erinnerungen festzuhalten versucht?

Anstatt ihre Trauer zu teilen, bewegen sich Mutter und Tochter in scheinbar getrennten Welten. Die einzige Verbindung stellt die dritte Protagonistin, eine Freundin der Mutter, dar. Spirituell angehaucht, bewegt sie sich nicht nur auf der Ebene der Mutter, die längst ihren Glauben an das Gute im Universum aufgegeben hat, sondern kann sich auch in Paula einfühlen, die den Unfall einfach nur rückgängig machen will. Hier kommt Magie ins Spiel. Aus Kinderaugen eine allmächtige Instanz. Hexenwasser und Zaubersprüche sollen Franky (den Hamster) wieder lebendig machen. Für die Mutter ist der Tod des Hamsters nicht nur eine schmerzliche Erinnerung an den Verlust der Tochter, er spiegelt auch ihre Machtlosigkeit im Kampf ihrer Tochter gegen den Krebs. Denn selbst Magie kommt nicht gegen den Tod an. Das muss auch Paula einsehen, als ihre Wiederbelebungsversuche fehlschlagen. Am Ende bleibt ihnen nichts anderes übrig, als eine Feuerbestattung. In Paulas Augen eine Hexenfeier, bei der sich der Hamster in glühende Funken verwandelt, die in den Nachthimmel aufsteigen und die für die Mutter wenigstens eine Art Abschluss darstellt. Zwar ist sie noch weit entfernt von einem Neuanfang, doch auch sie sieht ein, dass Dinge geschehen über die man keine Kontrolle hat, sei es Zufall oder Schicksal.

In Schmidts Film geht es nicht darum eine richtige Art für den Umgang mit Verlusten zu finden, die Trauermechanismen der Figuren werden auch nicht bewertet, sondern die Zuschauer_innen werden zu stummen Beobachter_innen. Lange Kameraeinstellungen auf die Gesichter der Figuren und ein diegetisches Sounddesign tragen zu der sehr naturalistischen Wirkung des Filmes bei. Das Farbschema wird in blassen, hellen blau und weiß Tönen gehalten. Oft filmt die Kamera in den Übergängen der kurzen Szenen durch Vorhänge, Wasser oder Glas. Damit werden die Zuschauer_innen einerseits von der Handlung distanziert, andererseits erscheint die verschwommene Wahrnehmung wie die Blase, in der sich die trauernden Charaktere befinden.

Die zwischenmenschlichen Interaktionen der Figuren wecken Assoziationen zu den Filmen von Jessica Hausner, einer renommierten österreichischen Regisseurin. Vor allem in ihren Filmen Lourdes (2010) und Amour Fou (2014), die beide auch den Umgang mit verschiedenen physischen und psychischen Krankheiten thematisieren, finden sich interessante Parallelen. Im Vordergrund stehen bei Hausner meist leidende Protagonistinnen, die sich in der Hoffnung aus ihrem bisherigen Leben ausbrechen zu können, auf unkonventionelle Wege begeben. In Amour Fou bedeutet das für Henriette Vogel den Selbstmord an der Seite von Heinrich Kleist, bei Lourdes unterwirft sich Christine dem mühsamen Prozess der Wunderheilung. In beiden Filmen scheint mehr über die Protagonistinnen bestimmt zu werden, als das ihnen selbst Handlungsspielraum gelassen wird. Wie auch in Ene mene fehlt eine emotionale Aussprache unter den Figuren. Die Protagonistinnen werden mit ihren Leiden alleine gelassen. Von außen erhalten sie im besten Fall gut gemeinte Ratschläge, meistens jedoch wenig Verständnis.In allen drei Filmen werden die Dialoge kurzgehalten. Der innerliche Schmerz der Protagonistinnen wird in den Gesprächen umgangen. Sie erscheinen insgesamt eher unemotional und es kommt zu keinen größeren Gefühlsausbrüchen. Genau darin liegt jedoch die Stärke dieser Filme. Anstelle von affektierten Gefühlen, wird man mit unterdrückten Emotionen konfrontiert. Die unterschwellige Spannung, die dabei entsteht, begleitet einen durch den ganzen Film und darüber hinaus, denn ein offenes Ende verhindert jegliche Auflösung. Ene mene ist dementsprechend direkt, wie unnahbar und zeigt doch ein erstaunliches Feingefühl. Die Figuren sind aus dem Leben gegriffen und die Thematisierungen von Tod und Verlust geschehen auf eine sehr ruhige und kinderfreundliche Weise.