von Laila Rosenbauer und Melanie Hofstätter
Die Fotografie gilt seit ihrer Frühzeit als das Beglaubigungsmedium schlechthin. Abgebildet wird nur, was echt ist. Was abgebildet wird, muss echt sein. Diesen vermeintlichen Evidenzanspruch des Fotos hinterfragen Markus Krottendorfer sowie Inka & Niclas Lindergård in ihren dem Themenkomplex Rethinking Nature / Rethinking Landscape zugeordneten Exponaten. Der Fotograf und das Künstler*innen Duo eröffnen eine Herangehensweise an die fotografische Abbildung von Natur und Landschaft, die Natur abstrahiert, manipuliert und in extreme Formen übersetzt. Landschaftsfotografie wurde historisch überwiegend in einen dokumentarischen Kontext gestellt. Spätestens mit der Herausbildung der Fotografie als künstlerisches Medium wurde der Anspruch auf Realität jedoch in Frage gestellt. Was macht es mit uns, wenn das Abgebildete nicht mehr der Realität entspricht? Was bedeutet Realität in diesem Zusammenhang? Inwiefern nutzen wir die Fotografie, um unsere Erfahrungen zu legitimieren? Spielt es überhaupt eine Rolle, ob das Foto die Wahrheit zeigt? Diesen Fragen, die gleichsam Fragen nach der Indexikalität des Mediums sind, widmen sich die Künstler*innen in ihren ausgestellten Arbeiten, wobei sie auf unterschiedliche Weise das Konzept der visuellen Überhöhung erproben.
Susan Sontag – Fotos sammeln, um Welt zu sammeln
Wie viel ist eine Erfahrung noch wert, von der es keine Fotos gibt? Ist sie ohne fotografischen Beweis überhaupt gültig? Darf man die Niagarafälle noch besuchen, ohne eine Kamera im Gepäck zu haben? Susan Sontag beschäftigt sich in ihrem wirkungsstarken Essay In Platos Höhle bereits 1977 mit dem Realitätsanspruch, der an die Fotografie gestellt wird. Obwohl sie sich klar von der Vorstellung abgrenzt, das Medium der Fotografie hätte die Fähigkeit, eine einzig echte, unverfälschte Realität abzubilden, ginge mit dem Konzept des fotografischen Bildes, so Sontag, stets ein Beweischarakter einher: „Das Bild mag verzerren; immer aber besteht Grund zu der Annahme, dass etwas existiert – oder existiert hat –, das dem gleicht, was auf dem Bild zu sehen ist.“ [1] Im Zeitalter des Smartphones steht die Fotografie mehr denn je jedem Menschen praktisch immer und überall zur Verfügung. Diese Möglichkeit, jeden Moment des eigenen Lebens fotografisch zu dokumentieren, führt für Susan Sontag zu dem Zwang, alles Erlebte in Form von Fotos festzuhalten. „Fotos sollen den unwiderleglichen Beweis liefern, dass man die Reise unternommen, das Programm durchgestanden und dabei seinen Spaß gehabt hat.“ [2] Durch das Foto als Evidenz, wird dem Erlebten erst seine Gültigkeit verliehen. Ein Ausflug, so ließe sich argumentieren, auf dem keine Kamera gezückt wurde, hat im Grunde gar nicht stattgefunden.
Im Hobbybereich wird die Landschaftsfotografie also primär als obligatorisches Einfangen der Natur verwendet. Beliebte Reiseziele werden täglich von unzähligen Kameras festgehalten, Abbild reiht sich an Abbild. Wie reagieren nun professionelle Fotograf*innen auf diesen Imperativ?
Inka & Niclas – abgenutzte Orte
Diesen Zwang zum Foto greift das skandinavische Künstler*innen Duo Inka&Niclas in mehreren ihrer Werke auf. Die beiden Preisträger*innen des European month of Photography Arendt Award 2021 untersuchen in ihren Arbeiten 4K ULTRA HD und Vista Points die überhandnehmende Fülle an romantisierter, gar kitschiger Landschaftsfotografie.
Für die Reihe Vista Points bereisten die beiden touristische Naturschauplätze rund um die Welt. Zu Tode fotografierte Orte: Orte, die ausschließlich besucht werden, um geknipst zu werden. Hauptsache, der Besuch kann bewiesen werden!
Die Arbeiten aus ihrer Serie 4K ULTRA HD wirken wiederum wie eine Karikatur der Bildschirmschoner-Motive spektakulärer Landschaftsfotografie. Eine Palme im Sonnenuntergang wird mit unnatürlichen Farbeffekten überzogen, die nicht mehr nur spektakulär, sondern fast schon unheimlich wirken. Die scheinbar perfekten Bilder werden so ins Absurde gesteigert.
Weiterlesen: Vista Points von Inka & Niclas Lindergård
Die Wissenschaft der Phantasmen: Krottendorfers Phantom of the Poles
Auch ein weiterer Beitrag der FOTO WIEN bezieht sich auf diese Thematik des Übernatürlichen. Markus Krottendorfer nutzt in den Werken seiner Ausstellung Abyss in der Charim Galerie Wien diese Wandelbarkeit der Abbildung zur Kreation unechter Orte. Sein Hauptaugenmerk liegt darauf zu zeigen, wie Fotografie als Realität beansprucht wird und inwiefern dieser Glaube an die Indexikalität zur Konstruktion fiktiver Welten verwendet werden kann. Für die ausgestellte Serie Phantom of the Poles bedient sich Krottendorfer an der gleichnamigen, absurden Abhandlung des US-amerikanischen Autors William Reed (1830-1920). Diese geht davon aus, dass unsere Erde eigentlich hohl sei und die Eingänge dieser Höhle an den entlegenen Orten der beiden Pole versteckt lägen. Vergleichbar mit der dokumentarischen Fotografie erhebt Reed einen Anspruch auf die wissenschaftliche Belegbarkeit seiner Arbeit. Die Vorgehensweise, der der Wiener Fotograf Markus Krottendorfer in der Erschaffung seiner Werke nachgeht, ist jener von Inka & Niclas ähnlich. Krottendorfer begibt sich auf eine Forschungsreise, um die bei Reed beschriebenen Orte zu finden und zu dokumentieren. Anschließend geht es dem Künstler darum, die scheinbare Natürlichkeit seiner Bilder zu entstellen. Was dabei entsteht, sind mystisch anmutende Aufnahmen, die, durch zahlreiche Bearbeitungsschritte verändert, die vermeintliche Realität der phantastischen Beschreibungen Reeds visualisieren. Krottendorfer verfremdet somit reale Orte, um sie zu glaubhaften Beweisen fiktiver Orte umzuformulieren. Gleichzeitig hinterfragt er damit den Realitätsanspruch der Landschaftsfotografie.
Phantastische Farben
„Der pure Sinn des Lebens genügt uns Menschen eben nicht.“ [3], heißt es im Beschreibungstext zur Ausstellung Krottendorfers. Für Krottendorfer fungiert die Fotografie als Medium des Ausgleichs eines solchen Defizits. Er spielt dafür mit den Konzepten von Wirklichkeit und Konstruktion und hinterfragt die Grenzen dieser Kategorien. Bei Inka & Niclas soll eine ganz ähnliche Ästhetik wie jene von Krottendorfer auf das zwanghafte Einfangen der schönen Natur aufmerksam machen. Sowohl Krottendorfer, als auch Inka & Niclas gestalten ihre Arbeiten in unnatürlichen Farbschemata, die phantastische Welten heraufbeschwören. Bemerkenswert ist, dass die Künstler*innen aus entgegengesetzten Richtungen zu dieser Wirkung gelangen. Krottendorfers Intention gestaltet sich darin, durch die verfremdete Darstellung realer Orte eine fiktive Welt zu erschaffen und deren Existenz vermeintlich zu beweisen. Das skandinavische Duo hingegen bedient sich der intensiven, unnatürlichen Farbschemata, um den Fetisch einer möglichst reinen, realitätsnahen Darstellung der Natur zu ironisieren und überhöhen.
Weiterlesen: Phantom of the Poles von Markus Krottendorfer
[1] Susan Sontag, „In Platos Höhle“, in: Über Fotografie, Frankfurt am Main: Fischer 200617, S. 11.
[2] Ebda, S. 15.
[3] Kurt Kladler, Markus Krottendorfer. Abyss, Text zur gleichnamigen Ausstellung, Wien: Charim Galerie 2022.