Von Richard Bellviure
Das Werk Phantom of the Poles des englischen Wissenschaftlers William Reed aus dem Jahre 1906, lieferte die Inspiration für die gleichnamige Serie des Wiener Künstlers Markus Krottendorfer (*1976). Reed stellt in seinem Werk die Hypothese auf, dass der Nord- und Südpol, bedingt durch die vermeintliche Umkehrung der Schwerkraft, als Eingangstore zum Erdinnern fungieren. Innerhalb der Erde liege demnach eine eigene, unentdeckte Welt, die es zu erforschen gilt. Auch wenn die abenteuerliche These Reeds bereits durch die ersten Polarexpeditionen widerlegt werden konnte, bewegte sie Markus Krottendorfer dazu, sich auf die Spur nach eben jenen Orten zu machen, die Reeds fantastischen Beschreibungen entsprechen.
Das vorliegende Werk beruht auf einer Fotografie von Eisstalaktiten, die sich gleich Quallen am Meeresgrund durch das gesamte Bild ziehen. Der Farbverlauf reicht von einem tiefen Blau am Kopf des Bildes, bis zu einem türkisen Schimmer in den unteren Bereichen. Die surreale Farbgebung des Werks, die keineswegs Zufall ist, sondern durch vielfache, gezielte Bearbeitung der Fotografie entstand, schafft es, eine gleichermaßen beängstigende wie sehnsüchtige, nach dem Unbekannten begehrende, Stimmung zu erzeugen.
Im Kontext der weiteren Arbeiten Krottendorfers erweisen sich die Eisstalaktiten als wiederkehrendes Motiv: Immer wieder schafft es der Künstler, seinen Werken durch minutiöse Bearbeitung und präzise Komposition eine dystopische Stimmung zu verleihen. Gleichzeitig werden die Betrachter*innen mit dem Glauben konfrontiert, das Ersehnte, Unbekannte, aber auch Gefürchtete, sei real. Dieses ambivalente Verhältnis von Hoffnung und Bedrohung lässt die Betrachter*innen in eben jene Welt eintauchen, die William Reed mehr als hundert Jahre zuvor beschrieben hatte.