Macht & Missbrauch in Kulturbetrieben

In jüngster Zeit ist eine verstärkte Diskussion und Berichterstattung über verbale und physische Übergriffe, toxisches Arbeitsklima und Diskriminierung an deutschsprachigen Theaterhäusern zu verzeichnen. Exemplarisch dafür steht die erst kürzlich veröffentlichte Dokumentation Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film von Kira Gantner und Zita Zengerling (NDR, 2024), in der zahlreiche Betroffene aus der Theater- und Filmindustrie von Machtmissbrauch und Übergriffen berichten. 2019 wies Thomas Schmidt in seiner Studie Macht und Struktur im Theater nach, dass sich derartige Vorfälle nicht auf Einzelfälle reduzieren lassen: Eine der Grundlagen für diese Missstände ist die hierarchische Organisation von Theaterbetrieben, die auf asymmetrischen Machtverhältnissen basiert und den entsprechenden Nährboden für Macht und (deren) Missbrauch bietet. Obwohl sich theatrale Formen seit der Institutionalisierung von Theater inhaltlich und ästhetisch verändert haben, ist die Struktur von Theaterbetrieben, insbesondere Stadt- und Staatstheatern, vergleichsweise konstant geblieben.

Ausgehend von diesem Befund haben sich die Teilnehmer:innen des Kurses „Macht und Missbrauch im institutionalisierten Theater“ im Wintersemester 2023 am tfm in historischer und aktueller Perspektive mit Machtverhältnissen im Theater, und der Kulturindustrie im Allgemeinen, auseinandergesetzt. Im Laufe des Semesters haben die Studierenden Projekte erarbeitet, in denen sie sich mit Formen von Macht und deren Missbrauch in Kulturbetrieben beschäftigt haben. Das Format der Abschlussprojekte konnten die Teilnehmer:innen frei wählen und so sind verschiedene Beiträge entstanden, die sich mit dem Phänomen des ‚Regieberserker‘, Nacktheit auf der Bühne oder der Arbeitsrealität von Regieassistent:innen befassen, und die nun auf dem tfmlog gelesen, gehört, und gesehen werden können.

Lisa Niederwimmer, März 2024

Essay | Anonym: Mit Kaffee fängt es an, mit Brüllen hört es auf?
Der Essay erzählt in unverblümter Direktheit von Leidenschaft und Leidensfähigkeit, Grenzen und Grundbedürfnissen, Angst und Abhängigkeit im Theater aus der Perspektive der für Theaterproduktionen essentiellen Position der Regieassistenz: „Wer im Theater arbeitet, verbrennt dafür mit Leidenschaft.“

Collage und Manifest | Annkathrin Dehn: Leibeigenentheater (in Russland)
Der Impuls zur Recherchearbeit war das weitgehend unbekannte und undokumentierte Leibeigenentheater. Vor allem in Russland wurden im 18. & 19. Jahrhundert Leibeigene aus ländlichen Regionen als „Nebenbeschäftigung“ ans Theater engagiert und dort sowohl geistig als auch körperlich bis zur Verausgabung ausgenützt. Das doppelte Rollenspiel setzte sich hinter der Bühne fort, wo vor allem die Frauen zusätzlich als Zuhälterinnen missbraucht wurden. Die Bildbearbeitung und das dazugehörige Manifest sollen sichtbar machen, was in der Literatur bislang vernachlässigt worden ist, und fordern zu einem reflektierten Umgang mit Anekdoten im wissenschaftlichen Kontext auf.

Seminararbeit | Alexandra Wimmer: „Wer ist hier der König?“ Claus Peymann zwischen Mitbestimmung und Theaterdiktatur
Rappelkopf, Berserker, Enfant terrible, Poltergeist, anachronistisches Monstrum … Kaum einer wurde im Laufe seiner Karriere mit so vielen zweifelhaften Attributen bedacht wie Claus Peymann. Als einer der erfolgreichsten Intendanten seiner Zeit trug er maßgeblich dazu bei, einen von rhetorischer Gewalt geprägten Regie- und Führungsstil zu legitimieren. Dabei waren ihm zumindest zu Beginn seiner Laufbahn kooperative Formen der Zusammenarbeit nicht fremd. Wie also wurde Claus Peymann vom Revolutionär zum Despoten? Welche Narrative bemühte er selbst, um diesen Führungsstil zu rechtfertigen? Und wie erging es Schauspieler:innen, die ihre Stimme gegen ihn erhoben?

Podcast | Emma Sandner: „Murmels-Podcast: Zwei TFM-Studentinnen diskutieren“
Für diesen Podcast habe ich meine Studienkollegin Lena, die eine Arbeit über „Nacktheit und Körperlichkeit im Theater“ geschrieben hat, zum Gespräch getroffen. Wir haben uns mit der Aufführung „Ophelia’s Got Talent“ von Florentina Holzinger beschäftigt und darüber gesprochen, was Nacktheit im Theater bedeuten kann, welche positiven Effekte Nacktheit auf der Bühne mit sich bringen kann, aber auch darüber, welche Problematiken und potenziell grenzüberschreitende Situationen daraus entstehen können.

Interview | Analisa Eller: Machtmissbrauch im Alltag der Filmindustrie? Ein Interview mit einer Betroffenen
Wie selbstverständlich ist Machtmissbrauch in der Filmindustrie? Hat #MeToo tatsächlich etwas verändert und wie sehen diese Maßnahmen in der Praxis aus? Eine Betroffene berichtet über ihre Erfahrung mit Machtmissbrauch und den Umgang damit in der Industrie.