von Analisa Eller
M. (weiblich, war zu dem Zeitpunkt 18 Jahre alt) hat ein Praktikum in der Produktion bei einem Projekt der Filmproduktionsfirma UFA Fiction gemacht. Sie war die Assistenz der Produktionsleitung J. (männlich, zum Zeitpunkt 63 Jahre alt).
Ihre Arbeit bestand darin, alle mit Drehbüchern auszustatten und darauf zu achten, dass diese auf dem aktuellen Stand sind. Sie kümmerte sich um die Autovermietung, führte Listen über Schlüsselverteilungen, Wohnungen und Unterkünfte; hauptsächlich administrative Organisation, aber auch Kaffee kochen. M. half zwischen den Departments zu kommunizieren. Sie musste die Besprechungsräume herrichten und sich ums Catering kümmern.
Ich habe M. zum Interview getroffen und mit ihr über ihre Erfahrungen mit Machtmissbrauch und den Umgang damit in der Filmindustrie gesprochen.
Welche generelle Machtstrukturen konnten Sie in Ihrem Arbeitsumfeld beobachten?
M.: Allein anhand der Positionstitel erkennt man schon eine klare Hierarchie: „-leitung“ und „-assistenz“ gibt klar vor, wer die Anweisungen gibt und wer sie befolgt. Trotzdem stehen die ‚wichtigsten‘ Schauspieler*innen über der Regie, die wiederum steht über der Produktionsleitung und dann irgendwann kam ich, als Praktikantin. Da schaust du natürlich zweimal hin, ob du die richtige Unterkunft für den Schauspieler gebucht hast, oder änderst kurzfristig nochmal die Wohnung, weil er doch unzufrieden mit der einen war. Wichtiges Gut sind auch die eigenen Kontakte, man kann sich in der Hierarchie hochspielen, durch die Leute, die man kennt.
Oft gibt es solche Machtstrukturen, weil ein Berufsstand nicht durch einen Betriebsrat geschützt ist und sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis befindet.
M.: Das stimmt, es herrscht ein anderer Druck als in anderen Branchen. Die Jobs, die du übers Jahr verteilt machst, sind nie gesichert. Also ist es wichtig beim aktuellen Projekt gut abzuschneiden; nicht nur für dieses, sondern auch für alle zukünftigen. Die auswählenden Personen haben einfach mehr Macht und die unteren Schweine versuchen zu gefallen, damit sie für zukünftige Projekte ausgewählt werden oder eine gute Empfehlung bekommen. Die auswählenden Personen kennen einander ja auch und verteilen das Brot.
Welche Erfahrung mit Machmissbrauch haben Sie in Ihrer Assistenztätigkeit in der Filmproduktion gemacht?
M.: Als es passiert ist, war mir nicht bewusst, was passiert. Ich glaube, dass J. seine Macht missbraucht hat, weil er wusste, dass er die Person ist, die mich zum nächsten Projekt wieder einladen kann. Ihm ist es gleich, was Leute über ihn denken, über ihn sagen oder wie er bei anderen ankommt. Theoretisch sind es nette Dinge, aber ganz klar grenzüberschreitende, die er sich erlauben kann, weil er erfolgreich ist. Er kann Leute in die Ecke drängen unter dem Deckmantel: Ich bin nur ein netter Chef. Wenn eine Person dich um etwas bittet, von der du abhängig bist, ist es schwer, den Punkt zu sehen, wo eine Grenze überschritten wird. Ich hatte das Gefühl, es war nur nett von ihm zu fragen, ob wir zu zweit Fußball schauen, weil er wusste, dass wir dasselbe Interesse haben. Aber wenn ein Chef seine Praktikantin fragt, ob sie abends allein zu ihm nach Hause kommen will, um Wein zu trinken und Fußball zu schauen, ist das eine klare Grenzüberschreitung. Es waren nette Einladungen und Geschenke, aber im Kontext des Machtgefälles und des Altersunterschieds – J. ist über 40 Jahre älter als ich – hat das einen komischen Unterton. J. war auch gereizt und schlecht drauf, wenn ich erzählt habe, dass ich auf Dates war. Wenn ich mir überlege, wie es gewesen wäre, wenn J. auch ein Praktikant gewesen wäre, ist mir ganz klar, dass ich gesagt hätte: „Hör auf, mich die ganze Zeit zu fragen, ob wir zusammen Wein trinken. Ich möchte nicht.“
Wie haben Sie nach dieser Erfahrung den Kulturbetrieb erlebt?
M.: Aufmerksamer. Wenn im Arbeitsvertrag schon steht, was man im Falle einer Belästigung tun muss, ist es, als wäre schon klar, dass es früher oder später passieren kann. Als Produktionsassistenz in einer späteren Theaterproduktion war mein Chef auch ein älterer Mann. Das war am Anfang schwierig. Ich habe mir immer Sorgen gemacht, wenn er nett zu mir war, dass ich wieder ausgenützt werden könnte. Ich war misstrauisch, wenn mein Chef freundlich zu mir war, dass er dann auch mehr von mir erwartet. Ich hatte Angst, dass es die Norm sei, wenn eine junge Frau einem männlichen Vorgesetzten unterstellt ist, dass diese eine potenzielle Eroberung darstellt. Irgendjemand mit dem man flirten und an der man Grenzen austesten kann.
Haben Sie das Gefühl, Missstände in der Film- und Theaterbranche jetzt ansprechen zu können? Haben Sie schon einmal Gespräche geführt oder kennen Sie jemanden, der/die diese Gespräche geführt hat? Welche Auswirkung hatten diese?
M.: Es ist für mich noch kein sicherer Zeitpunkt in meiner Karriere so etwas anzusprechen. Ich habe viel mit Betroffenen gesprochen, aber nie mit der Täterseite. Wir Betroffenen fühlen uns klein. Man sucht in der Gemeinschaft und in den ähnlichen Erfahrungen nach Sicherheit. Es wird viel aufs Kollektiv gesetzt. Aber die Betroffenen haben oft nicht den Mut, Missstände direkt anzusprechen, denn es könnte ja karriereverändernd wirken oder sogar eine Kündigung auslösen. Ich kenne Personen, die nach dem Ansprechen von Machtmissbrauch gekündigt worden sind. Da hat sich in den letzten Jahren nicht viel geändert. Möchte man etwas ansprechen, muss man es kalkuliert angehen. Im Kollektiv funktioniert das am besten, siehe den offenen Brief der Studierenden ans Max Reinhardt Seminar wegen Maria Happel. Aber als Individuum fühlt man sich geborgener im Austausch mit anderen Betroffenen. Die Personen, die man beschuldigt, scheinen innerhalb des Systems ‚wertvoller‘ zu sein. Dazu kommt, dass man sich immer fragt: War es überhaupt schlimm genug? Kann ich vermitteln, was passiert ist, oder wird die Geschichte verdreht?
Welche psychischen und körperlichen Folgen hatten diese Erfahrungen?
M.: Während der Arbeit hatte ich keine Angst, da mir nicht bewusst war, was passiert ist. Jetzt habe ich aber eine körperliche Reaktion, wenn J. mich kontaktiert. Ich werde nervös, ich zittere, mir wird kalt, ich muss weinen. Es ist überwältigend. Ich fühle mich einfach falsch behandelt, mir wird schlecht und ich mache mir Vorwürfe: Wie konnte ich das nicht merken?
Was hat Ihnen geholfen, diese Erfahrungen zu verarbeiten und mit ihren Problemen umzugehen?
M.: In Konversationen mit produktionsfremden Personen habe ich erst gemerkt, was passiert ist. Ich habe auch eine andere Frau kennengelernt, der Ähnliches passiert ist; wir konnten einander auffangen. Auch meine engsten Freund*innen haben eine neue Perspektive auf das Geschehene aufgemacht. Das hat mich natürlich erstmal geschockt. J. hat mich manipuliert und davon profitiert. Ich werde das nie ansprechen können, weil ich mir damit meine Karriere verbauen würde und weil ich trotzdem eine Loyalität zu ihm verspüre. Wenn er mich jetzt für ein neues Projekt anfragen würde, wüsste ich nicht, was ich tun würde. Er hat mich so manipuliert, dass ich immer noch hinterfrage, ob das alle wirklich so schlimm war, oder er doch einfach nur nett war.
Was wünschen Sie sich für zukünftige Projekte?
M.: Keine ekligen alten Männer. (lacht) Ich wünsche mir Räume, um diese Dinge anzusprechen. Es gibt keinen safe space in den Arbeitsfeldern, in denen ich gearbeitet habe. Im Endeffekt kümmert es die Personen in Machtpositionen auch nicht. Es ist so normal, dass so etwas in der Filmbranche passiert, dass einem zum Teil auch nur mit dem halben Ohr zugehört wird. Die Betroffenen müssen aufgefangen werden. Am besten passiert natürlich gar nichts mehr, aber sind wir mal realistisch. Es ist nicht damit getan, dass man eine Nummer einer Beratungs-Hotline ans Ende des Arbeitsvertrags schreibt. Ob und wie einem zugehört wird, hängt davon ab, wie ‚stark‘ der Vorfall war. Also fragst du dich: War das, was mir passiert ist, schlimm genug? Was ja ein absurder Gedanke ist. Die Wurzel des Problems wird nicht angegangen und die Opfer müssen es ausbaden; sie müssen es aufarbeiten, verarbeiten und verbessern. All das. Und dann müssen sie auch noch die Unschuldsvermutung der Täter aufrechterhalten. Und die? Die müssen gar nix.