Fabia Nova Wirtz
Passend zur Zeitumstellung, die in der gleichen Nacht stattfand, präsentierte die Diagonale im Rahmen ihrer „Finale“-Retrospektive einen Film, der mit dem Fluss der Zeit auf mehr als eine Art und Weise spielt und dabei sowohl wunderbar entrückend als auch profund nachvollziehbar ist.
Schon von der Anfangssequenz an positioniert sich Richtung Zukunft durch die Nacht radikal zur Idee der Linearität, indem stilistische Disruptionen von Raum und Zeit mit deterministischen Konzeptionen von Leben, Zwischenmenschlichkeit und Schicksal gegenübergestellt und kombiniert werden. Dissonanz und (A-)Synchronität sind somit schon von Anfang an die Hauptmotive des Films und erstrecken sich über alle filmischen Ebenen.
Trauer und Freude, Komödie und Tragödie, Sinn und Nonsense, Vorwärts, Rückwärts, Harmonie und Zwist werden nicht bloß gegenübergestellt, sondern als symbiotisch gezeichnet.
Dies zieht sich durch den Rest des Filmes, der vor allem in seinem Einsatz von Schnitt und seinen Einzelszenen der genretechnischen Entrückung immer experimenteller wird, dennoch aber eine Geschichte von gefundener und wieder verlorener Liebe erzählt, die im Kern von ihrer Alltäglichkeit lebt. Surrealismus wird hier immer wieder ein-, und anschließend wieder von ihm weggeführt, manche Aspekte, die zu Beginn wie kontextlose Schnittricks zur Evozierung einer traumhaften Atmosphäre erscheinen, werden im Verlaufe des Filmes
emotional und narrativ eingerückt, andere werden stehen gelassen und bleiben bloße Versatzstücke und Pointen. Sie sind Teile eines Ganzen, welches jedoch durch bewusste Desorientierung und deplatziert wirkende Sequenzen nie ganz greifbar wird. Stattdessen machen sie die Rezeption des Werkes durch Reaktionen, die von Viszeralität, Emotionalität und Ambivalenz durchzogen sind, so persönlich wie nur möglich. Alltagsszenen des Kennenlernens wechseln sich mit Genreparodien und symbolisch-traumhaften Sequenzen ab.
Identifikation wird möglich gemacht, anstatt direkte Erlebnisse zu vergleichen und das Publikum wird so eingeladen, die Entrückung nachzuvollziehen, die in Momenten des Kennenlernens und des Abschieds entstehen kann und wird gleichzeitig auf die zweite Hälfte des Films vorbereitet, die in ihren Schnittentscheidungen besonders experimentell ist. Hier wird die subjektive Wahrnehmung von Zeit und Raum instabil, ohne jedoch jemals arbiträr zu werden. Stattdessen nutzt Richtung Zukunft durch die Nacht Entrückung, um einen unterbewussten Horror der Misskommunikation und des Verlusts nachzufühlen, und dennoch Trost in diesen zu finden – Erlebtes und Nostalgie werden zu Traum und Trauma zugleich. Musikalische Motive wiederholen sich und werden fallen gelassen und an manchen Stellen spielt die Musik durch ironische Cover von älteren Klassikern mit ihrer eigenen Historizität. Auch hier bleibt die Zeit stehen – oder eben nicht. Szenen doppeln sich, ob implizit oder explizit und Charaktere begegnen sich wieder und verpassen sich, in einem Rückwärtsgang, der genau so vorwärts gelesen werden kann und dem Titel entsprechend Richtung Zukunft durch die Nacht läuft. Ähnlich wie in der Anfangssequenz bleibt Stringenz und Konsequenz auch in Momenten der gefühlten Diskontinuität möglich, wenn nicht sogar unausweichbar.
Dies wird auch durch das Format des Filmes möglich gemacht, denn Richtung Zukunft durch die Nacht ist mit einer Stunde Laufzeit verhältnismäßig kurz. So muss der Film keine narrativen Pausen machen und kann in jeder Sequenz seine eigene Absurdität, seine maximalistischen Schnitt-, Licht-, und Musikentscheidungen und emotionale Tragweite in einer Ballung hinweg exerzieren, die über gewohnte Spielfilmgrenzen hinweg geht, ohne jedoch überfordernd und unnachvollziehbar zu werden. Die kurze Spielzeit erlaubt es, sich als Zuschauer*in komplett im Geschehen und Exzess zu versenken und mit dem schnellen Pacing mitzugehen, ohne sich in Reizüberflutung, Sinneskrise, Langeweile oder komplett persönlicher Retrospektive zu verlieren. Diese Prozesse können stattfinden, laufen während des Films nebenbei, treten aktiv wahrscheinlich jedoch erst nach Ende des Filmes ein, vor allem, da dieses in seiner Bezugnahme zum Anfang einen Denkansatz bietet, an dem sich das
Publikum entlangarbeiten kann, jedoch nicht muss. Dazu schneidet der Film zu viele Themen an, lässt sie zu sehr offen oder beantwortet sie an anderen Stellen dennoch explizit.
So ist Richtung Zukunft durch die Nacht nicht nur in seiner intradiegetischen Nutzung von Zeit, als Katalysator und Entfremdungsinstanz zugleich, transgressiv, auch Filmische Mittel der Raumgestaltung, Montage und Musik zielen auf eine ambivalente Zeitwahrnehmung abdies alles zugunsten eines Films, der sich seiner eigenen Laufdauer bewusst ist und geschickt damit arbeitet, indem dezidiert gegen die Pacingkonventionen des Spielfilms erzählt wird, Charakterentwicklungen asynchron ablaufen und Akte übersprungen werden können. Zeitliche Entrückung und Dissonanz werden hier zu den Hauptmotiven, um keine Zeit für rationale Erkläransätze des Geschehens zu lassen. Stattdessen lässt man sich vom Film, der erzählten Liebesgeschichte nicht unähnlich, intensivst emotional mitreißen, nur um dann wieder auseinander gehen zu müssen. Vielleicht etwas unerwartet und zu abrupt, dafür aber im Guten.