Vom Abseits in den Fokus

Elodie Christin Ahn

Ein Ball, ein Tor, ein Schuss und elf Frauen, die sich jubelnd in die Arme fallen. Mit Medaillen um den Hals kehren sie anschließend zurück in die Heimat. Dort geht das Jubeln auf den Straßen weiter. Zahlreiche Menschen empfangen ihre neu auserkorenen Nationalheldinnen. Frauen meist in traditionelle Gewänder gekleidet und Männer in Hemd und Krawatte schwenken euphorisch Blumen, Glückwünsche sowie die Flagge ihres Landes. Die Linie zwischen sportlicher Leidenschaft und Nationalstolz verschwimmt. Als Frau auf einem Fußballplatz erfolgreich zu werden ist keine Selbstverständlichkeit, insbesondere wenn ihre Heimat Nordkorea heißt und sich der Rasen außerhalb der Landesgrenzen befindet. Neben Disziplin und Ehrgeiz braucht es dazu auch das richtige Team. Gewonnen wie verloren wird stets gemeinsam.

Hana, dul, sed …

Von diesem besonderen Durchhaltevermögen und Zusammenhalt erzählt der Dokumentarfilm Hana, dul, sed … aus dem Jahr 2009. Darin begleiten Brigitte Weich und ihr Team vier Spielerinnen des nordkoreanischen Frauenfußball-Nationalteams während ihrer aktiven Spielzeit bis zur verpassten Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen und in der Zeit nach dem abrupten Karriere-Aus. Der Film erzählt dabei kein Fußballmärchen, sondern die Geschichte von vier Frauen und ihren ganz persönlichen Schicksalen. Es ist ein Kennenlernen der Protagonistinnen Ra Mi Ae, Ri Jong Hi, Ri Hyang Ok und Jin Pyol Hi auf dem Weg zum Höhepunkt ihrer Laufbahn als Fußballerinnen sowie dem Leben danach. Hana, dul, sed … ist der erste Teil einer Langzeitbeobachtung, die im diesjährig erscheinenden Folgewerk … Ned, Tassot, Yossot … fortgesetzt wird. Im Mittelpunkt stehen Erfahrungen als
Sportlerinnen in einer Männerdomäne und als Frauen in einer von strengen patriarchalen Traditionen geprägten Gesellschaft. Dabei werden die Protagonistinnen keinesfalls auf diese Rollen reduziert. Stark gemacht werden die individuellen Persönlichkeiten der Frauen mit all ihren Eigenheiten, Träumen und Wünschen. Von diesen erzählen sie in Interviews selbst. Ihre Darstellung zeigt sie zutiefst menschlich und schafft die Atmosphäre eines Gesprächs unter guten Bekannten. Informationen aus den Interviews werden durch Bilder aus dem Leben der Spielerinnen ergänzt. An ihrer Hand bewegen sich die drei Frauen hinter der Kamera – Brigitte Weich (Regie), Judith Benedikt (Kamera) und Cordula Thym (Ton) – durch die Straßen Nordkoreas. Scheinbar beiläufig lassen sich dabei Einblicke in eine von der Außenwelt weitgehend abgeschottete Gesellschaft erhaschen.

Die Kamera fängt Momente der Lebensumstände in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang ein. Plakatwände, deren Motive keine Werbung für Güter, sondern das Wohl des Volkes sowie seines Führers zeigen, auf Straßen, die viel zu breit für die überschaubare Menge an Autos scheinen. Ausschnitte aus dem Alltag
der vier Nordkoreanerinnen, die aufgrund ihrer Stellung als Spielerinnen der Nation Privilegien wie erhöhte Essensrationen und einen Wohnplatz in der Hauptstadt genießen, geben Einblicke in das Leben unter dem Regime. Weniger privilegierte Existenzen lassen sich im Vergleich dazu nur erahnen. Räume,
die ohne die Spielerinnen nicht betreten werden können, bleiben verschlossen. Die Dokumentation zeigt kein vollständiges Bild der demokratischen Volksrepublik Korea, sondern den Versuch einer Annäherung an unbekannte Lebensumstände. Die (Ex-) Spielerinnen fungieren als Linse, durch die ihre
Heimat sichtbar wird. Deutlich werden aus dieser Perspektive ihre Verpflichtungen als Bürgerinnen. Neben den eigenen Träumen soll auch der Willen des Generals – wie Kim Jong Il als Staatsoberhaupt bezeichnet wird – verwirklicht werden. Individueller Erfolg wird stets in Referenz zum Kollektiv
gemessen. Das Private wird nicht nur politisch, sondern gänzlich aufgelöst. Die Liebe zum Fußball verschmilzt mit der Hingabe zur Nation. Spiele gegen politische Feinde wie Japan oder die USA sind mehr als der Beweis sportlicher Leistung. Auf dem Spiel stehen neben dem Nationalstolz auch ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung als erfolgreiche Profi-Sportlerinnen.

Das Aus der aktiven Fußballkarriere bedeutet eine Wiedereingliederung in vorhergesehene Strukturen und Rollenbilder: Heirat, Kinder, Haushalt. Der Kampf um Sieg und Niederlage geht nun im Alltag weiter, wenn auch ohne großen Jubel. Die Leidenschaft zum Sport und eine lebenslange Freundschaft bleiben. Gedanken des Widerstands finden sich in erster Linie auf dem Spielfeld und dem Weg dorthin. Auch wenn sie ihren Kindern traditionelle Rollenbilder und Gehorsamkeit gegenüber dem Regime weiter vermitteln, erleben diese ein Stück Rebellion: Mütter, die entgegen allen Erwartungen einen Sport dominierten und ihre Leidenschaft an ihre und andere Töchter der Nation weitergeben wollen. Hana, dul, sed … erzählt von sportlichem Ehrgeiz, Identität und Freundschaft. Inmitten aller Einschränkungen dominiert der Zusammenhalt. Ein Teamgeist fernab unserer Vorstellungen, der sich auf und abseits des Spielfelds unter Beweis stellt.

Vier Frauen, ein Mann: Hana, dul, sed…

Julia Reischl

Nordkorea – Fußballnation. Diese Wortkombination mag für westlich geprägte Ohren vielleicht etwas seltsam und befremdlich klingen, doch Hana, dul, sed … bietet uns Einblicke in das Land, die diese Irritationen widerlegen.

Hana, dul, sed …

In dem österreichischen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009 nehmen uns Brigitte Weich und Karin Macher mit zu verschiedensten Fußballspielen des nordkoreanischen Frauennationalteams. Das Spannende und Besondere an dieser Dokumentation ist, dass ein großer Teil von Hana, dul, sed … auch das Leben nach der aktiven Spielerinnenkarriere beleuchtet. Der Fokus liegt hierbei auf vier ausgewählten Frauen: Ri Jong Hi, Ra Mi Ae, Jin Pyol Hi und Ri Hyang Ok. Wir beobachten sie bei Handlungen des alltäglichen Lebens, erfahren von ihren neuen Berufen und Partnern. All das wird immer von einer Person
überschattet, dem Regierungschef Nordkoreas, Kim Il-sung.

Der „General“, wie der Diktator im Film bezeichnet wird, dominierte schon über das Fußballteam. Sie wollten zu seinen Ehren spielen und gewinnen, heißt es. Bereits die Entstehung des Teams lag in seiner Hand, denn das Land sollte im Profifußball erfolgreich sein. Das Männerteam hatte dies nicht bewerkstelligen können, nun sollten die Frauen es probieren und wie sich im Film zeigt, feierten sie große Erfolge: Sie gewannen zweimal die Asienmeisterschaften und nahmen an der Weltmeisterschaft 2003 erfolgreich teil. Als die Qualifikation zu den Olympischen Spielen in Athen jedoch nicht glückte, hatte erneut das Staatsoberhaupt die Macht über die Frauen und erneuerte das Team. An dieser Stelle wechselt die Dokumentation in die zweite Phase, um über das Leben der oben genannten Spielerinnen zu berichten.

Dies geschieht unaufgeregt, ohne Wertung dessen, was gesehen wird. Die Filmemacherinnen stellen den Frauen persönliche Fragen, zeigen ihren immer noch vorhandenen Zusammenhalt, ihre Freundschaft, die anhält, obwohl sie längst nicht mehr gemeinsam am Feld stehen. In vertrauten Gesprächen erfahren wir über Ra Mi Aes Kindheit, ihr „Anderssein als andere Mädchen“. Dieses macht sich immer noch bemerkbar, wenn sie über ihre Zukunftspläne spricht, die entgegen den gesellschaftlichen Konventionen zu sein scheinen. Jene werden im Begleiten der anderen Frauen stark sichtbar. Jin Pyol Hi hat ihren (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten) Verlobten durch eine Vermittlung kennengelernt. Sie wird nun zu ihm ziehen und sich um die Familie kümmern, wie es von der Gesellschaft (und ihrem Mann) erwartet wird. Zwischen den
Aufnahmen der Frauen finden sich Bilder des Alltags, der Straßen Pjöngjangs. Sie sind leer, zentral sichtbar eine Statue des „Generals“. Dieser beeinflusst das Leben aller Menschen Nordkoreas von Beginn an. Ri Jong Hi hat eine Tochter, die vom Filmteam in ihren Kindergarten begleitet wird und dort bereits alles über ihr Staatsoberhaupt gelehrt wird. Er ist allgegenwärtig, bestimmt über ihre Leben und erfährt dennoch keinen Widerstand. Selbst dann nicht, wenn der Lebensmitteleinkauf rationiert wird. Die Regierung sorgt nämlich für Feindbilder. Egal ob die USA oder Japan, auf diese beiden Länder wird jeglicher Frust und Hass projiziert, im Alltag wie im Fußball. Der Sport wird sogar symbolisch genutzt, um eine Chance zu bekommen „die Feinde zu besiegen“.

All dies zeigt Hana, dul, sed … nebenbei, durch Gespräche und Bilder. Die vier ehemaligen Fußballspielerinnen bekommen hier eine Plattform, um über ihre Leben zu erzählen. Sie berichten über die verschiedensten Berufe, die sie nach der Karriere anstreben, präsentieren ihre sportlichen Höhen und Tiefen. Sie zeigen der Welt, was eine Schwesternschaft wie die ihre alles möglich macht. Der Film bietet durch seine ruhigen und intimen Aufnahmen interessante
Einblicke in die Lebensrealität von Frauen in Nordkorea, eine seltene Gelegenheit für die westliche Welt. Fußballfans kommen, gerade durch die erste Hälfte des Films, ebenfalls auf ihre Kosten. Die Erzählungen über ihre aktive Zeit als Sportlerinnen werden von diversesten Matchübertragungen begleitet, die durch den Zusammenschnitt Spannung erzeugen. Man sitzt wie gebannt vor der Leinwand und fiebert mit den gerade erst Kennengelernten mit. Der rote
Faden, der sich durch diesen Film zieht, ist dennoch die allgegenwärtige Präsenz des „Generals“. Egal in welchem Bereich des Lebens, es wird über ihn gesprochen, etwas durch seine Politik ermöglicht, oder er ist tatsächlich präsent in Form eines Abbildes. Dies wirkt befremdlich und beängstigend auf uns, ohne jemals so negativ hervorgehoben zu werden, denn für die Menschen in Nordkorea ist das der Alltag. Ein Alltag, der von den Filmemacherinnen, erfreulicherweise, nicht hinterfragt, bewertet oder bekämpft wird. Sie zeigen ihn ungefiltert, wie er ist, überlassen uns jegliche Wertung. Diese entsteht ohnehin unvermeidlich, aufgrund unserer unterschiedlichen Erfahrungen und demokratischen Werte.

Hana, dul, sed … ist eine Sportdokumentation besonderer Art, denn auch wenn über das Fußballteam und die Spiele berichtet wird, so liegt der Fokus auf den Leben der vier Frauen und was diese über die nordkoreanische Gesellschaft aussagen. Am Ende des Films hat man ein Verständnis für den Status Quo der nordkoreanischen Gesellschaft und vier wunderbare wie interessante Frauen ins Herz geschlossen. Gerne hätte man noch mehr Zeit mit ihnen verbracht.
Dazu bekommt man dieses Jahr auch die Chance, da die Fortsetzung …ned, tassot, yossot… in den Kinos startet. Hoffentlich setzt sie dort an, wo Hana, dul, sed … aufhörte und zeigt Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten in der Gesellschaft unter einem neuen „General“ auf!