Péter Rácz
Als Alexander Horwath, der Filmhistoriker und langjähriger Kurator des österreichischen Filmmuseums sich 2017 entschieden hat, diese Position nicht mehr zu erfüllen, sagte die Filmproduzentin Irene Höfer nur einen Satz zu ihm „Dann musst du selbst einen Film machen. Zu dem Namen seines letzten kurierten Programmes Henry Fonda for President meinte sie „Das ist der Titel“. Drei Jahre später hat der jetzt-Regisseur zusammen mit Höfer als Produzentin und Michael Palm als Cutter und Kinematograph begonnen, die Biographie, Filmographie des oben genannten Filmstars und periphere Historien der USA von 1651, die Ankunft der Ahnen Fondas, bis 1982, das Jahr seines Todes, zu erkunden. Wie Archäolog*innen hat das kleine Team das Vermächtnis des besonderen Stars ausgegraben. Sie haben diese neben der Fossilien der Strukturen und Sentimentalitäten der Geschichte Nordamerikas und ihre Kinoindustrie und Kunst. Das Resultat ist ein mitreißender Reisefilm, der das Fiktive mit dem Realen, das Vergangene mit dem Gegenwärtigen in Kommunikation stellt. Der Film sucht Wege durch die Widersprüchlichkeiten der USA entlang der spezifischen filmischen und historischen Präsenzen von Henry Fondas realen und gespielten Charakteren und umgekehrt.
„… du sitzt da, und denkst an diesen erstaunlichen Dingen zu sagen, und entscheidest dich, diese nicht auszusprechen.“ erklärt Sir Michael Caine im Rahmen einer BBC-Sendung aus 1987, was Filmschauspieler*innen eigentlich vor der Kamera machen. Von diesem besonderen Talent erzählt Horwath als Narrator und das letzte Interview von Henry Fonda in Zusammenwirkung mit Abschnitten aus den entsprechenden Filmen. Das Star hat was anderes als seine kontemporäre männliche Hauptdarsteller geleistet, er hatte nicht die extrovertierte unermüdliche Passion Jimmy Stewarts oder die spielerische Parade von Cary Grant. Fonda hat seinen Zorn und Ozean von Gefühlen von seinem Gang, zu den angespannten Händen und schließlich von seinen Augen hinaus in die Einstellung gegossen. Diese besondere Photogenität hat seine Karriere in den Hauptrollen von Verfilmungen historischer Ereignisse und sozial-realistische Dramen und Adaptionen solcher Literatur vorgeschrieben. Dieses psychologisierende Spiel gilt derzeit als ungewöhnlich neu, denn erst später agieren in der Zeit von New Hollywood ab den späten 60er Jahren die neuen Stars, wie Robert De Niro, Fondas eigene Kinder Jane und Peter und im britischen Kino Michael Caine selbst, mit einem ähnlich reichen Innenleben der Figuren, wonach das Subjekt dieses Films gestrebt hat. Nach und während der Beschäftigung mit der filmischen Präsenz des Stars geht der Essayfilm ins Biographische.

Hier präsentiert der Film einen Mann, der im kleinstädtischen Milieu aufgewachsen ist, und seine Karriere unter wachsenden Rolle von Stars führte in einer Gesellschaft, die unter der Depression der 1930er das Image hedonistischer Berühmtheiten als Ablenkung von sozialer Realitäten im Kino bekommen haben. Die Persönlichkeit Fondas bekommt damit neue Spannungen, indem der introvertierter und sich selbst nicht liebender Schauspieler im tumultuösen Privatleben seiner Kontemporär*en, wie es seine fünf Ehen zeigen, auf der eigenen konsolidierten Weise, unter Erleben geringerer Publizität, einen Platz in Hollywood gefunden hat. Nach dem Aufschwung seiner Nachfrage in den 1930ern und die Revitalisierung in der Nachkriegszeit erzählt der Film nicht mehr ins Detail eingehend, sondern zur Überlegung angeboten von anderen Aspekten des Lebens von Henry Fonda. Bei so einer langen Beschäftigung mit einem Subjekt durch einen nicht ausdrücklich kritisierenden Blick taucht die Frage der Idealisierung auf. Das inhärente Paradox mit Henry Fonda for President unterstreichen die Leerstellen in seiner Geschichtsschreibung bezüglich des Stars. Da Horwath sich explizit mit dem Zeitraum 1651-1982 und filmgeschichtliche Perspektiven beschäftigt, bekommen die möglich dunkleren Seiten Fondas Legacy und die Arbeiten seiner Kinder Jane und Peter nicht wirklich das Spotlight. Dieses führt ein Segment aus, das sich mit der Krankheit und Selbstmord von Frances Seymour Fonda, Mutter der oben genannten Fondas, beschäftigt. Der Essayfilm erklärt die Verarbeitungen und die Wirkungen auf das Familienleben in einer emotional nur andeutenden Tiefe, indem er eine überblickhafte Position in der allgemeinen Analyse der Behandlung von psychischer Erkrankungen in Frauen in den 1950ern nimmt. Drückt das die Verdrängung als Traumareaktion der Männergeneration von Henry Fonda aus? Welche Rolle würde die durchgehende Erwähnung dieser Ereignisse für die Überlegungen des Films spielen? Auf jeden Fall agiert dieses Werk nicht mit der Tabloid-artige Behandlung eines unbegreiflichen Privatlebens, er liegt diese Tragödie in Sicherheit auf der obskuren Seite. In Bezug auf sein individuelles Subjekt behandelt Henry Fonda for President überwiegend filmische Präsenz und Rollenbiographie, was das Faszinierende an Film und allgemein Aufnahmen veranschaulicht. Denn durch das Schauen von Filmen erlebt das Publikum Abschnitte von Leben mit, es taucht in vergangenen Minuten von Personen ein, die sie vor der Kamera verbracht haben. Diese Intimität, die bei toten Schauspieler*innen zeitgleich unheimlich und nostalgisch wirkt, wird mit realen, vergangenen Momenten von zwar simulierten, aber wahren Erlebnissen aufgeladen. Auf diese Wirkung stützt sich der filmhistorische Aspekt dieser Reise. Der Titel selbst markiert die Verschmelzung von Darsteller einer Fiktion, die Henry Fonda oft die Rolle des Präsidenten eingeschrieben hat, und die außerfilmische Ideologie einer berühmten Person.

Politisch hat sich der Schauspieler für einen konsolidierten Progressivismus durch vernünftige, angemessene staatliche Tätigkeit eingesetzt, die ein*e demokratische Präsident*in in den Strukturen der USA für Verbesserung sozialer Zustände ausnutzen könnte. Doch welche Strukturen das sind, wird im Film, wie die meisten Institutionen der im historischen Kontext ganz jungen Vereinigten Staaten, als ewig angenommen. Selbst die in Henry Fonda for President nicht hinterfragte Existenz dieses Amtes schreibt die, zwar demokratisch zu wählende, mächtigste Person der Welt vor. Henry Fondas wahre und gespielte Persönlichkeit als Präsident kann nur das verkörpern, was diese Hegemonie des*r Eine*n fähig ist, durch Macht zu verändern. Was in diesem Essayfilm nicht zur Verarbeitung kommt, ist die Überlegung einer der Regierungsform. Wäre das in einer 50-staatigen Weltmacht mit ganz gesteuerter Ideologien heute vorstellbar? Worauf der Film aber deutlich aufmerksam macht, sind die Idealen, die diese hohe Position für die zwei große Parteien verkörpern soll. Henry Fonda for President erkennt, dass genau diese von Gerechtigkeitsgefühl durchgeflossene Persönlichkeit einen idealen US-Präsident ausmache, zumindest für die demokratische Partei und ihre Wähler*innen. Was der Film ebenfalls nicht ausdrücklich thematisiert, sondern der Überlegung des Publikums gibt, dass diese Art von Kandidat nur als im Nachhinein perfekt-gedachter Gegenpol zu den zunehmend populistischen Strategien der gegnerischen Partei, deren ersten modernen Höhepunkt die Präsidentschaft von Ronald Reagan markierte. Ein angemessener aber den Status quo-erhaltender Leader kann nur als ernüchternder, aber nicht Versprechen-erfüllender Gegenentwurf zwischen zwei Perioden einer Reagan-artigen Zerstörung sozialstaatlichen Strukturen existieren. Denn mit den simplen Slogans zur Verminderung staatlicher Eingriffe entlang als religiös verkaufte Ideologie ist die Mehrheit des Landes anzusprechen. Genau durch die Landschaften dieser Mehrheit, die von Elitismus geprägter Politik übersehen ist, führt die geografische Reise des Films von Horwath und Co.
Die Kameraarbeit von Michael Palm präsentiert die Region, die in den USA als „Flyover-Country“ bezeichnet werden, d.h. die Landschaften zwischen den Großstädten der beiden Küsten und Grenzen. Die von Infrastruktur und demokratischer Kampagnen des letzten Jahrhunderts kaum berührten Leerstellen lassen die Gespenster der Vergangenheit und mögliche Abweichungen von der Entwicklungen des Landes freilaufen. Nicht nur werden diese Örtlichkeiten durch ihre Rollen in Fonda-Filmen erkundet, wie Früchte des Zorns (Ford, 1940), eine Suche nach alternativer Strukturen, der Essayfilm veranschaulicht zusätzlich die moderne Lage dieser Regionen und stellt diese in Kontrast mit den Realitäten von US-Hegemonie abweichenden Einordnungen, nämlich die der indigenen Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents. Aufgrund des Hauptthemas des Films, oft peripher und teils nicht ausführlich enthält der Film Historien von Native Americans, die mit ihren eigenen Stimme die Hierarchien verschiedener Stämmen und die systematische und gewaltsame Ausbeutungen dieser Gruppen von der Ankunft der weißen Siedler*innen bis heute erklären. Henry Fonda for President repräsentiert hier diese anderen Systeme im Kontext des Verlorenen, nicht als vorhandene oder zukünftig mögliche Abweichungen, Subversionen. Außer einer Instanz von modernen, von Matriarchinnen durchgeführten Wahl einer offiziellen Position wird den gegenwärtigen Lebensumständen Indigener Personen und ihren historischen filmischen Repräsentation in diesem 184-minütigen dokumentarischen Epos kein Platz gegeben. Ob das Erzählen und dabei Schreiben dieser Geschichten und Darstellungen überhaupt unter die Aufgaben, Perspektive und Fähigkeiten eines österreichischen Filmteams gehört, bleibt in diesem Film unklar. Die Beziehungen zwischen gespielten Rollen und historischen Personen zusammengeschnitten mit der zwischen Drehorten und geographischen Landschaften erzählt Horwath erfolgreicher und ausführlicher durch seine Erfahrung als Historiker und Reisender.
Die wichtigste Leistungen des Films reichen über die Laufzeit weiter hinaus, indem er die Jahren nach dem Endpunkt 1982 die USA und ihre Kinokunst vor New Hollywood neuinterpretieren lässt. Erstens bekommen die Filme und Schauspielstile des alten Studiosystems mit und ohne Henry Fonda einen neuen Blickwinkel, indem die Innerlichkeit der Performances durch die Restriktionen der Produktionsregelung „Hayes-Code“ durchscheinen. Gleichzeitig setzen zweitens Horwath und Team durch erklärende Segmente über die historischen Hintergründen von Filme wie Taxi Driver (Scorsese, 1976) das Aufkommen von Radikalisierung durch Medien und populistischen Ansprüche, die oft in Gewalt ausbrechen etwa drei Jahrzehnten vor der ersten Kampagne Donald Trumps. Die ästhetische Erfahrung dieses Essayfilms liegt im Querschnitt von Final Cut: Ladies and Gentlemen (Pálfi, 2012), der eine Liebesgeschichte ausschließlich durch die Montage von Einstellungen aus vorhandenen Filmen erzählt, und Sans Soleil (Marker, 1983), der durch den ausländischen Perspektive die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Japans durch die Biographie eines Reisenden erkundet. Was das Marketingmaterial und eine frühe Szene begreift steht thesenartig über den Film und regt zum Überlegen an. Dieses einführende Segment folgt einen Street Performer am Times Square mit einer Trump-Maske, der die charakteristischen Geste des Präsidenten zur Geldgewinnung nachahmt. Was zeigen diese Spielereien? Hat der Fanatismus provozierender Figuren die Nachfrage für aktiven Politiker*innen ersetzt? Ist das Image der mächtigsten Position der Welt nur durch Karikatur sinnvoll zu interpretieren? War das früher schon auch so? Inwiefern hat Medienverbreitung den Image-Aufbau hoher Institutionen dekonstruiert und verzerrt?

Henry Fonda for President lässt mit seiner Ästhetik und Methode der Geschichtsschreibung nicht nur die Filmkunst und das Privatleben eines klassischen Stars zu bewundern, er vermittelt Gespenster der Gründung, Entwicklung und nicht wahrgewordene Alternativen aus einem fernen, faszinierenden Land und lässt sie auf der Leinwand und jenseits davon lange nach der Laufzeit verweilen.
Endnoten
Michael Caine Teaches Acting in Film (BBC, 1987)
Online [https://youtu.be/bZPLVDwEr7Y?si=GhEhsE5SeAN_0YiQ] (FilmKunst, 2013)


