Zwischen kühlen Temperaturen und herzerwärmenden Momenten: Ein Berlinale-Erfahrungsbericht

Cosima Rauch

Berlin empfing mich mit reichlich Regen. Typisches Februarwetter, aber dennoch lag etwas anderes in der Luft. Etwas Unbekanntes, was ich so zuvor noch nie erlebt hatte. Um mir rum schwirrten die Menschen von rechts nach links und sie blieben erst stehen, wenn das Zusammenstoßen mit anderen Menschen zu drohen schien. Filmemacher*innen von allen Ecken der Welt kamen auf 892km2 zusammen, um die 74e Berlinale zu erleben. Das Programm dieses Jahr war vielfältig, divers und trotzte vor neuen Ideen, welche nur darum baten, von der Welt wahrgenommen zu werden. Und das tat ich. Ich schaute mir einen Film nach dem anderen an. Rannte von Spielstätte zu Spielstätte und machte erst halt, wenn der Hunger zu groß wurde. Nach knapp 741 Sichtungsminuten war der Hunger sehr groß.

Auftakt meines Filmmarathons machte Teaches of Peaches. Ein Dokumentarfilm über die kanadische Sängerin Peaches, welche eine Tour plant, um ihre größten Hits für neue und alte Fans erneut auf die Bühne zu bringen. Eine Mischung aus privaten Archivaufnahmen, Videomaterial von den Vorbereitungen der Tour sowie der eigentlichen Tour und Interviews von Freund*innen bieten Einblick in das Geschehen rund um Peaches Karriere. Nicht nur die visuell-ansprechenden Ausschnitte waren Grund für meinen Besuch des Filmes, sondern auch Peaches politischen Standpunkten. Der Dokumentarfilm überzeugt mit Transparenz über relevante politische Themen, so wie Abtreibung und Feminismus und so ist es nicht überraschend, dass die Sängerin den roten Teppich der Berlinale mit einem nude-farbenen Slip beschreitete, welchen den Aufdruck „FCK AFD“ klar leserlich in der Mitte zentriert hat. Ein deutliches Statement zu der aktuellen politischen Lage in Deutschland, aber auch zu der Entscheidung der Berlinale, Politiker*innen der AFD wieder auszuladen nach der Spannung rund um die Partei in den vergangenen Wochen.

Den zweiten Film, denn ich mir ansah, war Comme le feu. Ich muss gestehen, mein Interesse für den Film galt zuerst dem Ursprungsland und der Prämisse, dass der Film in den Wäldern Kanadas spielen würde. Eindrucksvolle Cinematography, gepaart mit einer spannenden Storyline baten genug Material für Denkanstöße bezüglich falscher Freundschaften und unerwarteter Liebe. Motive, die mir im Rahmen von knapp anderthalbstündigen Filmen meist zusprechen. Aber als die zweite Stunde bei Comme le feu anbrach und weder ein Ende noch eine neue Thematik in Sicht waren, kam der Film mir langsam zäh vor. Fast drei Stunden füllte Philippe Lesage mit einer Storyline, welche nach nicht einmal zwei Stunden vollstens erzählt und erforscht war.

In the Belly of a Tiger war ohne Zweifel mein Lieblingsfilm, welchen ich im Rahmen der Berlinale schauen konnte. Nach meiner Enttäuschung nach Comme le feu betrat ich den Kinosaal des Delphi Filmpalastes eher verunsichert, konnte aber nach der Eröffnungsszene des Filmes direkt erkennen, dass dieser Film mir gefallen würde. Ein Dorf in Indien, welches von Kapitalismus und Armut geplagt wird, findet sich dabei wieder, wie es ältere Menschen an einen Tiger opfert, damit die hinterbliebene Familie von den Kompensationen des Staates profitieren können. Der Film ist brutal, herzzerreißend und wie ich von dem Regisseur Siddharth Jatla später erfuhr, basierend auf einer wahren Geschichte. Er hatte zuerst von diesem Dorf aus einer einfachen Schlagzeile erfahren und wusste direkt, dass diese Geschichte komplexer sein musste, als die Zeitung es scheinen lassen wollte. So kam es zu der Entstehung von In the belly of a Tiger, welcher im Kern ein Statement gegen den Kapitalismus ist. Skript, Cinematography und Plot sind einzeln so stark und vollkommen, dass der Wunsch nach mehreren Sichtungen dieses Filmes definitiv keine Überraschung ist.

Reas war laut, schrill und bunt. Ich ging in den Film mit der Erwartung rein, eine typische Gefängnisgeschichte zu hören und überrascht wurde ich mit einem Musical über die Höhen und Tiefen von queeren Gefängnisinsassinnen. Der Film punktet mit seiner Diversität, welche nicht Fiktion, sondern biografisch ist. Denn Lola Arias schaffte es aus einem vorherigen Gefängnisprojekt einen Film zu machen, welcher echte, ehemalige Insassinnen und deren wahren Geschichten porträtiert. Besonderen Eindruck auf mich machte Nacho, ein Transmann, welcher in einem weiblichen Gefängnis seine Zeit absitzen musste. Er berichtet von den Umständen in anderen Gefängnissen, welche zwar Transfrauen anerkannten, jedoch Transmännern Zugang zu Testosteron verweigerten. Dies sind Themen, mit denen ich mich zugegebenermaßen nie auseinandergesetzt hatte, aber besonders im Kontext eines unbeschwerten Musicals erfrischend fand. Tanzeinlagen gaben dem Film Leichtigkeit an Stellen, welche sonst sehr traurig gewesen wären.

Wer gerne Komödien schaut, schaut auch gerne Adam Sandler Filme. Er ist eine Ikone, was Entertainment und Humor angeht. Trotzdem schafft er es in seinem neuen Film Spaceman komplett aus seinem typischen Rollenmuster auszubrechen und statt die Zuschauer*innen zum Lachen zu bringen, wurden viele im Kinosaal eher sentimental und melancholisch.

Spaceman ist kein klassischer Raumfaher*infilm, welcher von dem Chaos an Board eines Raumschiffes erzählt. Vielmehr ist das Chaos in diesem Film in dem Raumfahrer Jakubs Kopf. Seine zerbrechende Ehe und den verlorenen Kontakt zu seiner Frau Lenka, gepaart mit seinem Schlafverlust machen ihm zu schaffen. Als dann die CGI-generierte Spinne Hanus auftaucht, um gemeinsam mit ihm sein Leben zu reflektieren, war mir klar, das ist nicht der Adam Sandler, den ich aus Kindsköpfe kenne. Ungewohnt tiefgängig und emotional schaffte er es in seiner Rolle Jakub das Konzept von Schuldgefühlen und Vergebung zu erarbeiten, in einer Art und Weise, welche ich aus keinem anderen Film so kenne. Der Film ist definitiv sehenswert.

Seven Veils war ein Film, welchen ich mit hoher Erwartung besuchte. Die Mischung aus Amanda Seyfried, einer kanadischen Produktionsfirma und der Thematik der Oper brachten mein kanadisches TFM-Herz zum Höherschlagen. Und der Film enttäuschte nicht. Traumata aus ihrer Kindheit verarbeitet die Protagonistin Janine, während sie ihren Schmerz in der Hauptfigur der Oper Salome wiederfindet. Symbiotisch ging der Prozess der Vorbereitung der Inszenierung mit ihrer eigenen, seelischen Heilung einher. Der Film ist besonders für diejenigen gemacht, welche sich wohl mit Themen der Übergriffe fühlen und Interesse an Aufarbeitung von Kindheitstraumata haben.

Der letzte Film, den ich auf der Berlinale schaute, war The Human Hibernation. Wer die Berlinale für eindrucksvolle und bedeutsame Drehbücher besucht, kann diesen Film überspringen. Der Film wird nicht von seinem Dialog oder sollte ich eher sagen dem Fehlendessen getragen, sondern durch seine visuell starken Aufnahmen. Tiere und Pflanzen sind die Stars dieses Filmes, was zu Beginn spannend war, jedoch nach einiger Zeit leider eher wieder zäh wurde. Das Konzept des Filmes hätte sicherlich auch als Kurzfilm stark wirken können. Jedoch kann ich trotzdem nicht sagen, dass der Film mir absolut gar nicht gefallen hat, da seine Bilder einfach so eindrucksvoll waren.

Wer an Filmen interessiert ist und einen Ort der Begegnungen und des Networkings sucht, wird bei der Berlinale fündig. Dies war zwar meine erste Berlinale, aber definitiv nicht meine letzte.