2551.02 – Orgy of the Damned

Michael Grandits

Unsichere Sexualität und kinematografischer Exzess in einer postapokalyptischen Untergrundwelt.

Bereits mit dem ersten Teil seiner 2551-Trilogie konnte Norbert Pfaffenbichler 2021innerhalb der Genrefilm-Landschaft aufzeigen. In diesem wird eine dystopische Zukunftsvision in einer verkommenen Untergrundwelt gezeichnet, in der Sachen wie Empathie und Sprache der Vergangenheit angehören. Inmitten dieser kalten Breiten kämpft sich ein Affenmann durch den Alltag zwischen Überleben und Rebellion gegen die letzten Spuren von staatlicher Autorität. Im neuesten Teil der Trilogie 2551.02 – Orgy of the Damned erzählt Pfaffenbichler von der Suche des Affenmannes nach dem Kind, welches er im vorherigen Film gerettet und in weiterer Folge wieder an die Schergen dieser diffusen Autorität verloren hat.

2551.02 – Orgy of the Damned

Pfaffenbichler beweist hier Konsequenz. Er führt das Publikum immer tiefer in seinen Fiebertraum einer Gesellschaft hinein und zeigt menschliche Abgründe auf, mit denen man nicht gerechnet hat. Aber auch auf ästhetischer Ebene entwickelt er sich weiter und übertrifft mittels Kameraarbeit und Montage die Absurdität seines Vorgängerfilmes. In einigen Szenen wird eine derartige visuelle und auditive Überforderung provoziert, die man bis dato eher von Regisseuren wie Gaspar Noé gewohnt war. Der Zweittitel Orgy of the Damned beweist sich nicht nur als reines Beiwerk, sondern macht seinem Namen alle Ehre. Der Film führt uns in neue blutgetränkte Sphären des Sado-Masochismus und hält dabei schonungslos auf die explizite Szenerie aus Gewalt und Nacktheit drauf. Ein wahrhaftiges postapokalyptisches Sodom und Gomorrah.


Visuell folgt der Film dem Credo ‚Mehr ist mehr’. Die Beleuchtung ist exzessiv und wandlungsfähig, hangelt sich von bunten Stroboskop-Lichtern bis zu einer
atmosphärischen Stimmung, die an den frühen Expressionismus angelehnt ist. Aber auch dem Slapstick-Kino wird hin und wieder Tribut gezollt. Manche Szenen werden auf unterschiedlichste Weisen hochstilisiert, sodass man sich beinahe gar nicht satt sehen kann. An dieser Stelle könnte man argumentieren, dass sie einem reinen Selbstzweck dienen, doch überragt der Affekt in diesem Moment solche Gedanken, weshalb man bereit ist dem Film diese Entgleisungen deutlich einfacher zu verzeihen. In einer Szene wirft der Protagonist einen Blick in einen Guckkasten, in dem ein Film läuft. Zu sehen sind Aufnahmen von wilden sexuellen Praktiken gekoppelt mit Sounddesign und einer Montage, die hektischer nicht sein könnten. Diese Sequenz hat nichts zur Handlung beizutragen, doch zeigt sie exemplarisch den Status, in dem sich diese Gesellschaft befindet. Wahrlich verstörend, vor allem für Fans von Laurel und Hardy.


Ein wesentliches Merkmal der Diegese ist die Verhüllung der Gesichter aller Figuren durch mal mehr, mal weniger exhibitionistische Masken; ein Gimmick, das bereits im ersten Teil etabliert wurde. Dadurch wird den Figuren jegliche Wärme und Empathie entzogen, alle stehen für sich alleine und werden durch einen eigenen Avatar in der Außenwelt repräsentiert. Nur der Affenmann lehnt dies ab und kann dadurch eine Bindung zu dem Kind aufbauen, dessen Maske aus einem simplen Sack mit Löchern besteht. Im zweiten Film wird dieses Spiel weiter getrieben. Nicht nur die fehlende Präsenz von mimetischen Anhaltspunkten geht verloren, sondern das Konzept einer eindeutig zuordenbaren, binären Geschlechtervorstellung wird über den Haufen
geworfen. Nur wenige Personen innerhalb dieser Unterwelt lassen sich eindeutig als Mann oder Frau identifizieren. Entweder ist es schlicht und einfach zu finster oder die physischen Attribute und Verhaltensweisen sind zu ambivalent. Eben auch die Maske und Kleidung des Kindes dürfte bewusst geschlechtsneutral gestaltet worden sein. Emblematisch für diese unsichere Geschlechtervorstellung ist die erste Einstellung des Films, in der eine nackte Figur mit gespreizten Beinen liegt und dessen Penis sich in den Körper zurückzieht und eine Vagina preisgibt. Der einzige Geschlechtsakt zwischen einem vermeintlich heterosexuellen Paar wird in einer langen, ausgiebigen Einstellung mittels Doppelbelichtung mit Maden unterlegt. Heteronormativität wird somit in einen unreinen Kontext gestellt.

Orgy oft he Damned dürfte sich mit anderen vielversprechenden Highlights auf der diesjährigen Diagonale in Graz in eine neue Welle an kreativen und ausgefallenen Genre-Vertretern aus Österreich einreihen. Zu erwähnen wären u.a. Johannes Grenzfurthners Razzennest oder auch Family Dinner und Heimsuchung erhielten eine Vorstellung beim Festival. Alles in allem wird zu jedem Zeitpunkt die Leidenschaft und der Spaß am Filmemachen spürbar, welchen die Crew beim Produzieren gehabt haben muss. Im Gespräch, das auf das Screening folgte, hoben die Crewmitglieder die außerordentliche Gruppendynamik und Improvisationsbereitschaft am Set hervor. Insgesamt dürfte der Film vor allem Fans von ausgefallenem Horror ansprechen. Aber auch allen anderen sei der Film empfohlen, die nach Kinoerlebnissen suchen, die sie bis dahin noch nie hatten, denn eines ist klar, das war unvergleichlich…in einem guten Sinne