Fabrikschiff für Frostfisch

Von Paulina Buda

Gerhard Friedls zweiter Langfilm Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? (2004) lief auf der Diagonale. Eine Komödie erwartete man nicht bei dem reißerischen Titel. Reißerischer Titel, weil Otto Wolff von Amerongen erst ab der 52. Minute namentlich erwähnt wird. Bei einem namensgebenden Protagonisten und einer Filmlänge von 73 Minuten reichlich spät. Der Konkursdelikt wird auch nicht ausgiebig beschrieben, wie man es sonst bei einer Kriminaldokumentation gewöhnt ist. Gerhard Friedl hat leider nur wenige Filme hinterlassen. Ein weiterer Film der gleichen Machart ist Knittelfeld – Stadt Ohne Geschichte (1997). Des Weiteren hat er Kunstfilme und unfertige Projekte hinterlassen.

Friedl widmet sich im essayistischen Stil einiger Ereignisse der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte. Es kommen vor: Friedrich Flick, Familie Quandt, Otto Wolff von Amerongen, Arndt Oetker, Familie Thyssen, Franz Josef Strauß, Otto Wiesheu, Karlheinz Schreiber, Walther Leisler Kiep, Leonhard Lutz und viele mehr.

Der Film besteht aus einer Tonspur aus dem Off, auf der Geschehnisse ohne Wertung geschildert werden. Das heißt, die männliche Stimme bleibt konstant eintönig, es gibt keine Veränderung der Tonlage oder andere Sensationen der Stimmbänder, die eine Wertung vermuten lassen würde. Kurz, es ist eine trockene dennoch angenehm erzählende Stimme. Auf der Bildebene dominieren Straßenszenen und Autofahrten durch Frankfurt, Wien, Köln, Berlin, Nizza, Lausanne et al. Zu dem sind zu sehen: Fabrikszenen, Laufbänder, Maschinendetails, Arbeitende, Bürogebäude und Industriegelände. Die Szenen wirken zufällig und es gibt selten einzelne Personen zu sehen, schon gar nicht zeitgleich die Personen, die auf der Tonebene erwähnt werden.

Ton und Bild sind hier also prinzipiell unabhängig voneinander, wobei sie thematische Überschneidungen haben. Die Bilder der Fabriken und Arbeiter bleiben beim zentralen Topos des wirtschaftshistorischen Films. Bilder des Himmels sind zu sehen, wenn es um Abstürze von Privatflugzeugen der Marke Beechcraft King Air 90 geht.

Durch das lediglich Streifen von tragischen Ereignissen auf der semantischen Ebene wie Flugzeugabstürze, Firmenzusammenbrüche und -aufstiege, Suizide, Korruptionsfälle und Rennautounfälle (BMW) bekommt der Film eine unerwartete Leichtigkeit. Alles erhält die gleiche kurze Sendezeit. Interessant sind hier besonders die Straßenszenen, die genau auf die Tonebene passen und andere Szenen in denen der Bild- und Toninhalt auf eine Weise divergieren, wodurch Komik entsteht. Das Schöne an diesem Filmerlebnis ist, dass auf viele verschiedene Arten gelacht wird: traurig, schadenfroh, bösartig, glücklich oder weil man nicht weiß, wie man sonst reagieren soll – es ist ein Lachen über die tragische menschliche Komödie.

Die Komik liegt auch in der sehr genau ausgewählten Wiedergabe von pointierten und abstrusen Anekdoten wie zum Beispiel: „Lüttich sagte vor Gericht aus: Kiep hätte ihm im Hotel unter der Bettdecke eine Millionen Mark gezeigt.“ Der Witz entsteht hier zum einen, durch die Vorstellung der beiden bekannten Männer in einem Hotelzimmer, die sich unter der Decke Geld statt Körperteile zeigen, wie man es kurz davor zu hören erwartete.

Und mit „Er zeigte mir im Hotel unter der Bettdecke …“ fängt eigentlich eine Vergewaltigungsklage an. Somit lacht man über Lüttich, weil er das Gericht mit dieser Formulierung womöglich davon überzeugen wollte, das er von dem unter der Bettdecke gezeigten Geld vergewaltigt wurde. Ein persönlicher Höhepunkt des Films ist die Alliteration auf der Tonspur „Es entstehen Fabrikschiffe für Frostfisch“, und dem zeitgleich im Bild zu sehenden kleine Privatflugzeug. Der Film nimmt das zeitlose Thema der Mächtigen und ihrer Machenschaften in unserer Gesellschaft, in einer Art und Weise auf, die überraschend Mitleid und Mitgefühl mit den Schicksalen der Betroffenen vermittelt. Er verschafft gleichzeitig dem Publikum eine erleichternde zynische Distanz zu unseren banalen Werten des Kapitalismus. Mit einer einprägsamen Filmsprache, die Friedl schon in Knittelfeld anwendet, aber hier perfektioniert hat, vermittelt er eine warme Menschlichkeit inmitten der auf zahlen basierenden Unmenschlichkeit der globalen Wirtschaftswelt.