„We the animals“: Skizzen einer Kindheit

Review by Natalia del Mar Kašik

We the Animals, by Jeremiah Zagar, United States 2018

Drei Brüder rennen hastig, frei und wild durch den Wald. Wie ein Wolfspack, laufen sie sorgenlos, fast im Gleichschritt, durch ein scheinbar nur durch sie bewohntes Niemandsland. Im nächsten Moment haben sie sich in eine Art Skizzenanimation verwandelt. In einer lebhaften Buntstiftanimation laufen sie über ein dicht beschriebenes Notizbuch. Sie scheinen einem Tagebuch leben einzuflößen.

„We the Animals“ beginnt und endet mit einem Jungen, der den ihn umgebenden Mikrokosmos beobachtet. Unter seinem Bett versteckt, füllt Jonah (Evan Rosado) sein Notizbuch mit reflektiven Strichzeichnungen, durch die er versucht, die scheinbar unverständlichen Veränderungen im Leben seiner Familie zu erfassen. Jeremiah Zagars Filmadaption, des gleichnamigen Romans von Julio Torres, zeigt in erster Linie ein Familienporträt. Die Ästhetik der 16 mm Aufnahmen geben dem Film nicht nur eine warme, grobkörnige Textur, sie erinnern auch an fotografische Bilder. Ähnlich wie Jonahs Zeichnungen zum Leben erwachen, wirken die nicht-animierten Sequenzen wie ein familiäres Fotoalbum, das in Bewegung gesetzt wurde. Zagar nimmt sich viel Zeit um die Dynamik einer dysfunktionalen Familie zu erforschen. Die Eltern, Ma (Sheila Vand) und Paps (Raúl Castillo), scheinen wie Magnete aufeinander zu reagieren. Sie ziehen einander an und für ein paar glückliche Momente wirken sie wie eine idyllische Familie. Doch im nächsten Instant kommt es, meist durch den übergriffigen Vater, zu einem Bruch, die alle Familienmitglieder in der Leere hängen lässt. Eine Familie, die verzweifelt versucht zu funktionieren, und trotz aller Liebe und Anstrengung immer zu versagen scheint. In dieser turbulenten Zeit stehen die drei Brüder zueinander. Doch im Laufe des Filmes kommt es immer mehr zu einer Distanz zwischen dem ruhigen und sensiblen Jonah und seinen älteren Brüdern, die zweifellos anfangen, das toxisch maskuline Vorbild des Vaters nachzuahmen.

Zagars Entscheidung, Elemente der Animation in seinem Film einzubeziehen, gibt nicht nur den unschuldigen Ton des Filmes an, sondern repräsentiert auch sehr treffend den inneren Tumult des jungen Protagonisten auf seinem Weg zur Selbstfindung und der Entdeckung  seiner Sexualität. Durch seine Zeichnungen scheint er sich das Unverständliche der Außenwelt, verständlich zu machen. Ohne jemanden zu haben an den er sich wenden kann, fungiert sein Tagebuch als einziger Vertrauter. Dieses stellt für ihn einen sicheren Ort dar. Ein Ort, an dem er, seine queere Identität, frei von sozialen Urteilen, erforschen kann. Indem er, später im Film, seine Skizzen aus dem Mülleimer herausfischt, nachdem diese von seiner Familie entdeckt und weggeschmissen wurden, ermöglicht ihm das Tagebuch, Autorität über seine eigene Identität und Narrative zu erlangen.

Auf subtile und einfühlsame Weise gelingt es Zagar, die sexuelle Neugier in der Kindheit eines Jungen, auf den Bildschirm zu bringen. Indem Zagar den Fokus auf Jonahs Perspektive, durch Kamerapositionierung (meist auf Augenhöhe des Jungen) und Illustrationen, setzt, liefert er ein intimes Familienportrait, dass sich auf die Entwicklung der Queeren Identität des zehnjährigen Protagonisten konzentriert. „We the Animals“ erreicht, dank der natürlichen Darbietung seiner jungen Darsteller, eine unglaubliche Stärke und Emotionalität. Wenn auch der Film, schnell an Vorgänger wie „Moonlight“ oder „The Florida Project“ erinnert, gelingt es Zagar durch den gelegentlichen Hauch an magischem Realismus, sich von diesen abzugrenzen. Auch wenn die Mischung aus Unterwasser-Traumsequenzen, animierten Skizzen und der nostalgischen 16mm Ästhetik, nach einer gewissen Zeit exzessiv wirken kann, bleibt der Film im Kern eine ehrliche und realistische Schilderung der Kämpfe einer dysfunktionalen Familie.

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