Wie viel Boden ist unter deinen Füßen?

Review by Alisha Schmidt

The Ground Beneath My Feet (Der Boden unter den Füßen),
by Marie Kreutzer, Austria 2019

Im Zuge des queerfeministischen Filmfestival Mezipatra habe ich mir Marie Kreutzers Werk „Der Boden unter den Füßen“ angeschaut. Ihr Film, der dieses Jahr bereits als Eröffnungsfilm der Diagonale lief, veranlasste mich zur Beschäftigung eines ganz konkreten Themas: Wie lebt es sich als „Frau“ in unserem neoliberalistischen System? Welche Herausforderung, müssen sich „Frauen“ im Neoliberalismus stellen?
Im Folgenden möchte ich genauer darauf eingehen, weshalb aktuelle feministische Theorien oft mit einer Kapitalismuskritik einhergehen. Ebenfalls möchte ich veranschaulichen welche Szenen im Film mich dazu veranlasst haben einen solchen Bezug herzustellen.

Marie Kreutzers Hauptfigur Lola (Valerie Pachner) ist Unternehmensberaterin. Sie entspricht all das was ich mir unter einer perfekten Realisierung neoliberaler Ideologie vorstelle. Die Anforderung, das eigene Selbst für den Markt verfügbar zu machen, erfüllt Lola perfekt. Schließlich beschreibt sie sich selbst als Vollwaisin, alleinstehend und kinderlos. Eine vielversprechende Kombination, um den eigenen Beruf zum Mittelpunkt des Lebens zu machen. Neben ständigen Business-Meetings in Rostock und Wien, Arbeitstage, die gerne auch mal 48 Stunden lang sind, tauchen wiederholt Szenen auf, indem Lola im Fitnessstudio zusehen ist. Natürlich. Der Neoliberalismus lässt keine Schwächen zu, und fordert zur ständigen Selbstoptimierung auf. Bereits der französische Philosoph Gille Deleuze stellte in seinem 1990 erschienen Essay „Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“ fest, dass der ständige Druck zur Selbstoptimierung und Konkurrenzkampf zu den Eigenschaften des Neoliberalismus gehören. Ein System, das den Markt als Organisationsprinzip inne trägt. Auch Lola ist einem solchen Konkurrenzkampf ausgeliefert. Sie hat die Aussicht auf eine aufsteigende Position, auf die auch ihr Kollege Sebastian (Marc Benjamin) ein Auge geworfen hat. Mithilfe von Manipulation versucht dieser seine Kollegin auszustechen. Maria Kreutzer, skizziert meines Erachtens sehr gelungen eine neoliberalen Realität. Gekennzeichnet durch eine kompromisslose und harte Arbeitswelt, in der es vor allem darauf ankommt, sich gegen andere durchsetzen zu müssen. In der man ständig funktionieren muss, und sich Arbeit und Freizeit nicht mehr voneinander trennen lassen. Die Regisseurin verdeutlicht in verschieden Szenen welchen Herausforderungen „Frauen“ in einer neoliberalen Arbeitswelt zusätzlich noch ausgesetzt sind. Denn Lola muss sich nicht nur einem ständigen Konkurrenzkampf stellen, zusätzlich ist sie, in einer männlich dominierten Arbeitswelt, sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Mehrere Szenen im Film veranlassten mich dazu, abermals zu realisieren, dass „Frauen“ im Kontext einer neoliberalen Arbeitswelt, einer doppelten Belastung ausgesetzt sind. So konfrontiert Lola ihre Kollegen Sebastian auf der Toilette mit seinen Intrigen. Dieser öffnet daraufhin seine Hose und verweist auf die vermeintliche Machtposition seines Penis. Lolas Kollege ist jedoch nicht der Einzige, der ihr sexistische Kommentare an den Kopf wirft. Ein Kunde der Firma versucht bei einem geschäftlichen Abendessen die Hauptfigur davon zu überzeugen später noch gemeinsam was trinken zu gehen. Er akzeptiert jedoch ihre Absage nicht und verweist darauf, dass man früher den Frauen einfach unter dem Tisch zwischen die Beine gegriffen hätte. Im weiteren Verlauf des Films, kommt es wiederholt zu sexistischen Übergriffen. Der Neoliberalismus, mit seiner scheinbar unbegrenzten Freiheit, hat es in den vergangenen Jahrzehnten zwar geschafft den Arbeitsmarkt ein wenig zu feminisieren. So wird die Firma im Film auch von einer Frau geleitet. Diese Tatsache ist jedoch in der Realität leider noch eine Ausnahme. Zudem muss man sich aus intersektionaler feministischer Perspektive fragen, welche Frauen den Zugang zu solchen Positionen haben. In einer neoliberalen Arbeitswelt spielen neben Geschlecht noch Klasse und Ethnizität eine Rolle. Der Film scheint dies ebenfalls veranschaulichen zu wollen, denn in beiden Fällen sind es weiße, blonde Frauen, die die hohen Positionen besetzen.

„Der Boden unter den Füßen“ hat mich außerdem dazu veranlasst, darüber nachzudenken, was passiert, wenn „Frauen“ auf einmal nicht mehr leistungsfähig sind. Zudem habe ich mir die Frage gestellt, welche Wirkung der Kapitalismus auf unsere Gesundheit hat.

Im Verlauf des Films kommt raus, dass Lola kein Einzelkind ist. Ihr Schwester Conny leidet an paranoider Schizophrenie und ist nach einem Selbstmordversuch in stationärer psychiatrischer Behandlung in Wien. Allein die Tatsache, dass Lola ihr Schwester verschweigt, verweist auf die Position, die leistungsfähige Menschen im Kapitalismus zugeschrieben bekommen. Zudem ist sich Lola irgendwann selber nicht mehr sicher ob sie bestimmte Ereignisse halluziniert oder ob sie der Realität entsprechen. Einen Termin bei der Ärztin bricht sie jedoch ab, aus Angst das ihr tatsächlich etwas diagnostiziert werden könnte. Darüber hinaus ist Lola der Meinung, dass „Burnout“ nur eine Modeerscheinung ist. Aufgrund dieser Szenen habe ich mich nochmal ausgiebig damit beschäftigt, welche Auswirkungen es haben kann, wenn sich die Grenzen zwischen Arbeitswelt und der eigenen Lebenswelt auflösen. Angetrieben von der Angst nicht mehr leistungsfähig zu sein, scheint das gegenwärtige System seine Subjekte dazu zu zwingen, die eigene Gesundheit hinten anzustellen. Im Fall von Lola zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg.

Maria Kreutzers Film hat mich dazu angeregt über die Herausforderung zu reflektieren, denen sich „Frauen“ in einer neoliberalen Arbeitswelt stellen müssen. Ferner hat der Film die Frage aufgeworfen, welche Personen weiterhin Ausgrenzungen erfahren, in einem System, dass sich eigentlich über seine Freiheit definiert.

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