Eine Abwärtsspirale

Review by Denise Steininger

The Ground Beneath My Feet (Der Boden unter den Füßen),
by Marie Kreutzer, Austria 2019

Lola wird als erfolgreiche Unternehmensberaterin eingeführt, ihr Leben hundertprozentig unter Kontrolle. Ständig unterwegs zu weltweiten Projekten, schläft in anonymen Hotels, powert sich im Fitnessstudio aus, ein sexuelles Verhältnis zu ihrer Teamchefin, »Fortyeights« – sprich 48 Stunden durcharbeiten – eine Leichtigkeit. Mit dem Anruf, ihre schizophreniekranke Schwester hätte einen Suizidversuch begangen, entgleitet ihr Leben Stück für Stück. Eine ambivalente Beziehung zu ihr wird sichtbar, Sorge und Verantwortungsabschub vermischen sich. Um sich den Anforderungen ihres Jobs weiterhin widmen zu können, verlässt sie sich auf das behandelnde Arztpersonal in der Klinik. Die paranoiden Anrufe ihrer Schwester und die Frage, ob diese real oder Halluzinationen sind – eine Frage, die bis zum Ende des Films ungeklärt bleibt – lässt die Kontrolle endgültig kippen. Eine Abwärtsspirale eröffnet sich. Die zugrunde gehende Karriere wird Mittelpunkt des Films und mit ihr auch Lolas Existenz, bis sie am Ende – und wir mit ihr – den Boden unter den Füßen verliert.

Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer äußert Kritik an vielen Stellen. Gleichberechtigung aller Geschlechter erfährt die Protagonistin nur an der Oberfläche durch richtig gegenderte Sprache. Mit der von Männern dominierten Macht im Berufsfeld wird sie im Film immer wieder konfrontiert. Gleichzeitig schafft Marie Kreutzer es bitter-süße Humorelemente einzubauen, wie der Arzt der nur nach Ehemann oder Freund als Angehörige fragt. Die Kritik der Heteronormativität zieht sich durch den ganzen Film und versetzt so gekonnte Seitenhiebe, die bis nach dem Film wirken.

Der Film hinterfragt den Leistungsdruck im Zeitalter des Kapitalismus auf mehreren Ebenen. Der Aufstieg auf die Karriereleiter wird nicht nur auf narrativer Ebene, sondern auch durch die kalte, kühle Inszenierung negativ besetzt. Auffällig wird auch, dass Medikamente zur Leistungsförderung gesellschaftlich anerkannt, gleichwohl dasselbe Mittel, bei Selbstmordversuchen in einem anderen Licht gesehen werden. Während Lolas Teamchefin Aufputschmittel zur Leistungsförderung nimmt, im Film nicht näher hinterfragt und so akzeptiert – spielt Lola die 120 Pillen Überdosis ihrer Schwester anfangs als Versehen runter. Das Motto »immer mehr, immer schneller« wird auch in kleinen Details, wie dem Fast Food Essen von McDonalds, welches im Büro zu sich genommen wird, aufgegriffen. Auch hier schafft es Marie Kreutzer, wieder kleine humorvolle Elemente einzubauen, die erst in der Fülle des Films ihre Wahrheit entfalten.

Auch mit schauspielerischen Details schaffen es Valerie Pachner (Lola) und Pia Hierzegger (Carolina) Szenen nachwirken zu lassen oder unheilvolle Vorahnungen zu evozieren. Die über den Rücken streichelnde Hand, die einen Tick zu schnell ist, um beruhigend zu wirken, oder Pia Hierzegger die eine Katze ein kleines bisschen zu fest an ihre Brust drückt.

The Ground Beneath My Feet lässt einen wahrhaftig bodenlos zurück. Wie aus einem Loch fließt während des Films alles unbemerkt aus einem heraus, lässt dich mit nichts zurück, um dich am Ende wie paralysiert, unfähig aufzustehen, im Kinosaal wiederzufinden.

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