Ästhetik über Verstand

Review by Claus Hammer

Psychosia (Psykosia), by Marie Grahtø, Denmark/Finland 2019

Bevor Viktoria (Lisa Carlehed) die abgeschiedene Psychiatrische Heilanstalt betritt, haben schon viele versucht, die hoch intelligente Jenny (Victoria Carmen Sonne) zu behandeln. Alle sind gescheitert. Doch die nach außen sehr kontrollierte Viktoria ist Expertin für Selbstmord mit einer ganz persönlichen Beziehung zum Thema. Marie Grahtøs bergmannesques Regiedebut erforscht die Psychen dieser beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Frauen in einem langsam eskalierenden Fiebertraum. Wie Jenny Viktoria von Sitzung zu Sitzung langsam in ihren Bann zieht, nimmt auch Grahtø den/die Zuschauer*in mit in eine Art superstilisierten Fiebertraum.

Zu Schuberts Winterreise verliert man langsam den Verstand. Die von einem Thriller im Irrenhaus zu erwartenden Psycho-Horror Elemente sind vorhanden, stehen aber keinesfalls im Vordergrund. Vielmehr konzentriert sich Psychosia auf die geladene Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren. Viktoria ist distanziert, bemüht sich um Disziplin und Kontrolle während Jenny immer weiter provoziert und sie herausfordert. Persönliche Grenzen werden aufgezogen und überschritten. Auch die Grenzen zwischen Realität und Halluzination, bzw. Traum, verschwimmen langsam. Die Direktorin der Anstalt, Dr. Klein (Trine Dyrholm) stellt dabei einen Anker des gesunden Verstands dar.

Als queerer Film mit ausschließlich Frauen in sprechenden Rollen stellt Psychosia nicht nur eine willkommene und erfrischende Abwechslung dar, sondern auch ein notwendiges Gegengewicht in dieser immer noch von Männern dominierten Szene. Doch diese Besonderheit ist bei weitem nicht der einzige Grund für Lob. Psychosia nimmt den/die Zuschauer*in nicht an der Hand. Stattdessen wird man genauso in den Wahnsinn hineingezogen wie Viktoria und verlässt den Saal mit mehr Fragen als Antworten. Was man aber bekommt ist ein sehr ästhetisches Erlebnis, das sowohl durch spannende Bildsprache als auch ansehnliche Schauspielerische Leistungen von Lisa Carlehed, Victoria Carmen Sonne und Trine Dyrholm besticht.

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