Review by Alex Baur
Provence, by Kato De Boeck, Belgium/France 2018
Im ersten Moment wirkt „Provence“ wie ein stark stilisierter Kurzfilm, der schlichtweg ein vages Urlaubsgefühl einfangen soll: Kräftige Farben wie Gelb auf Blau, grüne Wiesen und sommerlich-orangerot getränkte Campingatmosphäre transportieren die Zuschauer*innen direkt zu ihren eigenen Urlaubserinnerungen an die Provence. Doch tatsächlich erzählt die Regisseurin Kato De Boeck mit ihrem Studienabschlussfilm gefühlvoll und eingehend eine queere Geschichte aus Sicht der 11-jährigen Camille, die gemeinsam mit ihren beiden Geschwistern und Eltern einen Urlaub in der Provence verbringt.
Vor allem die Kameraperspektive macht es dem Publikum leicht, sich in den Kopf der 11-jährigen Camille zu versetzen. Da sich De Boeck für einen Mix aus POV-Shots und Einstellung auf Augenhöhe ihrer Protagonistin entschieden hat, erfahren die Zuschauer*innen ihren ungefilterten Blick auf die Welt. Im gesamten Film werden Erwachsene nur mit dem Ellbogen oder den Beinen angeschnitten, ansonsten bleibt der Fokus ganz auf den Kindern; und so wird auch schnell deutlich, mit welcher Eifersucht Camille auf ihren älteren Bruder Tuur blickt, der seine Zeit im Campingurlaub lieber mit anderen Mädchen verbringt, als mit ihr. Die einzige gemeinsame Zeit, die Camille mit ihrem großen Bruder noch alleine hat, sind die Abende im Zelt, an denen die Geschwister sich ihre Geheimnisse erzählen.
Trotzdem scheint die 11-jährige im Verlauf des Urlaubs immer mehr den Anschluss zur neuen Freundesgruppe Tuurs‘ zu verlieren; doch Camille artikuliert ihre Angst und Eifersucht nicht, vielmehr visualisiert die Regisseurin De Boeck mit langen, eingehenden Einstellungen das fortschreitende Auseinanderdriften der Hauptcharaktere.
Und so arbeitet die Narration des Kurzfilms im Gesamteindruck wesentlich stärker auf einer formalästhetischen Ebene als auf reinen Dialogen. Dabei gelingt es De Boeck, die Unbeholfenheit, mit der Kinder oftmals mit ihren Gefühlen umgehen, auf der Leinwand ganz ohne Worte sichtbar zu machen, während das Publikum gleichzeitig durch die zahlreichen POV-Shots in eine Geschichte intensiv involviert wird, zu der es sonst vielleicht gar keinen Zugang hätte.
Gerade dieser Einsatz der Kamera und der Fokus auf den Blick der 11-jährigen Camille ermöglicht es De Boeck, eine queere Geschichte auf eine neue, unkonventionelle und erfrischende Art zu erzählen: Queerness zieht sich weder wie ein roter Faden durch den Film, noch hat das Publikum das Gefühl, dass mit Provence überhaupt ein queerer Kontext angeschnitten wird. Mit dem Drehbuch zu ihrem Abschlussfilm hat De Boeck keine besonders außergewöhnliche Geschichte geschrieben; durch den Fokus auf Camille und einen bewussten und unkonventionellen Einsatz der Kamera hat die Jungregisseurin allerdings einen Kurzfilm geschaffen, der frischen Wind in die Abhandlung queerer Thematiken bringt.