Zur Notwendigkeit eines queerfeministischen Filmfestivals

Review by Alisha Schmidt

Gemeinsam mit meinen Freund_innen sitze ich im Bus auf dem Weg nach Hause. Die letzten Tage haben wir in Brünn verbracht. Die zweitgrößte Stadt Tschechiens, die kleine Schwester von Prag. Dort haben wir im Rahmen einer Veranstaltung unserer Universität das queerfeministische Filmfestival Mezipatra besucht. Die Zeit dort hat mich vor allem dazu veranlasst, über die Notwenigkeit eines solchen Events nachzudenken. Wieso brauchen wir gerade in einer Zeit, wo Filme wie „Call Me by Your Name“ große Erfolge feiern, und Konzerne wie H&M T-Shirts mit „feminist“ Aufdruck verkaufen, Filmfestivals, die queerfeministische Lebensrealitäten auf die Leinwand bringen? Sind queere Lebensentwürfe nicht bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Und weshalb braucht es überhaupt den Rahmen eines gesamten Festivals?

Zuallererst sei gesagt, dass im Gegensatz zu den H&M T-Shirts hinter dem Mezipatra-Festival keine großen Konzerne stecken. Also keine Institutionen, die unter dem Deckmantel des Feminismus eigene Marketingstrategien verfolgen. Hinter dem Festival stecken Aktivisti_innen, die alternative Lebenswege sichtbar machen wollen und einen Ort für marginalisierte Gruppen schaffen. Ein solches Event bietet die Möglichkeit, mit patriarchalen und heteronormativen Strukturen zu brechen. Wenn es Filme wie „Call Me by Your Name“ in die Mainstreamkinos schaffen, dann ist dies zwar ein wünschenswerter Fortschritt, aber nicht das Ultimatum. Denn Luca Guadagninos Werk umreißt die Sommeraffäre zweier junger, weißer Männer aus der Oberschicht. Die gesellschaftliche Mitte und große Events wie das Sundance Film Festival sind scheinbar nicht bereit für einen intersektionalen feministischen Anspruch. Wo finden wir lesbische Filme? Wo finden wir Filme, die sich mit der Diskriminierung durch Herkunft auseinandersetzen?

Wenn es um die Frage der Repräsentation geht, setzt die Auswahl des Festivalprogramms ein klares Zeichen. Meines Erachtens ist auch bei der Filmauswahl von Mezipatra noch Luft nach oben. Gerade wenn es um die Repräsentation von People of color geht.

Doch neben der Herausforderung, eine vielfältige Filmauswahl auf die Beine zu stellen, warten noch etliche andere Dinge, die organisiert werden müssen. Denn die meisten queerfeministische Filmfestivals bieten auch abseits der Filme ein vielfältiges Programm. Diskussionsrunden, Lesungen, Partys und Workshops gehören ebenfalls dazu. Gerade solche Events sind für die Festivals essentiell. Denn sie schaffen einen Ort des Austauschs. Hier können neue Kontakte geknüpft werden. Es wird ein politisch aktionistischer Ort geschaffen, der die Möglichkeit bietet, neue Communities zu gründen. Auch das Mezipatra bietet einen solchen Raum. Einen Raum, in dem ich gemeinsam mit meinen Freund_innen und anderen Besucher_innen reflektieren konnte. Bereits die beiden Kinos, in denen das Festival stattfand, boten eine perfekte Möglichkeit, sich über das Gesehene auszutauschen. In beiden Fällen sind gemütliche Bars im Gebäude integriert, die definitiv dazu einladen, noch ein wenig zu verweilen. Doch nicht nur die Räumlichkeiten der Kinos sind einladend, auch das tschechische Nachtleben ist verlockend. So sind wir am Abend nach den Kinobesuchen weitergezogen in die urigen Kneipen von Brünn. Dort tranken wir günstiges tschechisches Bier und tauschten uns über die Filme aus, die wir gesehen hatten. Doch nicht nur die Filme waren Gesprächsthema. Geredet wurde auch über persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung, über Wünsche und Träume, sowie über den Ärger und die Enttäuschung, den das patriarchal heteronormative System in einem auslöst. In diesen Nächten wurde mir nochmal bewusst, warum gerade der Rahmen eines  solchen Festivals so wichtig ist. Denn die Filme hätte ich mir auch in einem anderen Kontext anschauen können: alleine, in meinen eigenen vier Wänden, bei einer Tasse Tee. Aber das wäre nicht das Gleiche gewesen. Das Festival hat mich und meine Freund_innen aktiv zum Nachdenken bewegt, hat uns einen Raum geboten, in dem wir uns austauschen konnten. Während ich zuhause nach dem Film einfach schlafen gegangen wäre, habe ich in Brünn neue Leute kennengelernt und Erfahrungen mit ihnen geteilt. Jetzt sitze ich im Bus auf dem Weg nach Wien und bin sehr dankbar, dass ich Teil dieses Festivals sein durfte.

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