End of the Century – Ein Film, auf den man nicht warm wird

Review by Julia Christina Widner

End of the Century (Fin de Siglo), by Lucio Castro, Argentina 2019

Lucio Castro´s End of the Century handelt von zwei weißen, jungen Männern, die sich zufällig zum zweiten Mal in ihrem Leben treffen (diesmal in Barcelona), Sex haben, Reden und zusammen die Stadt anschauen. Das Problem ist hier gar nicht, dass die beiden Männer wie so oft weiß sind, sondern viel mehr, dass der Plot des Filmes tatsächlich in einem Satz erzählbar ist. Einen Konflikt gibt es nicht. Auf der Kinoleinwand abgebildet sind zwei Protagonisten, die durch ihr Leben schlendern, wie es gerade kommt. Wir sehen zunächst Ocho, einen argentinischen Dichter aus New York, der sich die ersten gefühlten 20 Minuten des Filmes monolog- und dialoglos in seinem AirBnB einrichtet, aus dem Fenster schaut, duscht und die Stadt erkundet. Das erste Wort wird gesprochen, als Ocho den in Berlin lebenden, aus Spanien stammenden Javi von seinem Balkon aus wiedererkennt (die beiden sahen sich zuvor am Strand) und zu sich in sein Apartment ruft… Und dann kam die erste von mehreren expliziten Sex-Szenen, die ich persönlich für überflüssig hielt. Denn man fragt sich jedes Mal, inwiefern sie den Film bereichern.

Das Tempo des Filmes war stets langsam. Und dagegen ist an sich nichts einzuwenden, denn ich persönlich mag langsame Filme. Doch wenn einem durch die Langsamkeit keine neuen Perspektiven auf Gefühle, Ästhetiken oder Geschehen in der Welt geboten werden kann sich langsames Tempo schnell in Trägheit verwandeln und einen runterziehen. Langsamkeit ist riskant und muss bewusst eingesetzt werden. Im Falle von End of the Century hatte man jedoch weniger den Eindruck, dass das Tempo ganz bewusst gewählt wurde, sondern dass der Regisseur einfach keinen anderen Weg sah, wie er seinen in 20 Minuten erzählbaren Plot in einen Spielfilm verwandeln sollte.

Tatsächlich zeigt der Trailer zum Film meiner Meinung nach bereits die Highlights des Films: Ocho und Javi, die einander vor der abendlichen Kulisse der bezaubernden Stadt Barcelona von ihrem Leben erzählen. An dieser Stelle erfahren wir viele persönliche Dinge über die Charaktere, doch trotzdem gelingt es Regisseur und Drehbuchautor Castro nicht, mich von seinen Figuren zu begeistern. So sehr man sich auch bemüht, Ocho und Javi zu mögen gelingt es nicht da einem der Film keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt. Es gab auch kaum Momente, die einen durch den außergewöhnlichen Humor (einige Lacher konnte mir der Film natürlich schon entlocken) beeindruckten. Die generelle im Film beschriebene Atmosphäre war einem jeden vertraut, der bereits auf Reisen mit einem/einer mehr oder weniger fremden Person Sex hatte. Zusätzlich ist der Plot einfach zu reibungslos, um irgendeine Art dauerhafter dramaturgische Spannung zu erzeugen. Auch das Spiel der DarstellerInnen wirkte (wohl absichtlich) so spannungslos, dass man meinen könnte, sie spielten ohnehin sich selbst.

Und überhaupt fragt man sich, warum die Figuren seit 20 Jahren nicht gealtert sind und für jene Szenen aus den 1990er Jahren nicht jüngere Schauspieler ausgewählt wurden. Die zeitliche Dimension des Plots hat man jedenfalls, so finde ich, nicht gut visuell umgesetzt- Weder durch Schnitte, noch Inserts (wie etwa „20 Jahre später“) oder eben das Altern der Schauspieler wurde der ZuschauerIn die Orientierung in der Handlung erleichtert. End of the Century ist Castro´s erster Film in Spielfilmlänge[1] und man merkt es. Man merkt es nicht etwa wegen schlechter Kameraführung oder sonst irgendwelchen technischen Merkmalen. Der Film wirkte durchaus professionell und keinesfalls amateurhaft. Nur fehlte dem Film eben das, worauf es im Film ankommt: „As to what makes a good movie […] you need three things: first, a good story, second, a good story, and third, a good story“, so sagte etwa Jean Gabin. [2]

Doch der Film wirkte stattdessen so, als hätte Castro ursprünglich einen weiteren Kurzfilm machen wollen und sich in letzter Minute dazu entschieden, doch einen längeren Film zu drehen. Bis zuletzt fragt man sich „Was will der Film überhaupt?“. Die Möglichkeit, dass sich Ocho nach einem Blowjob im Gebüsch von einem Fremden HIV eingefangen hat wird kurz in Erwägung gezogen. Die ZuschauerIn hält die Luft an, nur, um zu erkennen, dass auch dieser Teil des Plots ins Leere verläuft. Auch die Nebenfigur Sonia, Javi´s mittlerweile verstorbene Ex-Freundin, bringt keinen frischen Wind in den Film.

[1] Brian T. Carney, “Out filmmaker Lucio Castro shares ‘End of the Century’ journey“, Washington Blade, 07.11.2019, https://www.washingtonblade.com/2019/11/07/out-filmmaker-lucio-castro-shares-end-of-the-century-journey/, 01.12.2019.

[2] Joseph Harris, Jean Gabin. The Actor Who Was France, Jefferson MC: McFarland 2018, S.56.

Return