Wie sexuell politisch ist der Tanz? – Zwischen Körper, Homosexualität und Konventionen. Lust und Leid bilden individuelle Ausdrucksformen in „And Then We Danced“

Review by Sophia Scherbaum

And Then We Danced, by Levan Akin, Georgia/Sweden/France 2019

Levan Akin gelingt mit And Then We Danced eine emotionale und provokante Vertiefung der Frage nach nationaler Identität und ihrem Verhältnis zu queeren Lebensformen. Es scheint wie eine Auseinandersetzung mit den georgischen Wurzeln des Regisseurs und der bildlichen Offenlegung von hierarchischen National Konstrukten, die eine individuelle Sexualität nur unter Verschluss behandeln.

Merab trainiert seit seiner Kindheit im Georgian National Ensemble und wird nach traditionellen Regeln des Tanzes und Geschlechterzuschreibungen unterrichtet. Vor allem seine Männlichkeit wird durch den Tanzlehrer täglich hinterfragt. „Georgian dance is based on masculinity. There is no room for weakness“ [1].  Männer symbolisieren und tanzen Härte und Strenge, so besteht in der Vorstellung dieser georgischen Tanzform keine Individualität der TänzerInnen, keine Sexualität des Körpers, der lediglich dem Ausdruck der Seele der Nation verpflichtet ist. Bald wird der neue Tänzer Irakli Teil der Kompanie, der sich nicht nur als Konkurrenz positioniert, sondern auch ein sexuelles Begehren in Merab weckt.

Der Tanz im Film ist omnipräsent und fungiert in seinen unterschiedlich repräsentierten Formen als Ausdruck verschiedenster Emotionen und Gefühlsstadien der Protagonisten. So gelingt es Akin auch durch bildästhetisches Feingefühl eine stark politische Aussage zu erzeugen. Szenen des traditionellen Volkstanzes finden abgeschlossen, in einem klar zu definierenden Raum statt, der jedoch in Kameraführung und wirren Schnitten gebrochen wird. So treffen starre Regeln des Tanzlehrers auf den Schwindel des Protagonisten im konventionellen Tanz. Mit der Einengung und gleichsam auch Vermengung im Sinne der Nation durch das Verbot von Individualismus, gefühlter Körperlichkeit und damit auch seiner selbst, beginnt Merab buchstäblich zu wanken. Die, durch den Volkstanz geforderte Männlichkeit wird zwar durch die schneidend-harten Bewegungen sichtbar, nicht jedoch in Merabs Gesichtsausdruck. Dieser findet seine Einheit mit dem Körper und den Bewegungen erst im Burlesquetanz, bei dem er um Irakli als sein Gegenüber wirbt. In der Schuss-Gegenschuss-Technik dieser Szene wird nicht nur ein kabarettartiger Tanzstil in den Kontext gebracht, sondern auch die Spannung der beiden Männer körperlich auf einen Höhepunkt geführt. Der Augenkontakt und die Perücke als kostümhafter Ausdruck einer nächtlichen Selbstfindung, gipfelt nicht nur in der ersten sexuellen Handlung des queeren Paares, sondern findet seinen wahren Höhepunkt in der freien „Austanzung“ Merabs selbst und der damit verbundenen (sexuellen) Gefühle.

Herausragend wird die Filmgestaltung durch Akins bewusste Überschreitung der coming-of-age, sowie der queeren Klischees, so bedient er sich zwar vieler klassischer Motive, wie der Problematik innerhalb der Tanzklasse, Provokation, Ausgrenzung und einer unterstützenden Freundin, seine Tanzpartnerin Mary, die ihn innerhalb seiner „Outing“-Phase begleitet, es wird jedoch keine Liebesromanze mit Happy End gezeigt. Das, was die ZuschauerInnen betrachten, ist viel mehr als Suche von Identität und Sexualität zu verstehen, die nicht mit der Beziehung von Irakli und Merab endet, sondern die sich durch eine, immer wieder neu beginnenden Suche nach (sexueller) Erfüllung und körperlichem Ausdruck zeichnet. Der Tanz in der Disco bringt zum einen eine neue Form des Tanzes in die kinematografische Diskussion, zum anderen verbirgt er eine völlige Losgelöstheit der bisher dominanten Konventionen. Tanz ist das zentrale Element der sexuellen und ichbewussten Suche Merabs, dessen politische Komponente in der gelungenen Kontrastierung von klassischer, wenn auch queerer, coming-of-age Geschichte, im konventionellen Rahmen eines hierarchischen Nationalbewusstseins und dessen scheinbar unumgehbaren Traditionen liegt.

Körper, Leistung und Leid verbünden sich in einer homosexuellen Liebe, die sich, ähnlich wie die Füße beim Tanzen, eingeengt und strapaziert, in den Geschlechterzuordnungen des georgischen Tanzes befindet. Wenn Merab am Ende vor Erschöpfung seinen Knöchel verdreht, wird auch eine Drehung seines Bewusstseins bemerkbar und ein Bruch mit dem Georgian National Ensemble. Es scheint wie eine Flucht, könnte aber auch der Beginn einer Reise sein, auf der Merab seiner queeren Identität neue Räume und vor allem Ausdrücke sucht.

Provokation findet sich an vielen Stellen im Film, jedoch ist diese durch eine neugierige, aber sehr sensible Kamera legitimiert. And Then We Danced benötigt keine detailliert, prekären Szenen, sondern es ist die bewusste Bildauswahl, deren Schnittmuster und die eindringliche musikalische Begleitung der Filmbilder, mit dem Akin einen künstlerischen Beitrag zum queeren Diskurs vollendet und gleichzeitig die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung mit queeren Lebensformen unterstreicht.  

[1] And Then We Danced, R: Levan Akin, Schweden 2019.

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