Fotografinnen im Fokus: A modern female perspective on relationship and family

von Richard Bellviure und Lena Gritsch

Why have there been no great Woman Artists?

Mit diesem Zitat der feministischen Kunsthistorikerin Linda Nochlin macht die Autorin Abigail Solomon-Godeau in ihrem bedeutenden Text Fotografie und Feminismus, oder: Noch einmal wird der Gans der Hals umgedreht [1] auf die Unterrepräsentation von Frauen in der Fotografie aufmerksam. Aufgrund gesellschaftlicher und auch ökonomischer Hürden war es Frauen lange Zeit verwehrt, als professionelle Fotografinnen tätig zu sein. [2] Mit der Zeit bildete sich ein aus männlicher Perspektive geprägter Kanon der Kunstform, welcher dazu führte, dass der größte Teil der ausgestellten und rezipierten Fotografien von Männern stammen. Die Annahme, Fotografie würde einen umfassenden Blick auf die Welt ermöglichen, stößt damit an ihre Grenzen. Wie repräsentativ und objektiv können Fotografie und Fotojournalismus wirklich sein, wenn hauptsächlich von Männern produzierte Fotografien veröffentlicht und konsumiert werden? Die FOTO WIEN hat es sich zum Anliegen gemacht, mit ihrem Schwerpunkt Fotografinnen im Fokus auf diesen Missstand aufmerksam machen und bietet einer Auswahl an internationalen Künstlerinnen eine Bühne. Der Einfluss von westlich geprägter Kultur und männlicher Wahrnehmung der vermeintlichen Wirklichkeit auf das Publikum spiegelt sich vor allem in der Darstellung von Geschlechtern und Beziehungen wider. Die beiden Künstlerinnen Sophie Krause und Pixy Lao (*1979) nähern sich diesen Themen auf ganz unterschiedliche Art und Weise – sowohl in der Wahl des Mediums als auch in der ästhetischen Darstellung. Sie hinterfragen moderne und historische Geschlechterrollen, ergründen ihre eigene Realität und die Wahrnehmung dieser durch ihre Partner und Familienmitglieder.

Pixy Lao – Experimental Relationship For Your Eyes Only

Bereits in ihrem wegweisenden Essay On Photography beschrieb Susan Sontag „die Kamera als Phallus“; ein Mittel, das dem männlichen Fotografen ermöglicht, sich „unbefugt Zutritt zu verschaffen“ und „auszubeuten“ [3]. Pixy Lao verfolgt in ihrem Oeuvre einen grundlegend anderen Ansatz: In enger Zusammenarbeit und Austausch mit Ihrer Muse, ihrem Partner Moro, schafft sie es, das Verständnis von Rollenbildern, Beziehungen und Dominanz völlig umzukehren.

Pixy Lao, „Experimental Relationship“, 2014.

Laos innerer Konflikt, nie einen jüngeren Mann wie Moro lieben-, nie die starke Rolle in einer romantischen Beziehung einnehmen zu wollen und dies dennoch zu tun, geprägt von traditionellen Rollenbildern in ihrer Heimat China, liefert ihr hierzu Inspiration. In ihrer Werksammlung Experimental Relationship For Your Eyes Only, die aus einzelnen vergangenen Ausstellungen ausgewählt wurden, zeichnet sie das unkonventionelle Bild einer modernen, komplexen Beziehung. Immer wieder stellt sie sich und ihren Partner in Posen dar, die in einem patriarchalisch geprägten Beziehungsverständnis als befremdlich wahrgenommen werden können. Lao nimmt hierbei eine starke, dominante Rolle ein, während Moro oft in geradezu devoten Posen gezeigt wird. Die Künstlerin geht in ihrer Arbeit stets sehr behutsam und bedacht vor. Sie bereitet akribisch das Setting und etwaige Kostüme und Requisiten vor, bevor sie sich und ihren Partner wie auf einer Bühne platziert und inszeniert. Moro posiert hierbei oft nackt. Diese Umkehr des Musenbegriffs ist ein wiederkehrendes Motiv in der Arbeit der Künstlerin: Seit Anbeginn der Fotografie dienen meist junge Frauen den männlichen Fotografen als Inspiration. Lao hingegen sieht sich selbst in der Beziehung als Beschützerin. In ihren Worten: „I was more of an adult, and he was much younger and relied on me and that made me feel like he was a princess and I was a knight who protected him. “[4]

Sophie Krause – die Frage nach dem Schicksal junger Mütter

Einen weiteren, bislang stark unterrepräsentierten Diskurs behandelt Sophie Krause, welche als Studentin der Freien Universität Bozen die Möglichkeit hatte, ihre Abschlussarbeit in der Ausstellung Shoot & Think einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Sie problematisiert mit ihrer Kunst das Schicksal junger Frauen und spricht jene Erwartungen offen aus, welche die Gesellschaft an diese stellt. Darf ich meine eigenen Entscheidungen treffen? Wie stark kann und darf mich meine Familie in meinem Leben beeinflussen? Brauche ich einen Mann, um glücklich zu werden? Für die künstlerische Darstellung dieses Gegenstandes nutzte die Künstlerin das Medium Video. Der Titel ihrer Arbeit Le Bambole bedeutet übersetzt „Puppe“ – eine Puppe der Gesellschaft, ihrer Familie, ihrer selbst? Diese Fragen werden durch das Werk laufend neu problematisiert.
Auch mit dem Einsatz des Mediums im sozialen Rahmen der eigenen Familie beschäftigte sich Susan Sontag in ihrem einschlägigen Text In Platos Höhle. Sie schreibt: „Mit Hilfe von Fotografien konstruiert jede Familie eine Porträt-Chronik ihrer selbst – eine tragbare Kollektion von Bildern, die Zeugnis von familiärer Verbundenheit ablegt.“ [5]

Shoot & Think: Ausstellung der Freien Universität Bozen im MQ.

Sophie Krause schafft mit ihrer Arbeit Le Bambole eine eigene Porträt-Chronik. In der Videoaufnahme ist eine junge Frau zu sehen, welche die Geschichte ihrer Familie erzählt. Ihre Großmutter wurde sehr jung schwanger und war daher aufgrund der damaligen Sitten dazu gezwungen, den Vater des Kindes zu heiraten. Die Frau im Video möchte ihr helfen, sie nach all den Jahren aus diesen Zwängen befreien. Sie schenkte ihrer Großmutter den Mut, sich ein neues Leben aufzubauen. Nun steckt die Erzählerin der Geschichte in derselben Haut wie damals ihre Großmutter und fragt sich, wie es für sie weitergehen soll. Was unterscheidet ihre Situation von jener damals?
Nach wie vor werden Themen wie Abtreibung und Scheidung meist noch aus den Augen männlicher Bürger und Entscheidungsträger thematisiert. Ohne den Blick einer Frau können und sollten jedoch keine Gespräche darüber geführt werden. Mit ihrem Werk vermag Sophie Krause, genau dieses Problem aufzuzeigen und den öffentlichen Diskurs darauf zu lenken.

Beide Arbeiten befragen den Objektivitätsanspruch des fotografischen Kanons. Doch entsprechen ihre eigenen Wahrnehmungen und Realitäten den tatsächlichen Dynamiken der behandelten Beziehungen? Weder Pixy Lao, noch Sophie Krause beanspruchen diese Zuschreibung der Objektivität für ihre Werke. Vielmehr sollen die Arbeiten eine weibliche Perspektive liefern, die genauso subjektiv sein kann, darf und soll wie eine männliche. Nur so ist es möglich, ein vollständigeres Bild von komplexen Familiengeschichten, Beziehungen und Fragen von Gender und Identität zu zeichnen.

Weiterlesen: Le Bambole von Sophie Krause

[1] Abigail Solomon-Godeau, „Fotografie und Feminismus, oder: Noch einmal wird der Gans der Hals umgedreht“, in: Fotogeschichte – Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Marburg: Jonas Verlag für Kunst und Literatur GmbH 1997, S. 47.
[2] Ebda, S. 47.
[3] Susan Sontag, „In Platos Höhle“, in: Über Fotografie, Frankfurt am Main: Fischer 200617, S. 19.
[4] Fisheye Magazine „Focus: Pixy Liao“, https://www.youtube.com/watch?v=x-4YdJi0gWU, Zugegriffen am 18. April 2022.
[5] Susan Sontag, „In Platos Höhle“, in: Über Fotografie, Frankfurt am Main: Fischer 200617, S. 14.