Review by Friederike Zinner
Love is the Devil: Study for a Portrait of Francis Bacon, by John Maybury, United Kingdom/France/Japan/USA 1998
Eine Galerie oder ein Museum: Gerade erst hat der Film begonnen und man steht noch distanziert neben der Handlung, nimmt noch nicht direkt teil. Aber der Schauplatz macht uns deutlich, worum es in den nächsten 90 Minuten gehen wird: „Love is the Devil“ liefert ein Bild von der Beziehung zwischen dem Maler Francis Bacon und seinem Partner George Dyer, welcher ihm als Modell seiner bekanntesten Bilder diente. Doch Machtverhältnisse und Abhängigkeiten dominieren die Beziehung, welche daran schließlich zugrunde gehen wird – denn Liebe ist der Teufel.
Mit einem lauten Kracher beginnt nach dem Vorspann der eigentliche Film, welcher sofort unsere Aufmerksamkeit erlangt, indem er uns in den ersten Schauplatz, nämlich Bacons Atelier, schleudert. Aber wir stürzen nicht alleine. Oder eigentlich stürzen wir gar nicht, sondern beobachten und erleben mit, wie der Einbrecher George Dyer vom Himmel in Bacons Atelier fällt und in näherster Zukunft von ihm mit Worten wie: Zieh dich aus, steig ins Bett und du kannst haben was du willst, zum zukünftigen Lebenspartner gemacht wird.
Von nun an ist alles weniger deutlich, was insofern wenig verwunderlich ist, wenn man beachtet, dass der Regisseur John Maybury als Avantgarde- und Experimentalfilmregisseur bekannt ist. Doch keineswegs fehlt der Inhalt, vielmehr ist es fesselnd und angenehm gleichzeitig, sich den sinnlichen Reizen hinzugeben und das Kinoerlebnis auf sich wirken zu lassen. Der Film möchte keine Erzählung liefern, man kann vielleicht auch nicht auf Wahrheitstreue zählen, aber er schafft eine überraschend umfassende, verständliche und spannende Vorstellung, ein Bild, oder, wie der Untertitel angibt, eine Studie des Künstlers Francis Bacon, sodass man zu glauben meint, am Ende den Künstler recht gut kennengelernt zu haben.
Die
fragmentarische Bilderflut nimmt einen mit, reißt einen mit in die Erlebnisse
und Erfahrungen der Beziehung der beiden Hauptfiguren, überschwemmt einen mit
teilweise gleichzeitig erzählten Geschehnissen. Mittels filmischer Mittel,
womit der Film übrigens gleichsam auf die Fähigkeiten seiner selbst verweist, werden
Stimmungen, Gefühls- und Gemütszustände, Verhältnisse, … dargestellt. So wird
beispielsweise Dyers psychischer Zustand verbildlicht: Nachdem etwas Zeit vergangen
war, war Bacon von der Beziehung gelangweilt, was Dyer zu spüren bekommt und
daran zerbricht. Er greift zu Alkohol und Drogen und ist einige Male dem
Selbstmord nahe. In deliriösen, halluzinatorischen Bildern erfahren wir sein
Leiden. Verdrehte Mise-en-Cadres und das etwas plakative Zitat der Wendeltreppe
aus Vertigo geben uns Einsicht in die Verfassung Dyers und dem Verhältnis der
beiden Männer zueinander. Zudem verweisen die zerstückelte Montage und die
vielen zerschnittenen Sequenzen auf das ebenso destruktive Verhalten Dyers: Wie
der Film sich zerstört und zerschneidet, so verletzt sich auch Dyer. Umgekehrt
zeigt die Sequenz, in der Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin durch energische
Schnitte mit Aufnahmen verschiedener Aktivitäten Bacons kombiniert wird, die
exzessive Lusterfahrung, welche Bacon an Gewalt empfindet und genießt.
Auch die Londoner Kneipe ist Raum bildlicher Verweise. Die Kamera wirkt selbst betäubt
und gibt in verschwommenen Bildern glaubwürdig die Stimmung in der verrauchten
Bar wieder. Ihr Blick durch Gläser und Aschenbecher verzerrt die Gesichter und
Körper der beobachteten Figuren, die ohnehin schon entstellte, groteske Fratzen
tragen und ständig keifend daherreden. In ihrer Deformation wirken die Personen
wie jene ins Bacons Bildern selbst. Verwischt und verschwommen, entfremdet und unheimlich
erinnern sie an seine verschmierten Leinwände. Und die wiederkehrenden
Aufnahmen dreigeteilter Spiegelszenen erinnern an Triptychen (in einem seiner
Triptychen verarbeitete Bacon übrigens angeblich den Tod seines Partners).
Unterschiedliche, abwechslungsreiche Formen und Farben prägen die besondere Ästhetik des Films. Die bühnenbildähnlichen Konstruktionen mancher Räume (z. B. der rote geometrische Kasten in der Todesszene Dyers am Schluss) erzeugen surrealistische Bilderwelten.
Der Kinobesuch bietet eine erlebnisreiche Erfahrung. Man wird durchgewirbelt durch den Tornado bestehend aus Bewegtbildern und erkennt dabei die Fähigkeiten des Mediums Film, auch noch 20 Jahre nach der Entstehung von „Love is the Devil“ oder vielleicht gerade heute wieder. Heute, wo der Film schon lange nichts Neues mehr ist und (digitale) Verbesserungen ständig darauf bedacht sind, Fehler und Unreinheiten zu beseitigen und perfekte Produkte zu liefern, wird oft die besondere Qualität und Genialität des Films übersehen, bei Zusehenden körperliche Reaktionen evozieren zu können. Viel zu selten wird, meiner Meinung nach, mit kinästhetischen Effekten und dem Film eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten gearbeitet, welche für den Menschen ungewohnt sind und somit seine Sensibilität angreifen. Diese besondere Fähigkeit des Films führt „Love is the Devil“ seinen Zusehenden vor Augen oder viel mehr in ihre Körper.