Von Kühlschränken, leeren Sitzen und Publikumslieblingen. Eine Festivalerfahrung

Review by Hedweiß Melchior

Das Mezipatra Queer Film Festival ist in zwei Abschnitte geteilt: Praha und Brno. Ein Festival auf zwei Städte auszuweiten verspricht eine größere Reichweite und sichert die staatlichen Fördergelder. Ein Komitee entscheidet über die spezifischen Filme, die im Programm landen und noch jemensch entscheidet, welcher Film in welchem Kino läuft. Die beiden Hauptvenues in Brünn sind das Kino Art und das Kino Scala. Letzteres ist weitaus größer und zentraler gelegen, man könnte also davon ausgehen, dass es demzufolge höhere Besucherzahlen vorweisen kann für einzelne Filme. Dieser Verdacht bestätigt sich im ersten Film, den ich dort zu sehen bekommen: And Then We Danced (2019), ein georgischer Film über einen jungen queeren Mann des Nationalen Georgischen Ensembles für traditionellen Tanz, der die volle emotionale Laufbahn eines Crushs durchlebt, und wir mit ihm.

Das Kino ist beinahe voll. Der Kontrast fällt mir vor allem auf, weil die Besucherzahl des vorherigen Films Seahorse (2019) im Kino Art sehr überschaubar blieb. Seahorse, die feinfühlige Dokumentation eines Trans-Mannes, der ein Kind bekommt. Schwangere Männer? Man könnte meinen das Thema zieht mehr Interessenten an während eines Queer Film Festivals. Oder war die Zuordnung zum kleineren Kinosaal sein Urteil? Warum waren so wenige im Art Kino? An den Sesseln kann es nicht liegen, die waren bei weitem bequemer als im Scala Kino, nicht so formell steif.

Nach jedem Film werden die Zuschauenden gebeten, anhand eines Abreißzettels das eben Gezeigte sofort zu reflektieren. Mithilfe dieser anonymen Abstimmung wird die/der Preisträger_in des Publikumslieblings erhoben. Mehr Stimmen für „außergewöhnlich“, wenn der Saal voll ist und mehr Zettel im Pappkarton am Ausgang landen. Oder wird die Berechnung in Prozente übertragen, um Filmen mit zehn Besuchern, die vielleicht einfach nicht gut genug beworben wurden, die gleiche Chance zu geben?

Zweiter Abend, beide Filme im Scala Kino. Wider Erwarten füllt sich der Saal nicht ansatzweise so sehr wie am Abend zuvor. Möglicherweise liegt es also doch nicht an der Location, sondern am vorauseilenden Ruf der Filme. Sie wurden ja alle bereits ein- oder zweimal in Prag gezeigt. Wir sehen End of The Century (2019), die Lovestory zweier junger, weißer, rausgeputzer Männer, die sich in Barcelona begegnen und deren Entscheidungen an Wegkreuzungen ihres Lebens maßgeblich die Handlung des Filmes verwirren: In verschiedenen Variationen, mit vollen und leeren Kühlschränken. Danach folgt die dänisch-finnische Produktion Psychosia (2019). Ein Film über Viktoria, im strengen Viktorianischen Look, die zur Behandlung einer jungen Frau in das betreute Wohnen psychisch Kranker einzieht. Lichtführung, Kameraschnitte und Überblendungen von Aufnahmen, zeichnen ein mythisch verstörtes Bild der Geschehnisse und lassen langsam einleuchten, dass die Verhältnisse der Charaktere bei weitem nicht so sind wie es scheint, einige nur eingebildet und andere eingewiesen sind.

Beide Filme sind fragwürdig. Nicht so eindeutig und etwas aufwühlender als am Abend zuvor. Beide gut besucht, wir sind ja auch im größeren Kino. Wie durch die Besucherzahl prophezeit, ist es keine große Überraschung, dass der Publikumspreis an And Then We Danced geht. Vielleicht wussten die Leute es vorher und sind deswegen hingegangen.

Bei einigen Filmen steht die Queerness sehr im Vordergrund, bei anderen nicht so sehr. Weil wir uns aber auf einem Queer Film Festival befinden, warten wir den ganzen Film lang darauf, dass es gleichgeschlechtliche Romanzen gibt, Trans-Offenbarungen oder andere von der Heteronormativität abweichende Geschehnisse. Bei Psychosia gibt es einen Kuss zwischen zwei Frauen, das ist alles. Der Rest sind Psychosen und Suizide. Hätte ich nicht suchend darauf gewartet, wär mir der Kuss gar nicht im Gedächtnis geblieben. Aber so ist er die einzige Verbindung zum Festival Thema. Etwas weit hergeholt und viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt.

Wir wollen in eine queere Gesellschaft. Sind wir auf dem richtigen Weg, wenn so ein kleiner normaler Kuss Anlass genug ist, um den ganzen Film in ein Queer Film Festival einzubringen? Und um auf den Ausdruck selbst einzugehen: Völlige Akzeptanz und Selbstverständlichkeit ist doch erst erlangt, wenn wir keinen Begriff mehr brauchen, um diejenigen zu bezeichnen, die nicht reinpassen. Wenn es nichts außergewöhnliches oder verwerfliches mehr ist, sich einem anderen Geschlecht als dem bei der Geburt bestimmten zugehörig zu fühlen. Oder gar kein Geschlecht haben zu wollen, wenn es kein seltenes Label mehr ist, wenn jemand gay, bi oder trans ist. Das Thema ist sehr groß und komplex und es gibt noch viel zu tun. Das Festival hat mir in der Hinsicht etwas den Horizont erweitert.

Am letzten Abend wird Soldiers Girl (2003) gezeigt. Nach einer wahren Begebenheit erzählt er die Geschichte des Soldaten Barry Winchell, der eine Beziehung mit der Showgirl Transfrau Calpernia Addams eingeht. Eine wundervolle Liebesgeschichte, die so viel heilende Normalität ausstrahlt in Barrys Umgang mit Calpernia. Aber es wäre nicht verfilmt worden, hätte es ein Happy End gegeben. Nach Handgreiflichkeiten mit seinem homophoben Armee-Squad, wird Barry von einem aufgestachelten und alkoholisierten Kollegen mit einem Baseballschläger tot geprügelt. So ernüchternd wie dieser Film, endet das Film Festival und reißt aus der Illusion, dass die Welt doch schon viel weiter sei als sie ist.

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