Entlarvung des Publikums in den Todesspielen

Filmkritik zu den Filmen Funny Games (1977) und dem US-Remake Funny Games (2007)

von Anja Mollnhuber

Was wollen wir im Kino, in Filmen sehen?

Die Diagonale 2022 in Graz geht mit den beiden Filmen Funny Games (1977) und dessen US-Remake Funny Games (2007), beide von Michael Haneke, in die letzte Runde. Sie werden anlässlich von Michael Hanekes 80. Geburtstag im Schubertkino gespielt. Zwei als Psychothriller gekennzeichnete Werke, die zusammen mit einer Spieldauer von über drei Stunden einen halben Nachmittag füllen.1 Sehenswert?

Die kleine Ansprache der Moderatorin, die das anwesende Publikum in die nächsten Stunden einleitet, wird vielleicht jene irritieren, denen der Name Michael Haneke bisher nichts gesagt hat. So manch eine*r könnte auch in Zweifel geraten, ob die Entscheidung zu diesem Kinobesuch eine gute war. Ziel der Rede, so scheint es, ist nicht nur die Vermittlung von Hintergrundinformationen zu den Filmen, sondern auch, die Zuschauer*innen auf das Kommende vorzubereiten bzw. davor zu warnen. Besonders deutlich geht die Moderatorin dabei auf die gespaltenen Reaktionen des Publikums in der Vergangenheit ein. Zu diesen zählten unter anderem Schock und Verstörung, manche erlebten das Filmmaterial laut ihr „wie eine Vergewaltigung“. Michael Hanekes Ziel sei es, so erklärt die Dame noch, der Glorifizierung von Gewalt in den Filmen entgegenzuwirken, indem er diese mit extremer Gewalt in seinen Filmen bekämpft.

Diese Einleitung führt dazu, dass mehrere Personen bereits zu Beginn des Films, aber auch unterdessen den Saal verlassen – eine ungewöhnliche Situation, denn schließlich wurde der Film trotz allem als Psychothriller ausgeschrieben und war dementsprechend an Menschen adressiert, die dieses Genre kennen. Der Rest des Publikums hat wohl trotz vorheriger Warnung beschlossen, abzuwarten und erst einmal zu schauen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Der erste Film beginnt mit der Anreise einer Familie zu ihrem Ferienwohnhaus am See in schöner Natur. Im Auto sitzen Mutter Anna, Vater Georg und Sohn Schorschi im Kindesalter sowie ihr Hund. Auf dem Weg fallen ihnen zwei junge Männer auf, die neu in der der Familie vertrauten Nachbarschaft sind. Kaum angekommen, bekommt die Familie bereits Besuch. Einer der jungen Männer, Paul, möchte Eier für die Nachbarin holen und sein Freund, Peter, nur kurz den Golfschläger der Familie testen. Ein Vorwand, der den beiden Zutritt zum Haus verschafft und ihnen gewährt, ihre sadistisch-tödlichen Spiele an der Familie auszulassen. Jegliche Versuche der Gegenwehr und der Flucht scheitern, bis auch das letzte Familienmitglied den Männern zum Opfer fällt. Doch Paul und Peter haben schon Pläne, mit wem sie als Nächstes spielen wollen…

30 Jahre liegen zwischen den gleichnamigen Filmen – eine lange Zeit, doch verändert hat sich nicht so viel. Einstellung für Einstellung wurde identisch nachgestellt, das Setting so ähnlich wie möglich nachrekonstruiert – von der Kleidung bis zur Küchenausstattung. Auch inhaltlich und sprachlich fallen kaum Differenzen auf. Was Funny Games (1977) von Funny Games (2007) hauptsächlich unterscheidet, ist die Besetzung.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler leisten gute Arbeit in beiden Filmen, die schockieren wollen. Gefühle, wie die im Laufe der Filme sich immer mehr ausbreitende Verzweiflung werden meist sehr authentisch vermittelt und auch die Rollen der Sadisten mit ihrer Kälte, die von Zynismus und Häme durchtränkt ist, wurden hervorragend besetzt. Im österreichischen Film von 1977 spielen Susanne Lothar (Anna), Ulrich Mühe (Georg), Arno Frisch (Paul), Frank Giering (Peter) und Stefan Clapczynsk (Schorschi).2 Beim US-Remake sind die Hauptrollen an Naomi Watts (Anna), Tim Roth (George), Michael Pitt (Paul), Brady Corbet (Peter) und Devon Gearhart (Georgie) verteilt.3

Warum gehen wir ins Kino, um uns mit Horrorfilmen und Psychothrillern zu konfrontieren? Was bewegt uns zu diesen Themen, worin liegt der Reiz?

Fernab der Wirklichkeit

Auffallend im Plot sind mehrere Situationen, die unglaubwürdig erscheinen. Dies beginnt bereits damit, als Anna von Peter mit dem Spiel „Kälter-Wärmer“ zu ihrem ermordeten Hund geführt wird. Zwar weiß Anna, dass Paul mit ihrer Familie im Haus auf sie wartet, jedoch unternimmt sie keinen einzigen Versuch, sich gegen Peter zu wehren, obwohl er in einigem Abstand hinter ihr geht. Selbst als die Nachbarn vorbeischauen, drei erwachsene Personen, bekommen diese von ihr keine Anzeichen, dass Anna und ihre Familie in Gefahr sind. Stattdessen spielt die Mutter brav bei Peters Geplänkel mit. Diese Passivität auf Seiten der Familie zieht sich durch die gesamte Handlung und erscheint als fragwürdig. Zwar werden Versuche unternommen, dem Treiben der Jungs ein Ende zu setzen, jedoch nur mit mäßiger Anstrengung. Begründet werden könnte es vielleicht mit dem Schock, von zwei Männern in weißen Handschuhen, über deren Sinnlosigkeit sich zu Beginn niemand wundert, wie aus dem Nichts grundlos gefoltert zu werden. Dabei bestehen die Sadisten auf übertriebene Höflichkeit und verlangen, dass sich alle an die grauenvollen Spielregeln ihrer „Funny Games“ halten. Die Achtung auf diese überspitzten Umgangsformen angesichts der Taten der zwei Männer erscheint grotesk, jedoch passt sie perfekt in das Bild eines Psychopathen ohne Empathie, der ein Faible für Golfbälle hat.

Doch nicht alles entzieht sich dem Gefühl des Realen, der Wirklichkeitsnähe…

Dem Albtraum so nah

Die Handlung spielt an einem Ort der Erholung – ein ruhiges, einladendes Urlaubsziel in der Natur, wo ein entspannter Sommer genossen werden könnte – und an dem es schwerfällt, sich vorzustellen, dass dort etwas Böses lauert. Die Familienmitglieder sind sympathische Charaktere, mit denen sich das Publikum einfach identifizieren kann. Außerdem verzichtet der Film gänzlich auf Special Effects oder unübliche Einsätze von Licht, wodurch der Film greifbar und nicht künstlich wirkt. Auch die düstere Musik wird sehr sparsam eingesetzt und dadurch verbleibt das Geschehen in einer Art „akustischem Realismus“, so als würde das Ganze im wirklichen Leben stattfinden. Hinzu kommt die Wahl der Geschwindigkeit. Quälend langsam zieht sich der Film und zwingt die Familie ebenso wie das Publikum, im sadistischen Terror zu verweilen und sich der immer hoffnungsloser werdenden Lage nicht entziehen zu können.

Das Grauen in Michael Hanekes beiden Werken liegt jedoch insbesondere an dem Verbrechen an der (kindlichen) Unschuld. Nicht nur, dass einer unbescholtenen Familie von unbekannten Männern, die selbst fast noch Jungen sind, grundlos und aus rein teuflischer Freude Abscheuliches zugefügt wird, ist ein Beispiel dessen. Zu den Opfern der eiskalten Täter zählen ein Kind, Schorschi, und ein Tier, der Familienhund, welche beide stark mit dem Begriff der Unschuld verbunden werden. Manifest wird das Kindliche, Unschuldige aber wohl am deutlichsten in der abartigen Perversion der Kinderspiele, den „Funny Games“. Diese Spiele kennen die meisten der Zuschauer*innen noch aus der eigenen Kindheit oder vom eigenen Nachwuchs und sind für viele zu einer schönen Erinnerung geworden. Hier werden die Spiele der Unschuldigen zu einem mörderischen Kampf um das Leben – das eigene sowie das der Liebsten.

Das wahre Erschaudern bei „Funny Games“

Abseits dieser Ambivalenz hinsichtlich des Wirklichkeitsbezugs besitzen beide Filme eine wertvolle Besonderheit, die sie von anderen Filmen ihres Genres stark unterscheidet – sie richten sich direkt an das Publikum. So zwinkert uns einer der Sadisten zu und fragt uns, ob wir bereits genug an Gewalt haben oder nach mehr verlangen. Er zeigt uns sogar eine Alternativversion mit einer Chance für die Familie, die jedoch zurückgespult wird und der restlichen Tragödie weicht. Vielleicht geht es im Grunde nicht darum, den häufigen Wunsch nach realistischer Logik auf der Leinwand zu stillen. Vielmehr sind Michael Hanekes „Funny Games“ als Kritik an dem Maß von Gewalt zu sehen, welches wir Massen- und Unterhaltungsmedien wie dem Film zuführen.

Neben der (Un)glaubwürdigkeit, die die Filme vermitteln, erreicht diese Interaktivität vielleicht die von Michael Haneke gewünschte Selbstreflexion und Erkenntnis bei den Konsument*innen. Zurück bleibt auf jeden Fall eine beklommene Stimmung, das Gesehene muss noch verarbeitet werden. Statt einem genussvollen Zusehen wird über Stunden versucht, auszuhalten, was auf der Leinwand passiert, oder es wird auf die zweite Option zurückgegriffen, das Verlassen des Kinosaals. „Funny Games“ versetzen in einen Zustand des Entsetzens, des Schocks und der Schwermut. Bevor sich also damit beschäftigt wird, sollten schon mal ein paar der stärkeren Nerven zusammengekratzt werden.

Um also noch einmal zurück auf die zu Beginn gestellte Frage zu kommen: Es wäre, genauso wie damals vor 15 bzw. 45 Jahren, sinnvoll, die Sehgewohnheiten der Gesellschaft wieder stärker zu reflektieren und zu entscheiden, was gezeigt werden soll und was eben nicht. Liegt es nicht auch an unseren Vorlieben, an unserer Schaulust, welche Bilder wir schlussendlich zu Gesicht bekommen? Wie soll mit der Darstellung, dem Aufgreifen von Gewalt in Unterhaltungsmedien umgegangen werden? Ob Hanekes Weg hierfür eine konstruktive Lösung ist, muss schließlich jede*r für sich selbst entscheiden.

1 Vgl. Diagonale, “Funny Games”, Diagonale, O.A, https://www.diagonale.at/filme-a-z/?ftopic=finfo&fid=11294, 29.04.2022. und Diagonale,“Funny Games U.S.”, Diagonale, O.A., https://www.diagonale.at/filme-a-z/?ftopic=finfo&fid=11295, 29.04.2022.
2 Vgl. Diagonale, “Funny Games”, Diagonale, O.A, https://www.diagonale.at/filme-a-z/?ftopic=finfo&fid=11294, 29.04.2022.
3 Vgl. IMDb, “Funny Games”, IMDb, O.A., https://www.imdb.com/title/tt0808279/, 29.04.2022. 

Bibliografie

Erzählungen der Dame, die die Einleitung für die Filme am 10.04.2022 im Schubertkino hielt

Internet

Diagonale, “Funny Games”, Diagonale, O.A, https://www.diagonale.at/filme-a- z/?ftopic=finfo&fid=11294, 29.04.2022.

Diagonale, “Funny Games U.S.”, Diagonale, O.A., https://www.diagonale.at/filme-a- z/?ftopic=finfo&fid=11295, 29.04.2022.

IMDb, “Funny Games”, IMDb, O.A., https://www.imdb.com/title/tt0808279/, 29.04.2022.