Wanja Lang
Dysfunktionale Familiengefüge, stoische Mimik oder monotone Sprachmuster. Die Parallelen zwischen Flora und Rita scheinen schier unendlich. In Jessica Hausners früher Filmographie lassen sich stilistische sowie thematische Tendenzen erkennen, die sie bis heute noch begleiten. Doch von welchen Motiven ist hier genau die Rede?
Ein zentrales Element beider Filme stellt ein distinkter Schauspielstil dar. Hausner greift hier jeweils auf Laienschauspieler zurück, wodurch die emotionsneutrale und stellenweise verfängliche Stimmung mancher Szenen plausibel wird. Dies soll jedoch nicht als negativer Kritikpunkt verstanden werden. Gerade durch diese wortkarge Neutralität erzeugt Hausner zwei Filme die sich auf die Kamera, als zentrales Ausdrucksmittel, berufen. Ganz im Stil eines Robert Bresson Streifen, verpflichtet sie sich mit dieser Entscheidung den transzendenten Filmstil und verzichtet vollkommen auf überflüssige Dramatisierung oder langwierige Emotionsausbrüche. Vielmehr entwickelt sie Figuren wie Flora und Rita, deren instabile Seins-Zustände implizit ans Publikum übertragen werden. Andere Charaktere sind hiervon nicht ausgenommen. So weisen auch Ritas Eltern oder Floras Mutter die gleichen zurückhaltenden Tendenzen auf. All diese Faktoren tragen zu einer naturalistischen Gesamtwirkung bei, oder anders gesagt: Hausner stellt Präsenz über Repräsentation.
Dies führt mich zum nächsten Punkt: die inhaltlichen Rahmenbedingungen. Im Mittelpunkt beider Filme steht ein orientierungsloses Mädchen, das von ihren Lebensbegleitern ignoriert sowie schikaniert wird. Hausner behandelt mit diesen Figuren typische Sujets von pubertären Unabhängigkeitssehnsüchten. So lassen sich Flora und Rita auf zum Scheitern verurteilte Beziehungen ein, widersetzen sich den Regeln und geraten in ersten Kontakt mit Rauschmittel. All diese rebellierenden Tätigkeiten stammen von einer grundlegenden Unzufriedenheit ihres familiären sowie sozialen Lebens. Hausner bietet mit diesen zwei Filmen einen pointierten Einblick in die Tristesse der bürgerlichen Eintönigkeit, in der das Schließen von Klodeckel oder der Besitz von Reizunterwäsche zu häuslichen Streitthemen avancieren.
Anzumerken ist jedoch, dass beide Charaktere drastisch unterschiedliche Methoden wählen, wie sie dieser Monotonie entkommen. Während Flora ihr Glück an einem anderen Ort zu finden versucht, entschließt sich Rita in einer willkürlichen Aktion ihren Vater und anschließend ihre Mutter zu erschießen. Anders gesagt ermöglicht sich Flora eine neue Zukunft und Rita verweigert sich eine, weswegen sie als radikalere Ausprägung, derselben narrativen
Thematiken beschrieben werden kann. Trotz dies tragischen Ereignisses, verliert sie ihre Gleichgültigkeit nicht und scheint sogar vollkommen unberührt zu sein. Eine Beantwortung von Fragen bezüglich ihrer Motive und Anliegen erhalten wir nicht. Vielmehr wird man ein Teil dieses Ereignis und kommt so in den Genuss einer weitaus tiefgründigeren, filterlosen Rezeptionserfahrung.
Jessica Hausner zählt zu den bedeutendsten österreichischen Filmemacherinnen der Gegenwart. Ihre ersten zwei Filme deuteten schon auf ein enormes Talent hin, welches sie im Laufe ihrer Karriere nur weiterentwickelte. Inhaltliche Schwerpunkte blieben ihr über die Jahre jedoch erhalten. So lassen sich in Filmen wie „Hotel“ und „Lourdes“ ähnliche in sich gekehrte Hauptprotagonistinnen erkennen oder bei „Amour Fou“ und „Little Joe“, die gleichen Sehnsüchte nach einer besseren Realität. In Anbetracht dieser Umstände sind Hausners frühe Werke mehr als nur erste Versuche eines stilistischen Findungsprozesses. „Flora“ und „Lovely Rita“ sind als wesentliche Bausteine ihrer individuellen Filmsprache zu verstehen, auf die sie 20 Jahre später immer noch zurückgreift und in neue aufregende Kontexte setzt.