Das Innere nach außen kehren. Filmkritik zu Anja Salomonowitz’ »Mit einem Tiger schlafen« über das Leben und Werk der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig.

Teresa Wagenhofer

Ein junges Mädchen liegt in einem rustikal eingerichteten, holzvertäfelten Zimmer im Bett. Schwaches Tageslicht fällt durch die Ritzen zwischen den Holzbalken, die Szene ist dämmrig/dunkel. Hektische Stimmung, um das Mädchen herum ein Priester und weitere Personen, sie beten ein letztes Gebet, Maria schaut nach oben an die Decke. Sie stirbt.

Nein, doch nicht! Schnitt zur erwachsenen Maria Lassnig, die am Boden in ihrem Atelier liegt und ebenfalls an die Decke starrt. Sie vollzieht gerade eine ihr typische Technik, fast wie ein Ritual, bei dem sie so lange auf einen Punkt schaut, bis dieser ”zerschaut“ ist und sich in seine farblichen Bestandteile aufspaltet. Dadurch kann Lassnig geistig gleichzeitig die Grenze zwischen ihrem Inneren Gefühl und äußeren Körper aufspalten.

Die 2014 verstorbene Maria Lassnig brachte mit den vorher durch ihre Technik herausgefilterten Farben das Gefühl aus ihrem ”Inneren“ heraus auf die Leinwände der ”äußeren“ Welt. Eines ihrer Bilder, nämlich »Mit einem Tiger schlafen«, zeigt Lassnig eng an das Tier gepresst in einer Pose, halb Kampf, halb Umarmung. »Mit einem Tiger schlafen« ist auch der Titel des 2024 veröffentlichten Films der Regisseurin Anja Salomonowitz, der das Leben der Malerin und Künstlerin Maria Lassnig behandelt. Der titelgebende Tiger kann kann dabei als Allegorie für Maria Lassnings, von ihr selbst oft als herausfordernd und verlustreich empfundene, Leben gesehen werden, mit welchem sie immer wieder von neuem ringt, das sie für kurze Zeit bezwingt und mit dem sie versucht ihren Frieden zu finden.

In der Rolle der Maria Lassnig in (fast) allen Phasen ihres Lebens brilliert eine großartige Birgit Minichmayr. Sie schafft es, durch ihre (Körper-)Sprache (und den an das jeweilige Alter angepassten Outfits in den pastelligen Hauptfarben aus Lassnigs Bildern) Lassnig sowohl als junges Mädchen, erwachsene Frau und alte Dame zu portraitieren und ihre Gefühlswelt und ihr Wesen durchgängig glaubhaft aufrecht zu erhalten. Dieser Einsatz der gleichen Schauspielerin für unterschiedliche Altersstufen braucht seine Zeit, um den Zuseher:innen bewusst zu werden. Zu Beginn hat die Verwirrung die Oberhand, was wiederum gut zur Grundstimmung des Films passt, der mehr Ausdruck der Lassnigschen Gefühlswelt als chronologisches Bio-Pic sein will.

Entscheidende Szenen aus Maria Lassnigs Leben – Maria sitzt in ihrem Atelier, neben ihr das herunterhängende Schnurtelefon, durch das sie eben von ihrer im sterben liegenden Mutter erfahren hat, die sie ihres Gefühls nach auch während ihres Lebens verlassen hat – wechseln sich ab mit Nahaufnahmen von am Boden zerfließender Farbe. Ameisen helfen Lassnig nach einer enttäuschenden Ausstellung ihre Bilder zu tragen und ein Tiger spaziert als Verdoppelung (im Regel steht ebenfalls eine Tiger-Figur aus Porzellan) in Lassnigs Atelier. Zusätzlich zu diesen fantastischen Elementen wird zwischendurch auf weißem Hintergrund eine Auswahl an Lassnigs Bildern gezeigt, die durch ihre statische Einstellung das Gesehene zerschneiden.

Maria Lassnigs Zärtlichkeit kommt durch ihren, bei den Zuschauer:innen scheinbar selbst am Körper zu spürenden, Schmerz zum Ausdruck. In der Behutsamkeit, mit der sie mit den Tieren in Ihrer Umgebung umgeht, im zarten Türkis und verwaschenem Zyklam ihrer Bilder. Lassnig ist aber genauso sehr zäh, unerbittlich und eigensinnig. Das muss sie auch sein, um sich in der vorherrschenden patriachalen Gesellschaft ihrer Zeit zwischen ihren männlichen Kollegen, wie ihrem jungen Geliebten und Maler Arnulf Rainer, durchzusetzen. Denn »Eine Frau muss dreimal soviel schuften wie ein Mann, nur weils sie eine Frau ist.«

Maria will nicht, so wie ihre Mutter es gerne hätte, um jeden Preis heiraten, sie will unabhängig sein und sich nur an jemanden binden, der sie wirklich versteht. Durch ihre starke, selbstständige Haltung wird den Zuseher:innen erst wieder in der letzten Szene des Films bewusst, wie sehr Maria Lassnig ihr ganzes Leben lang nach einem Verbündeten als Ausweg aus ihrer Einsamkeit gesucht hat. Marias Blick fixiert den Himmel, ihr Assistent (berührend fürsorglich: Lukas Watzl) ist bei ihr, als sie versucht in den Farben des Sonnenuntergangs ihren unerreichbaren Liebhaber zu entdecken. Nun stirbt Lassnig wirklich, der Kreis mit der zu Beginn des Films todkranken Maria schließt sich und wer bei dieser abschließenden Szene nicht die eine oder andere Träne wegblinzeln musste, werfe den ersten gefühlskalten Batzen Farbe auf die Leinwand.

»Mit einem Tiger schlafen« gelingt als feinfühlige, poetische Erzählung von Lassnigs Leben und ihrem Oeuvre. Das Bio-Pic schafft es, sich durch Aspekte wie die zeitliche Darstellung eines fast ganzen Menschenlebens durch eine einzige Schauspielerin und fantastische/traumähnliche Momente von anderen aktuellen Film-Portraits großer Persönlichkeiten (Priscilla, Back to Black/Amy Winehouse) abzuheben. Diese Besonderheiten dienen als Vertiefung in die persönliche Gefühlswelt Lassnigs und lassen das Publikum nicht nur an ihrem äußeren Wirken, sondern auch, wie von Lassnig gewollt, an ihrem Inneren teilhaben.

Kritisch betrachtet werden kann die anfangs durchaus verwirrende Art der Darstellung des jeweiligen Alters von Maria Lassnig. Durch die ungewöhnlich radikale Besetzung Birgit Minichmayrs muss man sich auf ein Rätsel einlassen und Anhaltspunkte für das jeweilige Alter in der Körpersprache Minichmayrs und ihrer jeweils getragenen Kleidung suchen. Dieser Aspekt kann, zusätzlich zu den doch sehr hart geschnitten, statischen Einblenden von Lassnigs Bildern, als zu irritierend empfunden werden und von der Message des Films ablenken. Ich persönlich habe diese filmischen Entscheidungen dagegen als erfreuliche Abwechslung zu anderen zu sehr auserzählten, “vereinfachten“ Filmen gesehen. Die Konzentration des Publikums wird gefordert und es wird eine Art des “intelligenten“ Schauens vorausgesetzt, die ich als Respekt der Regisseurin gegenüber den Zuschauer:innen empfinde. Anja Salomonowitz erschafft durch ihren behutsamen Blick eine Verbeugung vor der Ausnahmeperson Maria Lassnig, die zu den bedeutendsten internationalen Künstlerinnen der Gegenwart zählt.