Zachari Ivantchev
Im Rahmen meiner studentischen Akkreditierung von der Universität Wien durfte ich dieses Jahr die 74. Berlinale besuchen. Da dies erst mein zweiter Aufenthalt in Berlin war, verreiste ich mit dem Plan die Akkreditierung nicht nur im Sinne einer erfüllenden Festivalerfahrung zu nutzen, sondern auch, um mich mit der Stadt vertrauter zu machen.
Während meines Aufenthaltes wurde ich von diversen Erfahrungen immer wieder an Sara Ahmeds Text The Phenomenology of Whiteness erinnert (in: Feminist Theory, Bd. 8 (2), Thousand Oaks: Sage Journals 2007, S. 149-168). Ahmed argumentiert im besagten Text unter anderem, dass Räume, deren Funktion und deren Zugänglichkeit, durch die Körper welche in diesen Räumen anzutreffen sind, konstituiert werden (vgl. ebd., S. 157). Das Luxusrestaurant wäre beispielsweise ein Raum, welcher einem reinen Bourgeoisie Habitus gewidmet ist. Man kommt nur rein, wenn man diesen Habitus durch Manier, Gestus, Kleidung etcetera widerspiegelt. Es ist somit ein Raum, in welchem eine Person aus der Volksklasse der Zugang verwiesen werden würde, da deren Leib in einem diskrepanten Verhältnis zu den restlichen Körpern innerhalb des Raumes steht. Selbst wenn die Person der Volksklasse es in das Luxusrestaurant schaffen würde, würde diese durch die besagte Diskrepanz auffallen und fragwürdige Blicke ernten wodurch ein habitueller und somit freier und unbewusster Umgang mit dem eigenen Körper unterbunden werden würde, da im Angesicht der hier erläuterten Dynamik zwischen dem eigenen und den fremden Körpern, die Person der Volksklasse jede Bewegung bewusst vollziehen müsste um darauf zu achten nicht noch mehr aufzufallen (vgl. ebd., S. 152/157). Die hier beschriebene Dynamik beschränkt sich dabei natürlich nicht nur auf Wirtschaftsklassen, sondern ist in allen Identitätsstiftenden Zuordnungen, wie zum Beispiel Race, Gender oder Ethnizität, wiederzufinden.
Ich glaube, dass Berlin als Stadt sich vor allem durch ihr Image als diverser und inklusiver Ort an großer Beliebtheit bei einer Vielzahl an Gruppen erfreuen kann. Ein Raum, welcher von Vielfältigkeit geprägt ist, sollte schließlich auch ein Raum sein, welcher Zugang und freie Bewegung für alle konstituiert.
Eine These, welche ich zumindest anhand meiner subjektiven und äußerst kurzen Erfahrung bestätigen kann. Anders als das Klischee des „Berliner Grants” vermuten lassen würde, war Berlin für mich von einer Vielzahl an äußerst freundlichen und hilfsbereiten Menschen geprägt. Während ich es in Wien gewohnt bin innerhalb eines neuen Raumes gefüllt mit fremden Körpern, die erste Instanz des Kennenlernens zu spielen, ergo als erster “Hallo” zu sagen, wurde ich in Berlin von einer bunten Vielzahl an Menschen in allen möglichen Räumen als erstes angesprochen, wodurch eine für mich reibungslosere Bewegung innerhalb des sozialen Raumes konstituiert werden konnte. Auch die Interaktionen selbst, seien diese an der Kassa im Supermarkt, an der Bar mit einem Getränk in der Hand oder auch einfach nur auf der Straße, fühlten sich für mich äußerst friktionslos an, sehr entgegengesetzt zu meinem üblichen Alltag welcher sich oftmals wie ein von Irritation geprägter Hürdenlauf anfühlt. Während ich mich in Wien durch diese Irritation oftmals wie ein Fremdkörper fühle, fühlte ich mich in Berlin wie ein Teil einer gut geölten Maschine (dieser Vergleich ist abseits von Thesen der Rationalisierung innerhalb der Industriegesellschaft zu verstehen), in dem jede meiner Bewegungen reibungslos ineinander fließen. Die Art wie ich rede und wie ich mich präsentiere, fühlte sich in fast jeder Räumlichkeit in der ich Zeit verbrachte adäquat an ohne weitere bewusste Anpassungen von mir abzuverlangen.
Ein Aspekt der von mir erwähnten Reibungslosigkeit, dem ich besonderen Wert zusprechen möchte, ist die Abstinenz der Frage “Von wo kommst du?”. Eine Frage, mit der ich zumeist spätestens bei der Nennung meines Namens konfrontiert werde und bei mir auf ein hohes Ausmaß an Irritation stößt. Denn genau diese Frage fungiert oftmals als ein Apparat, mit dem ein ungleiches Machtverhältnis zwischen zwei Körpern etabliert wird (Ahmed selbst verweist mit dem Beispiel der Grenzkontrollen auf ein ähnliches Beispiel, vgl. Ebd., S. 161 – 163). In dem Moment wo die “einheimischere” Person, signifiziert durch ihren “österreichischeren/deutscheren” Namen, diese Frage stellt, hält sie den habituellen Modus der “fremderen” Person auf, hält das Gespräch an und inszeniert sich somit als Kontrolleur, welcher die Herkunft der “fremderen” Person erst einmal begutachten muss bevor das Gespräch weitergeführt werden darf. Zumeist lässt sich nach der Beantwortung dieser Frage auch ein unterdrückender Paradigmenwechsel in der Atmosphäre der Interaktion spüren, welcher sich durch das gesamte restliche Gespräch durchzieht. Die eigentliche hierarchisierende Funktion dieser Frage ist dabei schnell zu entlarven.
Ich werde gefragt, woher ich komme, ich antworte, dass ich im 17. Bezirk wohne. Unzufrieden mit meiner Antwort, fragt die Person erneut, „Nein, von wo kommst du?”. Ich antworte, dass ich in Wien geboren und aufgewachsen bin. “Nein, nein, von WO kommst du?” Ab diesem Zeitpunkt gehen mir die Optionen aus, ich gebe der Person das, was sie von mir will. Manchmal sind die “einheimischeren” Personen auch direkter, was ihre Motivation angeht. Neulich fragte mich ein Arzt während einer Untersuchung, woher mein Name kommt. Ich antworte mit “aus der Bibel”. Lachend, als würde ich nicht wissen, was er von mir will, formuliert er seine Frage um und fragt mich, von wo ich beziehungsweise von wo meine Eltern kommen. Auf das gute Verhältnis zu meinem Arzt angewiesen, gebe ich ihm die Antwort, die er von mir hören will.
Meine, für diesen Bericht zu lang und für die Kristallisierung der eigentlichen Problematik zu kurz geratene Tirade dient hier primär um zu unterstreichen, was für einen Unterschied es während meines Aufenthaltes in Berlin für mich gemacht hat, mit dieser Frage nicht konfrontiert zu werden. Und selbst wenn es zur Thematik der familiären Herkunft gekommen ist, war der oben beschriebene Paradigmenwechsel nicht zu spüren. In diesem Sinne fühlte sich Berlin für mich sehr wohl inklusiv an.
Umso mehr finde ich es daher schade, dass dieselbe Inklusivität nicht im Business Modell “Berlin” wiederzufinden ist. Man denke nur an die Berliner Clubszene, welche international für ihre strengen Kontrollen seitens der Türsteher*innen bekannt ist.
Auch eine Vielzahl an Bars und Restaurants sind mit abgeschotteten Fenstern und Türsteher*innen versehen. Während also Berlin als Stadt von einem Gefühl der Inklusivität geprägt ist, zeichnet sich Berlin als Business Modell mit einer Aura von Exklusivität aus.
Eine Aura, die ich auch innerhalb der Berlinale zu spüren bekommen habe.
Eine Freundin und ich haben Tickets für die Pressevorführung von The Box Man ergattert, welche im Cinemaxx am Potsdamer Platz stattfand. Beim Eingang zum Gebäude werden wir von zwei Damen nach unseren Akkreditierten Ausweisen gefragt, bevor uns der Zugang zum Gebäude erlaubt wird. Wir zeigen unsereAusweise und werden reingelassen. Ich fühle mich für einen kurzen Moment, als wäre ich besonders, bevor die Irritation einschlägt. “Wieso muss ich den herzeigen?” frage ich mich. Schließlich betrete ich ja nicht die eigentliche Vorführung des Filmes, ich betrete nur das Gebäude. Die Räumlichkeit, in der ich mich befinde, ist nichts besonderes, es ist letztendlich nichts mehr als ein glorifizierter Warteraum. Der Raum selbst ist ziemlich leer, es gibt genug Platz für alle. Ich teile einen kurzen Moment der Enttäuschung mit den Tourist*innen hinter mir, die sich nur kurz das Gebäude von innen anschauen wollten und gehe weiter zum Kinosaal.
Ein paar Stunden zuvor war ich ebenfalls am Potsdamer Platz. Im Hyatt Hotel, in der Nähe des Berlinale Palastes, fand zu dem Zeitpunkt eine Pressekonferenz zum Film A Different Man statt, die eine Freundin von mir besuchte. Während ich auf sie warte, gehe ich den Boulevard auf und ab und bemerke metallene Absperrgitter auf meiner linken und rechten Seite, welche drei verschiedene Wege in dieselbe Richtung formen. Die Ironie ist, dass man als Passant*in freien Zugang zu allen drei Wegen, die alle zum selben Endpunkt führen, besitzt. Ich frage mich, wofür sie wohl da sind. Eine Frage die ich beantwortet kriege als Schauspieler*innen das Hyatt Hotel verlassen. Die Passant*innen werden vom Personal auf zwei der drei Seiten umpositioniert um Raum für die glamorifizierten Körper der Darsteller*innen zu schaffen. Sogleich versammeln sich die Passant*innen um diese Körper und fotografieren sie ab. Ich erinnere mich an den bourdieuschen Aufstiegsdrang des*der Kleinbürger*in und fühle mich zum ersten und einzigen Mal in Berlin fehl am Platz.
Während meines Aufenthaltes, durfte ich in meinem Hostel eine freundliche Bekanntschaft mit einem Mann aus Irland schließen. Er war großer Techno Fan und ist extra nach Berlin gereist, um dessen Clubkultur zu erleben. Drei Tage später treffe ich ihn erneut im Hostel an. Er erzählt mir, dass er die letzten zwei Nächte damit verbracht hat, vor den bekanntesten Clubs in Berlin an der Warteschlange zu stehen, nur um dann von den Türsteher*innen nicht reingelassen zu werden.
Enttäuscht und frustriert kommentiert er: “Everyone says Berlin is supposed to be this inclusive city. That’s a load of bullshit.”