Die Totenschmecker – Filmkritik von Tobit Rohner
Noch unter dem Arbeitstitel Blutrausch wurde nähe Kitzbühel ein österreichischer Film gedreht, der dann 1979 betitelt als Die Totenschmecker den Weg ins Kino fand. Aufgrund des ausbleibenden Erfolgs wurde er allerdings zurückgezogen und erneut veröffentlicht, diesmal beworben als Das Tal der Gesetzlosen. Abermals erfolglos – Doch man bleibt hartnäckig. Der dritte Anlauf Der Irre vom Zombiehof versuchte nun Monsterfans anzulocken, doch scheiterte er ebenfalls. Daran festhaltend, es läge am Titel, verirrte sich der Film, nun Das Mädchen vom Hof genannt, in das ZDF, als handle es sich dabei um ein klassisches Heimatdrama. Wie generisch die Titel gewählt sind, so fällt auch der Inhalt aus. Und nein, weder Unmengen an Kunstblut, Kannibalismus, Westernbanditen oder Untote finden ihren suggerierten Auftritt. Vielmehr erscheint Die Totenschmecker wie ein typisches Produkt seiner Zeit. Man könnte ihn beschreiben als österreichischen Exploitation-Film des 70er Jahre-Slasher-Kinos, der hinter einer unschuldigen Heimatfilm-Fassade lauert. Regie führte Ernst R. von Theumer – selbstverständlich auch unter anderen Namen, nämlich dem Pseudonym Richard Jackson. Man bleibt seinem Werk ja treu. Der genaue Verbleib Theumers ist heute unbekannt.
Die Handlung spielt in den Alpen, auf dem Hof eines verwitweten Altbauern und seiner drei Söhne. Der Älteste, der Erbe, lebt als einziger mit Frau und Tochter, der Zweitgeborene arbeitet im Dorf und der Jüngste, mental beeinträchtigt und in der Scheune isoliert, wird wie ein Vieh behandelt. Und eben jener vergreift sich an einer Nomadin (im Film ‚Zigeuner‘ genannt), die den Hof besucht. Die übrigen Mitglieder der Bauernfamilie sind erpicht darauf, den Anschein, ein gutes Leben zu führen, zu wahren. Die logische Schlussfolgerung daraus: Die Leiche vertuschen, anschließend die gesamte nomadische Gruppe auslöschen und jegliche Beweise für deren Existenz vernichten. Das ist der Kern der Geschichte. Und so nebenbei gibt es auch eine jugendliche Liebesbeziehung, ganz nach Romeo und Julia, zwischen der Bauerstochter Anna und dem Nomaden Joschka, der übrigens Violine spielt, als hätte er ziemlich oft und sehr begeistert Spiel mir das Lied vom Tod gesehen. Dann taucht noch die verwitwete Großmutter von Anna auf, welche überall böse Omen vermutet, und zum Schluss vergewaltigt der ‚Irre‘ auch noch Annas Mutter. Im Laufe des Films werden multiple Nebenstränge geöffnet, die durchaus Potential innehalten, allerdings keinen runden Schluss finden, sondern wie abgetrennt verwahrlost werden. ‚Kill Your Darlings‘ im anderen Sinne. Die Darsteller:innen verkörpern ihre Rollen auf trockene Art und Weise, die einen ebenso trockenen Humor entstehen lässt, was zu der ebenfalls trockenen Beiläufigkeit der Morde passt. Dabei sind die Tötungen selbst so seltsam inszeniert, dass man sie entweder nicht mal als Tötung identifiziert oder aber sich über die Sinnhaftigkeit der Darstellung wundert. Es lässt sich also festhalten: Bei Die Totenschmecker handelt es sich um einen regelrechten Trash-Film. Den ambivalenten Unterhaltungswert findet man in der billigen Produktionsweise und der unerklärlichen Inszenierung. Das geschieht mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man diskutieren könnte, ob der Begriff des ‚camp‘ – dem bewussten Widerstand gegen normativer Ästhetik – für diesen Film anwendbar wäre.
Inwiefern bestimmte Haltungen von den Filmschaffenden beabsichtigt sind oder lediglich die Verfremdung des Vertrauten angepeilt wird, sei dahingestellt, aber Die Totenschmecker weist durchaus kritische Tendenzen auf. Verortet man den Film im Slasher-Genre, erkennt man einige Parallelen zum US-amerikanischen The Texas Chain Saw Massacre von 1974. So findet sich nicht nur ein Slasher-Killer vor, sondern gleich eine ganze Familie von Leuten, die bereit sind, das Mordbeil zu schwingen. Im Gegensatz zur texanischen Familie herrscht hier kein Sadismus. Stattdessen eine nüchterne Notwendigkeit die Illusion eines Selbstbildes nach außen zu bewahren. Zumal bietet der Film genügend Interpretationsspielraum, um darüber zu streiten, ob der jüngste Bauerssohn, der einem Monster-Killer am nächsten kommt, böse geboren (wie etwa die Horror-Ikone Michael Myers) oder vielmehr durch die diskriminierende Außenwelt der Familie sozialisiert wurde. Durch die mordende Familie, verkörpert von archetypischen Bauernfiguren, wird zumal eine Dekonstruktion des verschönernden Heimatfilms angezielt. Natürlich werden farbenfrohe Landschaftseinstellungen von den Alpen – typische Merkmale des Heimatfilms – gezeigt, denen aber durch die Gräueltaten eine Bedrohlichkeit hinzugefügt wird. Die Frage nach der Bedeutung von Heimat wird neu gestellt. Der Heimatsbegriffs erhält dadurch eine nicht zu vergessene Bedeutung der Gefahr. Gerade in xenophobischen Kulturkreisen ist die Frage zu stellen: Was bedeutet Heimat für die Fremden, die Außenstehenden und Heimatlosen? Für jene, die auf Heimat verzichten oder dazu gezwungen sind, die Heimat zu verlassen? Betrachtet man die Struktur, wie die mordbereite Bauernfamilie aufgebaut ist, so fallen starke Machthierarchien auf. Dem ältesten Sohn wird aufgrund seiner Erstgeburt das Erbe des Hofes rechtmäßig zugestanden, doch hält der Vater trotz seines hohen Alters an seiner Machtposition fest und möchte seinen Status, die Leitung des Bauernhofes, nicht abtreten. Von den Söhnen wird der Vater als autoritäre Instanz nicht kritisiert, dadurch machen sich natürlich absolute Machthierarchien bemerkbar, die an patriarchale, monarchische Strukturen erinnern. Die Bauern in Die Totenschmecker versuchen die Ermordung der Nomad:innen zu vertuschen, denn immerhin würde die Offenlegung auch die ideologisch-begründete Illusion der Natürlichkeit ihres patriarchalen Machtsystems bedrohen. Aber das ‚Eindringen‘ von außen braucht es nicht mal. Der Vater muss ins Krankenhaus eingeliefert werden, die Macht verbleibt beim Ältesten. Anfangs scheint die Hierarchie klar, doch endet der Konflikt zwischen den ältesten Söhnen darin, dass sie sich nach getaner Arbeit gegenseitig massakrieren. Die Struktur ungleicher Machtverhältnisse bricht ohne Autorität zwangsweise in sich zusammen.
Die Totenschmecker beherbergt Qualitäten in sich, die sich von Konventionen abwenden – im formal ästhetischen und inhaltlichen Sinne. Dadurch hat der Film natürlich Schwierigkeiten seine Zielgruppe zu finden, was sich unschwer in der Vielzahl an Titel erkennen lässt. Kein Wunder, dass er in der Filmgeschichte untergegangen ist. Für alle Interessierte: Abseits von Filmfestivals hat der Filmverleih Mr. Banker Films & Cargo Records die Alpen-Perle wieder ausgegraben und ungekürzt auf DVD ans Tageslicht gebracht.