„Rauchfangkehrerin? Why not?“ (Sophie Szönyi)
Von Julia Bauereiß
Die junge Filmemacherin Emma Braun (geb. 1999) präsentierte im Zuge des Diagonale Filmfestivals 2022 zum ersten Mal ihren selbst produzierten Kurzdokumentarfilm „Einblick“. In zwanzig Minuten portraitiert der 16mm Analogfilm die junge Sophie Szönyi in ihrem Beruf als Rauchfangkehrerin. Dabei werden die Zuschauenden mit an ungewöhnliche Orte getragen und können so die Stadt Wien aus einer völlig neuen Perspektive erleben. Ein ruhiges Schwarz-Weiß-Bild und das sanfte Voiceover von Sophies Stimme lassen das Berufsportrait zu einer ästhetisch-eindrucksvollen Reise werden, die zunächst harmonisch und idyllisch wirkt, doch nach einem ungeahnten Perspektivwechsel an Tiefgang gewinnt.
Das Portrait beginnt bei Nacht, wenn die Stadt noch schläft. Sophie muss als Rauchfangkehrerin schon zu einer ungewöhnlich frühen Uhrzeit aufstehen. Gerade wenn die Sonne aufgeht und die Natur erwacht, steht sie schon völlig allein bei der Station Schottentor, die untertags normalerweise von tausenden Menschen passiert wird. Mit der Bim macht sie sich auf den Weg zur Arbeitsstelle, wo sie ihre Dienstkleidung anlegt, um im nächsten Moment über den Dächern von Wien der Stadt beim Aufwachen zuzusehen. Mit intimen schwarz-weißen Panorama- und Detailaufnahmen begleitet der Film so die Arbeit der jungen Rauchfangkehrerin Sophie. Es sind einfache Aufnahmen, wie Sophie eine Leiter erklimmt, eine Luke öffnet oder ihr Werkzeug einsetzt. Doch gerade in Verbindung mit der weitreichenden Kulisse wirken diese besonders eindrucksvoll. Durch die gekonnte Platzierung der Kamera, hervorragend gewählte Einstellungsgrößen und Sophies routinierte, fast meditative Arbeitsweise werden Harmonie und Ruhe erzeugt, sodass der Film beinahe romantisch wirken könnte. Damit die Prozesse nicht zu verträumt erscheinen, entschied sich die Macherin Braun gezielt für einen Schwarz-Weiß-Film. Dieser verleiht den Aufnahmen eine gewisse Zeitlosigkeit und wirkt auch passend für den Beruf der Kaminkehrerin.
Wieso eigentlich ein Portrait über eine Rauchfangkehrerin und wie kam die junge Protagonistin zu dieser Arbeit? Gerade handwerkliche Tätigkeiten werden überwiegend von Männern dominiert, so auch die des*der Rauchfangkehrer*in[1], welche zusätzlich noch sehr selten ausgeübt wird. Diese Frage kam auch im Anschlussdiskurs bei der Diagonale mit der Filmemacherin und der Protagonistin auf. Braun lernte Szönyi zufällig kennen und empfand dieses alte Handwerk auch als sehr ungewöhnlich. Szönyi selbst wollte nach der Matura weg von der schulischen Theorie und hin zur Praxis, so hörte sie sich um und fand eben jenen Beruf. Nach reiflicher Überlegung, dachte sie sich schließlich „Rauchfangkehrerin? Why Not?“, wie sie selbst in der Anschlussdiskussion des Films erklärte. Welche Herausforderungen, Erfahrungen und Eindrücke sie gerade als Frau in diesem Beruf erleben würde, wusste sie wohl zuerst auch nicht. Eben diese erzählt sie jetzt sehr nachfühlbar und authentisch im Voiceover von Brauns Film.
Neben der faszinierenden Bildästhetik wird die Handlung des Films erst mit Sophies Erzählungen deutlich. Sie beschreibt mit ihrer ruhigen und sanften Stimme nicht nur ihre Arbeit, sondern offenbart auch viele Eindrücke und Gedanken, die sie oft dabei beschäftigen. Dies eröffnet schließlich die neue Perspektive des Films. Sophie schildert auf ehrliche und authentische Weise ihre häufig negativen Gefühle und Erlebnisse, die ihr als Frau in diesem Beruf untergekommen sind. So verhalten sich manche Personen beim Erscheinen einer unüblicherweise jungen Rauchfangkehrerin aufdringlich oder anzüglich. Auch zu viel Körperkontakt in den Wohnungen der fremden Personen, lösen bei Sophie Unbehagen aus. Auf Grund des Mythos, Rauchfangkehrer*innen seinen Glücksbringer, wollen Menschen häufig die Knöpfe von Sophies Jacke berühren, damit das Glück auf sie überspringt. Allerdings möchte sie das nicht, doch weiß sie häufig nicht wie sie reagieren soll. Oft stellt Sophie auch fest, dass gerade Männer ihr häufig Hilfe beim Tragen schwerer Dinge oder bei der Ausführung ihrer Arbeit anbieten. Diese möglicherweise freundlich gemeinte Akt, lässt Sophie jedoch ihre Kompetenzen hinterfragen. So fühlt sie sich schnell nicht ernst genommen, nicht vertrauenswürdig oder gar überflüssig. Durch die wiederkehrenden Hilfsangebote der ungelernten Personen, wird Sophie als kompetente und gelernte Fachkraft dieses Handwerks automatisch herabgewürdigt. Gerade seit Sophie allein arbeitet, bemerkt sie häufiger dieses Gefühl von Unbehagen. Sie bricht hier eindeutig die Norm des stereotypischen männlichen Handwerkers. Der Film zeigt sehr gut, dass Weiblichkeit wohl nach wie vor mit Schwäche assoziiert wird. Dies wird deutlich, da sich einige Personen gegenüber Sophie merklich anders verhalten, als sie es gegenüber einem männlichen Kollegen tun würden, wie die Zuschauenden aus ihren ergreifenden Erzählungen erfahren.
Wer hier nur ein stumpfes Berufsportrait mit ästhetischen Bildern erwartet hat, wird in diesem 20-minütigen Kurzdokumentarfilm allemal überrascht. Erstaunlich tief, emotional und authentisch schafft es der Film die Problematik „Frauen in Männerberufen/ Frauen im Handwerk“ zu beleuchten und die Zuschauenden zu berühren.
[1] Im Zuge dessen, eine kleine Nebensächlichkeit: Word scheint ebenfalls nur die männliche Schreibweise dieser Berufsbezeichnung zu kennen