We’re so back.

Wie KI Nostalgie als politisches Werkzeug einsetzt

von Gideon Hempel und Jan Schüssler

Ein aktueller Blick auf sowjetische Propagandaplakate könnte Erstaunen auslösen: Viele Plakate, die von Künstlern wie etwa Boris Reshetnikov oder Alexander Dobrov zwischen 1950 und 1970 für die UDSSR geschaffen wurden, weisen eine Ästhetik auf, welche wir inzwischen mit KI-generierten Bildern in Verbindung bringen. Die Plakate zeichnen sich durch kontrollierte Strichführungen, glatte Oberflächen und eine grundsätzliche Verschwommenheit aus. Die Formkomposition und Farbgebung in Arbeiten wie beispielsweise К нам на стройку, друзья! [1] („Auf zu unserer Baustelle, Freunde!“) aus 1956 weisen erstaunliche Parallelen zu den digital geschaffenen Bilderwelten von Midjourney, DALL-E auf.

Socialmedia Plattformen wie TikTok oder Instagram dienen als Zuhause für Profile, welche mithilfe von KI-generierten Bildern die Bildpolitik aus der Sowjetzeit reproduzieren. Dabei schaffen diese Posts durch ihre romantisierten Inszenierungen und poetischen beigefügten Texte eine intensive Sehnsucht nach der Vergangenheit, welche als Nostalgie bezeichnet werden könnte. Als Reaktion auf diesen Trend warnte die moldauische Journalistin Ana Sârbu bei einem vom Institut Vitsche Berlin organisierten Seminar davor, dass Russland Sowjet-Nostalgie-Postings zu Propagandazwecken einsetzt. [2]

Eine solche bedrohliche Perspektive auf Nostalgie, welche sie als Auslöser für Verblendung und Manipulation wahrnimmt, hat in den letzten Jahren eine starke Position in den Diskursen rund um unseren Umgang mit der Vergangenheit eingenommen. Im Gegensatz dazu argumentiert die russisch-amerikanische Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Svetlana Boym in ihrem Buch The Future Of Nostalgia jedoch für eine im Kontext ex-sowjetischer Staaten bestehende Nostalgie, welche als reflexiv, kritisch und potenziell sogar konstruktiv für einen Umgang mit der Geschichte verstanden werden kann. Wie jede Nostalgie ist diese reflexive Form auch an Medien gebunden, wird aber nur mithilfe eines kollektiven, privaten bzw. familiären Gedächtnisses rezipiert. [3] Dieser Ansatz der Rückbesinnung verwehrt sich durch seinen persönlichen Ansatz der Vorstellung absoluter Wahrheiten. Anstatt Imaginationen einer idealisierten Vergangenheit zu schaffen, löst reflexive Nostalgie eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart und Zukunft aus der Perspektive der Vergangenheit aus. Reflexive Nostalgie kann also als Modus des Widerstands und als Mittel der Distanznahme gegenüber einer bedrohlichen Gegenwart verstanden werden. [4]

Neben dieser Form beschreibt Svetlana Boym eine zweite Form der Nostalgie, die nicht reflexiv ist, die sich also selbst nicht als Nostalgie versteht. Hierbei geht es also weniger um das Ausstellen eines bestimmten Modus eines Vergangenheitsbezugs, sondern um die Fixierung auf ein – nicht selten historisch unkonkretes – Vergangenheitsbild, das zurückgewonnen werden soll. Aus dieser konservativ-restaurativen Haltung heraus, wird eine Gesellschaft imaginiert, die sich im homogenen Gleichgewicht befunden hat – eine Gesellschaft, in der die neuen Störfaktoren, die den gegenwärtigen Krisenzustand angeblich erst hervorgebracht haben, sich noch im gesellschaftlichen Außerhalb befanden. Operiert wird mit einer fiktiven geschichtlichen Situation, die wieder reaktiviert werden soll, nachdem sie, im Sinne dieser „restaurativen Nostalgie“ [5], verloren geglaubt ist. Restaurative Nostalgie lässt vermissen, was nie da gewesen ist.

Von den oben angesprochenen Propagandaplakaten ist demnach nicht nur die Haltung einer reflexiven Nostalgie abzuleiten, sondern auch eine Fokussierung auf eine imaginierte homogene Gesellschaft im Gleichgewicht. Und das, weil Propaganda sich nicht aus einem einfachen Zukunftsversprechen konstruiert. Ganz im Gegenteil ist Propaganda – wie man aus der Kritischen Theorie lernt – vor allem eine rhetorische Radikalisierung. Was sie trägt, sind die bereits in der Gesellschaft sedimentierten Verhältnisse, die durch die propagandierte Politik nicht verändert, sondern verstärkt werden sollen. „Propaganda, zur Veränderung der Gesellschaft, welch Unsinn!“ [6] heißt es etwa bei Adorno und Horkheimer. Denn es geht bei Propaganda kurz gesagt darum, mit neuen Versprechen Altes zu tun. 

Wenn sich also eine formalästhetische Ähnlichkeit zwischen sowjetischen Propagandaplakaten und von KI generierten Bildern bemerken lässt, wie im vorherigen angenommen, so ist genau diese restaurative Ebene von Propaganda ein Aspekt zur Erklärung dieser Ähnlichkeit: Auch die KI-Bilder nutzen Vergangenes, um Neues zu versprechen. 

In seiner kurzen Analyse über den Zusammenhang von rechten Weltbildern und KI-Bildgenerierung bringt Roland Meyer genau diese eigenartige Verschränkung auf den Punkt: „Mit KI kehren die ältesten rassistischen und sexistischen Vorurteile in scheinbar technisch objektivierter Form zurück: Es ist doch nur Mustererkennung!“ [7]. Wenn nämlich ein Bild von MidJourney oder Dall-E generiert wird, ist dies nur durch die Verwendung eines möglichst großen digitalen Bildarchivs möglich, das unvermeidlich die gesellschaftlichen Stigmatisierungen wiederholt und damit verstärkt. Meyer hebt deshalb hervor, dass die Versuche, präventiv rassistischen Bildmustern entgegenzuwirken – wie etwa 2024 bei Googles Gemini – scheiterten, weil die Software auch an ungewöhnlichen Punkten für Diversität sorgte. Entsprechend ihres Antirassismus-Programms wurden von Gemini Shadow Promtings eingeführt, welche die ursprünglichen Prompts durch Begriffe wie „female“, „black“ oder „asian“ ergänzten. Meyer kommt hier auf Bilder von Schwarzen Nazis oder Gründervätern mit asiatischen Gesichtszügen zu sprechen, die zu einer „gespielten Empörung über angebliche „woke“ Indoktrination führte[n]“. [8] Das Shadow Promting konnte also nicht als Stütze antirassistischer Haltung dienen. Die Bild-KI sowie die Propagandaplakate funktionieren nicht ohne Bias, da sie gerade darauf aus sind, „visuelle Muster hervorzubringen, die möglichst eindeutig und unmittelbar verständlich“ [9] sind. 

Die einfache Beschreibungsfunktion der Bilder wird damit immer schon unterlaufen und die KI-Bildgenerierung zu Bestätigungstechnik von Klischees. Mit der Medientheoretikerin Wendy Chun gesprochen, ließe sich sagen, der KI-Algorithmus verwirklicht beständig, was er nur zu beschreiben vorgibt. [10] Weit entfernt davon, ein neues Zukunftsbild zu produzieren, handelt es sich deshalb bei den KI-Bildern um die Fortsetzung rassistischer und sexistischer Bildpolitiken, die immer weiter propagieren, was nie Wirklichkeit gewesen ist und was nie wünschenswert sein kann. 

Entscheidend ist deshalb auch weniger, inwiefern es sich um „echte Bilder“ handelt, sondern wer den Blick auf diese Bilder strukturiert. Denn Bilder, so schreibt Susan Sontag, „implizieren, dass wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so hinnehmen, wie die Kamera sie aufzeichnet.“ – Und wir wollen hinzufügen: wie die KI sie generiert. Denn „dies hinnehmen ist das Gegenteil von Verstehen, das damit beginnt, dass die Welt nicht so hingenommen wird, wie sie sich dem Betrachter zeigt.“ [11]


Referenzen und Anmerkungen

[1] Monetam, „Плакат. К нам на стройку, друзья!“, LiveJournal, 20.04.2025, https://monetam.livejournal.com/1072262.html, 05.06.2025.

[2] „How russian Propaganda Influences Europe | Truth to Justice Conference“, R.: Vitsche Berlin, 22.01.2025, https://www.youtube.com/watch?v=Vor3MutZtig&ab_channel=VitscheBerlin, 31.05.2025.

[3] Vgl. Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York City: Basic Books 2001, S. XVIII.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. ebd., S. 58.

[6] Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M.: Fischer, 2020, S. 272.

[7] Roland Meyer, „Echte Emotionen. Generative KI und rechte Weltbilder“, Geschichte der Gegenwart, 02.02.2025, https://geschichtedergegenwart.ch/echte-emotionen-generative-ki-und-rechte-weltbilder, 13.06.2025.

[8] Meyer kommt hier auf Bilder von Schwarzen Nazis oder Gründervätern mit asiatischen Gesichtszügen zu sprechen, die als Folge eines Shadow Promtings, zu einer „gespielten Empörung über angebliche „woke“ Indoktrination führte[n]“. Meyer, „Echte Emotionen“ 13.06.2025.

[9] Ebd.

[10] Vgl. Chun, Wendy Hui Kyong, „Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse“, Zeitschrift für Medienwissenschaft, Medienökonomien, 2018, S. 131-148, hier S. 131.

[11] Susan Sontag, „In Platons Höhle“ Über Photographie, Frankfurt a. M.: Fischer, 1997, S. 9-30, hier S. 28.