„Zur Epistemologie der KI. Essays über neue Dispositive künstlicher Intelligenz“
von Stefan Schweigler
Einen Reset zu machen – noch einmal an den Anfang zurückzugehen – ist eine alltägliche digitale Praxis im Medienhandeln mit Bildbearbeitungsprogrammen oder Social-Media-Feeds, aber auch mit Computern, die sich ,aufhängen‘. Praktiken der neuerlichen Überprüfung, ein systematischer zweiter Anlauf oder das Fremdstellen des Gewohnten durch ein bewusstes Zurückkehren an den Start sind durchwegs auch Techniken der wissenschaftlichen Arbeit sowie der Arbeit von Redaktionen in der Kultur- und Medienbranche. Es sind strategische Setzungen, die darauf abzielen, Methoden, Perspektiven oder Situierungen zu evaluieren, zu verändern oder zu erneuern. Künstliche Intelligenz wird mittlerweile diskursiv und marktlogisch häufig mit Attributen angepriesen, die vergleichbare Potenziale zur permanenten Evaluierung, Erneuerung und Lernfähigkeit plakativ ausstellen. Sind diese dispositiven Zuschreibungen aus medienkulturwissenschaftlicher Sicht zutreffend? Handelt es sich bei diesen Verheißungen ggf. um Reizworte, die den Blick auf Wirkungsweisen von Machtverhältnissen verstellen?
Studierende des tfm-Masterstudiengangs recherchierten im Sommersemster 2025 im Rahmen der Lehrveranstaltung „Reset & Refresh: Digitale Medientheorie der/zur Erneuerung“ von Stefan Schweigler zu Praktiken, Ästhetiken, Funktionsweisen und Affordanzen von KI. In den entstandenen Essays fragen sie unter anderem danach, was das „Alte“ am vermeintlich „Neuen“ der künstlichen Intelligenz ist. Fortschritts-euphorische Erneuerungsfantasien aber auch kulturpessimistische Klagen über den Beginn einer neuen Epoche des Verlust der ,Menschlichkeit‘ werden durch Relektüren medientheoretischer Grundlangen kritisch dekonstruiert. Gleichzeitig werden herkömmliche Medientheorien durch Konsultierung aktueller Debatten in der digitalen Medientheorie evaluiert: Welche Überarbeitungen, Auffrischungen oder Neu-Formulierungen müssen in der medienkulturwissenschaftlichen Theoriebildung tatsächlich angestrebt werden, um das vermeintlich ,Neue‘ an Künstlicher Intelligenz hinsichtlich seiner gesellschaftlichen und politischen Implikationen zu kritisieren?
Jeweils vier Beiträge sind den folgenden vier Kapiteln dieser Ausgabe zugeordnet: Im Kapitel „Neue Funktionalisierungen: Die KI als Akteur*in“ geht es um kritische Auseinandersetzungen mit dem Status der (Nicht/)Personifizierung von KI als Figur mit eigener Agency. Dabei wird sowohl nach der Funktion von KI als einer Instanz der Disziplinierung des Selbst gefragt, als auch nach KI-Beziehungspartner*innen, KI-Bühnenfigur-Ersatz oder vermeintlich ,klassenloser‘ unsichtbarer KI. In „Geschichte denken: Nostalgie, Archiv und KI-Ästhetik“ wird auf kritische Weise reflektiert, wie neue KI-Applikationen Zugriffe auf historische Konfigurationen von Affekt und Ästhetik betreiben – sowohl im Kontext von Trauerarbeit oder Fernseharchiven, als auch im Zusammenhang mit reflexiven sowie tendenziösen politischen Promting-Praxen. In „Medien der Beschränkung: Praxeologische Problematisierungen von KI“ wird unter anderem danach gefragt, welche strukturellen Limitierungen, Engführungen und Komplexitätsreduktionen auf praktischer Ebene mit neuer intelligenter Algorithmizität korrespondieren. Vermeintlich herzlose Illustrationen, souveränisierte selbstfahrende Autos, KI-generierte Werbesprecher*innen werden ebenso dekonstruiert, wie verschwindende Praktiken des Suchens und aktiven Situierens von Wissen im Kontext von ChatGPT. An solche und andere Veränderungen in Wissenskulturen knüpfen auch die Beiträge im letzten Unterkapitel an, das den Namen „Epistemische Gewalt: Machtstrukturen von KI-Dispositiven“ trägt. Reproduktionen und Forcierungen hegemonialer Machtverständnisse werden am Beispiel von KI-Interfacing-Kommunikation sowie von Smartem Tracking diskutiert. Ebenso werden epistemische Formen von Ableismus und Klimaschädlichkeit künstlicher Intelligenz aufgezeigt und hinterfragt.
Herausgegeben von Stefan Schweigler
Redaktionelle Assistenz: Lasse Graf