Nat Randall & Anna Breckon
Museumsquartier Halle E
Mittwoch, 28. Mai 2025 – Donnerstag, 29. Mai 2025

Thank you, next!
Coura-Lale Tall
Eine blonde Frau (Pia Hierzegger) sitzt in einem enganliegenden roten Kleid in einem rosa-roten Zimmer und wartet. Im Hintergrund ist sanfte, leicht melancholische Klaviermusik zu hören. Eine Nahaufnahme hebt die verschränkten Hände auf ihrem Schoß hervor. Wendet man den Blick jedoch von der Leinwand, die rechts neben dem kleinen quadratischen Bühnenraum aufgespannt ist ab, wird das Geschehen der eigenen Blickregie überlassen. Die Theater Performance THE SECOND WOMAN bedient sich einem Splitscreen Format, bei dem sich das Publikum immer wieder neu entscheiden kann, ob es den Darstellenden auf der Bühne oder ihren filmischen Abbildern auf der angrenzenden Leinwand zuschaut. Die technischen Voraussetzungen für die Erzeugung des Filmbildes werden dabei sichtbar zur Schau gestellt. Zu Beginn der Szene positionieren sich zwei Kamerafrauen mit Steady Cams vor und neben dem Bühnenkasten, was ihnen ermöglicht aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu filmen. Und Action!
Die Tür geht auf und ein Mann betritt den Raum mit einem Fastfood Sackerl in der Hand. Erwartungsvolle Stille im Publikum, als sich die blonde Frau zu ihm umdreht und den Neuankömmling in Augenschein nimmt. Der erste Blickkontakt zwischen den Darstellenden wird in den Großaufnahmen der Gesichter auf der Leinwand dramatisiert, während auf der Bühne eher die Körperhaltung der Figuren ins Auge fällt. Im Vergleich zu Hierzegger, die sich in ihrer Rolle zu Beginn sichtlich wohl fühlt, wirkt der Mann nervös und unbeholfen. Dabei ist sie es, die im anschließenden Dialog nach Anerkennung und Liebe „betteln“ muss. Die Diskrepanz zwischen dem gesprochenen Worten und der Haltung der Figuren ist am Anfang etwas irritierend. Die beiden Darstellenden scheinen aneinander vorbeizureden und das Gespräch wirkt seltsam gekünstelt. Ich erwische mich bei dem Gedanken, die Frauenfigur nicht ernst zu nehmen. Ihre Reaktionen, die durch Hierzeggers starke Bühnenpräsenz viel ausdruckstarker sind, als die des Mannes, finde ich übertrieben und nicht ganz nachvollziehbar. Besonders den Moment, in dem sie den Mann plötzlich mit den mitgebrachten Glasnudeln überschüttet und anschließend zu tanzen beginnt, kommt mir beim ersten Mal so absurd vor, dass ich lachen muss. Empört dreht sich eine Frau in der Reihe vor mir um und fragt, was ich denn an der Erniedrigung einer Frau lustig fände. Eine Weile geht mir die Frage nicht mehr aus dem Kopf. Natürlich ist das Performance Format an sich für Hierzegger eine Grenzerfahrung. Denn der oben geschilderte Besuch war nur der Erste von insgesamt 100. 24 Stunden lang wiederholt sich immer die gleiche Szene mit wechselnden Besucher*n. 100-mal muss die Frauenfigur Sätze wie: „Ich habe dich nicht verdient“ und „Ich war nie gut genug“ sagen. Ich frage mich, ob man nicht tatsächlich irgendwann genug hat von dieser Stereotypisierung. Allein schon der Gedanke sich mehrere Stunden die gleiche Szene in Dauerschleife anschauen zu müssen, ist ermüdend.
Doch dann verfalle ich nach und nach dem Reiz der Wiederholung. Und mit jedem neuen Besuch scheinen die Worte der Frauenfigur an Bedeutung zu gewinnen und das Gefühl mit einer endlosen Reproduktion desselben Stereotyps konfrontiert zu sein, lässt nach. Allein schon die Tatsache, dass die Darstellenden sich während der Performance zum ersten Man begegnen, macht die Sache spannend. Weder das Publikum noch Hierzegger selbst weiß welche Person als nächstes zur Türe hereinkommt. Zudem lässt der vorgegebene Text bewusst Lücken für Improvisationen, die von den Besucher*n mehr oder weniger gekonnt gefüllt werden. Im direkten Vergleich fallen schnell interessante Verhaltensmuster auf. „Ich finde dich unglaublich vielseitig“, heißt es an einer Stelle, aber auf Nachfrage fallen vielen dann keine anderen Charaktereigenschaften außer nett und hübsch ein. Einige nutzen das Rampenlicht und werden ganz kreativ. Was genau mit der Aussage: „Du bist wie Schaum am Meer“ jedoch gemeint sein soll, bleibt unklar. Beim Auspacken der mitgebrachten Nudeln sind dann Egoismus und Ignoranz stark vertreten. Die Anzahl an Besucher*n die sich auf ihre Nudeln stürzen ohne an ihr Gegenüber zu denken ist so hoch, dass sich die Situation im Laufe der Performance zu einem running gag entwickelt. Je weiter die Performance fortschreitet, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass hier am ehesten eine Erniedrigung der Spielpartner* angestrebt wird. Das Publikum trägt dazu bei, indem es jedes Fettnäpfchen der Besucher* mit lautem Lachen quittiert und Szenen, die besonders witzig oder ungewöhnlich waren beklatscht. Zwischendurch habe ich kurz das Gefühl, dass die eigentliche Leistung von Hierzegger dabei in den Hintergrund gerät. Besonders in den Momenten, in denen sie nach einer Szene die verstreuten Nudeln wieder vom Boden einsammeln muss, während das Publikum aufgeregt beginnt sich über die bisherigen Highlights auszutauschen, wird die Frage nach der Erniedrigung wieder lauter. Und doch schafft Hierzegger es in jeder Szene aufs Neue Widerstand zu leisten. Selbst nach 20h nutzt sie innerhalb der Grenzen ihres Textes noch jede Möglichkeit, um sich an den Aussagen und Handlungen der Männer zu reiben, ihnen zu widersprechen oder sie mit ihrem eigenen Verhalten zu konfrontieren. Besonders die Tanzszene wird im Laufe des Stückes zu einem Instrument des Widerstandes. Mit der Verweigerung sich führen zu lassen, Nachahmungen der ungelenken Bewegungen mancher Spielpartner* oder der Erfindung immer neuer grotesker Tanz moves, lässt sie die Besucher* immer wieder auflaufen. Diese Energie und Kraft für 24h Stunden am Stück aufzuwenden ist so beeindruckend, dass der begeisterte Applaus am Ende dann doch nur ihr gebührt – der Second Woman hinter der Rolle, die sich ganz klar jeder Form der Erniedrigung widersetzt hat.
Die [Nudeln] schmecken wirklich immer…
Anna Stippel
THE SECOND WOMAN: Die Eckpunkte dieser Performance von Nat Randall und Anna Breckon mit Pia Hierzegger als Schauspielerin sind klar: Die Performance wird 24 Stunden dauern. In dieser Zeit wird mindestens 100-mal die gleiche Szene gespielt. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einer Beziehung, in der Pia Hierzegger die Frau verkörpert, die stets denselben Dialog performt. Was außerdem immer dabei ist, sind zwei Nudelboxen, ein Mann* der* diese mitbringt (Laiendarsteller*), Whisky (Tee), ein Tanz und € 50,- zur Verabschiedung.
Was klingt, als würde es nach spätestens zwei Stunden langweilig werden, entwickelt einen unglaublichen Sog, der es dem Publikum schwer macht, die Vorstellung zu verlassen. Mit den meisten Tickets kann der Aufführungsraum (Halle E im Museumsquartier) zwar wieder betreten werden, aber trotzdem ist klar, dass dabei eine Interaktion verpasst wird, die es auf diese Art nie wieder geben wird. Es entwickelt sich ein Effekt, der gut mit dem Begriff FOMO (Fear Of Missing Out) beschrieben werden könnte. Das Akronym, das in den letzten Jahren immer größer und häufiger verwendet wurde, beschreibt die Angst, etwas Wichtiges oder Interessantes zu verpassen, eine Angst, die durch soziale Medien verstärkt wird. Auch hier können Parallelen zu THE SECOND WOMAN gezogen werden, denn die Performance führt zu Gefühlen, die sich mit dem Scrollen durch Social Media Inhalte vergleichen lassen. „Eins noch, dann hör ich auf.“, lautet die Lüge, die sich so viele sowohl in Bezug auf soziale Medien, als auch auf die Performance mit Pia Hierzegger selbst auftischen. Im fortwährenden Beobachten der sich wiederholenden Szene auf der Bühne wird man schnell zur/n Expert:in für kleinste Veränderungen in Mimik, Gestik und Sprache. Daraus ergibt sich die Spannung, die dazu bewegt, viel Zeit auf den Stühlen der Halle E verbringen zu wollen. Jedes Mal, wenn ein neuer Mann*, durch die Türe des kleinen, pink ausgestatteten Glaskubus – der das Zimmer der Frau in der Performance darstellt – tritt, entsteht eine Erwartung, wie sich diese Szene gestalten wird. Zwei Kameramenschen fertigen live Nahaufnahmen der Gesichter und anderer Details, die auf einer Leinwand neben dem Kubus, in dem gespielt wird, zu sehen sind.
Die beobachtbare Paardynamik, die in der Szene dargestellt wird, bietet sowohl schöne, als auch viele erschreckende Momente. Das Verhalten der Männer*, das zwar scheinbar im vorgegebenen Text angelegt ist, aber auch ganz anders aussehen könnte, wie manche Interaktionen zeigen, rutscht sehr oft in stereotype Muster ab, die implizite Haltungen und Annahmen transportieren. Viele Männer* haben Schwierigkeiten positive Eigenschaften abseits der vorgegebenen Worte „schön“ und „klug“ zu finden und bedienen sich häufig weiblich konnotierten Adjektiven wie „charmant, hilfsbereit, hübsch oder sozial“. Mit entlarvender Mimik und Gestik reagiert Pia Hierzegger auf diese Aussagen und Verhaltensweisen, die sie oftmals überspitzt aufgreift oder imitiert.
Neben diesem bedrückenden Spiegel der Gesellschaft lässt die Performance noch einiges an Raum für situative Komik à la „Die [Nudeln] schmecken wirklich immer.“. Denn wer liebt sie nicht, die asiatische Nudelbox? Pia Hierzegger braucht jetzt wohl trotzdem eine längere Pause davon.
Wiederholend unwiederholbar – Repetition kann so unterhaltsam sein
Nadine O´Neal
Beeindruckend – 24 Stunden lang spielt Pia Hierzegger in der Performance THE SECOND WOMAN dieselbe improvisierte Szene nur mit wechselnden Partnern* vor einem großen Publikum. Während bei anderen Aufführungen sich die Kunstschaffenden monatelang den Kopf über eine möglichst unterhaltsame Narration zerbrechen, die das Publikum bis zum Ende des Stücks hält, kommt THE SECOND WOMAN fast auch ohne diese aus. Stattdessen entwickelt sich mit jeder neuen Situation und Dynamik zwischen den beiden Spielpartnern eine eigene Erzählweise. Die Frage Was verschiebt sich zu Wie wird gespielt. Die Rechnung geht trotzdem auf und hingegen aller Erwartungen (meiner eingeschlossen) schon nach zwei Stunden genügend gesehen zu haben, zieht die Performance einen richtig in den Bann, sodass man es bereut nach sechs Stunden wegen der eigenen Müdigkeit erst am nächsten Tag wieder in die Performance zu schauen.
„Du bist unglaublich vielschichtig“ erhält die Schauspielerin zigmal von verschiedenen Männern und nicht-binären Personen auf ihre Aussage „Du hast mich noch nie besonders schlau gefunden“ geantwortet. Die Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit ihres schauspielerischen Könnens stellt Hierzegger hier gekonnt unter Beweis, wenn sie sich immer wieder auf jemanden Neuen einlässt. Denn immer, wenn sich die Tür in der Guckkastenbühne öffnet und ihr ein neuer Spielpartner* gegenübertritt, ergibt sich eine andere Dynamik. Eine männliche Person tritt durch die Tür in den durch drei Wände und die „vierte Wand“ abgegrenzten Spielraum. Subtil werden Energien zwischen der Performerin und dem Mann* ausgetauscht und das darauffolgende Aufeinanderprallen von zwei sich gegenseitig fremden Personen zur Schau gestellt. Auch wenn das Stück von der Improvisation der sich unbekannten Spielpartnern lebt, gibt es eine inszenatorische Vorgabe: Hierzegger und die Männer* haben ein Skript mit Sprechtext. Diese „Lines“ kommen immer wieder auf, aber können durch die Intonation, Mimik und Gestik wohl kaum unterschiedlicher vom Publikum denotiert werden. Weicht einer der Spielpartner* stark von seinem Text ab, so lässt sich die Performerin mal darauf ein, mal baut sie ihren Text wieder in den Dialog ein, um zurück zum roten Faden zu lenken. Nie agiert sie als Souffleuse und hilft ihrem Partner* auf diese Weise auf die Sprünge – dass ein Mann* einen energischen Sprung über einen Stuhl während der Performance macht und ein paar Momente später fast mit ihr durch die rechte Vorhangwand der Bühne bricht, kann sie aber genauso wenig steuern.
Diese ganzen Abweichungen und Eigenheiten führen aber zu reichlich Gelächter bei den Zuschauer*innen. Nach den ersten Durchgängen können die sich wiederholenden und gleichbleibenden Teile des Stücks identifiziert werden. Umso mehr rücken jede kleinste Abweichung und Neuheit in den Fokus der Aufmerksamkeit. Genau darauf zielt die Performance ab, denn das Spiel wird von Kameras aufgefangen und live auf eine große Leinwand neben dem Spielraum projiziert. Vor allem die Mimik der beiden Akteur*innen bildet sich auf dieser Wand in Großaufnahme ab und kommentiert das Geschehen. Ohne dies würden viele Mikroexpressionen an den Zuseher*innen vorbeigehen und die wiederholte Szene augenscheinlich an Ähnlichkeit gewinnen und an Witz verlieren.
Inmitten des künstlichen Settings wirkt die ungeprobte Interaktion sehr authentisch. Am häufigsten ist eine gewisse Unbeholfenheit der männlichen Spielpartner* als Garant für ihre unverstellte Spielweise zu deuten. Diese äußert sich unterschiedlich in: Augenzwinkern, schelmischem Grinsen, Zurückhaltung, oder überspitzter Absurdität. Pia Hierzegger schafft es auf alle diese Impulse einzugehen. Sie und ihr Partner* werfen sich dadurch ständig gegenseitig den Ball zu. Im Eifer eines Gefechts mit einem besonders extravaganten Mann* wird mit den Essstäbchen für die Nudeln aus der Fast-Food-Tüte (, die der Mann jedes Mal neu mitbringt,) nicht nur gegessen, sondern gekämpft. Die Performerin lässt sich von dem ausgefallenen Spiel dieses Partners mitreißen und ahmt im nächsten Moment einen Stier nach, indem sie sich die Stäbchen an die Schläfen hält. Nachdem derselbe Mann* später die Bühne zugeschnappt und mit den Worten „ich habe dich nie geliebt“ verlässt, ist aus dem Publikumsraum ein empörtes Staunen und Lachen wahrzunehmen.
Der Tag vom 28.05. Bis 29.05. zeigt schon fast wie eine soziologische Studie die Vielseitigkeit der Interaktion zwischen zwei Menschen in einer Bühnensituation, die nicht bis auf die kleinste Begegnung, wie der Großteil anderer Produktionen, einstudiert ist. Obwohl Hierzegger sich fast ununterbrochene 24 Stunden auf diese Mächte, die ihr in dieser Improvisation begegnen, einlässt, schmeißt sie nichts aus der Rolle. Sie bleibt standhaft und weder enorme Müdigkeit noch Frustration lassen sich von ihrer Spielart und ihrem Gesichtsausdruck ablesen.
Ein Sprichwort von Albert Einstein besagt „Dumm ist, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“. Auf THE SECOND WOMAN bezogen, wäre es dumm zu denken dasselbe Setting und Skript führt bei verschiedenen Akteuren nicht zu ganz unterschiedlichen Ereignissen und Reaktionen. Auch wenn das endgültige Resultat gleichbleibt, dass der Mann* die Bühne durch die Tür wieder verlässt, ist das entscheidende Ergebnis dieses Abends (oder besser gesagt ganzen Tages) wie sich die verschiedenen Energien jedes Mal neu erfinden. Ein mögliches Fazit der Performance kann sein: Unterhaltung braucht man nicht proben, sie ergibt sich unter den richtigen Bedingungen von ganz allein. Wer hätte gedacht, dass Wiederholung so süchtig machen kann?
Und wieder einmal muss ich betteln…
Emilia Louisa Sobotzik
Vor Beginn des 24-Stunden-Stücks THE SECOND WOMAN frage ich mich, wie lange ich durchhalten muss, bis es akzeptabel ist zu gehen: mindestens zwei, maximal vier Stunden nehme ich mir vor. Ich hätte nicht gedacht, dass der Abend das Gegenteil in mir auslöst: Ich schaffe jedoch den Absprung nicht, habe Angst etwas zu verpassen und möchte immer mehr Szenen sehen, das in der Stückbeschreibung angepriesene Suchtpotenzial von THE SECOND WOMAN zeigt seine Wirkung und lässt mich am Ende insgesamt 12 Stunden in der Halle E des MuseumsQuartiers in Wien verbringen.
Etwas stolz auf diese Leistung muss ich mich daran erinnern, dass das gerade einmal die Hälfte der 24 Stunden ist, die die österreichische Film- und Theaterschauspielerin Pia Hierzegger auf der Bühne verbringt. Etwa im Zehn-Minuten-Takt wird Virginia, gespielt von Hierzegger, von einer neuen Person, Männer sowie queere und nicht-binäre Menschen aus Wien, aufgesucht. Die Tür des Wohnzimmers öffnet sich, die hereintretende Person nähert sich Hierzegger, die mit dem Rücken zur Tür gekehrt aus dem Fenster schaut und schon bietet sich dem Publikum einer der spannendsten Momente der Szene: die Schauspielerin dreht sich um und beide schauen sich zum ersten Mal an. Parallel wird das Ganze mittels Live-Kamera und Schnitt im Großformat und mit Nahaufnahmen auf einem Bildschirm projiziert, ganz im Stil des Melodramas. Das Wissen, dass die Beteiligten nicht gemeinsam geprobt haben und sich im Bühnenkontext vermutlich zum ersten Mal begegnen, gestaltet jede einzelne Szene aufregend. Neben der grandiosen Leistung Hierzeggers, die selbst in den letzten Stunden nicht nachgibt, unterhält der Abend durch die Partizipation der (größtenteils) nicht professionellen Darsteller*innen. Immer wieder aufs Neue sehen wir uns mit den verschiedensten Charakteren konfrontiert. Die individuellen Eigenarten in Mimik, Gestik und insbesondere im Umgang mit der Schauspielerin gestalten den Abend als konsequent interessant. Während manch einer vorschnell wieder von der Bühne flüchtet, scheinen weitere ihre Minuten Bühnenpräsenz und die Freiheiten, die ihnen geboten werden, in vollen Zügen zu genießen.
So unterhaltsam der Abend auch verläuft, geht mit Fokus auf Virginia (und offensichtlich auch durch der Einsatz der sentimentalen Musiksequenzen) immer etwas Unbehagen einher. Im scheinbaren Loop gefangen, muss sie sich immer wieder aufs Neue den eigenartigen Interaktionen stellen. „Und wieder einmal muss ich betteln“, wiederholt sie bei jeder neuen Begegnung in Bezug auf einen Mangel an Aufmerksamkeit und Zuneigung, den sie wahrnimmt. Auch wenn die Interaktionen mit den verschiedenen Spielpartner*innen in ihrer Dynamik variieren, bleibt klar: am Ende wird Virginia wieder allein auf ihrem Sessel sitzen und in die Ferne schauen. Der Dialog zwischen den Figuren impliziert eine bereits länger andauernde Beziehung und doch wirft der Abend durch seine Form Assoziationen zu gescheiterten schnelllebigen Kennenlern- und Datingversuchen sowie die damit einhergehende Frustration und Enttäuschung auf. Doch Virginia bleibt beharrlich: nach jeder Begegnung räumt sie die zuvor im Konflikt zerstreuten Glasnudelreste vom Boden auf und bereitet sich auf ihre nächste Begegnung vor, während das Publikum in Anbetracht des Aufräumens die Aufmerksamkeit verliert, Handys hervorholt oder in Gespräche verfällt. Leise wird es erst wieder, sobald ein neuer Love Interest die Bühne betritt.
Nach 24 Stunden wird Virginia dann doch noch erlöst und räumt zum letzten Mal die klebrigen Glasnudelreste vom Teppichboden. THE SECOND WOMAN beeindruckt durch die Leistung Hierzeggers, unterhält durch die Teilnahme der Männer und nicht binären Personen und entfaltet auf diese Weise tatsächlich eine scheinbar süchtig machende Wirkung.
Vielschichtigkeit
M.L.
For their 24-hour performance, Nat Randall and Anna Breckon offered the framework of their performance, THE SECOND WOMAN, to Pia Hierzegger. One scene is repeated a hundred times by one woman, Virginia, played by Pia Hierzegger, and a hundred different men* and non-binary people play the same scene with only a few cues and improvisation. The encounter between the two protagonists is intended to be the moment where a previous conflict will be solved and the relationship between the two of them will be ended.
Pia Hierzegger’s prompt: looking out of the window; a man* comes in; drinks; food; stumbling; noodles fly; dancing; 50€ and repeat.
Despite the conflict between the two protagonists on stage, the mood in the audience is light and amused. What exactly is funny varies, playing on several layers. This includes the use of dialects, the repetition, the new elements, the subtle variations, the expected, the unexpected, references to the outside world or to Pia Hierzegger’s carrier, but also the awkwardness. Everything has the potential to be comic.
Throughout the performance, men* from diverse backgrounds visit the female protagonist, Virginia. She embodies the stereotype of a femme fatalesque femininity: long red dress, blonde wavy hair, pointed shoes, red lipstick. Many of the visitors are amateur actors whose nervousness is noticeable. It is always unclear whether they are acting or simply behaving as they would in their daily life. Not only do they play the role of Virginia’s (ex-)partner, but also highlight gender roles. Masculinity* is tested and ridiculed. From the audience’s perspective, we laugh not only with the protagonists but also at them, at the ways they try to apologise within a constraining scenario. Virginia leads the scenes; she has the power and the empathy of the audience except for a few exceptions where the man* challenges the scenario and does not give up on their relationship. Then, the power relationship changes side. It is as if Nat Randall and Anna Breckon were offering us a catalogue of men* in Vienna, what does masculinity* in this city look like?
At one point, it also seems as if Pia Hierzegger’s acting talent was being put to the test. One after another, actors came to challenge and destabilise her, destabilise her and she had to keep going for 24 hours. During the finale applause and standing ovation, it felt like she was not only congratulated for playing during 24 hours but also being crowned a great actress. I could feel the pride from the audience, but maybe we were applauding ourselves for sitting along.
After several hours, a strange kind of boredom kicked in. Even though every scene was different, I felt that I was expecting the protagonists to be much more transgressive; to break the rules and the fourth wall, which was figuratively represented by the screen between the stage and the audience. I was hoping that, for once, they would improvise outside the naturalistic aesthetic they found themselves in. It felt hard to leave the room for fear of missing out, for hope of something brand new and different and hilarious in the next scene.
THE SECOND WOMAN tests the power of theatre through repetitions, props and improvisation, but also acting and attention to detail. Thanks to the multimedia setting, the screen – as big as the box in which the protagonists perform – provides a cinematic view of the performance, offering close-ups of the protagonists’ facial expressions and gestures. The people behind the cameras are also visibly part of the setting; they are always on stage and give the signal for the next scene to start. After all, it may not be Virginia who leads the scene, but the camera operators.
Hundert Männer* später – und noch immer „ned gscheid“
Marlene Wundsam
THE SECOND WOMAN ist eine Endlosschleife an sich immer wieder wiederholenden Mustern in romantischen Beziehungen, die kein Ende zu nehmen scheint. Das von den australischen Regisseurinnen Nat Randall und Anna Breckon konzipierte Stück, das im Rahmen der Wiener Festwochen mit Pia Hierzegger als Second Woman aufgeführt wird, entwickelt sich von einer zunächst belanglosen und oberflächlichen Streitszene zu einer „vielschichtigen“ Persönlichkeitsstudie. Und das bereits nach der ersten Wiederholung.
Ein Wohnzimmer in einem Glaskasten bildet den Kern des Bühnengeschehens: Zwei Sessel, ein kleiner Tisch, Weinflaschen auf einem Servierwagen, ein Regal mit einem alten Radio. Die dominierende Farbe ist Pink, so auch der leuchtende Schriftzug im Eck oben links, der „The Second Woman“ abbildet. Während zwei Kameras das Geschehen aufnehmen und live auf eine große Leinwand übertragen – diese befindet sich gleich rechts neben dem Wohnzimmerglaskasten – spielt sich in diesem Setting eine Beziehungsszene ab – und das hunderfach. Denn THE SECOND WOMAN folgt einem ungewöhnlichen Prinzip: 24 Stunden lang spielt Pia Hierzegger dieselbe zehnminütige Szene mit 100 unterschiedlichen Personen. Und als wäre das nicht schon Challenge genug, haben diese Männer, queere und nicht-binäre Menschen dabei nicht nur keine professionelle Schauspielerfahrung, sondern die Frau auch noch nie davor gesehen. Das erste Aufeinandertreffen findet also in dem eben beschriebenen Glaskasten statt, in dem die Frau mit blonder Perücke und rotem Kleid bereits auf sie wartet. Eine Person nach der anderen betritt den Raum durch eine pinke Tür, überreicht eine Fastfood-Tüte, improvisiert einen Streitgrund und beginnt einen immer gleichen und dennoch unendlich unterschiedlichen Dialog. Es wird getrunken, gestritten, geschwiegen. Nudeln fliegen, Musik setzt ein, die Szene endet mit einem gemeinsamen Tanz und der anschließenden Bitte der Frau sie nun alleine zu lassen. Zehn Minuten später beginnt alles von vorn und dreht sich um das gleiche Thema: Ein Liebesverhältnis, das zu bröckeln scheint. Doch jedesmal entsteht ein neuer Moment der Konfrontation, der sich in kleinen Gesten, Blicke und Reaktionen neu definiert.
Trotz niedriger Erwartungen an das Stück geschah nach der ersten Szene, die mich mit ihrer laienhaften Schauspielkunst eher nervte als faszinierte, geschah etwas Unerwartetes: Ich blieb. Und nicht nur das – ich wurde neugierig. Und ich wollte nicht verpassen, wer als Nächstes durch die Tür tritt. Was sich anfangs wie eine unendliche Dauerschleife aus emotionalem Kitsch anfühlt, wird zur spannenden Sozialstudie. Zusätzlich legt die andauernde Wiederholung Muster frei: Wie reagieren Männer*, wenn sie beschuldigt werden? Welche Begründungen liefern sie für ihr Verhalten? Und wie entschuldigen sie sich – wenn überhaupt?
Bald wird ein erschreckendes Fazit deutlich: Teile der Dialoge mögen zwar gescriptet sein, dennoch wurde viel Raum für Improvisation gelassen. Mit Aussagen wie „Entschuldigung, dass ich dich geschwängert habe – aber eigentlich hast du deinen Zyklus ja sonst gut im Griff.“, oder „Entschuldigung, dass ich fast handgreiflich wurde – aber du hast mich provoziert.“ werden wohl ungewollt tiefsitzende stereotypische Muster bedient. Ganz nach dem Motto „Es tut mir ja eh leid, aber du…“. Die Inszenierung wird damit zu einer vielschichtigen Studie über Macht, Intimität und Geschlechterrollen. Die immergleichen Aussagen der Frau wie „Ich bin nicht gut genug“, oder „Du findest mich nicht mehr attraktiv“ stoßen auf stereotype Komplimente. Zwischen echter Anteilnahme, leeren Komplimenten und kitschiger Übertreibung schwanken die Reaktionen. Nur selten blitzt dabei etwas auf, das wie echte Selbstreflexion wirkt.
Pia Hierzegger brilliert inmitten dieser Versuchsanordnung mit einer scheinbar mühelosen Souveränität. Sie nimmt jede neue Begegnung auf wie ein leeres Bltt, reagiert mit feiner Ironie, geduldiger Empathie oder augenzwinkernder Provokation. Besonders in der finalen Tanzszene, die den Bogen zwischen Nähe und Absurdität spannt, spielt sie mit den Erwartungen ihrer Partner*innen: Wo viele eine romantische Choreografie erwarten, kontert sie mit schrägen, absurden und komischen Tanzbewegungen, die alles andere sind als das, was man von einer „sexy Dame“ erwarten würde. Eine schauspielerische Leistung, die am Ende belohnt wird: Das Publikum jubelt.
Was wie ein absurdes Theaterexperiment klang, entpuppte sich als fesselnde Sozialstudie und intensives Theatererlebnis. THE SECOND WOMAN ist keine Liebesgeschichte, sondern eine sezierende Analyse von Geschlechterrollen, Nähe und Macht. Und gerade durch diese Wiederholung entfaltet sich eine Wirkung, die man nicht erwartet hätte: Man will immer mehr sehen. Und noch eine Szene. Und noch eine….
Kommt ein Mann in etwas, das keine Bar sein soll
Johann
Sie so – er so – er so – sie so – er so – sie so – er: dreht sich um und geht, sie: steht da, was jetzt, wieso auf einmal das, wieso auf diese Art und Weise? Wir durchlaufen, durchstolpern Szenen, bzw. Variationen des immergleichen, eine bleibt, der andere ist immer ein anderer, unfassbar einfach, verblüffend produktiv, das Lächeln, die Gestik, die transparente Absicht, das rätselhaft Unvoreingenommene, auf leichten Füßen, in elender, ewiger Einsamkeit dazwischen, Ewigkeit trägt bei leicht getragener Klavier-Polonaise zwischendurch, wenn die, die bleibt, zum x-ten Mal den Ort zurück auf Anfang setzt. Die Zeit vergeht nicht, oder doch, 24 Stunden sind ein bekanntes Maß, und doch auf einmal weiß keine mehr wie lang 24 Stunden wirklich dauern. Im Loop-Experiment mit Pia Hierzegger in der Hauptrolle fliegen mehr als doppelbödige Dialogfetzen durch den kleinen, vornehmlich pinken Raum, der von zwei Steadycams für eine Leinwand neben dem auf der Bühne aufgebauten Set live abgefilmt und vergrößert wird. Mal gibt’s Schlagabtausch, mal quälenden Nebel aus Verunsicherung, Missverständnis und totaler Desorientierung. Manche von unserem Seminar-Grüppchen bleiben, manche spazieren aus und ein, in jeder Pause wird diskutiert, nachbesprochen, was jetzt, weiter schauen, dann das Angebot: Sogar selbst mitmachen?
Ein Date mit Folgen, ein Date ohne Ergebnis, ein Gespräch ohne Sinn, ein Witz ohne wirkliche Pointe? „Nein, die Welt geht nicht unter“ war der Satz, bei dem am seltensten gelacht wurde. Doch es wurde viel, oft schallend gelacht. Über Floskeln, Rituale der guten leeren Form, die sich wie ein Blumenstrauß zwischen den comichaft ausgestellten und frisierten Leuten hin- und herreichen lässt und in diesem Bühnenkäfig immer neue Blüten treibt. Wusste man, was wirklich gemeint war? „Wie geht’s dir jetzt?“ erwidert Hierzegger auf den einleitenden, immer komplett anders ausfallenden ersten Satz ihres, ihr völlig unvertrauten, hereinspazierten und manchmal da schon aufgeschmissenen Mitstreiters. Wie ein Echo hallt dieses „jetzt?“ durch die Szenenmaschine, mit erfrischender und nie wirklich eindeutiger Naivität, als wäre wirklich ‚jetzt‘ gemeint, nicht dieser Ort, nicht dieses 24-Stunden-Event, bei dem Als-Ob-Theater zur Schablone wird, um ein paar der realsten aller menschlichen Realitäten zutage und zubilde zu fördern. Wofür auch immer man das erzählerische Material von The Second Woman halten möchte, in der Halle E des Museumsquartiers hat es… Vielschichtigkeit bewiesen;- wieder so ein Wort zwischen Virginia und dem dude, bei dem jedes Wimpernzucken und Augenglitzern das Steuer der ‚wirklichen‘ Intention in eine andere Richtung reißt, ein Segel, das viele Winde zu nutzen weiß, manchmal aber auch nur ein weiteres Stück Leere abwirft.
Die Leere dazwischen, zwischen den Szenen, zeugt von einer besonderen Arbeit, die Hierzegger hier sowohl mimetisch wie symbolisch abruft, wie auch real vollzieht, eine Arbeit des Wartens und der Bereitschaft. Eingesülzt von Klaviermusik wird die Bereitschaftsarbeit für den Dialog, den Schalk, das Entertainment, die Wahrheit, den Sinn und die Vergeblichkeit aller Dinge, gut präsentiert. Wenn ihre Hände zuerst die in jeder Szene auf dem Boden verschütteten Glasnudeln aus dem immer ekliger werdenden roten Teppichboden herausfilzen und sich dann kurz darauf wieder auf ihrem Schoß zusammenfalten, blitzt Tragik auf, Echo eines anderen Theaters, Echo aller Rollenbilder, die sich keine wirklich ausgesucht hat. Dass wir alle da sein können, um ihrem Schicksal für die Dauer eines Tages beizuwohnen, zu gaffen und zu staunen, fordert alle Beteiligten heraus. Dafür gibt es tosenden Applaus.
Love‘s Potential, Another Gesture oder: Augen auf bei der Berufswahl
Adel Ermak
Ein würfelförmiger, abgeschotteter Raum auf der Bühne grenzt den Lebensraum der Schauspielerin Pia Hierzegger für 24 Stunden ein. Dabei ist sie wie in einer Art situativem Loop gefangen: Hundert männlich gelesene oder nicht-binäre Personen, die vom Casting her keine schauspielerische Erfahrung haben sollten, ‚besuchen‘ sie innerhalb der Aufführungszeit und wiederholen immer wieder dieselbe Szene. Dabei können sie das Publikum hören, durch das abschirmende Material der Box aber nicht sehen. Beim Lesen des Ankündigungstextes auf der Homepage der Festwochen entsteht der Eindruck, als könnte dieses Konzept schnell langweilig werden, aber man wird schnell eines Besseren belehrt – das Geschehen hat Suchtpotenzial.
Der Rahmen der Szene bleibt stets unverändert: Der Mann* betritt den Raum, indem sich Hierzegger befindet, hat Asia-Nudeln dabei und es entsteht ein Gespräch. Die beiden scheinen in einer Beziehung zu sein, oder eher am Ende dieser zu stehen. „Es macht nichts, dass du mich nicht mehr attraktiv findest“, so eine der Aussagen der Frau während des skurril anmutenden gemeinsamen Verspeisens der Glasnudeln, die im Verlauf der 24 Stunden immer mehr einem trockenen Klumpen ähneln als einer schmackhaften Mahlzeit.
Während der Text der Schauspielerin genau vorgegeben ist, können die Männer* an einigen Stellen improvisieren, was immer wieder zu spannenden Situationen führt und die Grenzen der Kreativität der jeweiligen bühnenunerfahrenen Person aufzeigt. Vor allem unterscheiden sich die ausgedachten Umstände, die zu dieser Szene führen: „Es tut mir leid, dass ich gestern deine Katze überfahren habe.“; „Es tut mir leid, dass ich gestern einfach gegangen bin, du hast mich überfordert.“; „Es tut mir leid, dass ich so seltsam war, aber dein Hin und Her verwirrt mich.“
Zwischen sozialem Experiment und innovativer Theaterform können die Zuschauer*innen hier 24 Stunden rein- und rausgehen, doch die Schauspielerin bleibt auf der Bühne. Bereits nach kurzer Zeit entsteht ein Gefühl von Vertrautheit, man fühlt sich, als würde man sich frühestens nach der zweiten Szene mit der Situation auskennen: Ich kann kommen und gehen, aber sie bleibt da. Wenn ich wieder hier bin, wird sie auch noch immer da sein.
Alle zwei Stunden gibt es eine Pause – um die Menschlichkeit in dieser, alle zeitlichen Grenzen überschreitenden, Versuchsanordnung nicht ganz zu verwerfen und Hierzegger zumindest die Möglichkeit zu geben, nach den vielen Getränken die Toilette aufzusuchen und sich die Perücke richten zu lassen. Für die Zuschauenden bedeutet das, ganz klassisch, sich ein Glas Sekt im Foyer zu gönnen und in einen Austausch über das Erlebte zu treten. Wir treffen auf einen der Männer*, der vor nicht allzu langer Zeit seine Szene gespielt hat und fragen ihn, was denn die körperlichen Grenzen seien – kann man alles machen, was man will? Die Antwort: Ja. Es gibt keine Verbote, man könnte, wenn man sich traut, mit der Schauspielerin alles machen, was man möchte. Man solle sie sogar an einem Punkt im Skript küssen.
Den Kuss interpretieren die Männer* sehr unterschiedlich: Manche weichen auf ein Busserl aus, andere lassen ihn komplett weg. Nur wenige küssen die Schauspielerin tatsächlich auf den Mund. Was aber besonders überraschend ist: Es gibt keine körperlichen Grenzgänge, niemand nutzt die nicht gesetzten körperlichen Grenzen wirklich aus. Vermutlich ist das unsichtbare, aber stets zusehende Publikum doch zu reglementierend. Dennoch beobachten wir stundenlang, wie kaum jemand die Frau tatsächlich respektiert – beim Essen packen die Männer* nur eine Nudelbox aus und lassen die Frau warten: Gentlemen* sind hier eine Fehlanzeige. Da ist es nur Karma, wenn Hierzegger den Inhalt dieser Boxen nur allzu bald in ihrem Schoß, ihren Hemden, Socken, Kapuzen und Haaren landen lässt.
Obwohl die Schauspielerin sich zumeist an die vorgegebenen Sätze hält (das Publikum kann diese nach wenigen Wiederholungen ganz auswendig und könnte sicher für die Männer* einspringen) scheint sie nie die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Während die Zuschauer*innen über eine amüsierende Spielentscheidung lachen, äußert eine ältere zusehende Dame ganz aufgeregt: „Warum findet ihr es komisch, wenn eine Frau sich so erniedrigt?“, und verlässt kurz darauf den Saal. Von Erniedrigung kann jedoch nicht die Rede sein – Hierzegger spielt auf eine höchst groteske, für die Spielpartner* unfassbare Art. Sie ist nie vorhersehbar, was eigentlich gegen das Konzept der Wiederholung spricht, durch ihr talentiertes Spiel aber funktioniert. Ihr einzigartiges Spiel und ihr Durchhaltevermögen in diesem Stück, das zeigt, dass sie sicherlich den richtigen Beruf gewählt hat, seien hier besonders hervorzuheben.
Schließlich werden die Männer* entgegen ihren Erwartungen je mit einem 50€-Schein bezahlt – dabei handelt es sich um ihre tatsächliche Gage. Die Frau macht nach einer Tanzszene, die mal als höchst sinnlich, mal als slapstickartig zu beschreiben ist, ihre Grenzen klar: „Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“
24 Stunden – kürzer als gedacht!
Anja Döllinger
Die österreichische Schauspielerin und Regisseurin Pia Hierzegger nimmt bei den Wiener Festwochen eine außergewöhnliche Herausforderung an: 24 Stunden lang steht sie ununterbrochen auf der Bühne. In dem Stück The Second Woman spielt sie immer wieder dieselbe Szene – ganze 100 Mal. Doch jedes Mal agiert sie mit einem neuen, ihr völlig unbekannten Mann, einer Frau oder einer nicht binären Person.
Die Szene wird in einem gläsernen Würfel aufgeführt, der einem kleinen Wohnzimmer ähnelt. Die Wände leuchten in kräftigem Pink und verleihen dem Raum eine starke Atmosphäre. Auf der Bühne befinden sich zwei Kamerafrauen sowie mehrere Stative – sie filmen das Geschehen live mit. Die Aufnahmen werden in Echtzeit auf einen daneben aufgebauten Bildschirm übertragen, sodass das Publikum das Spiel der beiden auch in Großaufnahme verfolgen kann. Die Bildregie entscheidet dabei ebenfalls spontan.
Mittwoch, 18 Uhr. Die erste Szene beginnt. Ein Mann betritt den gläsernen Raum, und ich frage mich: Wie soll das jetzt 24 Stunden lang weitergehen? Doch plötzlich, sind fünf Stunden vergangen – und ich sitze immer noch fasziniert im Theatersaal. Wie kann das sein?
THE SECOND WOMAN lebt von Improvisation und Spontanität. Jede Szene ist anders, und doch folgt sie stets dem gleichen Muster. Pia Hierzegger begegnet ihren Spielpartnern* – die sie vorher nie gesehen hat – mit einer Mischung aus Entschlossenheit und feinem Gespür. Selbst in Momenten der Erniedrigung bewahrt sie Haltung. Sie spricht stets denselben Text und beobachtet, wie die Männer* reagieren. Auch diese haben eine Vorlage, doch oft weichen sie davon ab. Am Ende jeder Situation wird ihnen ein 50-Euro-Schein ‚angeboten‘. Es ist überraschend, zu sehen, wer das Geld annimmt – und wer nicht. Schließlich dürfen sie wählen: Ich liebe dich oder Ich habe dich noch nie geliebt. Gerade nach der skurrilen, leicht unbequemen, aber witzigen Tanzszene zeigt sich das fragile Ego mancher Männer* besonders deutlich. Da wird der Geldschein plötzlich aus der Hand gerissen, der Tonfall schärfer, manchmal sogar die Tür versehentlich gerammt. So hatten sich manche ihre „five seconds of fame“ vermutlich nicht vorgestellt.
Doch es gibt auch äußerst schöne und herzerwärmende Begegnungen voller Humor und Wiener Schmäh, die lange im Gedächtnis bleiben. Wenn sich die Spielpartner* wirklich auf Pia Hierzeggers überraschende Art und Weise einlassen, entsteht ein charmanter Moment. Besonders lustig ist die Situatio mit den Glasnudeln die so spielerisch von Pia Hierzegger gelöst wird. Als Zuschauer*in möchte man gar nicht aufhören hinzusehen. Was wird die nächste Person tun? Donnerstag, 18 Uhr, endet das 24 Stunden Stück – der Theatersaal ist voll und es gibt Standing Ovations.
Besonders hervorheben möchte ich die technische Leistung dieses Projekts. Kameraführung, Ton, Licht und Livestream funktionieren einwandfrei. Großer Respekt an das gesamte Team hinter den Kulissen – ihre Arbeit trägt das Stück mit. Man kann nur hoffen, dass diese Leistung auch fair bezahlt wird. Alles andere würde dem ansonsten so kraftvollen Format einen unangenehmen Beigeschmack verleihen.
Während ich die Szenen von THE SECOND WOMAN verfolge, fühle ich mich plötzlich an etwas sehr Alltägliches erinnert: Dating. Fast wirkt es wie ein neues Speed Dating-Format, bei dem man als Außenstehende*r beobachten kann, was sonst nur hinter verschlossenen Türen passiert. Wer wirkt sympathisch? Wer wirkt bedrohlich, unangenehm, charmant? Wer schafft es, sich auf die andere Person einzulassen – und wer verliert die Fassung? Es stellt sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit dar. Wenn selbst in dieser kontrollierten, aber offenen Begegnung so oft das Ego, die Unsicherheit oder Machtspiele überwiegen – was sagt das über das echte Daten aus? Vielleicht ist das Stück deshalb so faszinierend. Es offenbart nicht nur das Verhalten anderer, sondern weckt auch Zweifel an der eigenen Sehnsucht nach Nähe. Und an der Hoffnung, dass es da draußen wirklich jemanden gibt, mit dem es einfach… passt.
THE SECOND WOMAND – Statusmeldungen
Marie Josephin Handlechner
18:02 Wir gehen die Stiegen hoch. Ich bin aufgeregt.
18:08 Wir sitzen aufgereiht. Links von mir sagt wer: ist bisschen wie Flixbus fahren.
18:12 Meine grad noch sehr penetrante Müdigkeit ist erstmal vergangen.
18:13 Der erste Mann betritt die Bühne. Er trägt eine blaue Adidas Jacke.
18:14 Warum spielen die so komisch?
18:14 Warum schaut die Hierzegger so?
18:21 Der erste Mann geht wieder und Hierzegger räumt die Nudeln weg. Dominik: „Auweh, räumt die jetzt 24 Stunden lang Nudeln weg?“
18:23 Wir ziehen uns die Schuhe aus.
18:25 Wollt eigentlich schreiben wie die Sargnagel, ein bisschen cool und flapsig. Grad bin ich aber viel zu sehr aufgeregt, viel zu sehr Marie Mädchen, viel zu glücklich.
18:32 Der zweite Mann geht wieder.
18:33 Amba erklärt, dass die Männer Laiendarsteller sind.
18:33 Bei dem Referat hab ich wohl nicht gut zugehört.
18:35 Ich war Teil der Referatsgruppe. Hoppla.
18:39 Der dritte Mann küsst Pia Hierzegger auf den Mund. Pia ext das Glas. Das Publikum lacht.
19:03 Milo Rau kommt auf die Bühne.
19:09 Auch Milo Rau bekommt keinen Szenen Applaus. Zum Glück.
19:10 Amba und ich diskutieren die Milo-Rau-Bumsbarkeit.
19:21 Grad hat der sechste Mann Pia hochgehoben und wär fast mit ihr durch die Wohnzimmerwand gefallen. Stell sich einer vor, der sechste von hundert Männern und die Bühne hin.
19:24 Pias Müll wird immer voller, die Flaschen immer leerer. Mein linker Fuß schläft entspannt in meinem Schneidersitz.
19:50 Pia bist du schon betrunken? Der Mann acht ist total traurig. Und lieb. Ich fühl mich auch schon ein bisschen betrunken.
20:10 Ich wechsle zum ersten Mal meine Menstruationstasse. Die blutverschmierten Hände passen zu den Toilettenwänden. Beim Händewaschen sieht mich keiner und meiner Scham bleibt ihre Chance verwehrt.
20:15 Hallo Pia, da bist du ja wieder.
20:16 Schuhe aus. Die Reihe vor mir ist frei. Tom und Mathie bewegen die Finger zur Klaviermusik.
20:18 Wo sind die ganzen Leute hin, haben die keine Fear of missing out?
20:22 Mann neun nimmt als erster den 50€-Schein nicht an.
20:23 Mathie sagt, man hört, dass neue Leute im Publikum sind, weil die Nudeln waren nicht lustig und die Leute haben trotzdem gelacht.
20:30 Die Hierzegger hat einfach so ein geil trockenes, nüchternes Gesicht.
20:35 Brot mit Hummus Snackpause.
20:42 Im Spar hat Tom mir noch fleißig erklärt, er glaube nicht an Energydrinks. Jetzt scheint ihm aber meine Mate doch ganz schön zu schmecken.
20:44 Beim 11. Mann wird zum ersten Mal geklatscht.
20:45 Ich hab das Gefühl Pia wird immer betrunkener.
20:46 Die Reihe vor mir hat sich wieder gefüllt. Schade um die Fußauflagefläche.
20:51 Mann 11 putz den Sessel und die Leute klatschen.
20:54 Mann 11 geht und die Leute klatschen.
20:55 Können die bitte wieder aufhören zu klatschen.
20:58 Die Männer beginnen mir auf den Sack zu gehen.
21:02 Dass Pia nicht aus ihren Worten kommt gibt mir Beklemmungsgefühle. Irgendwann muss sie doch schreien.
21:23 Die Szene steht und fällt für mich damit, ob der Typ sympathisch ist.
21:25 Der aktuelle Typ ist mir leider mäßig sympathisch.
21:27 Leider sind mir die meisten Typen mäßig sympathisch.
21:32 Das gute ist, dass zehn Minuten echt schnell vorbei gehen.
21:33 Er glaubt er hat sie geliebt. Pathetisches Gesicht.
21:33 Ich glaub du musst die Fresse halten.
21:37 Mann 15: „Tut mir leid, dass ich dich angeschrien hab. Du hast mich verletzt.“
21:37 Bitte halt die Fresse Mann.
21:38 Ich muss wieder netter sein zu den Männern, die können ja auch nur bedingt viel dafür, dass sie mir auf den Sack gehen.
21:41 Mich ekelt dieses immer wieder auftauchende eine Frau, hundert Männer Ding ziemlich an.
21:51 Ich fang an die Männer Body zu shamen.
22:16 Mein Gehirn ist fritiert.
22:20 Ich mach eine Schreibpause und versuch einen kleinen Nap.
22:38 Mann 17 hat Downsyndrom. Und wir lachen über seine erfrischende Art. Dann fragen wir uns, ob das okay ist, Downsyndrom zur Unterhaltung, oder obs noch blöder wär, Menschen mit Downsyndrom auszuschließen und nicht mitmachen zu lassen. Der Mann vor uns, kennt den Mann mit Downsyndrom, erzählt er würde gerne und viel Theaterspielen und das wir nicht unterschätzen sollten, wie selbstbestimmt diese Menschen leben.
22:58 Ich kann nicht schlafen.
Irgendwann nach null Uhr komme ich in einen meditativen Zustand.
Kurz vor 01:00 wechsle ich zum zweiten Mal meine Menstruationstasse.
Mein Versuch vielleicht ja wirklich 24 Stunden bleiben zu können scheitert nach acht Stunden, um zwei Uhr.
Ich träum davon, dass der Versuch 24 Stunden zu bleiben, vielleicht genauso toxisch männlich ist, wie die Männlichkeit die auf der Bühne zur Schau gestellt wird.
Beim Aufwachen bin ich überrascht von meinen wirklich sehr intellektuellen Schlafgedanken. Dann fällt mir wieder ein, dass Tom diese These schon gestern aufgestellt hat.
13:30 Pünktlich zurück im Museumsquartier.
14:02 Pia kommt auf die Bühne
14:18 Johann erzählt, dass ihnen die Männer abgesprungen sind und sie dringend Leute suchen.
14:20 Wir versuchen Tom und Johann zu überreden mitzumachen.
14:25 Immer wieder halt ich diesen ganzen Akt des Ausstellens schwer aus. Menschen ausstellen die wenig bis keine Theatererfahrung haben. Pia ausstellen beim 24 Stunden lang spielen. Dass sich alle diese Leute freiwillig dazu entschieden haben, ändert an meinem momentanen Gefühl nichts. Ich sitze da im Publikum und gaffe mit 300 anderen und mir wird schlecht dabei.
15:24 Ein bisschen pseudointellektuelle Nerd-Looser sind wir schon auch. Wer sitzt denn freiwillig 10 Stunden in einem Theaterstück und lacht dann auch noch.
15:50 Ich wünsch mir, dass die jetzt dann mal Schmusen beim Tanzen.
15:56 Ein Mann singt Abba. „I dont wonna talk…“
15:56 Ich liebe Abba! Ich liebe Mamma Mia!
16:44 Josef Hader sitzt schräg vor mir und bestaunt Pia mit gefalteten Händen. 16:46 Ich kann mittlerweile richtig gut schreiben ohne Hinschauen. Hab aber trotz allen schreiben-ohne-hinschauen-Skills Angst, dass mein Protokoll dem Stück und Pia nicht gerecht wird. Hab Angst meine Kritik wird nicht gut genug. Dabei wollte ich doch nie was anderes sein als gut genug.
16:51 Pia versucht einem Mann seine Hose runterzuziehen.
16:52 Hader lacht. Hader klatscht.
16:56 Immer mehr Männer nehmen die € 50,- nicht an.
16:58 Hab den Stöpsle von meinem Stift irgendwo in Halle E verloren.
16:59 Pia hat vor langer Zeit aufgehört die Nudeln quer durchs Wohnzimmer zu schmeißen. Sie war das Aufräumen wohl leid.
17:00 Erzählt sich dieses Stück nach 23 Stunden nochmal ganz neu?
17:08 Und jedes Mal wieder richtet Pia die Gläser her, damit sie für den nächsten Mann bereitstehen. Da wird mir wieder ein bissal schlecht.
17:11 Pia macht Melodram. Ich finds sehr witzig.
17:12 Der Mann vom Melodram macht Soap Opera und Pia tanzt auf dem Sessel.
17:26 Pia hat eine blonde Dreadlock im Mund. Cultural Appropriation bei den Wiener Festwochen?
17:41 Wir werden langsam aber doch zum dreiteiligen, sich selbst vermehrenden Plüschtier von Satoko Ichiharas Kitty vom Vortag. Oder Vor-Vortag.
18:03 Zehn Minuten Standing Ovation für 24 Stunden Pia Hierzegger. Ich hab bisschen Tränen in den Augen. Vielleicht vom vielen Schauen. Vielleicht weil Pia so müde ausschaut. Vielleicht weil ich sehr froh bin, dass es endlich vorbei ist.
Aber viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht. Um 18:20 komm ich aus der Halle E. Um 19:00 beginnt DI/STRAUSS TECHNIQUE im Odeon Theater. Weiter geht’s….
LADY IN RED
Merle Proll
I’ve never seen you looking so lovely as you did tonight
I’ve never seen you shine so bright, mhm-hmm
I’ve never seen so many men ask you if you wanted to dance
They’re looking for a little romance, given half a chance
And I have never seen that dress you’re wearing
Or the highlights in your hair that catch your eyes
I have been blind
The lady in red
Is dancing with me, cheek to cheek
There’s nobody here, it’s just you and me
It’s where I want to be
But I hardly know this beauty by my side
I’ll never forget the way you look tonight
I’ve never seen you looking so gorgeous as you did tonight
I’ve never seen you shine so bright, you were amazing
I’ve never seen so many people want to be there by your side
And when you turned to me and smiled, you took my breath away
I have never had such a feeling
Such a feeling of complete and utter love, as I do tonight
Lady in red
Is dancing with me, cheek to cheek
There’s nobody here, it’s just you and me
It’s where I want to be
But I hardly know this beauty by my side
I’ll never forget the way you look tonight
I never will forget the way you look tonight
The lady in red, the lady in red
The lady in red, my lady in red
I love you
Quelle: LyricFind
Songwriter: Chris De Burgh
Songtext von The Lady in Red © BMG Rights Management
Pia Hierzegger ist die Lady in red für ganze 24 Stunden am Stück. In einem Guckkasten mit Twinpeaks Ästhetik wartet sie auf 100 verschiede Besucher*, um mit ihnen immer und immer wieder die selbe Szene mit dem selben Dialog zu spielen. Während die Männer textliche Lücken zur Improvisation haben, bleibt sie strikt beim Text, Wort für Wort. Die Schwierigkeit liegt dabei, die Variation in Tempo, Betonung und Körper zu finden – was allerdings zeigt, wie die selben Worte in anderer Art woanders platziert etwas sehr anderes bedeuten können. Obwohl Hirzeggers Figur (Virgina) insgesamt weniger Text hat, wird deutlich, dass sie trotzdem das Zepter der Szenerie in der Hand behält – schon daher kommend, dass sie den Amateuren als professionelle Schauspielerin spielerisch klar überlegen ist. Damit stellt sich heraus; der Mann ist in diesem Setting unwissend dazu verdammt, den Verlierer darzustellen. Mit der Zeit wird Hirzegger provokativer, beobachtbar auch im Spiel mit Nähe und Distanz. Der eine oder andere kommt mal mehr mal weniger gut weg, trotzdem lässt sie die Besucher* zwangsläufig in ihrer „Männlichkeit“ trocken auflaufen, wirkt im Setting bereits gesetzt. Indem sie am Ende die Männer auffordert zu gehen und ihnen € 50,- hinhält, behält sie immer ihren Status als Oberhand und kommt mit einer Selbstermächtigung aus der Szene hinaus.
Die Spannung entsteht in den Zwischenräumen der Szenen, wo die weibliche Figur auf allen Vieren kriecht und die einzelnen Nudeln vom Boden einsammelt, um den Raum dem Nächsten in einer Sauberkeit präsentieren zu können. Der Frau wird dann erst Aufmerksamkeit geschenkt, wenn der Mann auftritt. Während sie putzt und das alte entfernt, um Platz für das Neue zu machen, unterhält sich das Publikum, mit der Zeit lauter werdend entwickelt sich eine Selbstverständlichkeit ihrer Bühnenpräsenz. Ob und wer in welcher Weise wie auch immer erniedrigt wird verschwimmt und ist nicht klar zu definieren, was es interessant werden lässt.
Alles ist so gesehen immer gleich, nur eben anders. Es wiederholt sich, kann aber unmöglich immer das selbe sein. Damit wird die Qualität des Theaters in Zeitraffer dargestellt und seine Einzigartigkeit der Momentes, seine Unmittelbarkeit betont. Es lässt sich beobachten, wie eine Sucht entsteht im Raum zu bleiben. Dazu trägt auch die Kürze der Szenen bei, die etwa 10 Minuten dauern. Ähnlich wie bei TikTok oder Dating Apps geht es um den kurzen Reiz der mit der Ungewissheit des Folgenden und Angst etwas zu verpassen, das vielleicht besser ist, als das Vorherige, arbeitet. Mit voranschreiten des Abends erfährt man einen Zustand der Meditation, die ich aus der Situation der Sicherheit durch Allbekanntes herleite, was einen Zufriedenheits- und Wohlfühlcharacter mit sich bringt.
So geht es im Stück eben auch um das Austesten von körperlichen Grenzen von spielender Figur und Publikum. Auf die Frage warum lässt sich nur die Antwort warum nicht finden – das ist Kunst, eine extreme Form davon und das zieht die Menschen an. Man könnte sagen, es nehme masochistische Züge an: die Spürbarkeit der eigenen körperlichen Grenze und Sichbarkeit bei anderen zu sehen, schwappt die Art von Leiden in eine lustvolle Euphorie. Die Freude am Leiden durch Kunst oder der Kunst wegen wird zur kollektiven Erfahrung lässt den Gedanken der Verbindung gegen die Außenwelt zu. Die parallele Medialität von Theater und Film – die Szene wird live von Kameras begleitet – erschafft eine Gleichzeitigkeit von Nähe, durch Nahaufnahmen und Sichtbarmachung von Details, und Distanz in Form des Guckkastens.
Das macht es möglich sich in Sicherheit wiegend wissend mitzufühlen. Ein durch und durch gelungenes Konzept der australischen Theatermacherinnen Nat Randall und Anna Breckon.