Un/Sichtbarkeiten und Verstrickungen von KI, Klima und Verantwortung
von NEZKTWINS
Die Klimakrise stellt uns vor neue Herausforderungen. [1] Das neue Medium KI, so wird uns versprochen, ist diesen Herausforderungen bereits gewachsen – oder sollte es auf jeden Fall bald werden. [2] Im Rahmen des Seminars „Reset und Refresh: Digitale Medientheorie der/zur Erneuerung“ haben wir uns mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigt und untersucht, wie diskursive Zuschreibungen, Lernfähigkeit und stete Weiterentwicklung zu der Annahme führen, dass KI eine Technik des Fortschritts ist, die heutige Probleme in der Zukunft lösen können wird. [3] Doch was genau ist das Neue an KI? Und was sind vermeintlich strukturelle Mechanismen der epistemischen Gewalt, die durch das Verhältnis von KI und Klima aufrechterhalten werden und letztendlich zur Klimakrise beitragen? [4]
Wie kann KI vor dem Hintergrund der Klimakrise gleichzeitig Verantwortung herstellen und dazu beitragen, sich eben dieser zu entziehen? Diese Frage wollen wir an der Metapher der Wolke abarbeiten, wie sie von der Organisation Forensic Architecture in ihrem Videoprojekt ,Cloud Studies‘ [5] verwendet wird. Zu ihrer Sammlung von Investigationen zu Menschenrechtsverletzungen und Fällen der environmental violence, in denen meist toxische, unsichtbare Gase verwendet wurden, schreiben sie auf ihrer Webseite:
Clouds are always double. Seen from the outside they are measurable objects, seen from within they are experiential conditions of optical blur and atmospheric obscurity. Today’s clouds are both environmental and political. [6]
Das Bild der unsichtbaren, aber gewaltvollen Wolke kommt uns für unser Anliegen, die Verstrickung von Verantwortung(en), KI und Klima sichtbar zu machen, aufgrund der mehrzähligen Auslegemöglichkeiten, gelegen. Im Folgenden wollen wir den Fokus auf ein bestimmtes Medium legen, nämlich die Wetterprognosen-Simulation, um daran unsere Auslegungen zu skizzieren. [7] Zu sehen sind in den Prognosen die Wolkenbewegungen wortwörtlich von außen, nämlich außerhalb des Orbits. Wie korrelieren diese Bilder mit der Klimakrise? In dieser Interpretation ist die Klimakrise selbst eine gewaltvolle Wolke, der man sich nicht entziehen kann und die uns durch unsere verkörperte Position auf der Erde und ihren opaken, unerfassbaren Charakter gleichzeitig eine vollständige Wahrnehmung des Hyperobjects Klimakrise verhindert. [8]
Man sagt, man kann nur Wetter wahrnehmen, nicht das Klima. Wie wird das Klima also zum ,measurable object‘ und welche Rolle spielt dabei KI? Durch ,smarte‘ Datenerhebung kann KI Prognosen berechnen und die Zukunft ,more managable‘ machen. [9] KI-Prognosen funktionieren nach der Logik eines Experiments, auch wenn sie die perfekte Simulation verfehlen, bilden sie in der Reihung von Experimenten eine natürliche Lernkurve. [10] Ungenauigkeiten in der Simulation sind also kein Argument gegen KI, sondern werden lediglich zum Ausdruck einer unzureichenden Datenlage, die durch eine erhöhte Datenerhebung verringert werden kann. [11] In dieser Logik kommt es zu einem nie endenden Ablauf von Experimenten, der niemals der Komplexität eines Hyperobjects wie der Klimakrise gerecht werden kann und immerfort eine gesteigerte ‚Smartnessisierung‘ legitimiert. [12]
Die Frage der Verantwortung zum Klimawandel ist stark an die genutzten Techniken gebunden, die auf die eine oder andere Weise den Klimawandel (neu) sichtbar und somit erfahrbar machen. Verantwortung, so argumentieren wir an dieser Stelle, kann nur über eine Sichtbarmachung hergestellt werden. [13] KI kann die Wolken des Klimawandels und den Klimawandel selbst, neu und scheinbar immer besser sichtbar machen.
Mit Earth-2 hat NVIDIA, einer der führenden Hersteller im Bereich Grafikprozessoren und KI-Chips [14], einen interaktiven „digitalen Zwilling“ der Erde geschaffen. Als Kombination aus KI, physischen Simulationen und Computergrafiken soll das Projekt Wetter- und Klimaprozesse visuell greifbar und vorhersehbar machen – und das natürlich schneller, genauer und effizienter als je zuvor. Zufolge eines KI-generierten Avatars des CEOs der Firma, Jensen Huang, welcher in einem Werbevideo zum Projekt das Wort ergreift, sollen in naher Zukunft nicht nur hochauflösende globale, sondern auch auf den Meter genaue hyperlokale Wettervorhersagen möglich sein. Sichtbarkeit par excellence – so lautet das Ziel von Earth-2. [15] Was bleibt da dann noch unsichtbar? Mit dem Versuch, eine bessere Anpassung an die Effekte des Klimawandels (an ein Verhindern der Klimakrise wird dabei natürlich nicht mehr gedacht) zu ermöglichen [16], scheint das Projekt jedoch einen relevanten Faktor auszuklammern: sich selbst.
„300 flights between New York and San Francisco” [17] – eine vergleichbare Menge an Emissionen produzieren Natural Language Processing Algorithmen (NLPs) während ihrer Trainingsphase. [18] Ausgestoßene Treibhausgase bilden jedoch lediglich einen Teilbereich der ökologischen Kosten von KI ab. Das Abbauen, Transportieren und Produzieren der benötigten Hardware-Komponenten sowie die end of life-Phase der Einzelteile müssen dabei ebenfalls miteinbezogen werden. [19] Und natürlich sind es nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch „water footprint, human toxicity or abiotic resource deplention (ADP)“ [20], die eine Rolle in der Gesamtbilanz spielen. Nachfrage und Angebot von KI-gestützten Tools scheinen derzeit fast exponentiell zu steigen – und mit ihnen auch der Bau von Datenzentren, der Stromverbrauch, und die Wassermengen, die benötigt werden, um KI-Systeme zu betreiben und zu kühlen. Während es kein Geheimnis zu sein scheint, dass die Nutzung Künstlicher Intelligenz den Ressourcenverbrauch in neue Höhen ansteigen lässt, bleiben die genauen Zahlen zu den oben genannten Faktoren unbekannt [21] – trotz ausführlicher sustainability reports von Unternehmen wie NVIDIA [22].
Die strategische Ausstellung des unternehmensinternen Umgangs mit Umweltthemen, der dabei gleichzeitig die Profitabilität und das Wachstum des Unternehmens, insbesondere gegenüber Investoren, begünstigen soll [23], ist definitiv keine neue Praxis. In seiner Extremform als „greenwashing“ [24] bezeichnet, fördert corporate environmentalism die Aufrechterhaltung von systematischer sozialer, ökonomischer und ökologischer Diskriminierung, mit dem homo economicus im Zentrum [25] – einer von ihrer sozialen und ökologischen Umwelt entkoppelten Figur, die ausschließlich in binären Werten, marktlogischen Zahlen und steriler Objektivität zu denken scheint.
„Das Wissen, dass die Cloud gar keine ist, sondern auf Materie und Energieverbrauch beruht“ [26] bringt die metaphorische Wolke wieder auf den mit Erde bedeckten Boden der Tatsachen zurück. Die Darstellung von Künstlicher Intelligenz als eine immaterielle, posthumane Entität geht vor dem Hintergrund dieser Fakten auch nicht mehr auf. Trotzdem bleibt die Selbstverortung der KI (sowie auch die der zahlreichen Unternehmen, die sie entwickeln) ein hochgelegener Punkt in der Troposphäre, eine diffuse, opake Wolke von scheinbarer Objektivität, die die eigene Mittäterschaft am Klimawandel gekonnt verdeckt und übersieht. Und trotzdem lässt sich letzten Endes eine Frage nicht umgehen, wenn man sich mit der von Earth-2 simulierten klimakatastrophalen Zukunft auseinandersetzt: Wer trägt dafür dann die Verantwortung? Auch diese Antwort scheint in den Wolken zu stehen.
Wir argumentieren, dass die Metapher der unsichtbaren schädlichen Wolke aus ‚Cloud Studies‘ auf die strukturelle unsichtbare (epistemische) Gewalt des Mediums KI übertragbar ist. Im Weiteren fassen wir zusammen, dass die Sichtbarmachung der unsichtbaren epistemischen Gewalt notwendig ist, um die diskursiven Fantasien des unaufhaltsamen und stetigen Fortschritts zu hinterfragen und tatsächliche alternative Lösungsvorschläge an die Klimakrise heranzutragen. Wir plädieren also für an eine geupdatete Version der ‚Cloud Studies‘, die das Medium KI selbst nicht nur als Technik des Sichtbarmachens nutzt, sondern es ebenfalls reflexiv als (im)materielles Medium unter die Lupe nimmt, dass durch strukturelle epistemische Gewalt zum Klimawandel beiträgt und die eigene Verantwortung systematisch unsichtbar macht.
Referenzen und Anmerkungen
[1] Vgl. Michael Richardson, „Witnessing the Anthropocene. Affect and the problem of scale“, Parallax 26/3 2020,https://doi.org/10.1080/13534645.2021.1883298, 14.06.2025, S. 339–359, hier S. 340. „Catastrophic climate change, the thing itself, escapes representation to such an extent that it might even be said to put representation itself into a state of crisis as it fails before the challenge of securing the very future of the human.“.
[2] Vgl. Orit Halpern/Robert Mitchell, The Smartness Mandate, Cambridge Mass/London: The MIT Press, 2022, Prologue S. XI.
[3] Vgl. ebd. S. 17.
[4] Vgl. Oliver Leistert, „Notizen zum KI-Klima“, Künstliche Intelligenz im Diskurs: Interdisziplinäre Perspektiven zur Gegenwart und Zukunft von AI-Anwendungen, hg. v. Theo Hug/Petra Missomelius/Heike Ortner, Innsbruck: UP 2024, S. 117–129, hier S. 126.
[5] „Cloud Studies“, R.:Forensic Architecture, forensic-architecture.org, 29.05.2020, https://forensic-architecture.org/investigation/cloudstudies, 13.06.2025.
[6] Ebd. 14.06.2025.
[7] Oliver Leistert schreibt in „Notizen zum KI-Klima“: „Es ist unbestritten, dass KI diverse Prozesse positiv unterstützen kann, wie z.B. ,Wetterprognosen.‘ Im Folgenden sollen die Verstrickungen von KI, Klimawandel und Verantwortung verhandelt werden.“ A. a. O., hier S. 123.
[8] Vgl. Michael Richardson, schreibt in „Witnessing the Anthropocene.“: „It is both local and planetary in scale, both immediate and prolonged in temporality. As a result, our understanding is only ever partial. This is what Timothy Morton means when he calls global warming a hyperobject.“ A. a. O., hier S. 340.
[9] Vgl. Halpern/Mitchell, „The Smartness Mandate“, S. 17.
[10] Vgl. ebd. S. 19.
[11] Vgl. ebd. S. 14.
[12] Vgl. ebd.
[13] Vgl. Richardson, „Witnessing the Anthropocene.“, S. 340. „This question of witnessing [climate change] is crucial because witnessing forges agreed upon knowledge and demands response. To bear witness is to be placed under an injunction to act, even if action proves impossible. As John Durham Peters argues in an oft-cited article, ‚to witness an event is to be responsible in some way to it‘“.
[14] Vgl. Leistert, „Notizen zum KI-Klima“, S. 120.
[15] „Earth-2 Goes Down to Street Level“, R.: NVIDIA, youtube.com, 03.06.2024, https://www.youtube.com/watch?v=ALigJ5xguMw, 13.06.2025.
[16] Vgl. Leistert, „Notizen zum KI-Klima“, S. 119.
[17] Anne-Laure Ligozat/Julien Lefevre/Aurélie Bugeau/ Jacques Combaz, „Unraveling the Hidden Environmental Impacts of AI Solutions for Environment Life Cycle Assessment of AI Solutions“, sustainability 14/5172, 2022, S. 1–14, S. 2.
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. ebd. S. 3.
[20] Vgl. ebd. S. 5.
[21] Vgl. Leistert, „Notizen zum KI-Klima“, S. 121f.
[22] NVIDIA, NVIDIA Sustainability Report Fiscal Year 2024, https://images.nvidia.com/aem-dam/Solutions/documents/FY2024-NVIDIA-Corporate-Sustainability-Report.pdf, 15.06.2025.
[23] Vgl. Mary Phillips, „Daring to Care. Challenging Corporate Environmentalism“, J Bus Ethics 156, 2022, S. 1151–1164, hier S. 1152.
[24] Vgl. ebd. S. 1153.
[25] Vgl. ebd. S. 1152.
[26] Leistert, „Notizen zum KI-Klima“, S. 122.