Swan Song

Regie: Buhle Ngaba, Theater Nestroyhof Hamakom, 20. Mai 2022

Swan Song © Shaun Oelf
Die Gefahren der Emotionen (E.R.)

Swang Song war ein intensives Theaterstück und wurde genossen bis zur letzten Sekunde. Es beschäftigt die Gedanken des Publikums noch nach mehreren Stunden nach dem Ende der Aufführung. Emotionale Explosion in 55 min Spielzeit … nachdenkliche Gedankengänge, Hinterfragung jegliche Art des Lebens, Verluste und Trauer. Was widerfährt dem Menschen alles zu seiner Lebenszeit? So viel Trauer und dann, der Tod!

In der Aufführung wurde die Selbstreflexion, die Beziehung zum eigenen Körper, Hass und Liebe zugleich, sowie Makel und Schönheiten angesprochen. Die Suche nach dem Perfektionismus am eigenen Ich. Viel zu oft wird übersehen, dass Imperfektion die Perfektion beschafft.

Durch den Spiegel und das Auftragen des Lippenstifts wurde das Streben nach dem perfekten Eigenbild dargestellt. Hierbei war wichtig zu beobachten, dass das Publikum indirekt miteinbezogen wurde: Durch die Kehrwende des Spiegels wurde die Lichtreflexion auf das Publikum übertragen. Mit jeder Bewegung des Spiegels in der Hand warf Buhle Ngaba die Selbstreflexion ins Publikum. Dabei kamen Erkenntnis auf und man ertappte sich selbst. 

„Ich? „WAS ICH?“ – Wie wurde mein „Ich“ ins Stück hineingezogen, und ab welchem Zeitpunkt haben die eigenen Erlebnisse und die damit verbundenen Emotionen eine Gewichtung und Reflexion bekommen? Inwiefern werden dieselben Erfahrungen, Erkenntnisse und Emotionen mit der Darstellerin geteilt?

Des Weiteren wurde eine gescheiterte Beziehung in den Vordergrund gesetzt. Hierbei wurde Ngaba, aufgrund einer „Deformierung“ an ihrem Rücken, von ihrem Partner zu einer Operation überredet. Dieser verließ sie jedoch nach dem erfolgreichen Eingriff. Ngaba wurde verletzt zurückgelassen und zugleich ihrer Identität beraubt. Die Einsamkeit im Leben und die Last, der gesellschaftlichen Schönheitsnorm zu entsprechen, zerrissen sie. Die Abkapslung und der komplette Rückzug aus dem Leben fangen an. Die Reue der Operation und die Unzufriedenheit nehmen zu.

Durch all diese Niederschläge, Kummer und Ausgrenzung des Andersseins wird das erste Mal der Hilfeschrei nach der Mutterfigur als Beschützerin und die bedingungslose Liebe zum Kind ersucht. Aber auch das Auffangen durch die Mutterfigur traf nicht ein.

Letztendlich sieht sie den Tod als Erlösung.

Grundsätzlich war das Stück sehr gut befüllt und hat stark zum Nachdenken angeregt. Durch das einfache Bühnenbild und das Spiel mit dem Licht war die Handlung gut strukturiert. Die begleitende Musik im Hintergrund brachte Spannung hinein. Dadurch kam der rote Faden zur Geltung. Der Schwan als Metapher spiegelt die Gesellschaft wider. Durch den genetischen Fehler der Darstellerin und ihren Versuch, diesen geheim zu halten, konnte man auf den Schein des Menschen und die Verheimlichung der inneren Probleme deuten. In Gedanken vertieft und in Selbstreflexion versunken habe ich den Abend beendet. 


What is a swan without wings? (Katharina Langels)

Was tun, wenn dir genommen wird, was dich ausmacht? Wer bist du dann?
In ihrem Stück Swan Song erforscht Buhle Ngaba den Blick der anderen, das Gefühl von otherness und Identitätsverlust. Im Theater Hamakom am Nestroyplatz heißt Ngaba ihr Publikum willkommen. Bereits während des Einlasses steht sie auf der Bühne. In kurze, sportliche Klamotten gekleidet bewegt sie sich schlurfend durch den Bühnenraum, sie wirkt verloren, fast schon untersetzt. An einem Stuhl hängen weiße Flügel – die Schwanenflügel – die der Geschichte, die sie erzählen wird, den Ausgang geben. In ihrer Performance, die ein von Musik, Geräuschen, Lichtspielen und Bewegung untermalter Monolog ist, zeichnet Ngaba auf kreative und verdrehte Weise ihre scheinbar eigene Geschichte nach. Das Publikum ist stiller Begleiter*in und Zuhörer*in, während sie sich auf eine Selbstfindungsreise begibt. Es ist ein märchenhaftes Coming of age.

Mit einer Genmutation geboren, die ihren Schulterblättern schwanen- und engelhafte Flügel verleihen, blickt Ngaba auf sich selbst und darauf, wie andere sie wahrnehmen. Sie erzählt von der Unsicherheit, die ihr eigener Körper bei ihr ausgelöst hat, und von der Scham, die sie bei der Betrachtung ihres eigenen Körpers und der der anderen empfunden hat. Eingeschränkt in ihren Bewegungen und in ihrem Kulturkreis in Südafrika, sieht sie sich Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt, denen sie versucht zu entfliehen. Auf lebhafte sowie humorvolle Weise inszeniert Ngaba ihre Geschichte. Mit ausladenden Bewegungen untermalt sie ihre Erzählungen, in denen sie ernsthafte Themen anspricht, wie den Blick, den Ausländer*innen auf Afrika haben und wie sie das Kind eines weißen Vaters ist, den sie nie kennengelernt hat. Auf Englisch und Setswana springt sie spielerisch zwischen den zwei Sprachen hin und her und untermalt auch damit ihren inneren Kampf auf der Suche nach sich selbst. Es wird nicht klar, was Fakt und was Fiktion ist, allerdings ist es auch nicht notwendig dies zu wissen. Ngaba lädt zu ihrer persönlichen Reise ein und teilt ihre Gefühle sowie ihren Blick auf sich selbst. Das erste Mal Verliebtsein, das ist aufregend, aber auch durch Gefühle der Unterwerfung und Verleumdung des eigenen Selbst gefährlich. Und so kann sie die Flügel nicht ablegen oder verbergen. Anhand der Flügel zeichnet sie nach, welchen Einfluss die scheinbar beiläufigen Kommentare der anderen auf eine Person haben können. Worte können verletzend sein und führen schließlich zu Narben.

Ngaba stellt die Frage, welche Auswirkungen der Identitätsverlust haben kann. Welche Bedeutung hat Selbstakzeptanz und wie erreicht man diese? Und wenn man sich verloren hat, wie findet man sich wieder? Der Schwan wird zum Symbol der Verwandlung, zur Inspirationsquelle und zum „Spirit-Animal“. Das Ende des Stücks scheint uneindeutig zu sein und lässt verschiedene Lesarten zu. Verlorener Kampf oder Selbstermächtigung und Zurückeroberung?
Und so ist der stärkste Satz des Abends: „Ich bin schön und ich weiß das“.


Was ist ein Schwan ohne seine Flügel? (Anna Sophie Weber)

Während sich der Zuschauerraum füllt, wartet Buhle Ngaba schon auf der Bühne. Mit unkoordinierten Bewegungen, den Augen auf Halbmast und ständiger Mundbewegeung wirkt sie high. Das Licht geht aus. Die One-woman Show beginnt und der Eindruck des highen Partygirls verschwindet direkt, als die Übertitelung eine genetische Krankheit der Figur erklärt.

Im Theater Nestroyhof fängt die Inszenierung auf Englisch und mit deutscher Übertitelung an. Das Englische wird immer wieder durch den Wechsel in afrikanische Sprachen aufgebrochen. Eine junge Frau aus einer afrikanischen Kleinstadt und mit einer genetisch bedingten Krankheit, die ihre Schulterblätter wie Flügel aussehen lässt, erzählt von ihrer Familie, Körperwahrnehmung und der Liebe. Eine Mischung aus Tragödie, Stand-up Comedy, Lovestory und Selbstfindungstrip wird von Buhle Ngaba auf die Bühne gebracht.

Mit einem Handspiegel zieht sich die Schauspielerin immer wieder die roten Lippen nach und äußert, dass sie schön ist. Auf der Bühne ist ein Stuhl zu sehen, der unter anderem mit einer Taschenlampe, die man um den Kopf befestigt, und Flügeln behängt ist. Es wird vorgeführt, dass die Taschenlampe sowohl weißes als auch rotes Licht werfen kann.

Die Figur erzählt die gescheiterte Liebesgeschichte ihrer Eltern, aus der sie hervorging. Ihre Mutter verliebte sich in ihren weißen Vater, doch dieser verschwand nach Abklingen seines „Dschungelfiebers“ schneller als gedacht. Im frühen Kindesalter bemerkte sie ihre abstehenden Schulterblätter. Als sie ihren Heimatort, gezeichnet durch die Dämonenkonnotation ihrer „Flügel“ in ihrer Kultur, verlässt, um in Johannesburg zu studieren, lernt sie – die selbsternannte Schwanenprinzessin – ihren Schwan Oliver kennen. Sie verliebt sich Hals über Kopf in ihn, geht mit ihm aus, doch immer mit bedecktem Rücken. Als es zum Sex kommt und er ihre Schulterblätter sieht, weist er sie darauf hin, dass man sie operieren könnte. Von Liebe geblendet unterzieht sie sich der erfolgreichen Operation. Vorher energetisch aufgeladen durch die Präsenz und Spielart der Schauspielerin erfolgt hier ein Bruch in der Dramaturgie. Plötzlich wird es dunkel und durch eine vorher aufgenommene Audioeinspielung wird die Operation Schritt für Schritt erklärt, während Buhle Ngaba hinten rechts mit ihrer Taschenlampe im roten Licht den Schatten eines Torsoskeletts an die Wand wirft und an diesem die Schritte der Operation darstellt. Nach dem Eingriff kehrt sie zurück zum vorderen Zentrum der Bühne und die Geschichte geht weiter. Oliver kümmert sich nach der Operation um sie, bis er sie eines Tages verlässt, ganz in der Manier „ich gehe kurz Zigaretten holen,“ nur dass es sich in diesem Falle um Strom handelt. Ihrer Flügel beraubt und am Boden zerstört, aber nicht ganz ohne Hoffnung, wartet sie auf seine Rückkehr. Denn Schwäne sind Lebenspartner. Doch wie soll sie ohne ihre Flügel fliegen? In Eigenhandlung schneidet sie sich ihren Rücken wieder auf, befreit ihre Flügel, spannt sie und fliegt davon.

Von Anfang an zieht sich die Schwanenmetapher – angelegt an das wohl bekannteste Ballettstück Schwanensee – durch die Inszenierung. Sowohl mit ballettartigen Einlagen als auch mit den Narrativen des hässlichen Entleins sowie der lebenslangen Paarung von Schwänen wird immer wieder darauf Bezug genommen. Ebenso werden zeitweise narrativ untermalend Videos von Schwänen auf eine Leinwand im hinteren Bereich der Bühne projiziert.

Die Lichteffekte, der Einsatz von verschiedenen Medien und Requisiten unterstreichen die packende Art von Buhle Ngaba beim Erzählen. Die ironische Selbstdarstellung und Überspitzung der Schauspielerin sorgen im Publikum für Lacher. Die Länge der Inszenierung scheint mit 45 Minuten zwar kurz, doch findet sie die perfekte Mitte zwischen Prägnanz und einer nicht künstlich in die Länge gezogenen Darstellungsweise. Die zahlreichen verhandelten Themenfelder von Selbstfindung, Schönheitsidealen, Liebe, Coming of Age, Sprachdiversität sowie Rassismus gelingen der Schauspielerin durch ihre energetische Leichtigkeit und regen das Publikum auf funktionierende Art und Weise zum Nachdenken an.


Kein Flügelschlag zu viel (S.W)

Buhle Ngaba bestreitet ihre eigene Geschichte mit entschlossener Direktheit und körperlichem Ausdruck. Ein Abend, der die emotionale Ladung von neuen Entdeckungen zum Ausdruck bringt: Das Herausbrechen von Familienrealitäten, der ersten Liebe und der Versuch, immer näher an ein Gefühl der Freiheit zu kommen.

Aufgrund einer unheilbaren Krankheit, die sie seit der Geburt auf ihren Schultern trägt, zieht sich das Gefühl, nicht schön zu sein, nicht dazuzugehören und eine Schwere sowie Unsicherheit durch die Laufbahn der Darstellerin. Wie ist es möglich, sich davon zu befreien und von einem angeblich hässlichen Entlein zu einem Schwan zu werden? Wie kann all das Erlebte einen zu einer stärkeren Version seiner Selbst werden lassen? Buhle Ngaba meistert es, indem sie es auf die Bühne bringt, sich ihren Ängsten stellt und klar und mit bedrückendem Beigeschmack über alles spricht, was sie erlebt und gefühlt hat.

Der fast leere Bühnenraum besteht aus einem Stuhl, ein paar Baked-Beans-Dosen, einem kleinen Handspiegel und weißen Flügeln, die Buhle Ngaba auf vielfältige Weise verwendet, um ihre Coming of Age Geschichte eigenständig zu gestalten. Mit der kleinen Stirnlampe, die sie hauptsächlich am Kopf trägt, lenkt sie den Blick des Publikums auf das Detail, und sie verschluckt Ngaba in einem dunklen Raum, in dem sie Schattenbilder ihres Selbst zeigt. Im Kontrast dazu steht der Lichtwechsel zu den hellen Scheinwerfern und bunten Discolichtern, der ihre Illusionen und exzessiven Gefühle widerspiegelt und die Zusehenden zudem für einen kurzen Moment mitreißt. Es ist ein Auf und Ab des immer wieder emotionalen Hochsteigerns; Erleben, bis der Bruch des Gefühls, nicht dazuzugehören, einbricht.

In einem Gegensatz zu all dem, was die Darstellerin im Moment des Erzählens mithilfe ihrer Requisiten selbst konstruiert, stehen die auf die Rückwand projizierten Bilder (z.B. ein See mit animierten Schwänen), die ihrerseits keine neuen Räume der Entdeckung öffnen und von Klarheit und Ehrlichkeit ablenken.

Durch die Nacktheit des natürlichen Körpers – mit allen seinen Dellen und Wellen, Stärken und Schwächen – werden in 55 Minuten die Gefühlsachterbahn und die Zerbrechlichkeit des eigenen Selbst dargestellt. Bekleidet mit einer beigen, bis zur Taille reichenden „Unterhose“, einem Sport-BH und einer grünen Bandage, die ihre Körperbewegungen im Schulterbereich einschränkt, bewegt sie sich mal schwer und schnaufend, mit hohem Einsatz von Muskelkraft, mal gebückt und gegen die Schwerkraft kämpfend, und dann wieder scheinbar federleicht und mit der Anmut einer Ballerina. Besteht denn die größte Freiheit darin, sich wie ein Schwan mit sanften Flügelschlägen hinaus ins weite Blau bewegen zu können?


What Is A Swan Without Wings? (Hannah Hiltensperger)

“I’m not dying, I was just meant for flying” – das ist einer der ersten Sätze, der im Stück Swan Song von der südafrikanischen Performerin Buhle Ngaba fällt und sich in das Gedächtnis der Zuschauer*innen brennt. Hier wird das zentrale Motiv der Coming of Age-Geschichte eingeführt: die Flügel, die die junge Hauptfigur schon in ihrer Kindheit als „Abomination“ (im Deutschen etwas Abscheuliches) kennenlernt und zu denen sie eine komplizierte Beziehung zwischen Hass und Liebe entwickelt.

Das Publikum erfährt, dass die Frau mit einer medizinischen Fehlbildung – abstehende Schulterblätter (symbolisiert durch die Flügel) – geboren wird und so schon von klein auf mit dem Gefühl des Schams und dem Anderssein zu kämpfen hat. Sie lernt sogar, ihre Flügel vor ihrer engsten Familie zu verstecken. Als junge Frau verlässt sie ihr Heimatdorf, da sie sich dem traditionellen Leben dort nicht zugehörig fühlt, und zieht in die Großstadt, um zu studieren. Dort angekommen, muss sie sich allerdings den Menschen anpassen und versucht diese mit einem falschen Bild von sich zu beeindrucken. Plötzlich scheint es aber einen Ausweg aus der Situation zu geben: Sie lernt einen jungen Mann namens Oliver kennen, in den sie sich Hals über Kopf verliebt und im siebten Himmel schwebt. Doch am Ende ist es die schier endlose Liebe zu ihm, die sie dazu bringt, sich ihre Flügel operativ entfernen zu lassen – er liebt sie genauso intensiv, wie sie ihn, und er kann sie über den Verlust hinwegtrösten. Letztendlich entpuppt er sich jedoch als Verräter und überlasst sie in ihrer Trauer sich selbst. Das Schweben (im siebten Himmel) ist nicht dasselbe wie das Fliegen und kann dieses auch nicht ersetzen.

Der Titel des Stücks stammt von dem klassischen Motiv des Schwanengesangs, das auf den griechischen Mythos zurückgeht, dass Schwäne vor ihrem Tod noch ein letztes Mal ein trauriges, aber zugleich wunderschönes Lied singen. In Swan Song tanzt die Hauptfigur noch ein letztes Mal, bevor sie mit den Worten „What is a swan without wings?“ erschöpft zu Boden fällt. Die Verzweiflung über ihrer Situation hat sie in den Suizid getrieben – so scheint es zumindest. Auf jeden Fall ist klar, dass sie mit dem operativen Entfernen ihrer Flügel zumindest einen essenziellen Bestandteil ihrer Persönlichkeit von sich abgestoßen und getötet hat. Die Ablehnung durch die Gesellschaft und der Drang nach Anpassung haben es in Verbindung mit der Liebe zu ihrem Partner geschafft, dass sie sich ihre Flügel nehmen lässt. Sie erreicht die Lösung all ihrer Probleme – ihr Anderssein zu überwinden – doch war es der Verlust wert? Die Möglichkeit, ihre Flügel auszubreiten und zu fliegen, bleibt ihr nun ihr Leben lang verwehrt.
Um die tragische Coming of Age-Geschichte zu präsentieren, braucht es kein aufwendig gestaltetes Bühnenbild – ein Stuhl, eine Stirnlampe, einen Berg Suppendosen und eine Leinwand reichen vollkommen aus, wenn die Schauspielerin ihrer Rolle mit beeindruckender Mimik und Gestik Ausdruck verleiht. Sie tanzt und springt über die Bühne und führt dabei einen Monolog, in dem sich neben Tragik auch eine große Portion Humor und Witz versteckt. Buhle Ngaba schafft es, das Publikum ohne viel Tamtam an den Gefühlen und Gedankengängen der Hauptfigur teilhaben zuclassen und sich mit ihr zu identifizieren.

Die Geschichte um die junge Frau amüsiert, verbindet, berührt und wird zu einem der Highlights der Festwochen 2022.


Swan Song – Ein Balanceakt zwischen Selbstliebe, Hingabe und Anpassung (A.V.)

Wir betreten den Saal des Theater Hamakoms am Nestroyplatz im zweiten Wiener Gemeindebezirk, wo bereits Schauspielerin und Autorin Buhle Ngaba in Ballettschuhen auf uns wartet. Was folgt, ist die absolut intime Geschichte einer heranwachsenden Frau voller Lust und Schmerz.

Bereits bevor das Publikum Platz nimmt und die Lichter im Publikumsbereich ausgehen, verweilt Buhle Ngaba auf der Spielfläche und macht, im ersten Moment rätselhaft erscheinende Grimassen und rückartige Bewegungen mit ihrem Körper, die die Zuseher*innen vereinzelt zum Lachen bringen. Die nächsten 45 Minuten erzählen die Geschichte einer in Südafrika lebenden Frau, die mit einer unheilbaren, vererbten Krankheit lebt, welche körperliche Bewegungseinschränkungen und eine Fehlbildung ihrer Schulterblätter zur Folge hat. Doch wer denkt, die Figur erwecke einen bemitleidenswerten Eindruck, liegt von Grund auf falsch. Sie fühlt sich schön, bezeichnet ihre Fehlbildung am Rücken als Engelsflügel, sieht sich letztendlich selbst als einen Schwan. Die Geschichte verzichtet auf den klassischen Erzählstrang des hässlichen Entleins. Die Protagonistin ist eine junge Frau, die gerade ihre Sexualität und Lust kennenlernt, allerdings wird sie durch ihre Beziehungen zu Männern immer wieder in Käfige gedrängt: zuerst durch den Vater und dann durch ihren Partner Oliver, der sie zuletzt davon überzeugt, sich ihre Flügel operativ entfernen zu lassen.

Die Bühne ist sehr schlicht gehalten, lediglich ein paar wenige Requisiten stehen der Schauspielerin zur Verfügung, die allein durch ihre Körpersprache und Energie überzeugen konnte. Der pointierte Lichteinsatz unterstützt dabei die Stimmungen und Gefühle der Protagonistin. Besonders hervor sticht dabei eine Stirnlampe, deren Licht zwischen Rot und Weiß variiert und meist ihr Gesicht ausleuchtet. Auch Musik kommt zum Einsatz, um die Erzählung zu unterstützen.

Themen wie Sexualität, weibliche Lust, Identitätsfindung, Rassismus und Sexismus sind zum Teil subtil, zum Teil aber auch ganz offen durch Begriffe und Symboliken, wie Dschungelfieber, Käfig und  hässliches Entlein, dargelegt. Während der Erzählung vergleicht sie das Erlebte immer wieder mit dem Verhalten von Schwänen. Unterstützt wird diese Assoziation auch mit weißen Schwanenflügeln, mit der die Schauspielerin hantiert.

Besonders stark war die abstrahierte Darstellung der OP, die bereits die Schmerzhaftigkeit des Verlusts vorausahnen lässt. Die radikale und extrem immersive Art und Weise der Anpassung geht unglaublich nahe. Ihre Flügel, die mittlerweile auch der*die Zuschauer*in zu lieben gelernt hat, werden entfernt, am Brustkorb wird herumgeschraubt und gesägt. Auf akustischer Ebene wird dieser werkstattartige Eindruck mitgetragen. Auch durch das Schattenspiel, welches das Gerüst eines Brustkorbs mithilfe eines aggressiven blutroten Lichts auf die Wand projiziert, wird über den Eingriff aufgeklärt. Der Schmerz hält an. Nach fünf Wochen Bettruhe, Einsamkeit und Isolation verlässt sie auch noch ihr Partner. Am Ende ist sie allein. Ohne Flügel, ohne Familie, ohne Freund. Doch sie ist und bleibt ein Schwan.

Umso schöner war der emanzipatorische Moment am Schluss des Stücks, als nach tosendem Applaus, das Publikum durch Ngaba dazu aufgefordert und animiert wurde, von den Stühlen aufzustehen und zur Musik mitzutanzen.


Wie soll ein Schwan ohne Flügel fliegen? (A.H.)

Swan Song ist der Titel der ausdrucksstarken Coming of Age-Geschichte der aufstrebenden Autorin und Schauspielerin Buhle Ngaba, bei der es sich gleichzeitig um ihre erste Produktion handelt.

Während sich das Publikum zu den Plätzen begibt, steht Ngaba bereits auf der Bühne. Das Bühnenbild ist eher minimalistisch: Ein Stuhl, Dosensuppen, ein keiner Spiegel, ein Flügelpaar und eine Leinwand im Hintergrund, auf welcher Projektionen und Untertitel zu sehen sind. Außer Ngaba selbst, bekleidet in einer Unterhose und einem Sport-BH, sind während der gesamten Vorstellungen keine weiteren Darsteller*innen zu sehen. Das reicht jedoch vollkommen aus, denn sie zieht das Publikum mit einem emotionalen Monolog in ihren Bann. Mal fröhlich und aufgedreht, mal traurig und ernst, aber immer überzeugend. Ngabas Offenheit und Verletzlichkeit und ihr Blick, der sich immer wieder direkt an das Publikum wendet, erzeugen ein Gefühl von Intimität, welches durch die überschaubare Größe des Theater Nestroyhof Hamakon verstärkt wird. Der lebhafte Monolog lässt einen für 55 Minuten vergessen, dass man in einem Theater sitzt und ermöglicht dem Publikum, gemeinsam mit der Darstellerin in die Welt ihrer Erinnerungen einzutauchen. Er besteht aus Rückblicken in ihre Kindheit und Jugend, Erzählungen über Familie, ihre Operation und ihre erste große Liebe, während immer wieder Verweisungen auf ihre Heimat Südafrika fallen, beispielsweise Ausdrücke oder Textstellen in Setswana.

Die Operation in der Inszenierung und die Metapher der Flügel sind vom realen Leben inspiriert: Als Kind musste sich Ngaba einer langen und komplizierten Operation unterziehen, nach der sie das Gehen erneut erlernen musste. Auch in der Inszenierung muss sie nach der Operation monatelang zuhause im Bett verbringen. Gefühlvoll erzählt sie, wie Oliver – besagte große Liebe – sich während dieser Zeit hingebungsvoll um sie kümmerte, bis er plötzlich nicht mehr wiederkam. Mit ihm verließ sie auch der Lebenswille. Plötzlich sind die Flügel, die ihr in der Operation entfernt wurden, nicht mehr etwas Überflüssiges, sondern etwas, das fehlt. Es ist, als hätte man einen Teil von ihr weggenommen. Durch Druck von außen – dazuzugehören und nicht anders, wie ein hässliches Entlein sein zu wollen – gab sie etwas auf, das sie einzigartig machte. Gleichzeitig sind die Flügel und das damit verbundene Fliegen unweigerlich ein Symbol für Freiheit und das Erwachsenwerden. Wenn Schwäne ein gewisses Alter erreicht haben, verlassen sie ihr Nest und fliegen davon. Doch wie soll ein Schwan fliegen, wenn er keine Flügel hat?

Die Symbolik und Metaphern der Inszenierung sind stark. Es werden Themen wie Zugehörigkeit, Anderssein, Liebe, Verlust, Trauer, Heimat, Freiheit und das Erwachsenwerden behandelt. Themen, mit denen sich wohl jede*r von uns auf die eine oder andere Weise identifizieren kann und mit dem Stück vermutlich noch längere Zeit persönlich auseinandersetzen wird.


“What’s a swan without wings?” (Nele Hofmann)

Ein Schwan ohne Flügel oder eine junge Frau mit Flügeln. Egal wie man es dreht und wendet, irgendetwas fehlt.

Buhle Ngaba ist eine junge Theatermacherin aus Südafrika, die ihr One-Woman-Stück Swan Song im Rahmen der Wiener Festwochen zum ersten Mal außerhalb ihres Heimatlandes aufführt. Zusammen mit der Regisseurin Ilana Cilliers ist es ihr gelungen, eines dieser Werke zu schaffen, die wohl überall auf der Welt ein Publikum finden werden. Auf authentische Art und Weise präsentiert die Künstlerin die Geschichte einer jungen Frau, die sich unter erschwerten Umständen auf eine Reise zu sich selbst begibt. Ein Thema, das auf den ersten Blick redundant erscheinen mag, ist auf den zweiten mit ungewohnter Intimität und auf den dritten mit erfrischender Selbstermächtigung gespickt. Die Autorin, die auch selbst spielt, ermöglicht einen Einblick in die privatesten Sorgen einer Frau, die mit einer Genmutation – ihre Schulterblätter sind besonders groß und prominent gewachsen – geboren ist: Sie hat Flügel. Eine Außergewöhnlichkeit, die zu großer Unsicherheit führt. Buhle Ngaba verarbeitet in Swan Song auch die eigene Erfahrung mit einem Knochenwuchs an ihrem Fuß, der operativ entfernt wurde und sie zwang, im Alter von acht Jahren erneut Laufen zu lernen.

Schmerz und Emanzipation sind eng miteinander verwoben. Erfahrungen des Erwachsenwerdens, wie der Auszug von zuhause, begleitet von den üblichen familiären Traumata, oder die Suche nach Sicherheit in einer ersten selbstaufopfernden Liebe, bilden den Rahmen für eine Geschichte, in der es für mich darum ging, einfach mal mit aller Inbrunst Platz einzunehmen. Eine Aktivität, die in der Theaterszene gerade von schwarzen Frauen, deren Rollen oft politisch aufgeladen sind, noch immer selten zu sehen ist. Hier kann sie sich auf sich selbst konzentrieren, viel gestikulieren, „komisch“ sein und ihren Schmerz in selbstgewählte Worte und Bewegungen fassen. Mit nicht mehr als einem Stuhl, einer Stirnlampe, ihren Flügeln und einem Berg Dosensuppen schafft Buhle Ngaba die Bühne einzunehmen, die ihrer Geschichte gebührt. Eine Geschichte, erzählt mit bitterem Humor und einer Art Selbstironie, die wie ein Bewältigungsmechanismus wirkt, der wahrscheinlich vielen Menschen (oder zumindest mir) bekannt vorkommt.

Der Schwan als Leitmotiv begleitet dabei konstant. Sei es als große projizierte Stop-Motion Collage im Hintergrund, als „Puppenspiel“ oder als Namensgeber des Ballettstücks, das das Ende der Geschichte ankündigt. Dabei steht die Möglichkeit zu fliegen, und was wohl damit genau gemeint sei, als Metapher im Vordergrund. Auch auf klanglicher Ebene wird diese Idee mit dem wiederkehrenden Summen einer Fliege unterstützt, die immer dann aufzutauchen scheint, wenn eine Veränderung bevorsteht. Die Fliege als ein Insekt, das sich um die Hinterlassenschaften kümmert. Und hinter sich gelassen wird so einiges in der Geschichte: die Familie, die Heimatstadt, die erste Beziehung und schlussendlich auch ihre Flügel, die sie sich in einer Operation entfernen lässt. Dabei geht es aber nicht nur um Selbstfindung und am Ende ist alles Friede, Freude, Eierkuchen, stattdessen hat das Stück mir eine Art von Akzeptanz gegenüber dem eigenen Leiden vermittelt. Als eine dauerhafte Begleitung gehört es zur Emanzipation dazu, ob nun mit oder ohne Flügel. Auch wohin die Figur schlussendlich hinfliegt – in den Tod oder in die Zukunft – bleibt meiner Meinung nach offen und ist vielleicht auch gar nicht bedeutsam. Was Bedeutung hat, ist das Erleben einer authentischen Theatererfahrung, die sich wie ein intimes Kennenlernen anfühlt.


Mit Schwanenfedern fliegt man besser? – Verzweiflung und Hoffnung in Swan Song (Tsvetelina Topalova)

Ein tiefer Blick in sich selbst, in die Unschönheiten unseres Körpers und in die Folgen unserer Lebensentscheidungen – mit viel Humor, Gesang und Tanz versuchte die südafrikanische junge Schauspielerin, Autorin und Theateraktivistin Buhle Ngaba das Publikum in ihre eigene komplexe Welt einzuführen. Woher kommen wir? Warum besitzen wir bestimmte Körpermerkmale und wie können wir diese Verantwortung in unser Leben mittragen? Der Schwanengesang erklang manchmal ruhig und nostalgisch, manchmal aber auch fröhlich und hoffnungsvoll. Die vererbten körperlichen Krankheiten, die schmerzhaften Erinnerungen aus der Vergangenheit, die uns im Leben verfolgen, sowie das Opfer, das jeder von uns einmal für die große Liebe gemacht hat, standen im Mittelpunkt des Monologs der jungen Darstellerin. Die Schwanenfedern, als Symbol der Freiheit und der Erlösung, spielten eine wichtige Rolle in der Performance. Die Sprache war direkt, dramatisch und humorvoll.
Durch ihre Inszenierung schaffte Buhle Ngaba, die Stärke innerhalb des Schmerzes ans Licht zu bringen, die Figur des Schwans anders darzustellen und eine volle Mischung von Gefühlen an das Publikum zu vermitteln. Ob lachen oder mitleiden als Reaktion besser passte, machte keinen Unterschied. Beide gehören zum Leben und zu der Suche nach unserer Identität. Anderssein und sich akzeptieren waren die größten Herausforderungen der Hauptfigur. Mensch oder Schwan, Hässlichkeit oder Schönheit?

Buhle Ngaba verkörperte mit wenigen Requisiten, aber mit viel Charakter und Körpersprache, komplexe Fragen und Themen, die wir in unserem Alltag nicht gewöhnt sind aus dieser Perspektive zu sehen. Eine Perspektive, die auch nicht jeder haben kann. Oder sogar haben will. Die Selbstakzeptierung und Bewältigung der eigenen Unsicherheiten sind der Weg zur Freiheit. Auch wenn unsere Flügel nicht mehr da sind, macht die innere Stärke und Hoffnung das aus, was wir eigentlich sind. Deswegen braucht jeder seinen eigenen „Swang Song“.


Was ist ein Schwan ohne Flügel? (Nefeli Giolas)

Eine junge Frau steht auf der Bühne. Während sich das Publikum noch setzt, schaut sie herausfordernd zu den Zuschauer*innen hinüber. Ihre Schultern hängen wie die eines lustlosen Teenagers hinab. Wovon möchte sie uns erzählen? Die Bühne gibt keine Hinweise. Sie ist spärlich ausgestattet. Lediglich ein kleiner Turm aus Dosensuppen ist neben der Frau aufgebaut. Dahinter steht ein Stuhl, auf dem Flügel angebracht sind.

Die Frau beginnt zu sprechen. Mit zwölf habe sie festgestellt, dass ihr Flügel wachsen. Eine Genmutation unterscheidet sie von den anderen. Sie erzählt phantasievoll von ihrem Aufwachsen ohne Vater in Südafrika und davon, wie sie später die Universität in Johannesburg besucht und sich das erste Mal verliebt. Tanzeinlagen und Nachahmungen begleiten die Geschichte. Außerdem lässt sie Begriffe aus dem Setswana einfließen und entführt mit verschiedenen Referenzen in ihre Jugend in Südafrika. Vor ihrem Schwarm, Oliver, versucht die Schwanenfrau ihre Andersartigkeit zunächst noch zu verbergen. Doch nachdem sie die Nacht miteinander verbracht haben, entdeckt er ihren „Defekt“. Vor Schreck stößt sie den kleinen Turm aus Dosensuppen um. Schließlich überzeugt Oliver sie davon, ihre „freakigen Flügel“ durch eine Operation zu entfernen.

Sie muss, wie es uns bereits die Märchen beigebracht haben, einen hohen Preis für die Liebe zahlen. Sie entscheidet sich dazu, einen Teil ihrer Selbst für Oliver aufzugeben. Nur durch das rote Licht einer Stirnlampe und einer kleinen Drahtkonstruktion, gelingt es, eine bedrückende OP-Szene darzustellen. Nach der Operation kümmert sich Oliver zunächst liebevoll um die junge Frau. Er füttert sie mit den Dosensuppen, doch schon nach kurzer Zeit verlässt er das Liebesnest und lässt sie allein zurück. Ihre Kränkung ist körperlich spürbar. „Was ist ein Schwan ohne Flügel?“

In einem emanzipatorischen Tanz schießen der Frau erneut die Flügel aus dem Rücken. Ihr gelingt es, die leidvolle Vergangenheit hinter sich zu lassen, sich zu befreien und nun ihre Andersartigkeit zu feiern. Ein letztes Mal schwingt sie ihr Gefieder, bevor sie sich selbst dazu entscheidet, es abzuwerfen. Die junge Frau braucht die Flügel nicht mehr, um zu fliegen.

Buhle Ngaba erzählt in ihrem Stück Swan Song vom Heranwachsen und dem Gefühl anders zu sein. In dem Solo mischt sie Reales und Imaginiertes und bezieht sich immer wieder auf die Metapher des Schwans. Dass Ngaba ausgerechnet Schwanenflügel wählt, um ihrer Andersartigkeit Ausdruck zu verleihen, weckt kulturhistorische Assoziationen, die in dem Stück aufgegriffen werden. Es wird auf die Geschichte vom hässlichen Entlein, auf Tschaikowskis Schwanensee, den Schwanengesang und auf die Sage des Phoenix Bezug genommen. Neben ihrer schönen Mutter fühlt sie sich wie das hässliche Entlein. Als Schwanenprinzessin kann sie erst durch den Schwur der ewigen Liebe des Prinzens aus dem Bann des bösen Zaubers erlöst werden und ihr Federkleid ablegen. Bei einem letzten Tanz, dem Schwanengesang, schießen der jungen Frau erneut die Flügel aus dem Rücken. Das Gefieder entfaltet sich prächtig, wie der Phoenix aus der Asche, der zunächst sterben muss, um neu aufzuerstehen.

Ngaba vermischt intime Momente des Heranwachsens mit weltweit bekannten literarischen Referenzen, die vielleicht auch von ihrer Liebe zur und der Flucht in die Literatur erzählen. Letzen Endes fehlt es dem Stück aber an Innovation. Zu oft schon wurde die Geschichte des Andersartigen erzählt. Trotzdem weist Swan Song eine große Stärke auf: Ngaba findet in dem Stück so schöne Worte, dass ihre Geschichte wie ein langes Gedicht klingt. So verleiht sie der universellen Erfahrung des Heranwachsens etwas Märchenhaftes und dem Schmerz etwas Schönes.