„United in Diversity. Walking on the yellow brick road towards an end to AIDS.“

Isabell Schanda

Am 8. Juni 2019 fand der offiziell letzte Life Ball in Wien statt. Zeitgleich war Wien außerdem Gastgeber für die 26. EuroPride und bot in einem Zeitraum von zwei Wochen unzählige Veranstaltungen, die die LGBTIQ+-Community in ihrer Vielfalt repräsentierten. Als Teilnehmerin am Kurs ‚Regenbogenmedialität: EuroPride 2019‘ setzte ich mich intensiver mit Themen und Events diesbezüglich auseinander. Zudem durfte ich bereits zum zweiten Mal als Volunteer beim Life Ball dabei sein und somit auch aktiv meine Unterstützung für die Community und den guten Zweck zeigen. Das hat mir die Möglichkeit eröffnet, mich mit Doris Pommerening, CCO des Life Balls, kurz über das Charity Event zu unterhalten, sowie auf die Anfänge zurückzublicken und einen kurzen Überblick zu erhalten, wie sich der Ball in seinen 26 Jahren entwickelt hat. Im Hinterkopf hatte ich dabei auch die Theorie Bilder von Sexualität und Ökonomie von Antke Engel, die sich unter anderem mit dem Begriff der ‚Diversity‘ auseinandersetzt und somit unmittelbar mit dem Motto des letzten Life Balls in Verbindung gebracht werden kann: „United in Diversity“.

Isabell Schanda: Fr. Pommerening, der erste Life fand schon 1993 statt, das heißt noch zwei Jahre vor der ersten Pride Parade in Wien. Wie schwierig war die Einführung des Life Balls zu einer Zeit, in der man in Österreich noch nicht mal ansatzweise so offen mit dem Thema Homosexualität umging, wie heute? Welche Schwierigkeiten gab es zu überwinden?

Doris Pommerening: 1993 war HIV in aller Munde als tödliche Krankheit. Es galt der Aberglaube oder die Miskommunikation, die bis ins diesjährige Jahrtausend anhielt, Aids wäre eine „Schwulenkrankheit“ oder „Schwulenseuche“. Die Intention des Life Balls war aber immer: „Aids geht uns alle an.“, was auch das Thema des ersten Life Balls wurde, der zusammen mit dem damaligen Bürgermeister Helmut Zilk als einmaliges Event in Wien geplant wurde. Helmut Zilk hat das Rathaus spontan zur Verfügung gestellt und mit seiner Hilfe wurde der Ball zum ersten Aids Charity Event in einem politischen Gebäude. Durch diese Unterstützung gab es gewisse Freiheiten, die Gery Keszler allein mit einer handvoll Ehrenamtlichen organisierte, immerhin war der Ball auch viel kleiner als heute. Es gab auch damals schon einen Ticketverkauf, bei dem bis zum Tag des Balls rund hundert Karten verkauft wurden. Darauf konzentrierten sich auch die Medien, die daran geglaubt haben oder sogar hofften, dass das Ganze ein Flop wird. Das heißt auch medial hat man schon sehr polarisiert, die Reaktionen waren sehr verhalten und die Leute dachten sich „Schau ma mal, ob die Stars auch kommen“ – durch Gery Keszlers Vergangenheit als Designer hatte er viele Connections. Am Abend selbst gab es natürlich auch eine Abendkassa, und als Gery hinunterging, eine halbe Stunde vor Beginn, war eine Menschenmasse bis zum Parlament zu sehen. Alle waren kostümiert und alle wollten auf den Ball, so begann der erste Life Ball auch mit einer Verspätung von zwei Stunden – und war ausverkauft.  Aber da der Ball als One-Time-Event geplant war, waren die Hürden der Bürokratie später auch anders und alles war nicht mehr so einfach. Aber bereits zum dritten Life Ball war der Ball etabliert und stand für ein tolerantes, weltoffenes Wien. Dennoch wird der Ball bis heute als „Aids Ball“ oder „Ball der Schwulen“ bezeichnet, was zeigt, dass wir immer noch nicht so tolerant sind, wie wir es gern sein würden.

Isabell Schanda: Der Life Ball war ja von Beginn an auch ein politisches Event. Wie groß ist beispielsweise der Einfluss der jeweiligen Regierung auf den Life Ball? Und gibt es umgekehrt auch Auswirkungen des Life Balls auf die Politik in Österreich?

Doris Pommerening: Der Life Ball war nie ein politisches Event, da wir niemanden ausgrenzen wollen. Die Stadtregierung und auch Bundesregierung wurden immer schon eingeladen, ebenso der Bundeskanzler, und jeder kann selbst entscheiden, ob man die Einladung annimmt, oder nicht. Seit 1993 sind wir dem Rathaus verpflichtet, weil wir dort zu Gast sind, daher haben wir natürlich auch den Bürgermeister immer eingeladen. 1999 fand der Ball in der Hofburg statt, daher wurde natürlich auch der Bundespräsident eingeladen, der in diesem Jahr unser Gastgeber war. Der Life Ball war aber von Beginn an gesellschaftskritisch orientiert, beispielsweise im letzten Jahr mit „The Sound of Music“ in dem die NS-Zeit aufgegriffen wurde, oder der Ball 2017 unter dem Slogan „Recognize the Danger“, der auch an die 30er Jahre erinnern sollte und damit eine gesellschaftspolitische Botschaft sendete. In den frühen 2000ern gab es beim Life Ball beispielsweise mal eine Wedding Chapell, was damals noch ein Skandal war – jetzt ist die Ehe für alle möglich, aber damals war es noch ein riesiger Skandal. Der Life Ball war vor allem immer gesellschaftskritisch, und hat so sicher rückwirkend auch viel bewegt in den Köpfen der Leute, und möglicherweise auch der Politik.

Isabell Schanda: Das Thema des diesjährigen Life Balls lautete ja „United in Diversity“.
Der Life Ball ist zu einem Event geworden, wo jeder – egal ob homosexuell, bisexuell, transsexuell oder auch heterosexuell – diese Diversität feiern kann. Wissen Sie, ob es schon zu Beginn des Life Balls 1993 so war, dass auch Menschen, die nicht Teil der LGBT-Community waren, am Life Ball so teilgenommen haben, wie heute? Oder war es damals noch eher ein Event, das exklusiv für diese Community war?

Doris Pommerening: Der Life Ball war von Beginn an angedacht als gemischtes Event, anders als bei anderen Aids Charity Events, die sehr exklusiv waren. In die Elizabeth Taylor Aids Foundation beispielsweise konnten sich sehr betuchte Menschen einkaufen, aber das wollte Gery nie. Auch heute kostet ein Life Ball Ticket nur 90€, weil es leistbar sein soll. Es darf nicht der Preis im Vordergrund stehen, das wollte man nicht. Beim ersten Ball, als Kind seiner Zeit, waren vorwiegend die, die am meisten vom Thema HIV mitbekommen haben und daher aus der Community selbst waren. Dadurch waren diese Menschen natürlich sehr sensibilisiert, auf ein Event zu gehen, das gegen dieses Stigma und diese Krankheit aufsteht. Auch das Kostümieren kam aus der Community selbst. Da gab es geschichtlich gesehen in den 80er Jahren einen Vorläufer vom heutigen Regenbogenball in Schönbrunn. Der Organisator ist Ende der 90er Jahre verunglückt. Die Community hat sich von diesem Ball inspirieren lassen und kam daher kostümiert zum Life Ball. Die ersten zwei bis drei Bälle bestanden fast ausschließlich aus Mitgliedern der Community, danach wurde es aber mehr und mehr wirtschaftlich und beim dritten Ball waren sogar bereits der damalige Bürgermeister und Bundeskanzler vor Ort. Ab diesem Ball war es ein gemischtes Event.

Isabell Schanda: 2001 fand die EuroPride schon einmal in Wien statt. Hat dieses internationale Event einen Einfluss auf den Life Ball? Lenkt es noch mehr Aufmerksamkeit auf den Charity Ball oder geht der Ball dadurch möglicherweise sogar etwas unter?

Doris Pommerening: Der Life Ball hat seit Jahren einen Markenbekanntheitsgrad. National kennt ihn jeder, und international ist der Life Ball in der Community sehr, sehr bekannt. Weltweit gibt es in 146 Ländern eine TV-Übertragung. Die EuroPride hat uns sehr gefreut, die Veranstalter*innen wollten den Termin für den Life Ball, der ursprünglich Ende Mai stattfinden sollte, verschieben, damit er in den Zeitraum der EuroPride fällt, was wir natürlich gemacht haben, obwohl wir schon viel für den ursprünglichen Termin organisiert hatten. Die internationalen Gäste bekamen natürlich durch die EuroPride und den Life Ball ein volles Programm. Wien konnte sich insgesamt dadurch gut präsentieren, aber den Bekanntheitsgrad des Life Balls hat es nicht beeinflusst.    

Isabell Schanda: Der Life Ball erntet hie und da auch Kritik, weil er laut einigen Aussagen ein zu klischeehaftes Bild der LGBTQ-Community verbreitet und zum Beispiel Homosexualität zu sehr als „Lifestyle-Produkt“ vermarktet. Auch beim diesjährigen Life Ball fand man mit dem zentralen Thema von „Der Zauberer von Oz“ ja einige „klischeehafte“ Momente. Wie würden Sie auf diese Kritik reagieren bzw. wie würden Sie das Bild beschreiben, dass der Life Ball vermitteln möchte?      

Doris Pommerening: Der Life Ball vereint alle, es gibt keine Einschränkung und er war ja auch nicht als Ball der Community geplant. Wir behandeln die Themen allerdings oberflächlich, d.h. eben so verständlich aufbereitet, dass es einerseits showtauglich ist und trotzdem mit einer Botschaft verbunden werden kann. Die Botschaft ist aber nicht HIV und Aids. Wir machen aber auch ein Fernsehformat, also ein showlastiges Event. Kritik nehmen wir aber jederzeit gern entgegen. Das Problem sind allerdings die Medien. Auf dem Ball tummeln sich Leute aus der Community sowie eben „normale“ Büroleute, die sich dann total exaltiert und sehr out-going zeigen, bis hin zu splitterfasernackt am Life Ball auftreten. Das stößt uns als Veranstalter selbst ab, diese Provokation, weil wir ja auch seriöse Inhalte haben. Früher war diese Provokation dem Life Ball noch recht, aber heute würden wir das nicht mehr machen. Den Ruf bekommt man aber schwer wieder los. Uns ist aber wichtig, dass die Grenze des menschlichen Respekts nicht überschritten oder verletzt wird. Natürlich stürzen sich die Medien auch gern auf Bilder, die den Life Ball negativ repräsentieren. Das bedauern wir, können es aber nicht beeinflussen. Und so lange es Menschen gibt, die sich so exponiert zeigen, wird es Medien geben, die es aufnehmen.

Literatur:

Antke Engel, Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus, Bielefeld: Transcript: 2009, S.39-65.

Ein herzliches Dankeschön gilt außerdem Fr. Pommerening für die mir gewidmete Zeit und das ausführliche Interview, telefonisch geführt am 24.06.2017.