Jung, weiß, durchtrainiert.

Über das mediale Idealbild des schwulen Mannes
Alexander Baur

„Komm zur Official After-Pride-Mega-Party!“, ist das Erste, was auf meiner Timeline aufpoppt. Drei junge, weiße, durchtrainierte Männer in knappen Badeshorts blicken mich an. Ich scrolle weiter, keine zwanzig Sekunden später schaut mir ein weiterer, leicht bekleideter, weißer Mann durch meinen Bildschirm direkt in die Augen: „SHOWDOWN – Official Circus After-Hour“, lese ich neben seinem schweißnassen, durchtrainierten Körper. Nein, ich wühle mich gerade nicht durch die Tiefen eines schwulen Online-Dating Portals – ich bin auf Facebook.

Es ist kurz vor der EuroPride 2019 in Wien und verschiedenste Eventveranstalter*innen möchten die Besucher*innen aus aller Welt zu ihren Veranstaltungen locken: Das Angebot ist riesig, denn das kommerzielle Potenzial ist es eben auch. Klar, die Pride ist längst nicht mehr nur politischer Aufmarsch, sondern auch der Ort, an dem jede*r sich selbst feiern darf, egal welche sexuelle oder geschlechtliche Orientierung, Herkunft oder welches Alter man hat – klar ist auch, dass sich daraus Profit schlagen lässt. Besonders aus einer ganz bestimmten Gruppe, die auf den Prides rund um den Globus die kommerzielle Vorherrschaft innehält: schwule, Cis-Männer. [1] Sie sind es noch immer, an denen sich die kommerziellen Interessen ausrichten. Und in seiner idealen Form ist der schwule Cis-Mann weiß, durchtrainiert und möglichst männlich.

Doch dieses Idealbild des schwulen Mannes ist toxisch – und führt zu Diskriminierung innerhalb der Community. [2]

Dass Veranstalter*innen mit genau diesem Bild des schwulen Mannes Geld in ihre Clubkassen spülen möchten, hat zuallererst natürlich einen ganz simplen Grund: Es ist populär. Diverse Studien und Befragungen ergaben nämlich, dass schwule Männer besonders auf Äußerlichkeiten achten: Das britische Attitude-Magazine hat in einer Umfrage herausgefunden, dass sich 84% die queeren Männer unter Druck gesetzt fühlen, einen guten Körper zu haben. [3] Dieser Druck, einen trainierten Körper zu haben, zeigt sich auch in einer weiteren Studie zweier US-amerikanischer Wissenschaftler: Sie haben beobachtet, dass ganze 75% der befragten schwulen Männer mehr Muskeln möchten [4] und generell unzufriedener mit ihrem Aussehen sind, als heterosexuelle Männer. [5] Besonders interessant dabei ist die Tatsache, dass laut derselben Studie für 82% der Befragten der ideale Mann und Sexualpartner außerdem selbst muskulös sein sollte. [6]

Kurz gesagt: Schwule Männer möchten – rein statistisch betrachtet – genau diesen Mann, den Werbeanzeigen auf Facebook präsentieren, ihr Eigen nennen – gleichzeitig spüren sie aber auch den Druck, selbst so auszusehen.

Dieser Druck, gut auszusehen, macht sich auch innerhalb der schwulen Community bemerkbar. Wie eine Studie zweier Wissenschaftlerinnen zeigt, gaben mindestens 1/3 aller befragter schwuler Männer an, dass sie wegen ihres Körpergewichts schon von anderen queeren Männern diskriminiert wurden. [7] Knapp 20% der Männer, die als zu dick diskriminiert wurden, waren allerdings normalgewichtig oder hatten sogar Untergewicht. [8] Dieses Bodyshaming, das innerhalb der schwulen Community stattfindet, hat spürbare Folgen: So konnte eine andere Studie belegen, dass gerade junge, schwule Männer ein wesentlich höheres Risiko haben, an einer Essstörung zu erkranken, als heterosexuelle Männer in diesem Alter. [9] Gründe für Magersucht oder Bulimie können natürlich auch ein schwieriges Coming-Out und damit verbundene psychische Krankheiten wie etwa Depressionen sein. Dennoch ist es sicherlich kein Zufall, dass der psychische Druck, besonders gut auszusehen, das Essverhalten beeinflusst.

Die Gruppe schwuler, weißer Cis-Männer steckt also in einer Bredouille: Nicht nur Veranstalter*innen schreiben Idealbilder immer wieder neu in die Köpfe der Community ein; die Community selbst hält diese Bilder aufrecht – werben also Clubs für schwule Partys mit weißen, durchtrainierten Männern, übernimmt die schwule Community diese Idealbilder. Doch, wie lässt sich das ändern?

Der Ball liegt in erster Linie bei schwulen Männern selbst – denn sie sind es ja, an die sich dieses Idealbild richtet. Der Boykott von Events, die mit solchen stereotypisierten Bildern werben, könnte ein erster Schritt sein – Alternativen, die ihre Subjekte unabhängig ihres Aussehens oder ihrer Herkunft ansprechen möchte, gibt es mittlerweile in fast jeder großen Stadt Westeuropas. Doch vor allem sollten schwule Männer bei sich anfangen: Wo sind noch stereotypisierte Bilder im eigenen Kopf verankert? Wie kann ein Umdenken beginnen? Wir brauchen eine visuell-kulturelle Revolution aus dem Untergrund, damit kommerzielle Interessen sich fernab stereotypisierter Bilder realisieren lassen – sonst ist die schwule Szene nämlich kein bunter, offener Ort, sondern verdammt einsam, verzweifelt und grau.  

Fußnoten

[1] Die Vorherrschaft weißer Cis-Männer ist per se schon kritisch zu sehen, findet doch immer noch rassistische Diskriminierung im queeren Leben statt. Dieser Text befasst sich nicht explizit mit Rassismus im queeren Kontext, sondern bezieht sich auf toxische Idealbilder weißer Cis-Männer. Mehr zum Thema queerer Rassismus gibt es hier: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/rassismus-unter-queeren-der-lange-schatten-des-regenbogens/12504400.html (Zugriff 22.06.2019).

[2] Die eine schwule “Community” gibt es nicht – vielmehr ist mit diesem Wort in diesem Kontext das Kollektiv weißer, schwuler Cis-Männer gemeint, die von diesem Idealbild betroffen sind.

[3] Attitude Magazine, „MORE THAN HALF OF GAY MEN SAY THEY ARE ‚UNHAPPY‘ WITH THEIR BODY – EXCLUSIVE“,

[4] Vgl. Levesque/Vichesky, Raising the bar on the body beautiful, S. 50.

[5] Vgl. ebd., S.51.

[6] Vgl. ebd., S.50.

[7] Vgl. Foster-Gimbel/Enfeln, Fat Chance!, S. 66.

[8] Vgl. ebd., S. 65.

[9] Feldman, Matthew B. / Meyer, Ilan H., „Eating Disorders in Diverse Lesbian, Gay and Bisexual Populations“, in: International Journal Of Eating Disorders, 2007, Vol.40(3), S.1.

Literaturverzeichnis

Feldman, Matthew B. / Meyer, Ilan H., „Eating Disorders in Diverse Lesbian, Gay and Bisexual Populations“, in: International Journal Of Eating Disorders, 2007, Vol.40(3), S.1. 

Fost-Gimbel, Olivia / Engeln, Renee, „Fat Chance! Experiences and Expectations of Antifat Bias in the Gay Male Community“ in: Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity, 2016, Vol.3(1), S. 66.

Levesque, J. Maurice / David R. Vichesky, „Raising the bar on the body beautiful: An analysis of the body image concerns of homosexual men“, in: Body Image 2006, Vol.3(1), S.50.
MORE THAN HALF OF GAY MEN SAY THEY ARE ‚UNHAPPY‘ WITH THEIR BODY – EXCLUSIVE“, Attitude Magazine, https://attitude.co.uk/article/more-than-half-of-gay-men-say-they-are-unhappy-with-their-body-exclusive/13483/ 01.02.2017, Zugriff: 19.06.2019