Die Regenbogenparade in Hinblick auf den neoliberalen Selbstermächtigungsanspruch

Nele Hofmann

Der Begriff des Neoliberalismus ist fester Bestandteil unterschiedlicher Diskurse über unser heutiges Gesellschaftssystem. Hierbei fallen die Abgrenzungen nicht immer besonders klar aus. Der Neoliberalismus wird zum einen als eine Art Wirtschaftssystem definiert, das sich in den 1980er Jahren vor allem während der Regierungszeiten von Ronald Reagan und Margaret Thatcher durchgesetzt hat. Dieses System geht von der Annahme aus, der Markt reguliere sich selbst – daraus erfolgte eine Privatisierung vieler Unternehmen. Andererseits wird der Begriff auch auf einer sozio-politischen Ebene behandelt, die zwar nicht ganz von der Wirtschaft zu trennen ist, aber doch in andere Bereiche vorstößt. Die neoliberale Gesellschaft hat andere Ansprüche an ihre Subjekte und fordert zur Selbstregulierung und Selbstregierung innerhalb des vorgegebenen Rahmens auf. Gundula Ludwig beschreibt in ihrem Artikel „Regieren und Geschlecht. Feministische Überlegungen zur neoliberalen Transformation des Staates im Anschluss an Foucaults Gouvernementalitätsstudien“, der 2008 in dem Sammelband „Freiheit und Geschlecht. Offene Beziehungen, Prekäre Verhältnisse“ erschien, eine Folge dieses neoliberalen Einflusses auf unsere Gesellschaftsstruktur: 

Hinter der Flexibilisierung der Normalisierungsformen der Subjekte liegt eine Verschiebung der Regierungstechniken, da diese verstärkt in die Subjekte selbst verlagert und über den Einsatz der Freiheit ausgeübt werden. So avanciert Autonomie und Selbstverantwortung zu wesentlichen Elementen in den neoliberalen Subjektkonstitutionen, die darauf bauen, dass die Regierten von sich aus ihre Freiheit in einer Form nutzen, die für ökonomische und politische Ziele verwertbar gemacht werden kann.“ [1]

Die Teilnehmer*innen an der Gesellschaft werden dazu aufgefordert, sich selbst zu regieren. Das bedeutet, sie sind selbst dafür verantwortlich sich zu ermächtigen und politische und ökonomische Ziele individuell umzusetzen. Diese Betonung auf Individualität bringt einige grundlegende Entwicklungen in der Gesellschaft mit sich: Die neoliberale Idee sieht nicht mehr nur eine binäre, heteronormative Identität als einzig akzeptable, sondern schafft durch die genannte Flexibilisierung Platz für queere Identitäten – allerdings nur solange sich diese in das System einfügen. Queere Subjekte können in einer heteronormativen Gesellschaft allerdings nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Unverwundbarkeit ihr Privatleben offenbaren. Wer nicht Teil der heteronormativen Mehrheit ist, muss sich „outen“. Diese Aufforderung führt dazu, dass die queere Erfahrung als Paradebeispiel der neoliberalen Erfolgsgeschichte gesehen werden kann. Was diese Erfahrung so beispielhaft macht, beschreibt Antke Engel folgendermaßen:

„Dass Lesben und Schwule in diesem Kontext gefeierte Subjektivitäten darstellen, resultiert somit nicht so sehr aus der Tatsache, dass sie als bereitwillige Konsument_innen oder als ästhetisch-kulturelle Stilbildner_innen fungieren, sondern dass sie zu Bildträger_innen neoliberaler Vorstellungen werden. Sie gelten als Verkörperung einer privaten Lösung für ein sozio-ökonomisch bewirktes Problem. Als solche erscheinen sie als Vorbilder der Anpassung an die Herausforderungen neoliberaler Transformation – nicht etwa aufgrund ihrer sozialen Differenz, sondern weil sie vorgeblich wissen, wie Differenz zu managen und in kulturelles Kapital zu übersetzen ist.“ [2]

Dass die eigene Sexualität und Geschlechteridentität überhaupt öffentlich bekannt gemacht werden muss, um in der Gesellschaft zu funktionieren, wird nicht problematisiert; vielmehr wird die Verantwortung auf die Subjekte selbst geschoben. Sie werden dazu aufgefordert, diesen Nachteil zu ihren Gunsten zu nutzen und der größere Aufwand, der durch eine Systemänderung negiert werden könnte, gilt als umso bewundernswerter. 

Ein Ereignis zu dem argumentiert werden könnte, dass es das Private ins Öffentliche trägt, sind die jährlichen Regenbogenparaden der LGTBQIA+ Community. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Paraden eine lange Geschichte haben und eine wichtige Rolle im Kampf für Gleichberechtigung und Toleranz tragen, welche durch diese Arbeit in keiner Weise infrage gestellt werden soll. Zu allererst ist es wichtig zu erwähnen, dass der Kern der Pride und der Anspruch der jährlichen Events und Demonstrationen es ist, ein Bewusstsein für andere Identitäten außerhalb des heteronormen Standards zu schaffen und für soziale und rechtliche Gleichberechtigung zu kämpfen. 

Seit den ersten Stonewall-Protesten hat sich die Struktur der Umzüge verändert und spezifiziert. Die einzelnen unterschiedlichen und intersektionalen Identitäten haben sich zunehmend aus den Überbegriffen herauskristallisiert, was Platz für nicht nur die eigene Sexualität, sondern auch für die Art und Weise, in der diese ausgelebt wird, geschafft hat. Sexualität und sexuelle Präferenzen sind in unserer Kultur weitgehend Tabu-Themen, bei einem Event wie der Pride rücken diese jedoch auch in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das Private wird also in die Öffentlichkeit getragen, wenn auch nur für einen Monat oder den Tag der Parade. Dieser neue queere Platz ist dennoch streng definiert: Obwohl eine queere Erfahrung im Neoliberalismus genutzt werden kann, bedeutet es nicht, dass sich die heteronormative Struktur öffnet oder ablösen lässt. Es ergeben sich also neue Formen der Abgrenzung. 

Antke Engel nimmt im ersten Kapitel des Buchs eine Analyse eines Werbeplakats vor. Um die Mehrfachadressierung durch die Verwendung queerer Personen zu erklären, führt sie den Begriff der „projektiven Integration“ ein: 

„Bilder einer attraktiven oder sogar gefeierten Differenz können dementsprechend in unterschiedliche Richtung wirken: Sie dienen majoritär-identifizierten Subjekten als Projektionsfläche eines imaginären Begehrens, und sie bieten minorisierten Subjekten an, sich als Avantgarde zu verstehen.“ [3]

Sie führt ihre Analyse weiter mit der Erkenntnis aus, dass die Art der Repräsentation darauf ausgelegt ist, das „hetero-maskuline Potenzmonopol“ [4] unberührt zu lassen, indem queere Männer beispielsweise mit weiblichen Attributen oder Accessoires dargestellt werden.  Das ist eine interessante These, deren genauere Betrachtung weit über den Rahmen dieses Artikels hinausgehen würde. 

Eine andere Kritik jedoch, die ich noch erwähnen möchte, ist, dass der Platz, der für andere Identitäten eröffnet wird, sehr elitär sein kann. Die neoliberalen Erwartungen normieren eine bestimmte Form der (hauptsächlichen) Homosexualität. Um Akzeptanz zu erlangen wird von den Subjekten erwartet, sich in das System einzufügen. Somit wird die Duldung mit einer Art Erfolgserwartung verknüpft. [5]

Diese Formen der Abgrenzung sind natürlich viel weniger energisch, wie es die offenkundige Homophobie war und ist, mit der queere Menschen von Seiten des eigenen Staats früher rechnen mussten oder in anderen Regionen der Welt immer noch müssen. Obwohl diese neoliberale Komponente kritisch betrachtet werden kann, muss bemerkt werden, dass sie einiges Potential mit sich bringt. Die öffentliche Meinung kann im Privaten aufklären. Deshalb ist es auch so wichtig, diese Tabus zu brechen und eine Vielzahl an Identifikationsmöglichkeiten zu repräsentieren. Auch wenn die Entwicklung immer noch ausgrenzend und gemäßigt ist, trägt sie dennoch zu einer Normalisierung mancher Themen bei, die vielen Menschen behilflich sein kann und wird. 

[1] Ludwig, Regieren und Geschlecht, S. 45f.

[2] Engel, Bilder von Sexualität und Ökonomie,S. 56.

[3] Engel, Sexualität und Ökonomie, S. 45.

[4] Ebd.

[5] Vgl. Logorrhöe, Gay Lifestyle und Neoliberalismus

Literatur: 

Engel, Antke, Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus, Bielefeld: Transcript 2009. 

Kolávora, Katharina/Anja Schwarz, „Ökonomie des exzessiven Begehrens“ in: quelleres-net, 10(3), 2009 https://www.querelles-net.de/index.php/qn/rt/printerFriendly/788/801, Zugriff: 03.07.2019. 

Logorrhöe, Lore, „Gay Lifestyle und Neoliberasmus – eine Schicksalsgemeinschaft?“ in: etuxx.com, http://www.etuxx.com/diskussionen/foo240.php, Zugriff: 03.07.2019.

Ludwig, Gundula, „Regieren und Geschlecht. Feministische Überlegungen zur neoliberalen Transformation des Staates im Anschluss an Foucaults Gouvernementalitätsstudien“ in: Freiheit und Geschlecht. Offene Beziehungen, Prekäre Verhältnisse,Innsbruck: Wien [u.a.] : StudienVerl. 2008, S. 417-427.