ORACLE and SACRIFICE in the woods

Regie: Claudia Bosse, brut im Prater, 22. Mai 2022

ORACLE and SACRIFICE in the woods © Eva Würdinger
„Willkommen zu ORACLE and SACRIFICE in the woods“ (A.V.)

Ich werde gefragt, ob ich die Nächste sein will, und ich bejahe. Ich werde dazu aufgefordert, meine Kopfhörer zu aktivieren und die Audiodatei auf meinem Handy zu starten. Ich starte den Prolog. Nach eineinhalb Minuten werde ich auf die Wiese entlassen. Was folgt, ist ein Erlebnis eines audio-performativ geführten Walks durch den Wiener Prater – querfeldein in das Geäst und Unterholz. ORACLE and SACRIFICE in the woods ist die neueste Arbeit von Claudia Bosse und wird von uns, als Ersatz zu einer Festwochen-Produktion, besucht.

Eine weibliche Stimme erzählt mir die Geschichte der Bäume, der Erde, der Pilze sowie der griechischen Götter und gibt mir die Anweisung, mein Gesicht in das Gras der Wiese zu legen, die Füße weg von den Mädchenbäumen, die ich zuvor umrundete. Ich sehe mich um. Um mich herum schweben weitere Teilnehmer*innen durch die Wiesen. Eine Gruppe junger Erwachsener, die bereits vor uns auf der Wiese waren, sieht uns verwundert an. Jede*r geht in seinem/ihrem eigenen Tempo, macht seine/ihre eigenen Interpretationen und folgt der Stimme in den Ohren. Für Außenstehende ein absurdes Bild.

Die Stimme aus den Kopfhörern ist beruhigend und meditativ. Ich versinke immer tiefer in die Worte und in den Wald. Entlang der Pfade und im Dickicht warten Performer*innen, die ich als Bewohner*innen des Waldes und Götterwesen identifiziere. Diese interagieren jedoch nicht mit mir. Sie stehen meist einfach nur da und starren in die Ferne. Andere hocken in Erdlöchern, wieder andere hantieren mit Organen. In diesem intensiven Erleben von Natur sind fast alle Sinne dazu aufgefordert, sich zu schärfen und zu entfalten. Ich komme zu einer Person, die eine riesige Rinderleber trägt – Artemis – und werde von der Erzählstimme aufgefordert, ihr zu helfen. Ich sehe mich um – was machen die anderen? Niemand um mich herum geht auf die Darstellerin zu, geschweige denn hilft ihr. Ich sehe angewiderte Gesichter. Ich gehe weiter. Mir wird gesagt, ich solle mich auf das tote Holz legen – ich habe bereits beobachtet, wie dies andere vor mir getan haben und tue es ihnen gleich. Geschichten von Leben und Tod ziehen sich durch den gesamten Walk. Immer wieder wird darauf hingewiesen, wie aus Totes Lebendiges entsteht – der Kreislauf des Lebens – und wie alle Lebensformen sowohl in Abhängigkeit als auch in Symbiose mit- und untereinander leben. Eine Reise durch einen dynamischen Raum der Veränderung, geteilt mit anderen Lebewesen und Entitäten. Ich stehe wieder auf und setzte meinen Gang fort. Ich sehe Leute vor und hinter mir. Alle mit der gleichen Stimme im Ohr. Einige sind in eine Art Meditation verfallen, andere scheinen eher verwirrt. Ich sehe, wie die anderen Teilnehmer*innen den Pfad weitergehen und folge ihnen. Am Ende stehe ich auf der Platanenwiese und sehe meine Kollegen*innen auf bunten, floralen Polyesterdecken sitzen. Ich suche mir einen freien Platz und schaue durch die Baumkronen in den Himmel, während die letzten Klänge der Audiodatei meine Gedanken tragen. Diese Klänge sind allerdings elektronisch, klingen mechanisch, künstlich.

Der Walk ist geschafft – man bespricht sich untereinander, in dem Wissen, dass noch eine Performance folgt, die im Kollektiv erlebt wird. Diese Performance führt jedoch zu noch mehr Verwunderung. Die Darsteller*innen werden zu wilden Tieren mit unkontrolliert erscheinenden Bewegungen. Ein Spektakel der besonderen Art, das weitere eineinhalb Stunden dauert. Die Teilnehmer*innengruppe scheint doppelt so groß zu sein, wie zu Beginn. Mitten in Wien, im künstlich angelegten Naturgebiet des Prater-Parks begleiten wir ein kurioses Phänomen, welches im Publikum geteilte Reaktionen hervorbringt. Man belustigt sich über unwissende, vorbeikommende Passanten*innen, die denken, sie sind auf ein Ritual eines spirituellen Zirkels gestoßen. Die Zuschauer*innengruppe bleibt jedoch in Bewegung und folgt den Geschehnissen – auch wenn dies eine Falle zu sein scheint und man beginnt, darüber nachzudenken, ob der Titel des Stücks ernst gemeint ist. Die Sonne geht unter und es wird immer dunkler im Wald des Wiener Praters. Erleichterung macht sich breit, als das Stück zu Ende ist und ich es heil wieder aus dem Park schaffe – übersäht mit Gelsenstichen.

Claudia Bosse zeigt uns eine völlig andere Art, Theater zu machen und zu erleben. Der*die Teilnehmer*in tritt in Symbiose mit dem Stück und der Natur – die Möglichkeit einen Schritt zurückzugehen und der rasanten Entwicklung unserer Gesellschaft zu entkommen. Man fühlt sich in die Zeit der Kindheit zurückgesetzt, als man zum ersten Mal den Wald als mystisches und unbekanntes Gebiet entdeckte sowie erkundete und einem allerhand unmenschliche Wesen begegneten.


Es ist was faul im Wiener Prater (Roman Schneeberger)

Manchmal zeichnet sich ein Festival dadurch aus, was es nicht einlädt. Das brut hat hingegen eine eigene Logik. So zeigen zwar nicht die Wiener Festwochen, jedoch das brut, ORACLE and SACRIFICE in the woods von Claudia Bosse im Wiener Prater, wobei theaterbegeisterte Menschen ratlos zurückgelassen werden. Von der Nestroy-Preisträgerin kann man immer wieder Projekte in Wien erleben, was nicht bedeutet, dass man das auch soll.

Geschlagene 180 Minuten sind für diese Aufführung angesetzt und man soll bitte eine passende Ausrüstung für einen Abend im Prater mitbringen. Beim ersten Teil, mit Kopfhörern angeleitet durch das Dickicht spazieren, ist man zwischendurch noch fasziniert, wie Augmented Reality auch in der Natur funktionieren kann und wie der Blick auf Details gelenkt wird, welche üblicherweise im Vorbeigehen unbeachtet bleiben und nun plötzlich, wie magische Orte wirken. Man ist sich der potenziellen Kraft der Naturverbundenheit bewusst und will sich auf ein solches Projekt einlassen. Aber: Claudia Bosse macht es mir nicht leicht. Als Veganer fragte ich mich schon im Vorfeld, wie zeitgemäß die Verwendung von totem Tiermaterial noch ist. „Ja, wenn man Fleisch isst, muss man sich damit auch auseinandersetzen.“ So einem Statement würde ich mich auch anschließen, doch dann geht dieses Stück bei Veganer*innen ins Leere. Mir entfleucht die Frage, ob Claudia Bosse der neue Hermann Nitsch sei, und ein Mann fragt mich, ob er mich Claudia gegenüber zitieren dürfe – es würde sie sicher freuen. Ich denke mir, wenn er es als Kompliment sieht, wenn man völlig ohne Not respektlos mit Körpern von Lebewesen umgeht, dann bitte. Nitsch war ein Kind seiner Zeit und diese ist vorüber. Es ist so, als würde heute jemand auf einen Universitätsprofessor*innentisch defäkieren. Die einzige Provokation läge im Gedanken, was denn das Putzpersonal, das die Produktionsreste beseitigen muss, dafür kann. Auch hier leidet einzig und allein eine dritte Partei darunter, die durch diesen Diskurs nicht in Mitleidenschaft gezogen werden müsste.

Apropos: Welches Naturverständnis ist hier am Werk, wenn für eine Kunstproduktion unzählige Kulturwütige abseits der Wege getrieben werden und dabei gerade im Frühling die zarten Triebe im Fünfminutentakt niedertrampeln? Das wertschätzende Verständnis vom Umgang mit unserer Umwelt wird inzwischen weltweit durch Schutzzonen und Aufforderungen zu achtsamem Verhalten zum Ausdruck gebracht, und dann das. Ein rechtfertigender Verweis auf umweltzerstörende Verhaltensweisen anderer wäre da nur Whataboutism. Ob bei diesem Aspekt die Begründung für die behördlich verordneten Änderungen und Absagen zu suchen ist, könnte sein, wäre berechtigt und sogar noch immer zu wenig streng. Ein zufällig vorbeikommender Hund, der die hochgeschaukelte Ernsthaftigkeit bricht, erinnert mich daran, dass der Prater nun mal für alle da ist. Glücklicherweise und auch für die Kunst. Doch selbst der künstlerische Wert ist hier Lichtjahre davon entfernt, ein valides Pro-Argument für mutwillige Zerstörung und Tötung zu sein. Denn: Wir sind im zweiten, live-performativen Teil angekommen und folgen Performer*innen in den Wald zu einem Mysterientheater, das wie der Improvisationsteil der Aufnahmeprüfung für das Max Reinhardt-Seminar wirkt. Seht her, man macht große Kunst und will ernst genommen werden.

Schnell bekommt man das gleiche Gefühl, wie wenn man einen Trump-Supporter in einer Diskussion ausreden lassen muss. Jede*r verdient diesen Respekt und die Chance, vielleicht doch noch den einen oder anderen schlauen Twist zu produzieren, doch man weiß eigentlich schon, dass es nichts mehr wird – und in diesem Fall dauert das dann noch weitere 90 Minuten. Genügend Zeit, um sich immer wieder zu fragen, wieso man sich nicht darauf einlassen kann. Die Antworten werden zuverlässig gegeben. Es ist nichts schlüssig.

Man soll eintauchen in die Natur. Der natürliche Sonnenlauf gibt spätestens um 20 Uhr, in der Tradition des antiken Theaters, die Dramaturgie vor. Und dann werden LED-Lampen eingesetzt.
Es wird von den jahrhundertealten Bäumen im Prater gesprochen, von deren Wurzeln und weitverzweigten unterirdischen Verbindungen. Und dann: werden IKEA-Topfpflanzen hereingetragen. Sollte das ein Kommentar zur Neophyten- oder Kolonialismusdebatte sein, oder bin ich da schon zu wohlwollend?

Am Ende will man seine Zeit zurück. Die spannenden Punkte zu den beeindruckenden Zusammenhängen von Werden und Vergehen mit liebevoll neu entdeckten Winkeln des Praters würden durch eine Zeitrafferaufnahme eines Myzels in einem Universum-Praterspecial eindrucksvoller vermittelt. Wieso also Zeit, Mühe und Geld dafür aufgewendet werden, speziell Claudia Bosses Ideen zu diesem Thema in so einem Rahmen zu verwirklichen, bleibt eines der vielen unspannenden Rätsel, mit denen man zurückgelassen wird.


Auf den Spuren im Dickicht (S. W)

ORACLE and SACRIFICE in the woods führt für drei Stunden in die Tiefen des Waldes im Prater. Es zeigt neue Gesichter, Geister, Rituale und den Weg, sich mit der Natur um uns herum auseinanderzusetzen. Claudia Bosse lässt mit ihrem Audiowalk Fragen, Gedanken und Gefühle über schon vergessene Mythologien aufkommen, versucht Organen eine neue Bedeutung zu geben, lässt uns die Klänge in der Umgebung hören und die Erde sowie die Wurzeln spüren.

Alles braucht seine Vorbereitung, die richtige Technologie, die richtige Ausrüstung – von einem Gefühl der Sättigkeit bis hin zu Pullover und Jacke – um sich auf die Erfahrung einzustellen, mit der Natur verbunden zu sein. Allein und mit den Kopfhörern im Ohr bestreiten wir den Weg, hören und sehen zwar viele andere Personen um uns herum, die dasselbe tun wie wir selbst, aber die Erfahrung soll unsere eigene sein, wir sollen ganz in uns gekehrt sein und die Erde, die Baumrinde unter unseren Fingerkuppen spüren. Leichter gesagt als getan. Die Stimme in unserem Ohr redet uns gut zu, stellt uns Aufgaben und Fragen, erzählt uns Geschichten, denen zu folgen, nicht immer leicht ist und die uns teilweise wenig Zeit geben, um das Erlebte direkt nachzuspüren oder darüber nachzudenken. Es braucht immer wieder die eigene Verantwortung „Ja“ zu sagen, um sich dem Prozess weiterhin zu widmen.

Der Audiowalk endet und alle finden sich für die zweite Hälfte des Abends gemeinsam auf einer großen Wiese zusammen. Alle Performer*innen sind mit uns auf der Wiese und beginnen, sich langsam zu bewegen, sich fließend immer weiterzuentwickeln, bis etwas Neues in der Gruppe entsteht. Die Gesänge, Bewegungen, Rhythmen und Vorgänge erinnern an Rituale. Wir sehen zu, entscheiden selbst, wie nah oder wie weit weg vom Geschehen wir dabei sein wollen und aus welcher Perspektive wir es betrachten möchten. Es besteht ein konstanter Konflikt darin, Teil des Publikums zu sein und gleichzeitig das Bedürfnis zu verspüren, selbst mitzutanzen und es erleben zu wollen. Der Sprung von der Selbstentdeckung, der Partizipation und des Erlebens während des Audiowalks hin zur plötzlich nur rezeptiven Anwesenheit, während die Performer*innen erleben, ist sehr groß. Die Suche nach dem Mehrwert fällt schwer.

Eine optimistische und wohlfühlende Nachricht ist: Wir sind ein Teil der Natur, wir üben Gewalt an der Natur aus und die Natur übt Gewalt an uns aus. Claudia Bosse zeigt dies auf, indem sie unter anderem den Blick auf den Körper und seine Organe richtet, die verwesen sowie im Boden versinken können und auf denen noch lebendige sowie neu gewachsene Bäume entstehen.


Weiterleben durch Transformation – ein außergewöhnliches Theaterstück im Wald von Claudia Bosse (Tsvetelina Topalova)

ORACLE and SACRIFICE in the woods heißt die diesjährige Theaterperformance der deutschen Regisseurin, Künstlerin und Choreographin Claudia Bosse, die im Stück sogar mitspielte. In den letzten Jahren fand die Inszenierung immer in einem anderen Raum statt. Dieses Jahr wurde sie im Wald inszeniert und zweigeteilt: zuerst wurde das Publikum darum gebeten, an einem Audiowalk teilzunehmen und sich anschließend die Performance an dem letzten Ort, wo sich alle einfanden, anzuschauen.

Der erste Teil wurde für jede*r einzelne Zuschauer*in gedacht und führte in die „Welt“ der Erzählung durch die Positionierung des Publikums in der Natur (im Wald). Es wirkte wie eine Art Meditation und lieferte Assoziationen von Innen- und Außenwelt der tierischen sowie menschlichen Organe, aber auch von fiktiven göttlichen und religiösen Ritualen. Jede Person wurde zum Anfassen, Riechen, Suchen und der Natur Zuhören aufgefordert, sodass eine Erstellung von Kommunikation mit den eigenen Sinnen und Organen entsteht. Gedanken über die molekulare biologische Struktur der umgebenden Objekte und Lebewese sowie die Repräsentation von menschlichen Organen auf den Bäumen im Wald – das alles begleitete die einzelnen Zuschauer*innen. Eine besondere Bedeutung der Leber und des Herzens, begleitet von der direkten Interaktion mit verstorbenen menschlichen oder tierischen Organen (die zum Beispiel an einem Baum mit roter Farbe oder als echtes Objekt repräsentiert wurden), deuteten das Thema des Verbrechens, des Todesopfers und der Brutalität an. 

Die Bühne war in dieser Inszenierung keine klassische Bühne, sondern der Wald selbst. Die Darsteller*innen trugen hellblaue Kostüme, die sehr natürlich erschienen. Eine Rückkehr zur Natur, zu den seltsamen Geräuschen des Waldes, zu allen Mikroorganismen, Bäumen und Pflanzen, die ein Teil von etwas Ganzem sind, stehen im Vordergrund. Erde, Blätter, Sonne, Luft, Atmen, Anfassen, Grün. Die Präsenz vom Hier und Jetzt und die Verbundenheit aller Organismen durch deren Zerteilung und Neuverbindung miteinander. Die Botschaft ist eindeutig: jedes Lebewesen hinterlässt seine Spur und der Wald „verkörpert“ die Geschichte unserer Vorfahren. Wir werden mit ihnen durch die Natur, die gleichzeitig ein Raum für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft ist, zu einem Ganzen. Das Thema der Ökologie wurde in dieser Theaterperformance sehr stark angegriffen. Durch Formen sowie Assoziationen des menschlichen Körpers und eine neue Interpretation des Verstorbenen, des Vergangenen, führte zu dem Gedanken der „Wiederkehr“ und der Anwesenheit durch Transformation aller natürlichen Formen – sie leben innerhalb anderer Lebewesen weiter. Die (verstorbenen) Organe konnten auch als Medium für politische Botschaften gesehen werden. Sie erinnerten an die Bedeutung des Opferns als Ritual eines Kollektivs. Die Zeit wurde ein Medium des Zerfalls der Oberfläche, aber nicht des gesamten Körpers.

Die direkte Partizipation des Publikums im Raum des Stückes löste außergewöhnliche Affekte aus, die sonst durch eine klassische Theaterbühne nicht so „nah“ vermittelt werden könnten. Die Haltung der Schauspieler*innen erinnerte an „besessene“ Geister. Deren teilweise kreisförmigen Körperbewegungen und Lauten lösten in den Zuschauer*innen etwas Verwirrung aus. Sie konnten sich zwischen dem Publikum, und das Publikum zwischen ihnen, bewegen, sodass man das Gefühl von einem kollektiven Dasein bekam und sich automatisch, wie ein Teil des wilden Waldes fühlte. Das alles wirkte wie ein innerer Transformationsprozess für den eigenen Umgang mit den verschiedenen „Körpern“ der Natur, mit dem Tod aber auch mit dem Prozess des Weiterlebens.

Was für ein Teil des ganzen kosmischen Systems ist der Mensch? Was ist Bewusstsein und sind sich Tiere genauso des Todes bewusst wie der Mensch? Was passiert mit den Organen von Lebewesen nach deren Tod? Welche Rolle hat der Mensch im ganzen Ökosystem? Was ist die Bedeutung des Opfers und wo ist die moralische Grenze? Hat das Leben wirklich ein Ende oder leben wir durch molekulare Transformationen immer weiter? Oder nur länger, aber unter einer anderen Form? ORACLE and SACRIFICE in the woods führt selbst zur Transformierung.


„Frage dich – vor allem, wie lange noch…“ (Hannah Glatz)

Ein großer organisatorischer Aufwand muss betrieben werden, um die Performance von Claudia Bosse zu erleben. Ist es einmal soweit, steht eine*r am Beginn des grünen Praters und wartet darauf, in Gruppen eingeteilt zu werden. Im Vorhinein wurden Links verschickt, Packlisten wegen der langen Dauer ausgeteilt und für viel Irritation gesorgt. „Canceled“ – das steht auf der Website des brut, welches als Organisator bereitstand.

In Kleingruppe B gibt es Technikprobleme. Vier Personen im Alter meiner Eltern haben Bluetooth. Die Stimmung ist witzig bis unentspannt, so startet die erste Audio- Performance, 90 Sekunden nach der vorherigen Person und jede*r mit Kopfhörern ausgestattet.

Nun zur Performance. Weil „Ich hab‘s einfach nicht gefühlt“ keine fundierte Theater- oder Performancekritik ist, wird versucht, diese Aussage nachfolgend weiter auszuführen.
Dutzende Personen vor mir haben bereits gestartet. Sie berühren Bäume, liegen am Boden und gehen von der Wiese weg, folgen einem kleinen Weg weiter ins Gebüsch. Alle Anweisungen wird Claudia Bosse auch mir noch ins Ohr flüstern, es wird aber nicht neu sein. Ich warte auf die Instruktionen, obwohl ich sie nicht brauche, da ich bereits sehe, was ich zu tun habe. Die Gedanken schweifen ab, was schreib ich bloß in die Kritik?

Was für mich funktioniert hat? Niemand ging verloren, oder zumindest hat keine Person auffällig jemanden vermisst. Diese Angst war also unbegründet. Im Nachhinein gesehen wäre es auch eine Kunst, bei den Menschenansammlungen, die sich bei den einzelnen Stationen gebildet haben, nicht den richtigen Weg zu gehen.

Bosse lässt es sich nicht nehmen, selbst Teil der Performance zu sein. Als erste Darstellerin finden wir sie im Wald vor, wo sie sich gemeinsam mit einer gigantischen Rinderleber ihren kleinen Platz im Prater zu eigen macht. Mehrere Reihen an Menschen stehen vor ihr, hören zu, was sie auf der Aufnahme über sich selbst erzählt und warten darauf, wo der Weg als nächstes hinführt. (Das Warten ist reine Höflichkeit, jede:r kann sehen, wo der Weg weitergeht.) Die angekündigte individuelle Erfahrung, die mir zuerst etwas Angst gemacht hat, ist weder angsteinflößend noch individuell.

Wir enden auf einer großen Hundewiese, auf der wir warten, bis alle Teilnehmenden eingetroffen sind. Hier startet die Live Performance. Die Darsteller*innen, die im Wald verteilt performt haben, kommen nach und nach auf diese Wiese, um Teil des Baum-Chors zu werden. Wir werden in ein neues Waldstück geführt, die nächsten 90 Minuten beobachten wir, wie die Personen mal wahnsinnig schnell und dann wieder unaufhaltbar langsam durch den Wald laufen, Geräusche machen und den letzten Teil des Textes aufsagen. Sie keuchen und riechen süßlich. Ob es Absicht oder Zufall war, bleibt wohl ein Geheimnis.

Abschließend bleibt zu sagen, dass die Darsteller*innen viel geleistet haben, das war für alle Teilnehmenden zu sehen. Trotz der Bewunderung über die vielen Kleinigkeiten und die präzisen Ausführungen konnte ich mich nicht auf die Erzählungen und Wege einlassen. Mit weniger Zuschauer*innen wäre es womöglich leichter gewesen, doch die Schuld für das Nichtfunktionieren möchte ich nicht der Anzahl der Besucher*innen zurechnen.