Mit Kaffee fängt es an, mit Brüllen hört es auf?

Anonym

„Und was machst du da dann so?“ Es ist Weihnachten und damit wieder die Zeit gekommen, in der ich erfolglos versuche, meinen Verwandten meinen Beruf zu erklären. Der Alltag eines Regieassistenten ist leider eben nicht ganz so gut nachvollziehbar, wie der eines Rechtsdieners, obwohl mir auf den zweiten Blick auch dessen Alltag eher wie ein Mysterium erscheint. Mittlerweile habe ich mir also eine Standardantwort zurechtgelegt, die die Neugierde meiner Familie befriedigen soll: „Eben alles, damit es läuft.“ Und so abfertigend diese Antwort auch klingen mag, so wahr ist sie auch. Die Aufgaben einer Regieassistenz sind vielzählig und schwer in Worte zu fassen. Alle jedoch sorgen dafür, dass eine reibungslose Probenzeit und später erfolgreiche Aufführungen stattfinden können. Es handelt sich meist um organisatorische und kommunikative Aufgaben: Zwischen verschiedenen Sparten vermitteln, Probenpläne erstellen, das Textbuch aktuell halten oder Requisiten einkaufen. Wahr ist: Ohne die Regieassistenz würden viele Produktionen gar nicht erst zustande kommen. Doch bei diesen rein praktischen Aufgaben bleibt es in Wirklichkeit kaum. Nicht selten gehören zu meinen alltäglichen Aufgaben auch Kaffee holen zu gehen oder andere Kleinigkeiten zu erledigen, die die hitzigen Theaterpersönlichkeiten zufriedenstellen und einen cholerischen Anfall verhindern sollen. Und wie sich im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen immer wieder bestätigt, geht es nicht nur mir so. Ein offenes Geheimnis in der Theaterwelt ist, wie häufig Regieassistent*innen schlecht, oder gar missbräuchlich behandelt werden. Der verbreitete Terminus „Regie-Assi“ gibt ein trauriges Zeugnis dieses Umstandes. Doch was genau sind die vorherrschenden Probleme, denen Assistent*innen alltäglich ausgesetzt sind, und wie kann es sein, dass in Zeiten von MeToo und gewaltfreier Kommunikation noch immer ein solch rauer Umgangston für normal gehalten wird?

Die Reihenfolge ist klar: Hospitanz – Assistenz – Produktionsleitung bzw. Regie. Im Theater, wie in vielen anderen Branchen auch, muss man sich hocharbeiten, um erfolgreich zu sein. Ein ständiger Begleiter auf diesem Weg ist das Gefühl, ersetzbar zu sein. Viele andere junge Menschen wollen den Fuß in die Stagedoor bekommen und dies wird einem auch immer wieder gnadenlos klargemacht. Wenn man nicht alles macht, was von einem verlangt wird, kann man im Nullkommanichts ersetzt werden, oder vielleicht noch schlimmer: nicht weiterempfohlen werden. Denn dies scheint meist der einzige Weg, um überhaupt eingestellt zu werden. Man kennt jemanden, der jemanden kennt, mit dem man gearbeitet und der einen wiederum empfohlen hat. Oder so in der Art.

Ein vielleicht weniger bekannter Fakt ist jedoch: Regieassistent*innen sind rar. Die Art und Weise, wie die Theaterbranche um ihre Assistent*innen wirbt, sorgt dafür, dass es kaum Bewerber*innen gibt, die diesen Ansprüchen genügen. Viele Stellen werden dabei gar nicht erst ausgeschrieben, sondern hinter den Kulissen mit jemandem besetzt, den man schon (über verschiedenste Ecken) kannte. Viele junge Menschen haben es deshalb schwer, überhaupt eine Stelle zu bekommen. Und diejenigen, die es in dieses System geschafft haben tun alles, um darin zu bleiben, häufig unter der Aufopferung verschiedenster persönlicher Grenzen.
Dabei spiele ich nicht einmal auf die schlechte Bezahlung, die langen Arbeitszeiten oder die fehlende Anerkennung an, die für diesen Berufsalltag ganz normal zu sein scheinen. Auch zwischenmenschlich müssen sich Assistent*innen häufig einiges gefallen lassen. Aber fangen wir erst einmal am Anfang an: die Bezahlung.

„Ich bin ja froh, dass sie mich überhaupt angemeldet haben.“ Dieser Satz, gesprochen von einer Kollegin im Sommer letzten Jahres, hätte mich vielleicht mehr schockieren sollen, aber auch mir sind die Umstände, unter denen man in der Theaterbranche arbeitet, mittlerweile einfach zu sehr ins Blut übergegangen. So wird das künstlerische Personal innerhalb der freien Szene nur selten angemeldet und viele Mitarbeitende arbeiten unter einem Werkvertrag, obwohl dieser für die Art der Arbeit, die sie leisten, gar nicht zulässig wäre. Dabei gibt es unterschiedliche Vorgaben, die es zu erfüllen gäbe, sollte man innerhalb der freien Szene zum Beispiel eine Förderung der Stadt Wien beantragen wollen. Die Vorgaben der IG Freie Theaterarbeit sind dabei sehr klar und fordern unter anderem, dass künstlerisches Personal auf jeden Fall angemeldet werden sollte. Das tägliche Honorar bei einem 8 Stunden Tag ist hier mit mindestens 194 Euro brutto empfohlen.1 Eine Zahl, bei der ich anfangen möchte, manisch und gleichzeitig leicht weinend zu lachen. Nicht selten bekommt man als Regieassistent*in in der freien Szene ca. 900 Euro netto (auf Honorarnote) im Monat angeboten, für einen Vollzeitjob, der kaum Freizeit zulässt und erst recht keinen Nebenjob.

Dabei ist das Arbeiten auf Werkvertrag sogar meist noch die angenehmste Variante. So manche Kolleginnen oder Kollegen agieren häufig ganz ohne Vertrag. Ein täglicher Begleiter ist dabei nicht nur die finanzielle Unsicherheit, denn viele Absprachen passieren kurzfristig oder sind unzuverlässig, sondern auch die Angst um grundlegende Bedürfnisse, wie die medizinische Versorgung. So berichtete mir Luisa Müller2, die sowohl an einem großen Wiener Haus, als auch in der freien Szene als Regieassistentin und als Produktionsleiterin tätig ist und war, dass es keine Seltenheit sei, gar nicht erst krankenversichert zu sein. Dieses einfache Grundbedürfnis von gesundheitlicher Absicherung sei schlicht nicht leistbar für viele Theaterschaffende, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Von Tricksereien auf den Werkverträgen und Honorarnoten, auf denen falsche Berufsbezeichnungen oder von der Realität abweichende Anstellungszeiten festgehalten werden, um diese Art der Anstellung möglich zu machen, möchte ich hier gar nicht erst anfangen.

„Weißt du, als Regieassistent muss man auch damit klarkommen, in einer dienenden Position zu sein.“
Nach einem langen Tag, in dem man alles erdenkliche für das Gelingen einer Produktion getan hat, hört man so etwas doch gerne. Aber an dieser Aussage einer Intendantin mir gegenüber kann man sehr genau sehen, wie die Theaterszene zu ihren Assistent*innen steht. Und das liegt sicher auch mit an der Art der Aufgaben, die man zu erfüllen hat. Man trägt viel Verantwortung, muss besonders in den Endproben eigentlich immer erreichbar sein und arbeitet häufig über 10 Stunden am Tag, trägt aber selber eigentlich kaum Entscheidungsgewalt. Die Regieassistenz ist für das Gelingen einer Produktion existenziell, führt dabei aber nur Wünsche von anderen aus. Und hier liegt die Crux dieses Berufs und der Grund dafür, warum es für Vorgesetzte einfach scheint Assistent*innen mit Diener*innen zu verwechseln. In einer Rolle, die rein der Ausführung von organisatorischen Tätigkeiten und Wünschen der Regie dient, fällt Emanzipation und die Einschätzung von zwischenmenschlichen Untertönen schwer. Wo hört normaler Umgangston auf und wo fängt Grenzüberschreitung an? Dabei gibt es grade diese zuhauf innerhalb der Theaterarbeit. Angebrüllt zu werden scheint dabei noch vergleichsweise normal.
Luisa Müller beschreibt, wie eigentlich in jeder Produktion über ihre persönlichen Grenzen hinaus gegangen wird. „Das sind dann häufig unterschwellige Beleidigungen.“ Die Arbeit sei gezeichnet durch einen ständigen Machtkampf, den sie selbst als Produktionsleiterin noch immer wieder austragen müsse. Auch Gaslighting, Passivaggressionen und Chauvinismus seien tägliche Begleiter.

Sie selber habe schon eine dreijährige Berufspause hinter sich, um mit negativen Erfahrungen aus einer Anstellung umgehen zu können. Nach tiefgreifenden Streitigkeiten mit Kolleg*innen habe sie sogar eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, die sie beinahe dazu gebracht hätte, das Theater ganz hinter sich zu lassen. Mittlerweile stehe sie wieder fest im Beruf und habe Gegenstrategien entwickelt, um in der Theaterwelt zu überleben. In einer Welt, in der die einzige Währung sei, wie wichtig man ist, müsse man einfach wissen, wie man mitspielt. Und das bedeutet für sie, sich in der Szene der großen Egos einfach genauso wichtig zu machen. Theater sei auch abseits der Bühne alles nur Spiel.

„Nette Personen werden gefressen.“ Diese harten Worte findet Luisa in einem Gespräch mit mir im Dezember letzten Jahres. Um mit den alltäglichen Schwierigkeiten der Regieassistenz umgehen zu können, empfehle sie jedem, strikt Privates von Beruflichem zu trennen. „Ich mache nur meinen Job.“ Die Ängste von vielen Kolleg*innen, alle Bedürfnisse der Regie und Schauspieler*innen erfüllen zu müssen, halte sie dabei für unbegründet. Im Gegenteil habe Luisa die Erfahrung gemacht, dass man einen größeren und auch durchaus positiven Eindruck hinterlasse, wenn man frech oder forsch auftrete und sich nicht alles gefallen lasse. Auch das wahnsinnige Wissensmonopol, das man in der Rolle der Regieassistenz innehabe, müsse man sich immer klar machen. Ohne das Regiebuch wären viele Produktionen verloren, die Wahrscheinlichkeit während einer Produktion ersetzt zu werden, sei also relativ gering. Aber vielleicht werde man dann nicht noch einmal angefragt, setzt sie nach. Und hier liegt meines Erachtens genau das Problem. Um sich erlauben zu können, sich zur Wehr zu setzen, darf man nicht davon abhängig sein, wieder eingestellt zu werden. Viele junge Theaterschaffende ertragen also erst einmal solange die schlechte Behandlung, bis sie genügend Anfragen erhalten, um selber aussuchen zu können, für wen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten.

Frauen trifft es dabei sogar noch einmal härter. So berichtete Luisa beispielsweise, wie sie genau auf ihre Kleidung achtet, um weiterhin ernstgenommen zu werden. Damit sie sich ohne negative Folgen femininer präsentieren dürfe, müsse sie ihren Kolleg*innen gegenüber erst bewiesen haben, dass sie kompetent ist. Um sich vor Sexismus zu schützen, wähle sie in jedem Fall weit geschnittene Kleidung und versuche sich möglichst wenig zu verniedlichen. Die Theatersituation biete zudem durch „sexuell aufgeladene Situationen“ einen Nährboden für sexuelle Übergriffigkeit. Luisa betrachtet es insgesamt als Glück, selber noch nicht Opfer von sexualisierter Gewalt geworden zu sein. Die Angst, dass sich dies einmal ändern könnte, begleite sie aber alltäglich.

„Da muss ich halt durch.“ So treffend Luisa das formuliert hat, fühlen wahrscheinlich viele Kolleginnen und Kollegen. Der Beruf der Regieassistenz ist schließlich für die meisten vorübergehend und nur ein Schritt auf der Karriereleiter. Doch ist es das wirklich wert? Wenn man von außerhalb der Theaterszene einen Blick auf die Umstände innerhalb derselben wirft, wäre die Antwort für die meisten wahrscheinlich klar „Nein.“ Aber so einfach ist das leider nicht. Wer im Theater arbeitet, verbrennt dafür mit Leidenschaft. Eine ehemalige Vorgesetzte hat mir einmal geraten: „Du musst dir sicher sein. Wenn du dir irgendetwas anderes für dein Leben vorstellen kannst, mach lieber das!“ Nach langer Überlegung war für mich jedoch klar: Ich will mir gar nichts anderes vorstellen. Die Form des künstlerischen Ausdrucks, die das Theater bietet, bindet mich an die Bühne und damit auch an die Institutionen hinter den Kulissen. Und genau deswegen kann dieses System der Macht und des Missbrauchs erhalten bleiben. Leidenschaft macht leidensfähig. Und solange auch folgende Generationen von Theaterschaffenden mit der Vorstellung leben, sich erst einmal alles gefallen lassen zu müssen, wird auch weiterhin noch viel gelitten werden.

  1. https://freietheater.at/honoraruntergrenze/ (08.01.2024). ↩︎
  2. Name anonymisiert. ↩︎