Madama Butterfly

Regie: Satoko Ichihara, Brut Nordwest, 18. Mai 2022

Madama Butterfly © Philip Frowein
Von der Gejagten zur Jägerin (Katharina Langels)

Um den japanischen Männern zu gefallen, sollen sich japanische Frauen für große Augen lange Wimpern schminken, die Lippen pink bemalen und blond sein. Um westlichen Männern zu gefallen, sollen sie langes schwarzes Haar haben, ihre Lippen sollen rot und ihre Kleidung traditionell sein. Das entsprechende Videotutorial, das als Anleitung zur erfolgreichen Paarung dient, ist in Satoko Ichiharas Stück Madama Butterfly im brut nordwest zu sehen. Auf humorvolle, aber auch bedrückende Weise erforscht Ichihara Fragen nach japanischer Identität, Kultur(erbe), Weiblichkeit, Wurzeln, Religion und Schönheit. Welchen Blick hat die westliche Welt auf Japan und welchen Blick hat die japanische Bevölkerung auf den Westen? Wie wird man westlicher beziehungsweise weißer? In ihrem Stück verarbeitet sie den Schmerz der Japaner*innen, der durch den westlichen Blick auf sie ausgelöst wurde und mittlerweile seit Jahrhunderten andauert. Butterfly hinterfragt die weiblichen Ideale, nach denen sie sich richten soll, und führt einen bitteren Identitätskampf mit sich selbst: „When I’m in Japan, I never think about my Asianness, but in Europe I cannot stop thinking about it.“

Hierfür bedient sie sich der erzählerischen Rahmenstruktur der Oper Puccinis, die schon zu lange auf den Opernbühnen der Welt mit ihren rassistischen und misogynen Strukturen gespielt wird. Zu lange wird dem Opernpublikum durch einen Western Gaze ein stereotypisches Bild der japanischen Frau vermittelt. Ichihara dreht den Spieß um und hält dem Publikum den Spiegel vor: ihre Madama Butterfly ist, beeinflusst von dem Schönheitswahn der Japaner*innen einem scheinbar westlichen Schönheitsideal zu entsprechen, auf der Suche nach einem amerikanischen Mann, der der Vater ihres Hafu-Babys – einem Kind, das halb westlich, halb asiatisch ist – werden soll. Butterfly wird zur Jägerin, nimmt sich was sie will. Dass ihr Sohn später weder zur japanischen noch zur amerikanischen Kultur ein Gefühl von Zugehörigkeit verspürt, scheint zunächst unwichtig zu sein. Das Stück, das auch durch die vielen Videoprojektionen und Avataranimationen, mit denen die Akteur*innen interagieren, besticht, besteht aus drei Teilen. Während der erste und der dritte Teil einer Handlung folgen, gibt es im Mittelteil einen Bruch, bei dem die Schauspieler*innen aus ihren Rollen treten, um über Identitäts- und Besetzungspolitiken am Theater zu diskutieren. Dieser Austausch ist richtig und spannend, aber die Unterbrechung, die auf amüsante Weise erfolgt, nimmt dem Gespräch seine Wichtigkeit und die Nachricht geht im Trubel verloren.
Ichiharas Stück ist aufrüttelnd, beeindruckend und bewegt das Publikum zum Nachdenken. Sie zeichnet den schwierigen Weg nach, den japanische Frauen bereit sind zu gehen, um sich den westlichen Schönheitsidealen anzunähern. Der Tod Butterflys ist eine Verzweiflungstat, aber noch mehr ein Befreiungsschlag, um dem auf ihr lastenden Druck zu entkommen. Der Abend ist ein Rausch voller Eindrücke und Offenbarungen, die einen so schnell nicht mehr loslassen.


Eines schönen Tages werden wir sehen… (Anna Wäger)

Die berühmten Klänge der Puccini-Arie Un bel dì, vedremo (Eines schönen Tages werden wir sehen), performt von einem projizierten Madama Butterfly-Avatar geben den Auftakt zu Ichiharas zeitgenössischer Interpretation des Opernstoffes. Bis auf die Rahmenbedingungen des Dreiakters, den Schauplatz Japan und die drei Hauptfiguren bleibt jedoch nicht viel übrig vom ursprünglichen Narrativ um die unglücklich verliebte Geisha, die sich nach jahrelangem Warten auf die Rückkehr des Vaters ihres Sohnes, einen US-amerikanischer Marineoffizier, schlussendlich das Leben nimmt. Ersonnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts von ausschließlich Angehörigen des westlichen Kulturkreises gilt die Oper heute als Klassiker, wenngleich in den letzten Jahren immer häufiger die sexistische und rassistische Darstellung insbesondere Madama Butterflys als westliche Projektion auf die japanische Kultur kritisch betrachtet wird.
Ichiharas Inszenierung ist eine radikale Umkehr der Perspektive: Butterfly wird zur Gaijin-Jägerin (Fremde*r, Nichtjapaner*in), weil sie sich erhofft, durch die Zeugung eines Hafu-Babys (Bezeichnung für diejenigen, von denen nur ein Elternteil Japaner*in ist) dem westlichen Schönheitsideal ein Stück näherzukommen. Der Gaijin ist zwar eigentlich „nur“ amerikanischer Fremdsprachenassistent an einer japanischen Schule, der sich durch seinen Offiziersanzug die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts erhofft, das tut aber wenig zur Sache als er auf Madama Butterfly trifft, denn sie hat es lediglich auf seine Gene abgesehen. Ironisiert, überspitzt und banal zeigt sich Ichiharas Überschreibung, die Themen wie die Privilegien weißer US-Amerikaner in Japan, Menstruationsflecken auf der Unterwäsche und die Größe der Geschlechtsteile von Amerikanern und Japanern im Vergleich behandelt. Es gelingt eine Parodie, die die orientalistischen und exotisierenden Einschläge des Western Gaze entlarvt und anstelle der romantisierten Liebesgeschichte die Realität einer alleinerziehenden Mutter und deren biracial Sohn in Japan zeigt.
Die Dekonstruktion der stereotypen Charaktere kumuliert im Mittelteil der Inszenierung, als die immersive Bühnen-/Leinwandwelt zerfällt und den Blick auf ein fiktives Theaterensemble freigibt, das über die Besetzungspolitik des eigenen Stückes diskutiert: der Gaijin wird von einer Frau* gespielt und Butterflys Sohn kann kein Japanisch. Äußere Zwänge scheinen die Wunschbesetzung der Regisseurin verunmöglicht zu haben und dies wird sogleich zum Startschuss für Fragen zur Legitimität der Rollenverteilung und Machtverhältnisse. Theater und Medien zeigen sich als Orte der gesellschaftlichen Verhandlung von kultureller Repräsentation und Identität. Mit der Umkehrung der Blickrichtung lenkt Ichihara die Aufmerksamkeit geschickt auf die eigenen sexistischen und rassistischen Vorstellungen, die es ins Visier zu nehmen gilt. Aber wie lassen sich die kolonialen Strukturen unserer Sehnsüchte überwinden?

Nun, eines schönen Tages werden wir es (hoffentlich) sehen…


Madama Butterfly – Zwischen Identitätsfindung und Yellow Fever (Hannah Hiltensperger)

Satoko Ichihara inszeniert in ihrer Version der Oper Madame Butterfly den Klassiker von Giacomo Puccini neu und schafft es dabei, aktuelle Themen anzusprechen und sie unterhaltsam sowie spannend in Szene zu setzen. Die Zuschauer erwarten drei Akte einer dramatischen Geschichte, die durch eine derbe Sprache aufgelockert wird und so auch zum Lachen einlädt.

Mittwoch, 18. Mai, 20.00 Uhr. Der Blick auf das Bühnenbild wird frei, das aus mehreren Vorhängen und einem runden Bett besteht. Die Madame Butterfly Cio-Cio San (dargestellt von Kyōko Takenaka) beginnt mit verschiedenen, auf die Wände des Bühnenbildes projizierten Charakteren zu diskutieren. Schnell wird das Thema klar: Das Schönheitsideal der weißen Amerikaner – aus den Augen der japanischen Frau für sie nicht zu erreichen. Um sich aus ihrem Elend zu retten, findet sie dennoch einen Ausweg: Ein Hafu-Kind von einem sogenannten Gaijin bekommen. Hafu steht für eine Person, die einen japanischen und einen nicht-japanischen Elternteil hat, während Gaijin einen westlichen Ausländer in Japan bezeichnet. Im Stück wird der Gaijin durch einen amerikanischen Mann dargestellt, der sich in seiner Heimat keiner besonderen Popularität erfreut und in Japan lebt, um sich dort von den japanischen Frauen begehren zu lassen. Nachdem Cio-Cio San ihr Äußeres verändert, um einem amerikanischen Mann zu gefallen, lernen sich die beiden kennen und es kommt zu dem Ereignis, das ihren Traum vermeintlich wahr werden lässt: Der Geschlechtsverkehr zwischen den beiden.

Der zweite Akt beginnt mit einem unerwarteten Bruch: Die Schauspieler*innen (neben Kyōko Takenaka auch Yan Balistoy und Sascha Ö. Soydan) lösen sich aus ihren Rollen und beginnen darüber zu diskutieren, ob es nicht andere Wege für die Handlung des Stückes und die Besetzung gebe. Dazu wird die Regisseurin des Stückes (gespielt von Brandy Butler) per Videoanruf dazugeschaltet, die von ihrer eigenen Erfahrung als Gaijin-Jägerin und den Problemen, denen sie sich als Japanerin beim Theater stellen muss, erzählt. Die mitunter sehr ernste und dramatische Handlung des Stücks legt eine Pause ein, in der für das Publikum Zeit zum Lachen bleibt, und auch der Hinweis auf die Kommunikation im Stück lässt die Zuschauer schmunzeln. Nur durch die Untertitel ist der Großteil des Publikums im Stande, die Schauspieler*innen zu verstehen, die sich auf unterschiedlichen Sprachen miteinander unterhalten.Die so locker scheinende Diskussion führt jedoch die Thematiken des Stückes fort und sollte nicht als reine Verschnaufpause abgetan werden.

Der dritte Akt konzentriert sich auf die Probleme, mit denen das aus der Beziehung von Cio-Cio San und dem Gaijin entstandene Hafu-Kind zu kämpfen hat. Der Sohn ringt mit seiner eigenen Identität, da ihm von allen Seiten seine japanische Herkunft „abgesprochen“ wird. So wird er von Gaijins als einer von ihnen angesehen und auf Englisch angesprochen, obwohl er die englische Sprache nicht beherrscht. Ein japanisches Mädchen fragt ihn hingegen unverblümt, ob er, wie die anderen Amerikaner, B.O. (body odor – zu deutsch Körpergeruch) habe und somit stinke. Gleichzeitig muss er sich um seine alleinerziehende Mutter kümmern, die wie in der Vorlage von Puccini von ihrem amerikanischen Mann verlassen wurde und in eine tiefe Depression rutscht. Die Misere des Sohns führt bis zum Äußersten – dem Selbstmord der Mutter, die ihm selbst noch aus dem Jenseits nachruft, wie toll er es als Hafu habe.

Das Stück behandelt auf humoristische Art und Weise sehr aktuelle und ernste Themen: Rassismus und die damit zusammenhängende Sexualisierung, unerreichbare Schönheitsideale und der Kampf, die eigene Identität zu finden. Das Stück dreht gleichzeitig die problematische Handlung der Vorlage um, indem auch die Figur der Madame Butterfly zur Gaijin-Jägerin wird. Für sie selbst zählt lediglich, dass sie ein Hafu-Kind hat. Der Vater des Kindes spielt an sich keine Rolle und die Hauptfigur bringt sich nicht aus dem Grund um, weil er sie verlassen hat. Es ist tragischerweise das westliche Schönheitsideal, das sie als Japanerin nicht erreichen kann und die Ablehnung durch ihren Sohn, an der sie letztendlich scheitert.
Das Publikum wird durch die vulgäre Sprache, die im Stück verwendet wird, zum Lachen gebracht – besonders der Bruch im zweiten Akt schafft hier den idealen Ausgleich zwischen der ernsten Handlung und Humor. Das Stück lädt dennoch zum Nachdenken und Diskutieren über die Handlung ein. Nicht ohne Grund wird dem Publikum ein Spiegel vorgehalten, wenn die Regisseurin über die Rezeption ihrer Stücke in Europa spricht und das Publikum mitunter auch kritisiert.


Hello Kitty, Rosenblüten, Sushi, Kimonos, Augenlidkleber und die Suche nach amerikanischem Sperma (Nele Hofmann)

Satoko Ichiharas Madama Butterfly hat kaum noch etwas mit der ursprünglichen Oper Puccinis zu tun und gleichzeitig doch alles. Die Hauptfigur Cio-Cio San, gespielt von Kyōko Takenaka, ist im Gegensatz zur Originalversion nicht die Gejagte, sondern die Jagende. Als sog. Gaijin-Hunter begibt sie sich auf die Suche nach einem Amerikaner (der auch Europäer oder Australier sein darf – man soll sich ja nicht an Kleinigkeiten aufhängen), dessen „weiße Flüssigkeit“ ihr den Traum eines Hafu-Babys – eines halb weißen Babys – erfüllen kann. Auch wenn Cio-Cio San dadurch eine aktivere Rolle einnimmt als nur die geheiratete Geisha zu sein, bleibt der Sohn in dieser Inszenierung ebenfalls als einziges Kapital der Frau bestehen. Ichiharas Inszenierung ist in der heutigen Zeit angesetzt, trägt aber dennoch tiefe Spuren des imperialistischen Zeitalters. Als ein koloniales Überbleibsel drehen sich die drei Akte (+Überraschung) um die Minderwertigkeitskomplexe der Hauptfigur, die den westlichen Schönheitsstandards ihrer eigenen japanischen Gesellschaft nicht gerecht werden kann. Der Satz „Es kommt auf die inneren Werte an“ wird als privilegierte Floskel enttarnt, deren Wahrheitsgehalt zweitranging, wenn nicht sogar irrelevant ist.
Mit nur drei Darsteller*innen – unterstützt von animierten Avataren – werden alle vorstellbaren Vorurteile bedient. Auf ihre eigene überspitze Art und Weise schafft es Ichihara, jedes Tabu zu brechen, ohne dass man es ihr übelnehmen kann: Sei es Sex mit der heiligen Maria oder der Monolog von Cio-Cio Sans Sohn (gespielt von Yan Balistoy) darüber, ob sein westlicher Penis nicht viel zu groß für die Vulven japanischer Frauen sei.

Ungeachtet des vulgären Überflusses und der Seichte der Figuren schafft es die Inszenierung, das Thema Identitätspolitik auf eine vielseitige Art zu beleuchten. Die Auseinandersetzung damit, was es heißt eine japanische Frau zu sein, kann stellvertretend für die generelle Frage gesehen werden, ob man sich in einer globalen Gesellschaft, die von postkolonialistischer weißer Überlegenheit diktiert wird, den Luxus leisten kann, sich auf innere Werte zu konzentrieren. „Wir wollen weißgewaschen werden“ schreit Cio-Cio San, nachdem sie den Avatar von Kate Pinkerton auffordert, sich als Sailor Moon zu verkleiden. Kate verkörpert Cio-Cio Sans Idealbild einer Frau – ein tragischer Verweis auf die ursprüngliche Oper. Die von Juan Ferrari animierten Charaktere sind antagonistische Gesprächspartner*innen der Hauptfiguren, stellen aber auch Hintergrundinformationen bereit: So erklärt ein Avatar des Illustrators Georges Bigot, der im 19.Jahrhunderts in Japan arbeitete, wie er selbst und andere Männer seiner Zeit Japaner*innen als affenartig gesehen haben. Die Avatare werden auf bunte Vorhänge projiziert, die die kleine Bühnenfläche keilförmig einrahmen. 
In einem überraschenden Bruch zwischen dem zweiten und dritten Akt kommt es zu einem scheinbaren „Behind The Scenes-Gespräch“ zwischen den Schauspieler*innen. Vor allem die türkisch-deutsche Schauspielerin Sascha Soydan wundert sich über ihre Besetzung als amerikanischer Pinkerton. Die Schauspieler*innen diskutieren die Grenzen und auch heuchlerische Intention diverser Casts und schaffen es humorvoll sowohl sich selbst als auch dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten.

Die Inszenierung Ichiharas stellt auf eine selbstironische Art komplexe Beziehungen und gesellschaftliche Relationen dar, ohne den Anspruch, diese zu vereinfachen. Als Zuschauende kann man sich nirgends festhalten. Das Stück bietet keine moralische Orientierung, sondern zeigt auf satirische Weise die Absurdität unseres Umgangs miteinander.


Weiße Schönheitsnormen (Hannah Glatz)

Die Neuauflage eines bekannten Stücks geht häufig mit Skepsis einher. Diese Skepsis hatte diesmal keine Berechtigung. Satoko Ichihara konnte mit ihrer Interpretation der Madame Butterfly die Erwartungen eingeschweißter Opernfans vermutlich nicht erfüllen, doch all diejenigen, die sich die Frage stellen, wie so eine Geschichte noch unadaptiert auf die Bühne gebracht werden kann, dürften sich gefreut haben.
Das zentrale Thema dieser Fassung ist weiß sein. Privilegiert sein, weiß sein und englisch sprechen. Butterfly, gespielt von der Regisseurin selbst, träumt davon, weiß zu sein. Die inneren Werte zählen nur, wenn sie sich nicht mit weißen Personen vergleichen muss. An dieser Stelle kommt Kate ins Spiel, in der klassischen Fassung die weiße Frau, die Butterflys Sohn nach Amerika mitnehmen möchte, weil er dort ein besseres Leben hätte. In Ichiharas Interpretation ist sie das nicht. Sie ist einfach nur eine weiße Frau mit demselben Namen. Kate und die heilige Mutter Maria stehen in diesem ersten Akt für den Traum den Butterfly hegt. Sie begehrt die Marienstatue in der katholischen Kirche, sie wünscht sie sich als Mutter, und wäre sie ein Mann, würde Butterfly sie ficken wollen.

Im zweiten Akt pausiert das Spiel. Es finden Gespräche statt, die wirken sollen, als wären sie außerhalb jeglicher Rolle. Die Darstellenden tragen jedoch nicht ihre eigentlichen Namen und haben nicht ihre eigentlichen Lebensläufe. Das Stück verortet sich irgendwo zwischen März 2020 und heute. Wir werden Teil eines Online-Meetings zwischen den Darsteller*innen und der corona-erkrankten gespielten Regisseurin. Die Sprachen wechseln zwischen Japanisch, Deutsch und Englisch. Es wird die Frage aufgeworfen, was denn echt und was Repräsentation auf der Bühne sein muss sowie was sie nicht sein muss oder auch nicht kann.
Im letzten Akt steht der Hafu-Sohn Butterflys im Mittelpunkt. Er bespricht mit den Zuschauenden die Vorurteile, die es ihm gegenüber gibt. Zwischen Körpergeruch und Englischkenntnissen steht auch die Beziehung zu seiner Mutter im Raum. Die Lockdowns belasten beide: auf engem Raum in einem kleinen Haus leben sie zu zweit.
In einem Interview sagt Ichihara, dass die Figur des Sohns für sie von besonderer Bedeutung ist. Das wird im Stück sichtbar: Er wird auf ein Podest gehoben, von der Mutter und von seiner Freundin. In beiden Beziehungen spielt sein Penis eine große Rolle – der große Penis eines Amerikaners. Auch abseits dieses Dialogs wirkt die Beziehung zwischen Butterfly und ihrem Sohn sexualisierter als es für eine solche die Norm wäre.

Die Live-Performance endet mit dem Suizid Butterflys. Doch auf der Leinwand geht es weiter. Hier wird ein Bogen gespannt von den anfänglichen Träumen rund um die Mutter Maria. Butterfly erscheint als Marienstatue. Als Figur, die sie als Mann und Sohn ficken würde, spricht sie nun Abschiedsworte und gibt ihrem Sohn Ratschläge.


Madama Butterfly – A Modern Tragedy of Japan (Nefeli Giolas)

Satoko Ichihara dichtet die Oper Madama Butterfly aus dem Jahr 1904 von Giacomo Puccini um und verhandelt dabei aktuelle Themen, wie die Rolle der japanischen Frau und den Western Gaze. Mit lediglich drei Darsteller*innen und verschiedenen Projektionen inszeniert sie die „Tragödie aus Japan“ neu.

„Warum sieht mein Gesicht so aus?“, fragt Cio-Cio San, genannt Butterfly, zu Beginn des Stücks und offenbart damit das Kernproblem der Protagonistin: Sie findet sich nicht schön. Ihr Gesicht entspricht nicht den westlichen Schönheitsstandards, die ihr seit der Kindheit in den Modemagazinen vermittelt wurden. Selbst der Anime Charakter „Sailor Moon“ und die Heilige Maria seien blond, blauäugig und schön. Butterfly 2, die andere Stimme in ihr, versucht zu erklären, dass es auf die inneren Werte ankomme, doch Butterflys Komplexe sind zu tief in ihr verankert. Sie ist todunglücklich. Das Einzige, was sie noch retten kann, ist ein Hafu-Baby, halb japanisch, halb weiß. So begibt sich Butterfly auf die Jagd nach dem Sperma eines „Gaijins“, eines Weißens.

Der Wunsch nach einem Hafu-Baby ist keine Erfindung der Regisseurin, sondern eine japanische Obsession. Wie kann es sein, dass sich japanische Frauen ein Kind wünschen, das sich äußerlich von ihnen unterscheidet? Welche tiefliegenden Komplexe müssen dahinterstecken? Die Neuinszenierung von Madama Butterfly verhandelt westliche Schönheitsideale und das Rollenbild der asiatischen Frau.
Zwei Projektionen, die an Youtube-Schmink-Tutorials erinnern, erklären Butterfly nacheinander, wie sie sich herrichten muss, um attraktiv zu wirken. „Begatte mich, begatte mich“ soll das Make-Up ausrufen. Die Augen müssen dunkel geschminkt sein und weit aufgerissen werden. Die Lippen solle man in einem dezenten Rosaton halten, denn Männer stünden auf natürliche Frauen. Lediglich einen schwarzen Lidstrich und einen roten Lippenstift solle man auftragen, erklärt die andere projektierte Frau, denn Rot stehe für Asien. Für asiatische Männer solle man möglichst weiß aussehen, für weiße Männer möglichst asiatisch, doch beide Tutorials leiten dazu an, dass man in eine Rolle schlüpft, sich verstellt und einer männlichen Phantasie entspricht.

In der ursprünglichen Fassung von Puccini nimmt sich der amerikanische Offizier Pinkerton für die Zeit seines Aufenthalts in Asien eine japanische Geliebte, genannt Butterfly. Er bricht ihr das Herz, als er sie schließlich für eine weiße Frau zurücklässt. Die Oper bildet den westlichen Blick auf die japanische Kultur ab, zeigt den Traum der Exotik und des Fremden. Ichihara dreht die Geschichte in ihrer Neufassung um. Die Frau begibt sich auf die Jagd nach dem Sperma eines weißen Mannes. Nichtsdestotrotz wird der Blick des Westens auf Japan erneut zum Thema. Weiße Männer unterliegen entweder dem „Yellow Fever“ und verherrlichen die „Exotik“ der asiatischen Frauen oder reisen nach Asien, weil sie sich erhoffen, dort einfacher eine Frau für sich zu gewinnen als in Amerika.
Butterfly lernt schließlich in einer Bar einen Englischlehrer aus Amerika kennen. Das Leben als Gaijin in Japan sei einfach, doch hauptsächlich wegen der asiatischen Frauen, sei er nach Japan gezogen, erklärt dieser dem Publikum. Butterfly entspricht seinem Schema, so wie er Butterflys Schema entspricht. Beide sind sie die animalische Beute des jeweils anderen, unmöglich sich auf menschlicher Ebene zu begegnen, weshalb sich ihre Wege alsbald wieder trennen.

Ichihara erweitert daraufhin Puccinis Oper um zwei Szenen. Zunächst wird das Bühnenbild abgebaut und die Darsteller*innen schlüpfen aus ihren Rollen. Es entbrennt eine Diskussion zwischen den Schauspieler*innen, inwiefern eine Frau den Englischlehrer verkörpern kann. Der philippinische Schauspieler, der Butterflys Hafu-Sohn darstellen soll, aber kein Japanisch spricht, zieht den Vergleich zu einer Karotte, die für ein Gericht in dünne Scheiben geschnitten wird und als Nudel zum Einsatz kommt. Der Mehrheit aller Menschen würde dies missfallen, doch wir hier – und damit wendet er sich ans Publikum – sind die Sorte Mensch, welcher das gefallen könnte. Ob es dem Publikum aber gefällt, wenn ihm vor dem Essen ein langer Vortrag darüber gehalten wird, wieso die Karotte anstelle der Nudel eingesetzt wurde, ist eine andere Frage. Die Szene unterbricht den Erzählfluss, wirft aber erneut die elementare Frage auf, inwiefern sich optische Unterschiede und die Herkunft wegdenken lassen. Wichtig an der Szene ist außerdem, dass die Schauspielerin von Butterfly, obwohl sie das gleiche Äußere wie Butterfly hat, keinen leidigen Ton mehr in ihrer Stimme trägt. Sie scheint mit ihrer äußeren Erscheinung keine Probleme zu haben. Ganz im Gegenteil: sie macht sich über die Amerikaner lustig. Butterfly schlüpft aus der Rolle und deckt die Selbstverständlichkeit, mit der wir Butterflys Selbstzweifel wahrgenommen haben, auf. Nicht jede asiatische Frau leidet unter ihrem Äußeren. 
Schließlich kehren die Schauspieler*innen in ihre alten Rollen zurück. Es sind viele Jahre vergangen. In einem bedrückenden Monolog erzählt Butterflys Sohn, der mittlerweile herangewachsen ist, von seinen Schwierigkeiten als Hafu-Kind. Er weiß nicht, wohin er gehört, und stellt sich der Frage nach der eigenen Identität. Er kennt seinen Vater nicht und schämt sich für seine Mutter, die an Depressionen erkrankt ist. Der schöne Sohn, welcher der Ausweg aus Butterflys tragischen Leben sein sollte, bittet schließlich seine eigene Mutter, sich umzubringen, weil er ihren Anblick nicht länger erträgt. In einer großen ironischen Geste nimmt sich Butterfly das Leben und lässt damit auch all die Selbstzweifel der japanischen Frauen verstummen.


Madama Butterfly – Madama stereotype (Juliana Furthner)

Das Stück beginnt überraschend, vielleicht sogar erfrischend, mit einem Wechsel aus Monolog und Dialog. Auf Japanisch. Eine Performerin wird von überdimensionalen Projektionen, die auf Vorhänge projiziert werden, um- und eingehüllt. Der Raum ist zu Beginn des Stücks klein, wirkt privat und gemütlich. Ein weicher Teppich auf dem Boden, ein großes rundes Sitzkissen, auf denen sich die Performerin abwechselnd niederlässt, herumspringt oder -rollt, während sie ihr eigenes Aussehen beklagt. Auf die Vorhänge werden, neben einer fantastischen Landschaft, auch einige Avatare projiziert, mit denen diese nun verhandelt. Beim Anblick der Figuren, deren Darstellung sowie der Konversation wird schnell klar, es geht um Identitäten und Schönheitsideale, vor allem aber um Stereotype. Und die werden bereits in dieser ersten Szene ausgedehnt reproduziert. Jedoch wenig originell diskutiert.

Das Stück basiert auf der gleichnamigen Oper Madama Butterfly von Giacomo Puccini. Ursprünglich handelt die Oper von der Beziehung eines US-amerikanischen Offiziers und einer Geisha, der Verherrlichung des weißen Mannes und der unendlichen Hingabe der Frau. Die Idee von Satoko Ichihara war wohl ein Perspektivenwechsel. Die Frau steht im Mittelpunkt und folgt ihren eigenen Wünschen. Das Konzept für die Umsetzung der Idee scheint Überforderung zu sein, eine sehr überspitzte Darstellung von Stereotypen, ironisch und provokant. Zusätzlich einige so überspitzte Momente, die ins Humoristische übergehen sollen. Ein weiteres Konzept, das in einer späteren Szene erkennbar wird, scheint eine Art Dekonstruktion zu sein, eine Auflösung der zuvor sorgfältig kreierten fantastischen Welt auf der Bühne. Die drei Performer*innen fallen plötzlich aus ihren Rollen, diskutieren mit der über Video anwesenden Regisseurin des Stücks über die Inszenierung und sprechen auf einmal unsere Landessprache. Kostüme werden abgelegt. Der im Original als US-amerikanischer Offizier dargestellte weiße Mann – in diesem Stück ein Englischlehrer – wird von einer Frau verkörpert.
Auf verschiedenen Ebenen will uns das Stück etwas aufzeigen, etwas vorführen und etwas vorhalten. Die Aussage, die die Regisseurin damit treffen will, wird klar. Die Umsetzung könnte jedoch gefühlt geschickter sein. Denn es gäbe mit Sicherheit Wege, diese zurecht kritische Haltung weniger demonstrativ und vorhaltend einzunehmen und dem eigenen Denken der Zuschauer*innen etwas mehr Raum zu geben. Das Stück könnte sich vielleicht weniger als Medium zur Konfrontation und mehr als Impulsbringer für ein Weiterdenken sehen. Denn das Mittel der ständigen Wiederholung von Stereotypen und Klischees wirkt für mich statt einem Demaskieren von sexistischen und rassistischen Projektionen fast mehr wie ein Reproduzieren dieser. Auch die Momente, in denen Aussagen so überspitzt werden, dass sie dem Publikum tatsächlich ein Auflachen entlocken, gewähren einen Moment der Distanzierung und sind für mich oft äußerst gewollt sowie platt. Sie erlösen nur selten von der eher ernsten Miene, die sich, zumindest auf meinem Gesicht, eingestellt hat.


Eine (moderne) Ästhetik der unverschämten Wahrheiten bei Madama Butterfly  (Tsvetelina Topalova)

Von der Uraufführung in Italien 1904 bis zu der heutigen modernen Aufführung hat die Tragödie Madama Butterfly. A Tragedy of Japan einen langen Weg hinter sich. Das Theaterstück von der japanischen Dramarikerin, Regisseurin und Romanautorin Satoko Ichihara führt das Publikum auf eine unverschämte Weise in die politischen, sexuellen und multikulturellen Vorurteile des 21. Jahrhunderts: Fast mit einem für das Theater ungewöhnlichen Bild, nämlich mit 3D-animierten Avataren im Gespräch mit der Hauptfigur Madama Butterfly, die von Satoko Ichihara selbst gespielt wird und die mit einer sehr direkten und offensichtlich frechen Haltung mit den wechselnden Avatar-Figuren interagiert. Schönheitsideale der verschiedenen Kulturen in Japan und in den US im Kontext mit der weiblichen und der männlichen Sexualität stehen im Mittelpunkt, sodass das Publikum gedanklich direkt ins Gespräch mitgenommen wird. Die Farben des Dekors und der Eindruck von der ganzen Bühne waren in Harmonie mit den Dialogen und dem ganzen Geschehen – Pink und Rot fielen am stärksten auf. Ein unverschämtes (Aus-)Lachen und die oft schreiende Stimme der Hauptdarstellerin luden das Publikum mit Spannung, Scham und Provokation auf. Die Körpersprache auf der Bühne trat zusammen mit dem Text des Stückes sehr auffällig vor, sodass die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen komplett auf der Bühne bleibt. Nach der ersten Szene mit den 3D-Avataren und der Geisha kam die Szene mit dem US-amerikanischen Offizier, der von einer weißen halb-türkischen Schauspielerin gespielt wurde. Die Figur befand sich in einer Kirche, wo sie ihre Geschichte mit der Verführung der Geisha vor dem Priester – gespielt von einem Halb-Amerikaner, halb Japaner – beichtete. Der Sex, die Vermischung der beiden Kulturen und gleichzeitig das Streben nach kulturellen Schönheitsidealen wurden weiterhin über eine unverschämte und etwas vulgäre Sprache vermittelt. Der Höhepunkt dieser Szene war der vorgespielte Geschlechtsverkehr zwischen den beiden Schauspielerinnen (bzw. der Geisha und dem Offizier), bei dem der Offizier ein plastisches männliches Geschlechtsteil aus der Hose rausnahm. Diese Szene wurde plötzlich von einem vorgespielten Dialog zwischen den Schauspieler*innen und der Regisseurin unterbrochen, in der die Schauspieler*innen plötzlich eine andere Rolle verkörperten. Sehr direkt, provokativ und „unvorsichtig“ sanken die vier Figuren in eine tiefe Diskussion darüber, ob sie für die bis jetzt dargestellte Geschichte dieselbe Besetzung behalten oder nicht. Dadurch gaben die dem Publikum einen „Blick hinter die Kulissen“, der sehr klar machen sollte, dass im Theater und bei der Besetzung der Schauspielerrollen sehr viel Sexismus und Rassismus herrscht. Das Schauspiel fiel allgemein sehr frei und unverschämt auf – genauso wie die Themen, die in dem gesamten Stück auf eine ungewöhnliche Weise diskutiert wurden. Das Stück war wie ein persönliches, inneres Konfliktgespräch, das lieber in der Phantasiewelt bleiben sollte. Eins ist sicher – nachdem man sich das Stück angeschaut hatte, kommt man nicht ohne ein bisschen provoziert und gereizt zu sein hinaus. Madama Butterfly schafft es, jede Person auf eine sehr direkte Weise anzusprechen und sich mit ihren unterdrückten intimen sowie gesellschaftlich nicht akzeptierten Gedanken auseinanderzusetzen. So ein Stück muss man auch heutzutage schon einmal erlebt haben!


Madama Butterfly als Einführung in eine Rassismusdebatte (Roman Schneeberger)

In diesem Auftragswerk für das Theater Neumarkt in Zürich und die Q Theatre Company in Tokio nimmt Satoko Ichihara das Madama Butterfly-Libretto der Puccini-Oper zum Anlass, um über die Ursprünge, die Formen und die Auswirkungen des Rassismus gegenüber Japaner*innen, Asiat*innen und auch US-Amerikaner*innen zu reflektieren. Pointiert und mit vielen Brüchen nimmt sie bei Musik, Figuren und Erzählung Anleihen an der in dieser Hinsicht inzwischen umstrittenen Oper, was bezüglich deren Rezeptionsgeschichte mit ihren vielen Fassungen durchaus Sinn macht.

Das Stück beginnt mit einer recht langen Sequenz über 30 Minuten, in der Kyōko Takenaka ein großes Textkonvolut im Dialog mit von Juan Ferrari projizierten animierten Figuren aus der Oper sowie Historie abliefert, bei dem das Publikum mit dem Mitlesen der deutschen und englischen Übertitel beschäftigt ist, sollte man kein Japanisch können. Insgesamt ist die Länge von mehr als den angekündigten 105 Minuten kurzweilig, weil man wegen der gesetzten Irritationen immer wieder überlegt, welche Textpassagen nun live und welche Lipsync sind, welche Erzählung z.B. aus der Stückentstehung nun authentisch oder was davon erfunden oder überspitzt ist, und ob man wegen der Besetzung mit Brandy Butler als Regisseurin, die als PoC aus den USA ein perfektes Englisch spricht und  von sich dezidiert als „non-black“ spricht sowie von ihren Sprachbarrieren auf Englisch berichtet, schmunzeln darf. Ebenso reflektiert man über die jeweiligen Bedeutungsebenen.

Diese zuletzt erwähnte Besetzung kommt während einer Sequenz zu tragen, in der die Gedanken und Hintergründe der am Stück Beteiligten zur Sprache kommen, bevor ein Sequel zum Opernlibretto imaginiert wird, in dem sich die Titelfigur erst später, mit ihrem bereits erwachsenen Sohn zusammenlebend, opernikonisch mit dem Messer umbringt.
Für all diese Wechsel sind Bühne und Kostüm von Michael Britze sehr gut geeignet. Vor allem merkt man, dass das Stück für mehrere Spielorte gedacht ist. Die Leichtbau-Ausstattung ist effizient und effektiv. Es werden Szenenwechsel und Räume ermöglicht, die trotz der Funktionalität immer stimmig und rund wirken.

All diese Kunstgriffe kamen nicht nur positiv an. Einige Personen verließen die Vorstellung vorzeitig und in der Nachbesprechung hörte man Urteile wie „gewollt“. Auf der anderen Seite gab es wohlwollenden Applaus mit mehreren Vorhängen für die Darstellenden, nachdem das Publikum sehr amikal für zwei Stunden in den Themenkomplex über den Fernost-West-Rassismus eintauchen konnte, ohne dabei Expert*innentum in Bezug auf die Butterfly-Vorlage vorweisen zu müssen.


Schmetterlingsjagd (Anabel Priemer)

„Menschen sollten sich aneignen, was immer sie mögen!“ schleudert die Performerin auf Japanisch mit verzogener Mine in Richtung Publikum. Wie in einem Diorama ihrer inneren Welt strampelt Satoko Ichihara im grellen Hello Kitty Nachthemd mit ihren nackten Beinen auf dem samtenen Rundbett und setzt einen Schmollmund auf. Das 2021 erstaufgeführte Stück Madama Butterfly verhandelt schockreich und mit popkulturellem Repertoire der digitalen Gamer-Ästhetik die aalglatte Welt der auf die Spitze getriebenen Oberflächlichkeit im Japan der Jetztzeit und über seine langen, fest verschlossenen Grenzen hinaus. Der Spielraum, in frontaler Ausrichtung zum Zuschauerraum, ist eine in sich stimmige Vorhangkonstruktion, zunächst im Grün des Dschungels, dann zu einer dunklen Masse geronnen und nachfolgend voll von Kirschblüten, die im Licht der Projektion wie große blassviolette Schirme wirken. Wie ein Schmuckkästchen, das sich auffächert und wieder schließt. Manchmal wirkt die Show, wie der Versuch es gewaltsam aufzubrechen, um vielleicht ein noch nicht gelesenes Tagebuch darin zu finden. Szenisches und Außerszenisches wird immer wieder neu und buchstäblich verzogen, die Geschichte der Madama Butterfly aus Giacomo Puccinis Oper des vergangenen Jahrhunderts neuaufgelegt und sinnentleert. Im Spiel aus Licht und Schatten, semitransparent und permeabel, von 2D zu 3D zu 2D zu 3D.

Die Avatarin Sailor-Moon, mit Atombusen und kurzem Röckchen, blickt überdimensioniert auf die Bühne herab. „Es kommt auf die inneren Werte an“ ist ein sich immer wiederholender Satz. Mit verzerrtem Blick und markerschüttertem Geschrei will sich die Performerin, jetzt mit langen schwarzen Haaren und weißseidenem Kimono, um jeden Preis mit einem gaijin paaren. Eine Jägerin, wie sie von sich selbst sagt. Die Bühne lichtet sich und es eröffnet sich ein Blick in die gähnende Leere der großen, rohen Blackbox des brut Nordwest. Performerin zwei gestikuliert latent gelangweilt mit der überdimensionierten zartrosa Plüschpenisattrappe beim Sinnieren über Besetzungspolitiken im Theater. Drei glitzernde Juicy-Hosenboden recken sich irgendwann Richtung Zuschauerraum.

Ein undurchsichtiges Dickicht aus gruseligen Fratzenschemen beschwört eine Butoh-Atmosphäre auf die Bühne, während im blubbernd-dröhnenden Klangteppich die Stimme von Tam-Tam ertönt. Er erzählt von dem kranken, geruchlosen Raum, in dem keine Schuppe fällt, kein Staubkorn rieselt und die Zeit ihre Spuren verloren hat. Ein 105-minütiger Angriff auf die Welt der Riechenden. Meine Sitznachbarin hält sich seit einiger Zeit die Nase zu. Traum-Welten verschwimmen. Ein Ort, an dem es sich lohnt, ein Fisch zu werden. Kränklich aussehende Kinder begleiten Ichihara auf ihrer Reise in die Schluchten und Krater einer kolonialen und misogyn-verhärteten Geschichte, die in der binärcodierten Stätte aus Gefühlen unstet rastet – schön oder hässlich, ugly oder pretty, weiß sein oder yellow fever, pur oder hafu. Pornografische Welt des Seinsverlusts, in der Schweißdrüsen herausoperiert werden und die Gebärmutter auch gleich mit auf die Deponie geworfen wird. Sie hinterlässt braunrote Flecken in der Unterwäsche. Aus dem Wiener Festwochen Sackerl fällt ein Sticker raus: „Vermehrt Schönes!“.

„Gräser waren geknickt, Blumen zertreten worden; der Jagende selber hatte als Dreingabe den ganzen Körper seinem Kescher nachgeworfen; und über soviel Zerstörung, Plumpheit und Gewalt hielt zitternd und dennoch voller Anmut sich in einer Falte des Netzes der erschrockene Schmetterling.“ 
(Walter Benjamin in: Berliner Kindheit um neunzehnhundert)