Lulu

Regie: Marlene Monteiro Freitas, Halle E im Museumsquartier, 29. Mai 2023

Lulu
© Monika Rittershaus
Lulu. Über die ließe sich freilich eine interessante Oper schreiben (Jennifer Rotter)

Von rotem Licht wird das Publikum in Halle E des Museumsquartiers empfangen. Es ist eine Schwere, die über dem Publikum hängt, ehe die Performenden durch einen Plastikstreifenvorhang auf die hellausgeleuchtete Bühnenvorrichtung treten.
Vor uns sind ein hölzerner Hallenausschnitt, ein paar Bänke, drei stufenförmig erhöhte Tische links sowie verstellbare Treppenpodeste. In der Mitte ist eine Sprungbrettartige Erhöhung aufgebaut, auf welcher der Dirigent Maxime Pascal anzutreffen ist. Im Hintergrund, auf einem Podest erhöht, nimmt das ORF Radio-Symphonieorchester Wien seinen Platz ein. Soweit zu den Anhaltspunkten einer gewissen Ordnung.

Die erste Opernregie von Choreographin Marlene Monteiro Freitas zeichnet sich durch choreographische Assoziationen aus. Es wird gerutscht, gewischt, mal federnd, mal ruckartig im Zug über die Bühne gegangen. Bewegungen erscheinen mitunter abstrus, unmotiviert und machen eine Verortung des Bühnengeschehens schwer. Die Performenden gebärden sich schwankend als Tiere, Saunabesucher*innen oder Hallenbadgäste. Clownerie und Akrobatik sind erstaunlich anzusehen, hinterlassen allerdings ein ratloses Publikum, das sich fragt, was es gerade zu sehen bekommen hat. Denn scheinbar wirken Form und Inhalt dieser Inszenierung nicht zusammen. Mit zunehmendem Abstand von der Bühne werden Figuren in ihrer Gleichgestaltung schwerdifferenzierbar. Handlungsmomente gehen in der Flut kodifizierter Gestiken unter – Doktor Schöns pathetisch langsamer Tod sorgt für die meisten Lacher des Abends.
In diesem Kontext lässt sich auch darüber streiten, wie die Entscheidung zum Tragen kommt, den ergänzten dritten Akt von Friedrich Cerha nicht zu spielen. Die Hoffnung auf ein besseres Ende für Lulu wird im Schlussbild selbst unterlaufen. Als ewige Braut ruckelt ein Ensemblemitglied knieend und in Handtüchern gehüllt an der Seite eines schwarz gekleideten Mannes über die Bühne – ein Moment, der sich bis ins Unheimliche zieht. Ob ein dritter Akt in dieser Inszenierung für mehr Verständnis im Sinne eines Kreisschlusses erwirkt hätte, bleibt Spekulationen überantwortet.

Die Figur Lulu wird in ihrer Stoffgeschichte als moderne Pandora gedeutet. Sie erscheint als Projektionsfläche männlicher Fantasien, die als Schlusskonsequenz den Tod der Männer bedeutet. Vorgestellt als Verführerin, als Schlange, erinnert sie an ein dichotomes Verständnis von Weiblichkeit, das nur Extrempositionen von Gut und Böse kennt. Die Inszenierung scheint hierbei nichts Neues zu sagen zu haben. Vielleicht hätte man in diesem Fall Pandoras Büchse der Lehre des Mythos nach geschlossen halten sollen.


Erotik in der Turnhalle…!?
(Katrin Firlinger)

Leidenschaftlich, intensiv, erotisch, all das sind Eigenschaften des berühmten Lulu-Stoffes, wenn man Dramaturg Armin Kerber bei der Behandlung des Stückes in der Matinee Glauben schenken möchte. Die Musik selbst vermittelt einem tatsächlich eine Menge an Emotionen und Leidenschaft, die den Lulu-Stoff bekanntlich ausmachen sollen. Auf der Bühne – im Setting einer Sporthalle – zwischen Bockspringübungen, Turnbänken und Handtüchern möchte dieser genannte Funke jedoch nicht ganz überspringen.

Manchmal fällt es schwer, gewisse Eindrücke, die ein Opernabend hinterlässt, in Worte zu fassen. So auch im Falle von Lulu, der Oper von Alban Berg, die wir am heutigen Tag, Dienstag, dem 30.5.2023 in einer Neuinszenierung von Marlene Monteiro Freitas besuchen durften. Die Bühne ist wie eine Sporthalle aufgebaut. Auf der linken Seite der Bühne stehen drei Tische mit Pferdesatteln, weiters sind Requisiten und Kostümteile, wie Schwimmhauben, Handtücher, Sportbänke, blaue Sportschuhe und nicht zuordenbare, blaue sowie grüne Gummihandschuhe zu finden. In der Mitte der Bühne ist ein großer Bademeister- oder vielleicht auch Schiedsrichterturm, auf dem – obwohl dieser auch bespielt und bewegt wird – der Dirigent unbeeindruckt seiner Arbeit nachgeht. Auf der hinteren Ebene befindet sich auf einer Zuschauertribüne sitzend das Orchester. Hinter den Musiker*innen ist noch eine Wand mit Stühlen, die an Fußballstadionsitze erinnern. Möglicherweise als Reservebank gedacht.

Freitas führte zum ersten Mal in der Sparte „Oper“ Regie und ist ursprünglich Choreografin. Dies spiegelt sich auch im Bühnengeschehen wider. Hier hat sie den Versuch unternommen, choreografiertes, pantomimisches Tanztheater mit Musiktheater zu vereinen, die Partitur mit sich wiederholenden Bewegungen zu verknüpfen und eine einheitliche Maschine aus den einzelnen, sich stetig bewegenden Körpern zu bauen. In abgehakten Bewegungen passiert auf pantomimischer Ebene laufend irgendetwas Neues, das einerseits an Zirkus, an alte Stummfilme, Stierkampf, Marathon, an die Olympischen Spiele und mehrere, nicht genau spezifizierbare Sportwettkämpfe erinnert. Von Synchronschwimmen, über Töpfern und Verrenkungskunst, Boxen bis zu Schere, Stein, Papier ist alles für das pantomimische Ensemble dabei, während einer nach dem anderen der antretenden Buhler auf die Ersatzbank im hinteren Bereich der Bühne verbannt wird. In dieser manchmal zu vollen Maschine wirken die Schauspieler*innen und Sänger*innen trotz ihres Talents etwas verloren und von der Regie alleingelassen. Während diese mit bewundernswerter Technik und auch in der gewöhnungsbedürftigen Umgebung gesangliche Höchstleistungen vollbringen, ist es als Person, die sich zuvor noch nie eine Inszenierung des Stoffes angesehen hat, schwer, der Handlung zu folgen, da ihnen kaum etwas zu tun gegeben wird und man sich trotz aller optischen Eindrücke bezüglich der Handlung rein auf den gesungenen Text zu verlassen hat. Während die Sänger in ihrer Uniform – bestehend aus einer einheitlichen, schwarzen Anzughose und Hemd – zwar die Partitur mit aller Leidenschaft und Technik singen, führen sie selbst viele Handlungen nicht aus. 

Als Pluspunkt muss gesagt werden, dass die Musik experimentell, leidenschaftlich und aufregend ist und das 88-Personen starke ORF Radio-Symphonieorchester neben der stimmgewaltigen Hauptfigur Lulu, gespielt von Vera-Lotte Boecker, sowie Bo Skovhus in der Rolle des Dr. Schön, eines der Highlights des Abends ist. Sänger*innen und Musiker*innen bringen einen vollen Klang, und die Musik zeigt das hinter Lulu steckende Potenzial, ein gewaltiges, berührendes Stück voller Emotionen und Leidenschaft zu sein. Ich persönlich hätte nach dieser Theatererfahrung jedoch eine konzertante Version zu dem, was ich gesehen habe, vorgezogen. Vertrauten Musiktheaterbegeisterten würde ich in diesem Fall empfehlen, die Augen zuzumachen und lediglich die Musik auf sich wirken zu lassen.


Wenn Erwartungen das Um und Auf sind
(Gabriel Radwan)

Marlene Monteiro Freitas Inszenierung von Lulu könnte das Publikum spalten. Und vielleicht ist ein Ergebnis dieser Spaltung nur das Resultat unterschiedlicher Erwartungshaltungen oder auch die Akzeptanz über die skurrilen Regieentscheidungen. Wer hier eine klassische Inszenierung der expressionistischen Oper erwartet, wird schlichtweg enttäuscht. Die Handlung wird auf minimalistische Weise erzählt. Wer dem Libretto nicht folgen kann, wird es dabei schwer haben, den Inhalt der Handlung nachzuvollziehen. Zwar tummeln sich meist viele Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne, jedoch bieten diese eher eine abstrakte Verbildlichung der Musik. Stetig rätselt man über die Bedeutung der robotischen Puppen, welche ohne Namen und Kontextualisierung bleiben. Und wenn dies doch der Fall ist und der Autor dieser Kritik sie schlicht nicht verstanden hat, dann bleibt diese viel zu vage aus oder er entschuldigt sich für seine Ignoranz.

Über die Gestaltung lässt sich auf den ersten Blick nicht viel Positives sagen. Es sei denn, man betrachtet es nur als Unterstützung für das Highlight des Abends: Die Musik. Sowohl Gesang als auch Orchester brillieren in diesem Stück über die gesamte Dauer der Aufführung. Das ORF-Radiosymphonieorchester Wien, glänzend geleitet von Dirigent Maxime Pascal, bombardiert das Publikum über die beinahe 3 Stunden lange, atonale Sensation mit einer stürmischen und intensiven Umsetzung der abstrakten Kompositionen Alban Bergs. Nicht zu Unrecht gilt die Oper als eine der wichtigsten Beiträge des Musiktheaters im 20. Jahrhundert. Die komplexen Harmonien und Themen spiegeln die psychologischen Aspekte der Charaktere und gehen den Zuhörer*Innen dabei tief unter die Haut.

Wenn man von den Figuren in der gestrigen Aufführung spricht, muss man auch die gesanglichen Höchstleistungen anmerken. Allen voran erreicht hier Vera-Lotte Boecker als titelgebende Lulu stimmliche Tonhöhen, die wohl für viele im Bereich des geglaubten Unmöglichen gelegen haben. Schmerzend und schrill singt sie die Melodien in Tönen, die wohl gerade so im Menschenmöglichen bleiben. All die grandiose Musik, die das Publikum über den Abend hin beschallt, resultiert in einem nie ablassenden Bombardement, das für viele Hörer und Hörerinnen zu einer Herausforderung werden könnte. Dabei spielt sich auf der Bühne vor dem Orchester (das Orchester ist tatsächlich hinter den Sänger*Innen platziert) stets das Spiel ab, das aufgrund der abstrakten Inszenierung für Verwirrung sorgen könnte. Handelt es sich bei der Bühnengestaltung um eine Absurdität? Diese würde im starken Kontrast zur tatsächlichen Handlung und eindringlichen Musik stehen. Oder ist sie bloß als eben abstrakte Verbildlichung des eigentlichen Stars des Abends gedacht? Wer hier nur mit der Erwartung kommt, ein Konzert zu hören, könnte schwer begeistert den Saal verlassen. Wer eine Oper sehen will, wird enttäuscht.  


Quadratwurzel von Lulu
(Louise Batallé)

Marlene Monteiro Freitas bietet uns eine vorbestimmte und mathematische Inszenierung der Tragödie Lulu. So sehr, dass ein einziger Fehler, nach zwei Stunden Perfektion, fast spielerisch ist.

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien nimmt in der Inszenierung eine zentrale Stellung ein. Es gibt zwei Ebenen der Bühne, ein Eingang auf jeder Ebene. Alles ist sehr binär gestaltet: zwei Farben – grüne Rückwand und blaue Seitenwand. Das Bühnenbild scheint das Thema des sportlichen Wettkampfs aufzugreifen. Die Requisiten in der Kontinuität dieser Interpretation verflechten verschiedene Themen der Performance wie Zirkus und Stierkampf. Die Präzision der Bewegungen der Tänzer*innen, die obsessive Symmetrie der Inszenierung und die unglaubliche Leistung des Orchesters verleihen der gesamten Oper die Dimension einer riesigen, unaufhaltsamen Maschine, die Lulus zerstörerischen Charakter ähnelt.

Alles ist miteinander verbunden. Die Kostüme der Sänger*innen und Tänzer*innen verschmelzen mit denen des Dirigenten und der Musiker. Sogar der Text findet in der Inszenierung seinen Platz in der Inszenierung und wird auf der Rückwand projiziert. Die Tänzer gelten als Koryphäe, die mit ihren Bewegungen und Ausdrücken ein Echo auf die Musik und die Erzählung bilden. Selbst das Bühnenbild wird Teil dieser ständigen Bewegung. Alles führt zu einer Einheit.

Die Figur der Lulu, schön und zugleich morbide, verliert in dieser mathematischen Arbeit, was ihre Figur so einzigartig macht. Auch der Tod von Dr. Schön wird mit einer Kälte und Langsamkeit dargestellt. Alles ist vorbestimmt, die Figuren können ihrem Schicksal nicht entkommen. Dadurch verschwindet aber auch die narrative Spannung. Die Vervielfältigung von Objekten und Tänzer*innen auf der Bühne, die scheinbar nie aufhören, sich zu bewegen, liefert enorm viele Informationen, die alle unmöglich zu verfolgen sind. Vielleicht eine Art zu zeigen, wie blind wir für das Räderwerk des Schicksals sein können.


Augen zu und durch
(anonym)

Eigentlich scheint die ‚letzte große’ Oper der Moderne wie geschaffen zu sein für postdramatische Ausflüge in das breite Feld der performativen Geschichtenerzählung. Doch Freitas Inszenierung des Lulu-Stoffes verlässt sich zu sehr darauf, dass sich eine moderne (Meta-)Oper (sogar das Orchester schwebt über allem und sitzt nicht im konventionellen Orchestergraben) etabliert. Gerne werden die akustischen Eindämpfungen hingenommen, die sich aus der Neuanordnung des Musiktheaters ergeben. Hier wird das Oben nach Unten gekehrt, aber der Effekt bleibt aus oder stellt sich selbst ein Bein (Theater ≥ Musik?), wenn versucht wird, die weibliche Emanzipation (Meine Hoffnung: Bitte, über die von Männern so markierte femme fatal hinaus) allein über wuselnde Choreographien zu lösen, solange die Spitzenstimmen (außen vor natürlich die herausragende Vera-Lotte Boecker) ihren Teil singen.

Gleich zu Beginn etabliert sich mit dem sichtbaren Orchester und den verschiedenen performativen Gruppierungen der Tänzer*innen in Beziehung zu den Sänger*innen das allseits bebende Bühnengeschehen als ein einziger Hingucker (die anfängliche Euphorie über so viel Tun und vereinzelte Dynamik auf der Bühne legt sich jedoch schnell). Dennoch bleibt ein gesetzter, dramatischer Fokus auf einzelne rote Fäden der Handlung und Motivik aus. Niemand wird an die Hand genommen, außer die in der Doppelrolle gefangenen Darstellenden selbst. Im Programmheft der Festwochen wird in Freitas Biografie ihr inszenatorisches Stilmittel mit „Offenheit, Heterogenität und Intensität“ übersetzt. Mir kam es vor, dass das dem Tiefgang der eigentlich im Mittelpunkt stehenden Figur Lulu leider nicht geholfen hat. Zu oft war ich mit dem Gedankenspiel konfrontiert, ob das jetzt Gimmick oder bewusst gesetzte Fragmentierung ist.  

Auf einer symbolischen wie bildlichen Ebene sowie in der Performanz wurde leider der Aspekt der weiblichen Verführung auf eine rein Körperliche festgefahren. Zum Schluss wird – im Laufe der Lulu-Suite, die statt des partiell fertig gestellten dritten Aktes gespielt wird – die Protagonistin in ein Brautkleid gepfercht (Zwangsheirat?) und in eine Puppenfantasie gestülpt, während ein schwarz gekleideter, buckliger Gevatter Tod, sie fast bis zur Bühnenmitte begleiten darf. Das Invalide und Zermürbende der tragischen Lulu darf hier glänzen, jedoch zu welchem Preis? Hier wurde problematische Reproduktion von männlich behafteter Weiblichkeit ausgeübt und als Regietheaterkniff in seinem starren Opernkorsett transparent gemacht. Keine Kritik an dem Urstoff lässt sich finden, stattdessen weiterhin körperlich und artistische Höchstleistung zugunsten eines faden und kurzweiligen Effekts geliefert. Am besten genießbar mit geschlossenen Augen. Die Ohren hatten ihren Spaß. 


Ein Ringkampf ausgetragen über die Musik
(Christoph Wingelmayr)

Das Orchester prangt mittig erhöht in der hinteren Hälfte der Bühne und nimmt, derart prominent platziert, visuell viel Platz ein. Im Vordergrund bewegen sich das Gesangsensemble und die Tänzer*innen. Durch diese ungewöhnliche Aufteilung wirken die Stimmen sehr vordergründig und stechen hervor. Der Dirigent logiert erhöht auf einem weißen Springturmgerüst, wie es in Hallenbädern vorkommt, mittig im Bühnengeschehen.

Marlene Monteiro Freitas übernimmt die Regie für Alban Bergs Lulu. Sie bedient sich einer recht neuartigen Optik des Bühnenbildes und der Inszenierung. Die Spielfläche, auf der sich die Sänger*innen bewegen, ist in einem weißen Farbton gehalten, die rechte Seitenwand ist in blau und der Hintergrund in grün gehalten.

Die Auftritte des Gesangsensembles werden von Tänzer*innen untermalt, die sich stakkatoartig in Charly Chaplin-Kostümen zum Orchesterklang bewegen. Sie sind mit blauen Turnschuhen und blauen, manchmal grünen Handschuhen ausgestattet. Deren Mimik ist stoisch und erinnert an Pantomimen, ihre Bewegungen sind kurz, abgehackt und pointiert. Die Tänzer versuchen die Handlungen der Charaktere durch ihre Bewegungen wiederzugeben und widerzuspiegeln. Ihr Tanzstil ist dabei clownesk, abgehackt und verfremdend. Im ersten Akt treten die Tänzer*innen beispielsweise als Krebse auf, die mit ihren Händen die Scheren der Krustentiere nachahmen. Es werden reichlich Bänke verschoben, es werden Pistolen nachgeahmt und es herrscht stets Bewegung. Auch der hinter dem Orchester liegende Bereich wird bewandert und betanzt. Durch die schiere Masse an Tänzer*innen und ihrem weitläufigen Wirkungsbereich in Kombination mit den Sänger*innen wissen die Zuschauenden oft nicht mehr, wo sie hinsehen sollen. Die vielen gleichzeitigen Eindrücke überfordern bisweilen und hinterlassen einen überfüllten Eindruck. Die Ästhetik der Tanzperformance wirkt künstlich, gar artifiziell und tut sich bisweilen schwer, sich in das Setting einer Oper harmonisch einzufügen. Man könnte sie als Visualisierung der prägenden Disharmonien der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs auffassen. Eine besondere neuartige Ästhetik kann man dieser Inszenierung nicht absprechen und an Originalität mangelt es definitiv nicht.

Lulu wird fulminant von Vera-Lotte Boecker verkörpert, die stimmlich den Höhepunkt des Abends bildet. Kraftvoll, manchmal zart und immer wieder gar schrill sind ihre vokalen Partien angelegt. Die Rolle einer Mörderin nimmt man ihr ab, gelungen untermalt durch hohe in forte fortissimo gesungenen schrillen Tönen, die wie Giftpfeile ihre Schärfe und Gefährlichkeit, aber auch ihren Konflikt mit der dominanten Männerwelt betonen. Der Wechsel von zartem Gefühl in der Stimme, gepaart mit dramatischen lauten Passagen gelingt ihr vortrefflich. Bo Skovhus, der Dr. Schön verkörpert, ist ein weiteres gesangliches Highlight des Abends. Zwischen ihm und Vera-Lotte Boecker werden Gesangsduelle ausgetragen, die kampfesgleich arrangiert sind. Unvergessen bleibt die Szene, wo sie sich auf dem hohen Springturmgerüst – mit dem Dirigenten zwischen ihnen – wie in einem Boxring gegenübertreten und sich mit einem Schweißhandtuch ausgestattet gesangliche Partituren entgegenschmettern. Eine solide, beindruckende Leistung vollbringt Martin Summer als Tierbändiger und kann mit vollem Stimmklang sowie ausdrucksstarker Theatralik punkten. Edgar Montvidas als Alwa steht ihm in nichts nach und haucht seiner Rolle mit pointierten Gesangspartituren Leben ein.

Das vokale Ensemble des Abends kann geschlossen als gelungen bezeichnet werden. Sie können die Schönheit und Eleganz des Werks von Alban Berg tragen und in Kombination mit dem vortrefflichen ORF Radio-Symphonieorchester Wien zu einem gelungenen Abend beitragen. Die Tanzperformance ist routiniert und solide aufgeführt, wirkt im Gesamten jedoch teilweise wie ein Fremdkörper, der Schwierigkeiten hat, seinen gelungenen Platz in diesem Stück zu finden. Im Ganzen war es ein gelungener Abend, der vor allem musikalisch zu überzeugen vermochte.