Mister McMahons subversive Taktik

Ein Essay von Hannes Hagen

In folgendem Essay möchte ich mich mit der WWE (World Wrestling Entertainment) und ihrem Gründer und Geschäftsführer Vince McMahon auseinandersetzen. Die Diskussion erfolgt unter theatralen Gesichtspunkten, um die darstellenden Aspekte dieser beiden Themenelemente besonders zu beleuchten. Das Essay ist in zwei Themenbereiche unterteilt: Auf der einen Seite soll die artifizielle Form dieser besonderen Art und Weise des Schauspiels untersucht und in immersive Kategorien unterteilt werden. Auf der anderen Seite steht das subversiv affirmative Potenzial von WWE-Chef Vince McMahon im Vordergrund.

Dieser vermittelt innerhalb seiner wechselnden Persona eine subversive Form des Schauspiels und bietet eine extravagante Rezension an seiner Person. Die WWE ist ein Medienkonzern, welcher kulturelle Bedeutung vor allem durch seine Wrestling-Shows erlangte. Offiziell ist diese Unterhaltungssparte als Sport-Entertainment bekannt, wobei das Entertainment im Vordergrund steht. In den Vereinigten Staaten ist diese Form der Unterhaltung ein kulturelles, generationenübergreifendes Phänomen, welches seit 1980 besteht und dessen Faszination seit 40 Jahren ungebrochen zu sein scheint. Für nicht eingeweihte Rezipient*innen wirkt diese Form von Unterhaltungsspektakel auf den ersten Blick äußerst befremdlich, wenn nicht sogar regelrecht anachronistisch. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird ein althergebrachtes Szenario behandelt: Das kämpferische Aufeinandertreffen zweier Parteien, mit der Motivation, die jeweils andere zu besiegen, sowie durch den Sieg Ruhm in Form von Applaus und Zuspruch von der Masse zu erhalten. Dieses grundsätzliche Setting ist sehr nah an jenem Unterhaltungskonzept, welches in den Gladiatorenkämpfen des alten Roms seinen Ursprung fand, und deswegen wohl eine geschichtsübergreifende Relevanz besitzt. Auch wenn einen das Thema Wrestling in keiner Weise berührt und man sich auch nicht mit der Materie auskennt, entkommt man dem enormen Einfluss, den diese Attraktion auf die Medienwelt hat, nicht. Beispielsweise haben große Hollywoodschauspieler wie Dwayne Johnson, besser bekannt unter seinem Kampfnamen »The Rock«, ihren Ursprung in der WWE. Weitere bekannte Namen sind John Cena oder Hulk Hogan, Namen, die man auch ohne Wrestling-Einfluss kennt, da ihre Besitzer in Hollywood-Filmen (u.a. den Fast and Furious-Filmen) auftreten.

Die satirische und gesellschaftskritische Zeichentrickserie South Park, welche wie viele andere komödiantische Zeichentrickserien für Erwachsene (Die Simpsons, Futurama) einer essayistischen Struktur unterliegt und regelmäßig die vierte Wand durchbricht mit dem Zweck, selbstreflektiert, referentiell und aktuell zu sein, widmete dem Phänomen WWE eine ganze Episode (Abb. 01). In dieser Episode wird vor allem auf den theatralen Aspekt von Wrestling eingegangen. Grob zusammengefasst werden die South Park-Charaktere nach dem Sichten einer Liveshow vom Wrestling-Fieber gepackt. Von ihrer kindlichen Naivität beeinflusst, wollen die Kinder am Wrestling-Unterricht an ihrer Schule teilnehmen, werden aber von ihrem Sportlehrer schnell belehrt, dass die Wrestling-Shows der WWE überwiegend von Inszenierung, den Charakteren und dem jubelnden Publikum leben und außerordentlich wenig mit der anerkannten Sportart Wrestling gemein haben. Die Kinder gehen deshalb ihren eigenen Weg und gründen ihre eigene Wrestling-Liga, welche sehr erfolgreich wird.

Die Episode beinhaltet mehrere Verweise auf die dramaturgische Absicht hinter den Kämpfen. Die Zuschauer*innentribüne um den Wrestling-Ring der Kinder erinnert in seiner Halbkreisanordnung an griechische Amphitheater – ein Verweis auf die Herkunft des institutionellen, europäischen Theaters. Die Repräsentation des Publikums wird dabei gesellschaftlich und sozialkritisch aufgeladen: Die Zuschauer sind allesamt weiße, ungebildete Männer aus der Arbeiterklasse, welche sich zu sehr von den Ereignissen auf der Bühne beeinflussen lassen und diese mit einer unreflektierten Ernsthaftigkeit diskutieren. Zugleich benehmen sich die Zuschauer wie bürgerliche Theaterinteressierte mit Programmheft und Weißwein in den Pausen. Der CEO Vince McMahon hat ebenfalls einen Auftritt in der Episode, er wird mit Opernglas dargestellt.

Abb. 01

Tatsächlich erinnert die von WWE inszenierte Wrestling-Welt sehr an Praktiken des Schauspiels in einem theatralen Umfeld. Dies zeigt sich schon in den fachspezifischen Begrifflichkeiten, wie etwa dem Wrestling-Fachausdruck »Storyline«, welche die Wrestler*innen authentisch wirken lassen und einen nachvollziehbaren Kontext aufzeigen sollen, der den Konflikt mit anderen Wrestler*innen rechtfertigt oder nachvollziehbar macht. Diesbezüglich werden auch die von Brecht aufgeführten V-Effekte [1] berücksichtigt. Hierbei sind die Gestiken der Wrestler*innen alle eindeutig einstudiert und vorbereitet, die muskulösen Körper sollen Kraft und Übermacht darstellen, einerseits um die Kontrahent*innen einzuschüchtern, andererseits um den Zuschauer*innen eine Projektionsfläche zu bieten. Die Sprechweise ist verfremdet, da alle gesprochenen Sätze pathetisch und der Kompetition entsprechend angelegt sind, mal um die Gegner*innen einzuschüchtern, mal um sich selbst zu profilieren und mal um dem Publikum zu imponieren.

Das Publikum, welches bei den Wrestling-Shows auf den Tribünen tobt, spielt eine wichtige Rolle in der innerhalb der Show eingeplanten reaktionellen Rezension, denn dieses ist ebenso Bestandteil der Performance wie die Wrestler*innen. Das Publikum hat eine vorgegebene Rolle und eigene Möglichkeiten der Entfaltung. Dieses verleiht der Show ein Präsenzerleben auf einer räumlichen Ebene. Dieses Publikum, welches sich mit seinen Wrestler*innen identifiziert und diese mit Applaus, Motivation oder negativer Resonanz belohnt oder bestraft, spielt für die Immersion eine wichtige Rolle. Auch sind es die Zuschauer*innen, welche der Show und der räumlichen Komponente des Wrestling-Rings erst eine Involvierung verleihen und durch die reaktiven Ausrufe, von Wut, Überraschung bis Verärgerung die Immersion auf eine emotionale, aufmerksamkeitsverlagernde Ebene heben.

An diesem Punkt soll auf die subversiv affirmative Haltung des WWE-Chefs Vince McMahon eingegangen werden. Dieser hat eine äußerst bedeutende Rolle innerhalb des Wrestling-Mikrokosmos und setzt selbstinszenatorische Maßstäbe. Vince McMahon hat die WWE, früher WWF, von seinem Vater gekauft und durch das Aufkaufen konkurrierender Wrestling-Ligen ein Monopol geschaffen. Auch ist das Erweitern der Kämpfe um die Show-Elemente auf McMahon zurückzuführen. Bis jetzt nimmt McMahon die Rolle des erfolgreichen Geschäftsmanns ein, denn das Geschäft ist außerordentlich erfolgreich. Mit frühen Szenegrößen wie Hulk Hogan oder Bret Hart und der wachsenden Popularität des Genres ist McMahon längst  Milliardär. Ab den 1990er-Jahren jedoch, auf Grund von sinkenden Umsätzen, tritt McMahon selbst in den Ring und nimmt die Rolle einer fiktiven Version seiner eigenen Person an (Abb. 02). Von nun an tritt er als parodistischer Antagonist auf. Genau in dieser Fiktion und Inszenierung seiner eigenen Person findet eine perfide, aber bemerkenswerte Form der subversiven Affirmation statt. McMahon ist in seiner Position als Geschäftsmann und Strippenzieher nicht unkritisch zu betrachten. Von vielen bekannten Szenegrößen wie Bret Hart wurde er vermehrt kritisiert, er behandle seine Darsteller wie Zirkustiere. [2] Des Weiteren existiert eine ungebrochene Kontroverse über die Arbeitsverhältnisse der Wrestler*innen. So wird den Akteur*innen, denen eine enorme, riskante, körperliche Leistung abverlangt wird, keine Krankenversicherung gezahlt, was eine erschreckend hohe Sterberate der Wrestler*innen zur Folge hat. Aufgrund der emotionalen Bindung der Fans zu ihren Helden sind die Entscheidungen McMahons besonders verhasst.

Ab den 1990er-Jahren tritt diesem jedoch seine fiktive Show-Persona entgegen. Deren Charakteristika sind an cartooneske, antagonistische Verhaltensweisen angelehnt, mit besonderem Einsatz von Gestik und Mimik. McMahons fiktive Persona ist dem Status Quo untergeordnet, was zu einer Unverbesserlichkeit in seinen Verhaltensweisen führt. McMahon nimmt die Position des Antagonisten ein, der, ähnlich wie in Cartoons, den Protagonist*innen in böswilliger Absicht entgegentritt, ihnen aber im Endeffekt immer unterlegen ist. In der fiktiven Situation des Rings ist McMahon den Wrestler*innen immer unterlegen, wird im Ring besiegt oder körperlich angegriffen. Dieser Kontrast zwischen seiner skrupellosen Funktion als Geschäftsmann und Organisator und seiner Funktion als parodistischer, belächelter Antagonist führt zu einer bemerkenswerten Diskrepanz in seiner öffentlichen Wahrnehmung. Die undankbare Rolle als Bösewicht und Sündenbock innerhalb der Show ermöglicht es McMahon, sich, zumindest oberflächlich, für seine Geschäftsentscheidungen vor dem Publikum zu rehabilitieren, da eine teils gestellte, teils reale, körperliche Ahndung erfolgt, welche der Öffentlichkeit präsentiert wird und diese besänftigt. Diese von McMahon selbst auferlegte Rolle des Losers ist auf eine komplexe Weise subversiv affirmativ. Es besteht jedoch nicht das Vorhaben, unterschwellige Kritik an McMahons Verhaltensweisen zu verüben, sondern diese mit Hilfe der öffentlichen Selbstinszenierung zu rechtfertigen, bzw. oberflächliche Genugtuung zu verschaffen.

Abb. 02

McMahon übernimmt die Taktik der öffentlichen Zustimmung durch Techniken der Beteiligung und Identifikation den Zuschauer*innen gegenüber, indem er ihnen das gibt, was sie sehen wollen. Das niederträchtige Bedürfnis, eine mächtige, verhasste Autoritätsperson fallen zu sehen, wenn auch nur im Spiel, wird befriedigt. Tatsächlich jedoch erfolgt diese Befriedigung nur sehr selten, da sich mächtige, einflussreiche Personen wie Politiker*innen, Wirtschaftsvorstände etc. normalerweise nicht solch eine Blöße geben. Durch die bei Arns und Sasse [3] beschriebenen parasitären Praktiken, welche sich klassischen ästhetischen Methoden wie Nachahmung, Simulation, Mimikry und Tarnung im Sinne eines »Unsichtbar-Werdens« durch Verschwinden in den Hintergrund bedienen, schafft es McMahon, sich augenscheinlich auf eine Stufe mit den normalen Wrestler*innen zu stellen. Das Unsichtbar-Werden erfolgt in dem Fall jedoch nicht durch das Verschwinden im Hintergrund, sondern durch das Erscheinen im Rampenlicht. Um die Verhaltensweisen von McMahon mit einer Form von subversiver Affirmation in Verbindung zu bringen, bedarf es einer teils zynischen Haltung. Jedoch ist ein gewisser Grad von Zynismus von Wichtigkeit, um eine subversiv affirmative Haltung oder Situation einzugehen, da diese Form der Kritik oder Meta-Kritik einen persönlichen Standpunkt erfordert, in dem man sich einer (eigenen) Ideologie bewusst ist und diese ambivalent auszuspielen weiß.

Direktnachweise

[1] Brecht: Schriften zum Theater , S. 193.

[2] Hart: Broken Harts: The Life and Death of Owen Hart, S. 155.

[3] Arns/Sasse, »Subversive Affirmation. On Mimesis as Strategy of Resistance«, S. 155.

Quellenverzeichnis

Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater. Frankfurt am Main 2000: Suhrkamp, S. 193.

Hart, Martha: Broken Harts: The Life and Death of Owen Hart. Toronto 2004: M. Evans, S. 155.

Arns, Inke / Sasse, Sylvia: »Subversive Affirmation. On Mimesis as Strategy of Resistance«, in: Irwin (Hg.): East Art Map. Contemporary Art and Eastern Europe, London/Cambridge 2006: Afterall, S. 155.