Ein Brief über menschengroße Hüpfburgen im MUMOK

Ein Essay in Briefform von Lea Sprenger

Meine Liebe,

heute will ich dir von einem verrückten Erlebnis erzählen. Es war im Herbst des letzten Jahres, als ich gemeinsam mit Sarah nach langer Zeit mal wieder das MUMOK besuchte. Wir hatten keine konkreten Erwartungen und freuten uns einfach darauf, uns auf unbekannte Kunst einzulassen. Ein bestimmtes Ausstellungsstück hat mich sehr gefesselt. Im Keller des Museums stand eine riesige, raumfüllende Installation in weißer Farbe. Es handelte sich um die Arbeit Riesenbillard der Linzer Künstlergruppe Haus-Rucker-Co. Es war eine rekonstruierte Version des Originals. In den 1970er Jahren gab es die Installation bereits, es war Ziel des Museumsdirektors das Museum zu einem ›Unruheherd‹ zu machen; also Leben und Diversität in den Museumsraum zu bringen.

Von Weitem sah das Gebilde wie eine überdimensionale Hüpfburg mit drei riesigen weißen Bällen darauf aus. Das Ganze war überdimensional groß und füllte fast den gesamten Raum. Es war bestimmt an jeder Seite zehn Meter lang und sicher drei bis vier Meter hoch. Es war weiß, wie die Farbe der Wand, und bildete somit eine Art Erweiterung des eigentlichen Museumsraums. Auf dem Gebilde tummelten sich Menschen, die miteinander zu agieren schienen. Es wirkte wie eine Gemeinschaft, die sich zum Spielen verabredet hatte. Auf persönlichen Wunsch wurde eine kleine Leiter am Rand des Gebildes angebracht, über die man emporklettern konnte. Man zog sich die Schuhe aus und begab sich in eine andere Welt, man war Teil des Geschehens. Es wurde sozusagen mitgespielt. Die Menschen passten sich der Dynamik an, tollten herum und bauten ohne Worte eine Art Beziehung zu den anderen Umherspringenden auf. Wir wurden aufgenommen in einen Strudel der Freude. Wir hüpften und sprangen und ließen uns fallen. Eine Eingewöhnungszeit brauchten wir nicht, denn wir konnten uns sofort auf das Erlebnis einlassen.

Wir beobachteten die anderen Menschen, auch sie schienen sich hemmungslos auf das Geschehen einlassen zu können. Es waren fast nur Erwachsene auf dem Gebilde unterwegs und dennoch glichen die Verhaltensweisen eher denen stürmischer, unermüdlicher Kindern. Es war ein spielerisches Miteinander, das alle Menschen auf der weißen Burg zu einer fröhlichen Fusion verschmelzen ließ.

Weißt du eigentlich, was Immersion genau ist? Erkki Hutamo liefert eine Definition. Es ist ein sich hineingezogen Fühlen, ein Verschmelzen und Aufgehen in der neuen Situation. Vor allem bemerkenswert finde ich das Element des Übergangs. Ein Übertritt in eine andere Welt, in unserem Fall in die kindliche Welt der weißen Hüpfburg. Der Autor schreibt, dass Menschen ein Bedürfnis nach Immersion haben und stets nach Wegen suchen, diese zu intensivieren. Was hat wohl in unserem Fall zu der intensiven Immersion geführt? Huhtamo betrachtet in seinem Text Geist und Körper als zwei getrennte Artefakte. Das »Ausblenden des menschlichen Körpers« [1] betrachtet er als Reaktion auf reale Ängste und Bedrohungen. Reale Ängste? Durchaus überkam mich ein Gefühl der Angst, als ich einen der großen Bälle auf mich zu rollen sah. Die ersten Male wich ich aus. Als ich die Menschen um mich herum dabei beobachtete, wie sie sich fröhlich und lachend von den Kugeln überrollen ließen und eine Menge Spaß dabei zu haben schienen, breitete sich eine Art Angstlust in mir aus. Ich wollte das auch probieren. Als der Ball mich überrollte, fühlte ich mich fast, als würde ich ein Teil des Gebildes sein. Ich schien wirklich dazu zu gehören.

Das Ausblenden von normalen, körperlichen Empfindungen, das Überschreiten einer gewissen Barriere, spielte also eine Rolle. Inwieweit kann der Grad der Immersion allerdings grundsätzlich von körperlicher Aktivität abhängen? Durch die gemeinsame, spielerische Interaktion hatte ich das Gefühl, mich würde etwas mit den anderen verbinden, die immersiven Kräfte schienen sich zu addieren.

Seltzer spricht von Systemen, die an immersiven Prozessen beteiligt sind. Diese können mit Huhtamo »[…]als ›Apparatus‹ begriffen werden, als technologischmetapsychologische Maschinen, die bestimmte kognitive und emotionale Bewusstseinszustände erzeugen«, schreibt er. Es geht um die »Kopplung von Körpern mit Maschinen« und ein Einverleiben in diese. Der Gegensatz der Automatisierung und der Interaktion wird beschrieben. [2] Interaktion, das heißt Aktivität von beiden Seiten, ein Miteinander, ein wechselseitiges Einwirken von Menschen und Umständen. »Automatisierung meint den selbstregulierenden Mechanismus, der, einmal in Gang gesetzt, von sich aus eine Reihe festgelegter Aufgaben erfüllt.« Auch wenn im Text als Beispiel von immersiven Filmerlebnissen gesprochen wird, so fand auch in unserem Fall eine solche Automatisierung statt. [3] Wir wussten sofort, was wir zu tun hatten, oder was wir tun wollten, um Teil der Masse zu werden; springen, sich überrollen lassen, sich gegenseitig die riesigen Bälle zuspielen.

Natürlich hätten wir genau so gut am Rande der Plattform sitzen und das Ganze nur aus der Ferne betrachten können. Wir hätten uns auch dazu entscheiden können, gar nicht erst in die Hüpfburg einzutreten. Wir hätten dennoch gesehen, was die anderen Menschen tun und lassen. Das Erlebnis hätte aber mit Sicherheit keine derartigen, immersiven Anteile gehabt.

Alles in allem lässt sich wohl sagen, dass größtenteils unsere Bereitschaft zur Interaktion dazu beigetragen hat, eine Immersion zu erleben. Die anderen Menschen auf dem Gebilde haben den Effekt definitiv verstärkt, denn durch unsere Beobachtungen konnten wir ihr Handeln nachahmen und uns somit besser und schneller integrieren. Ich denke, dass sich auch Dinge, wie das persönliche Wohlbefinden oder das Bewusstsein über Distraktionen im Raum und so weiter auf die Immersion auswirken. Ich wünschte, du hättest die Ausstellung gesehen, sie hätte dir gefallen. [Ich habe dir ein Foto angehängt!] Ich hoffe es geht dir gut.

Deine Lea

PS: Hier ist noch ein Foto, damit du es dir besser vorstellen kannst.

Abb. 01 https://ortner-ortner.com/de/haus-rucker-co

Direktnachweise

[1] Huhtamo, »Unterwegs in der Kapsel«, S. 45.

[2] Ebd., S. 48f.

[3] Ebd., S. 49.

Quellenverzeichnis

Huhtamo, Erkki: »Unterwegs in der Kapsel. Simulatoren und das Bedürfnis nach totaler Immersion.« In: montage AV. Jg. 17/2/2008, S. 41-68.

Zusätzliches Material

MUMOK: »Alfred Schmeller. Das Museum als Unruheherd«, mumok, 1.09.2019, https://www.mumok.at/de/events/alfred-schmeller, 17.06.2020.