Hearing 1 – Demokratie vs. Steuerung

Haus der Republik (Volkskundemuseum Wien), 21. Mai 2024

Wie die freie Republik den Unsichtbaren Sichtbarkeit verschaffen will und das nicht nur bis zur nächsten Intendanz. (Hearings)
(Denise Wiesmahr)

Der Kunst und Kulturbereich stellt einen elitären Raum dar, davon können sich auch die Wiener Festwochen nicht lossagen. Der Raum auf den Theaterbühnen ist nur einer bestimmten Gruppe Menschen vorbehalten und auch das Publikum ist, zumindest auf den großen Bühnen Wiens, eher weniger als mehr divers. Dennoch wollen die Festwochen allen Menschen die Möglichkeit geben sich mit Theater, Kunst und Kultur auseinanderzusetzen und das über Alters-, Gender- und Bezirksgrenzen hinaus. Es stellt sich daher zurecht die Frage wie der Raum geöffnet, erweitert oder vielleicht sogar vollkommen neu gedacht werden kann, um marginalisierte Menschen sichtbar zu machen. Eine dieser Möglichkeiten sind die Hearings, welche im Rahmen der freien Republik zu verschiedenen Themen durchgeführt werden, und bei kostenlosem Eintritt bestaunt werden können. 

Wer ist im Innenkreis, wer im Außenkreis und wer gar kein Teil davon? 

Obgleich bei dieser Diskussionsveranstaltung der partizipative Charakter einer demokratischen Republik im Vordergrund steht, so kann das Programm durchaus mit einer Inszenierung verglichen werden. Die Frage nach dem Raum und spezifischer noch jene nach der Nutzung des Saals im Volkskundemuseum, sind definitiv spannende Fragestellungen. So befand sich relativ zentral im Raum ein Tisch, auf welchem die Moderationspersonen und die Ausschussleitung Platz genommen hatten. Darüber hinaus, der Rat der Republik. Verschiedene Menschen aus der Gesellschaft, welche über die Anträge des Ausschusses zur Weiterentwicklung der Wiener Festwochen beitragen sollten. Dabei stand heute ganz oben auf der Agenda „Wie mit Kuration umgehen?“. Unterstützt wurde der Rat von Expert:innen aus Kunst und Kultur, welche in kurzen Beiträgen die derzeitige Problematik rund um fehlende Diversität sowohl auf den Bühnen als auch hinter der Bühne ansprachen. Die Redner:innen Ivana Pilić, Laura Camacho, Alev Korun, Cornelia Scheuer und Bettina Masuch gingen auf unterschiedliche Themen ein und machten klar, dass im Kunst und Kulturbereich sehr viele Leerstellen sind und sehr viele Menschen wenig bis gar keinen Zugang haben. Der Raum war eng und voll, dennoch wurde versucht mit allen Anwesenden auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Bei der Auswahl des Rats wurde definitiv auf Heterogenität geachtet, dennoch sollte sich immer die Frage gestellt werden, wie man auch für die Einberufung eines Rats alle Menschen erreichen kann und wie man mit Leerstellen innerhalb dieser Heterogenität umgehen sollte? Nach den Vorträgen stellten sich die Expert:innen den Fragen des Rates und vor der Abstimmung wurde diskutiert. 

Ein Beirat als Kontrollinstanz: nur sitzen bringt nichts 

Lange wurde darüber gesprochen, wie ein möglichst heterogener Beirat die Auswahl der gespielten Stücke unterstützen könne. Dabei wurde selbstverständlich die Frage nach der Macht dieses Beirates und nach der Zusammenstellung gestellt. Welche marginalisierten Gruppen sollen wie stark präsent sein und nach welcher Entlohnung soll dieser Beirat fungieren? Besonders herausragend war hierbei der Beitrag der Aktivistin Cornelia Scheuer. Sie sprach davon, dass es nicht reiche, nur sitzen zu bleiben und dass Beiräte zwar eine nette Kontrollinstanz darstellen würden, jedoch aber in ihrer Handlungsmacht oft sehr eingeschränkt seien. Was es brauche, sei ein kritischer Beirat, der die Intendanz unterstütze, aber auch, wenn nötig auf Zehen steige oder darüber rolle. Zurecht wurde die Frage aufgeworfen, ob es wirklich noch weitere Beiräte bräuchte oder ob es nicht genug sei und man vielleicht das Konzept grundlegend neu denken müsse, ja vielleicht sogar eine Revolution brauche? Vielleicht braucht es auch wirklich eine vollkommene Neukonzeption, um nachhaltige Veränderung zu schaffen. Vielleicht ist aber auch ein weiterer Beirat ein erster wichtiger Schritt, um irgendwann eine Neukonzeption im Sinne der Partizipation von möglichst vielen Menschen zu ermöglichen. Vielleicht braucht es, ganz im österreichischen Sinne, eine Reformation statt einer Revolution?

Demokratie als Inszenierung? 

Der Abend wirkte getaktet. Sehr akribisch wurde auf die Zeit geachtet, nur um dennoch zu überziehen. Trotz des strengen Rahmens wurde darauf geachtet alle zu Wort kommen zu lassen und sich auf das Hearing einzulassen. In der Diskussion wurde die spannende Frage gestellt, warum keine ‚wohlwollenden‘ Stimmen zugelassen wurden. Stimmen, die den Status quo beibehalten wollen beziehungsweise sich gegen diverse Stimmen vor und hinter der Bühne aussprechen würden. Doch stellt diese Stimme nicht bereits die Mehrheit dar und ist als stiller Redner bereits anwesend? Sollte es wirklich noch Raum für die bereits vorherrschende Meinung der etablierten elitären Kunst und Kultur geben? Die Freie Republik stellt große Ansprüche an die Umgestaltung des Wiener Festwochenprogramms auch abseits der Intendanz. Der Wunsch nach mehr Partizipation und nach mehr Diversität ist vorhanden und soll zusammen mit Menschen aus der Bevölkerung diskutiert werden. Der heutige Abend zeigte, dass Demokratisierung von vor allem sehr festgefahrenen Strukturen, einen langen Prozess darstelle. Einzeln wie Solist:innen wurden die Redner:innen ans Podium gebeten, um sich anschließend den Fragen des Rates zu stellen. Wie die Schauspieler:innen in einer Inszenierung traten sie an das Mikro und begannen ihre Statements zu verkünden, die nicht selten sprachlich sehr gewitzte Teile enthielten (Stichwort: vor der Bühne ist Demokratie, hinter der Bühne herrscht die Monarchie). 

Auch ganz im österreichischen Sinne musste der erste Wahldurchgang wiederholt werden, das Ergebnis wurde jedoch nur zusätzlich bestärkt. Fast schade hingegen wirkte es, dass die Wahl per Handzeichen und nicht anonymisiert durchgeführt wurde, obgleich dies einen Mehraufwand und wiederum zusätzliche Barrieren bedeutet hätte. 

Die ersten Hearings zeigten, dass eine Umstrukturierung der Wiener Festwochen durchaus möglich scheint, dass es aber eben nicht bei Hearings und Ideen bleiben dürfe, sondern, dass die Ideen des Rates der Republik fundiert und ohne linguistische/ rechtliche Schlupflöcher zu enthalten in einer Verfassung niedergeschrieben werden müssen und, dass es eben notwendig sei zu provozieren auf Füße zu treten/zu rollen und laut zu werden.


Diversität im Theater
Hinter der Bühne herrscht die Monarchie

(Florine Mahmud)

Die Wiener Festwochen haben die Freie Republik Wien ausgerufen und damit den Rat der Republik geschaffen. Dieses Gremium aus 80 Wiener*innen soll in den kommenden fünf Wochen eine Verfassung erarbeiten, die die zukünftige Struktur der Festwochen bestimmen soll. Zentrale und komplexe Fragen der Kulturszene sollen dabei in zehn Veranstaltungen durch die Beratung von Expert*innen geklärt werden und die angekündigte Revolution hervorbringen.

Her mit der Diversität!

Der Rat und die fünf befragten Fachleute scheinen sich einig zu sein: Die Festwochen und die ganze Theaterszene müssen diverser werden. Die kolumbianisch- norwegische Kuratorin Laura Camacho Salgado beschreibt, dass Gatekeeper*innen bestimmen, was auf die Bühne kommt und welcher Gaze bzw. welche Perspektive Raum bekommt. Auf der Bühne habe sich bereits einiges weiterentwickelt, so die Dramaturgin Bettina Masuch, aber dahinter herrsche immer noch die Monarchie mit den gleichbleibenden Teams. Doch auch für das Publikum müssen Barrieren abgebaut werden wie beispielsweise in der Sprache. Alev Korun, eine Lehrerin an einer Mittelschule in Favoriten beschreibt, dass ihren Schüler*innen der Zugang zu den Festwochen aufgrund der elitären Struktur verwehrt bleibt.

Ob das Gremium sich zu sehr einig wäre, fragt ein Ratsmitglied. Er beschreibt, dass die Meinung vieler Theaterbesucher*innen übergangen werden könne durch den Zwang alles zu verändern. Ihm wird widersprochen, denn der vorherrschende Blick der durchschnittlichen Theaterbesucher*innen bildet sich in der Norm ab und wäre immer anwesend. Es gilt eben diese Normen aufzubrechen und damit mehr Personen Zugang zum Theater zu bieten – vor, auf und hinter der Bühne.

Wie funktioniert Diversität in der Praxis?

Alev Korun spricht sich dafür aus, dass man bewusst antielitär werden muss. Nicht nur abstrakte Hochkultur soll den Raum einnehmen und Barrierefreiheit darf nicht nur physisch gedacht werden. Die Tänzerin und Aktivistin Cornelia Scheuer hat Angst, ein politisch korrektes Festival zu bekommen, bei dem keine unangenehmen Fragen gestellt werden und Provokation vermieden werde. Laura Camacho Salgado beschreibt die Wichtigkeit eines divers aufgestellten Teams, um die unterschiedlichen Gazes abzubilden, auch wenn das eine Entwicklung über Jahre bedeute. Bettina Masuch betont, man brauche neue Autorinnen, müsse Körperbilder überdenken und das kulturelle Gedächtnis updaten. Ebenso müsse eine Umverteilung von personellen, zeitlichen, finanziellen Ressourcen stattfinden.

Beirat für Diversität soll Intendanz beraten

Die Kulturwissenschaftlerin Ivana Pilić fordert eine Revolution der Festwochen und der Kulturbranche, indem ein Ort geschaffen wird, an dem sich die Gesellschaft und all ihre Mitglieder auf Augenhöhe begegnen können. Ein solcher Ort soll durch einen Beirat geschaffen werden, der die Intendanz bei der Kuration des Festivals berät. Dieser Beirat soll divers besetzt sein und pluralistische Perspektiven einbringen. Vieles in Bezug auf den Beirat ist unklar: Wie er zusammengesetzt wird und ob ein Querschnitt der Gesellschaft darin abgebildet werden kann. Welche finanziellen Mittel dem Beirat zur Verfügung stehen. Wie der Beirat gesteuert wird und wer die Verantwortung für Entscheidungen übernimmt. Wie dafür gesorgt wird, dass die Meinung des Beirates in die Entscheidungsfindung einbezogen wird und ob das von der Intendanz eingefordert werden kann. Ob die Einführung des Beirates die Autorität und Fachkenntnis der Intendanz übergehen würde. Ob der Beirat selbst an der Kuration teilnehmen und auch eigene Vorschläge einreichen beziehungsweise fremde ablehnen darf.

Werden die Festwochen revolutioniert?

Die Hoffnung ist, dass der Beirat in jedem Fall neue Perspektiven und Inspirationen einbringt. Er macht das Festival damit demokratischer. Im besten Fall schafft er Diversität, die die Struktur des Festivals durchwächst und nachhaltig revolutioniert.

Das Hearing der Expert*innen hat klar ergeben, dass mehr Diversität und Barrierefreiheit fest verankert in der Struktur und in allen Bereichen wichtig ist. Doch wie dies nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis erreicht werden kann, bleibt weiterhin offen. In neun weiteren Hearings mit Diskussionen im Rat der Republik sollen die wichtigsten Grundprinzipien festgelegt werden, um diese Diversität zu gewährleisten. Das ist wenig Zeit, um solche existenziellen Probleme zu lösen. Ein Ratsmitglied gab bereits zu bedenken, dass sich die Intendanz einfach aus der Verpflichtung zu Diversität herausreden und die Meinung des Beirats übergehen kann. Die Werte der Gleichberechtigung und Teilhabe müssten weiterhin „mit Zähnen und Klauen verteidigt werden“. Zu hoffen bleibe nur, dass der Beirat nicht nur eine reinwaschende Marketingstrategie ist. Dringend müssen die alten Strukturen aufgebrochen werden nicht nur bei den Wiener Festwochen, sondern auch in der Theaterszene darüber hinaus.


Die Hearings gehen in die erste Runde.
Eine demokratische Revolution oder eine revolutionäre Demokratie?
(Maike Echle)

Die Hearings, eine Art öffentliche Diskussion darüber, wie die Planung der Wiener Festwochen unter der Intendanz von Milo Rau weiter verlaufen soll, werden als separates und insbesondere kostenfrei zugängliches Format vorgestellt. Dabei werden verschiedene Überthemen und Anträge einem „Rat der Republik“, der aus verschiedenen Expert*innen, Künstler*innen und Wiener Bürger*innen besteht, vorgestellt und von diesem abgestimmt. Über fünf Wochen wird sich dabei Themen wie Entscheidungsverteilung bei der Kuration, Finanzierung und Nachhaltigkeit ausgetauscht und dabei den Empfehlungen von Expert*innen zugehört. Nach welchen Kriterien allerdings die Mitglieder des Rats gewählt wurden, ist auch nach eingehender Recherche nicht wirklich ersichtlich. 

Die Wiener Festwochen wollen sich mit diesem Konzept als näher am Volk verstehen und lesen lassen und versuchen so den Kunstbetrieb zu demokratisieren. Auch in der heutigen Diskussion ging es um die Frage, ob das Festival demokratisch und kollektiv kuratiert werden solle, oder die Entscheidungsmacht doch weiter ausschließlich der Intendanz überlassen werden sollte. So wurden die zwei Anträge – zum einen, ob es in Zukunft für die Kuration der Festwochen einen Beirat geben solle, zum anderen, ob ein diverseres Team für ein vielfältiges Festival notwendig sei – die doch wie ein und dieselbe Thematik von marginal unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet wirken, dem Rat der Republik und den Zuschauenden präsentiert.

Die Wiener Festwochen sehen sich in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs um mehr Diversität eingegliedert. Dabei geht es auch insbesondere um die Frage, wie eine thematische Pluralität hergestellt werden soll, wenn die Führungsebenen in Theatern häufig eher von ähnlichen Menschen besetzt sind. Die Forderung nach einer Theaterlandschaft, in der sich die gesamte Gesellschaft wiederfinden kann, ist daher gerechtfertigt. Der Vorschlag an den Rat der Republik ist es also, sowohl einen Beirat zu gründen, der programmatische Vorschläge einbringen kann, als auch insgesamt ein diverseres Team, das bei der Planung der Festwochen regulär mitarbeitet, einzufordern. So soll sichergestellt werden, dass vielfältige Künstler*innen aus verschiedensten Hintergründen und mit den verschiedensten Thematiken einen Platz auf einer der Festivalbühnen zugesichert bekommen.

Ein Einwand, der hierbei geäußert wurde, war die Befürchtung diese „Political Correctness“ würde dazu führen, dass die Möglichkeit nicht mehr bestünde, sich auch mit der einen oder anderen unangenehmen Frage auseinandersetzen zu müssen und damit in die Konfrontation zu gehen, worunter die Kunst leiden würde. Dabei wird allerdings Political Correctness mit Repräsentation verwechselt. Es geht nicht darum, dass sich keine Person angegriffen fühlt, sondern darum, wem eine Stimme und Bühne gegeben wird, und wem eben nicht. Alle Menschen haben es verdient, die Möglichkeit zu haben, ins Theater zu gehen und sich von den Stücken und deren Inhalten abgeholt zu fühlen. Selbstverständlich wird Repräsentation allein nicht das Allheilmittel sein, von dem sich erhofft wird, dass es alle Probleme lösen kann, aber es ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. 

Die neue Konzeption des Festivals wurde unter anderem als „bedeutender Schritt in der Evolution der Wiener Festwochen“ bezeichnet, was eine recht steile Bezeichnung ist. Schließlich ist eine kollektive Planung mit mehr „Diversität“ – was auch immer das im Endeffekt heißen mag – alles andere als bahnbrechend und revolutionär, sondern sollte das absolute Minimum in allen Kulturbetrieben sein. Ein genaueres Bild der Verfassung der Freien Republik, das heißt der Parameter, nach denen das Festival geplant und gestaltet werden soll für die nächsten vier Jahre, wird sich erst ergeben, wenn diese am Ende des Festivals der Öffentlichkeit präsentiert wird. Ob den Forderungen des Rates der Republik nun nachgekommen wird, oder ob es sich dabei um leere Versprechen handelt, wird wohl die Zukunft zeigen.


Demokratisierungsprozess in the making, oder so.
(Valentin Thier)

Hear, hear! Es gibt Anlass zur Veränderung. Antrag zur Veränderung. Gleich zweimal. Zwei Anträge an einem Tag, und über deren Annahme wird abgestimmt: Der Rat der Republik ist gefragt. Expert*innen kommen zu Wort, richten Apelle und sprechen Anliegen zu den beiden Anträgen aus. Zeit für Fragen, für Diskussion. Alles in allem ein interessantes Konzept, das den nicht geringen Anspruch verfolgt, einen (elitären) Kunst-Gesamtprozess für die ‚Allgemeinheit‘ zu öffnen, die hierarchische Struktur der Wiener Festwochen und der Kunstproduktion generell zu hinterfragen, marginalisierte Personen, Stimmen, die kaum gehört werden, miteinzubringen. Die Hearings – heute unter dem Leitthema „Demokratie versus Steuerung“ – werden während den Wiener Festwochen wöchentlich wiederholt, sind öffentlich zugänglich und einsehbar.

Der Sitzungssaal im Volkskundemuseum ist geöffnet. Im hinteren Bereich eine Leinwand, auf der der Demokratisierungsplan präsentiert werden soll. Davor ein langer Tisch, an ihm der Ausschussvorsitz aus Elisabeth Großschädl und Faribah Mosleh und die Moderation. Rechts und links die Geladenen des Rates der Republik. Und ganz davor das Publikum, auf unbequemen Bierbänken, von denen aus spekuliert wird, was nun (Unbequemes) besprochen wird. Die Raumaufmachung erlaubt klar die Einsicht in den Entscheidungs- und Verhandlungsprozess.

Und dieser Prozess ist strukturell gegliedert, wie eben der Saal. Der erste Antrag wird präsentiert: Es soll ein Beirat der Wiener Festwochen geschaffen werden, bestehend aus Expert*innen und Künstler*innen aus allen ‚Gesellschaftsgruppen‘ – und auf ihn muss die Intendanz reagieren. Leere Phrasen oder echte Taten? Zurecht wird bei den Beiträgen der geladenen Expert*innen ins Detail gegangen, kritisch hinterfragt. Doch der erste Antrag wird gewährt, für ihn abgestimmt, der Beirat soll kommen. So verläuft das auch beim zweiten Antrag, der eine Verpflichtung zur kritischen Hinterfragung und Veränderung von diskriminierenden Strukturen und Positionen im Team der Wiener Festwochen beinhaltet. Es soll eine Veränderung von Inreach und Outreach geben, Personen ins Team geholt werden, die sonst außen vorgelassen wurden. Räume geschaffen und verändert werden. Auseinandersetzung. Hinterfragung. Zustimmung.Alle Anliegen wurden gehört. Demokratisierungsprozess in the making. Oder so. Denn es bleibt letztlich noch die Frage, wie viel davon wirklich wann und wie umgesetzt wird. Und wie konkret das alles noch ausgearbeitet wird, mitunter eine Frage, die auch von einer Person des Rates an den Ausschussvorsitz gestellt wird. Und wie viel davon wie schnell umsetzbar ist, denn die Strukturen sind rigide, sie sind konservativ. Das wird auch in allen Beiträgen von Expert*innen auf verschiedenste Weisen klargemacht, Probleme, die Allgegenwärtigkeit von unzähligen Ausschlussprozessen, Diskriminierung deutlich aufgezeigt. Wie Bettina Masuch formuliert, herrscht hinter der Bühne immer noch Monarchie. Doch der Öffnungsprozess ist immens wichtig, die Hierarchien sind längst zu hinterfragen, das Projekt ist ein großes, ein notwendiges. Die weitere Entwicklung der Hearings und deren Ergebnisse sind jedenfalls von großem Interesse – und vielleicht, vielleicht auch Potenzial.


Ein holpriger Auftakt
(Alina Fehringer)

21. Mai, 2024. Die Wiener Festwochen laden zu den ersten Hearings in das „Haus der Republik“ (oder auch Volkskundemuseum) ein. Das Thema des Tages soll sich mit der „Kuration“ der Festwochen auseinandersetzen. Es ist Teil des größeren Wochenthemas „Demokratie versus Steuerung“.

Der offene Wunsch nach Veränderung

„Indem die Wiener Festwochen beginnen, unsere plurale Gesellschaft zu repräsentieren, können sie ein Festival sein, das für diese Gesellschaft relevant ist.“ – erfährt man im Begleitflyer zu diesen ersten Hearings. Das Eingeständnis versäumter Diversität innerhalb des vergangenen Festwochenprogramms wird darin offen angesprochen. Nun wird eine erwünschte Veränderung mit demokratischer Grundordnung formuliert.

Aus diesem Anlass heraus, wurde erstmals ein „Rat der Republik“ eingesetzt. Als „Experiment“ bezeichnet, befinde er sich in einem Ausformulierungsprozess. Der (noch) etwas ungelenke Umgang mit diesem Format zeigt sich auch im Verlauf des Abends. So wird zum Beispiel gebeten, die erste Abstimmung zu wiederholen, da Unklarheit unter den Ratsmitgliedern darüber herrschte, welche Handlungsoptionen sie innerhalb ihrer Stimmvergabe überhaupt hätten. Ihnen stand frei, einen Antrag anzunehmen, abzulehnen oder dessen Überarbeitung einzufordern.

Hearings und Ratssystem

Die Hearings finden als Teil des Festivalprogramms über den gesamten Verlauf der Festwochen statt. Abgezielt wird auf die Erarbeitung einer „Verfassung“. In dieser sollen die festen Grundregeln der kommenden Veranstaltungsjahre verankert werden. Der „Rat der Republik“ umfasst dazu 80 Mitglieder (ca. 50 waren vor Ort), die sich aus Wiener Bürger*innen aller 23 Bezirke, ausgewählten Künstler*innen und Intellektuellen zusammensetzen. Den Ratsvorsitz haben Elisabeth Großschädl und Fariba Mosleh.

Pro Antrag werden Kurzvorträge von Expert*innen gehalten, die diesen Vorschlag vertreten. Es folgt eine kurze Diskussion des Rats mit den Redner*innen und schließlich eine Abstimmung.

Anliegen der Anträge

Einig war man sich, wie auch die Vertreter*innen der Festwochen, über die fehlende Diversität auf der Bühne und innerhalb der Arbeitsstrukturen abseits davon – Im Programm, Publikum und Personal mangelt es an Vielstimmigkeit.

Egal ob als Schüler*innen aus Randbezirken, Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderungen, Konsens war, die Spielstätten und das Festwochenprogramm bedürfen physischer und inhaltlicher Barrierefreiheit, um eine Wiener Gesellschaft angemessen repräsentieren zu können. An anderer Stelle wurden Forderungen laut, erstmal die strukturelle Diskriminierung innerhalb der Anstellungsverhältnisse der Wiener Festwochen zu bearbeiten. Auf diesem Wege könnte sich auch ein vielfältigerer Blick auf die Festivalgestaltung ergeben. 

Schließlich setzte sich der Rat auch mit sich selbst auseinander. Fragen seiner Zusammensetzung, Entscheidungsbefugnis und der Stimmgewichtung der Ratsmitglieder wurden Thema der Diskussion.

Als wesentlicher Reibungspunkt stellte sich die unklare Machtverteilung zwischen Rat und Intendanz heraus. Die Wortmeldungen schwankten zwischen Zweifel, ob Kunst bei übergeordneter Entscheidungsbefugniss seitens des Rates ihre unangenehme Dimension verliere und in ein provokationsloses Auftragsprogramm münde und der Sorge, keine Veränderung zu erfahren, solange die finalen Entscheidungsträger*innen die Intendanten*innen selbst darstellen.

Skepsis

Offene Skepsis gegenüber des Erfolgspotenzials der Einsetzung eines Rates zieht sich durch den Verlauf der Veranstaltung. Es besteht Sorge, dass zwar über Veränderung gesprochen wird, diese jedoch in der Praxis nicht aufscheinen werden. Die Bilanz, ob die Anliegen nach mehr Diversität ernst genommen wurden oder nur Teil einer Inszenierung bleiben, wird sich allerdings erst in den nächsten Wochen und Jahren ziehen lassen.


Was wird hier gespielt?
(Anna-Lara Stippel)

Mit dem Ziel am Ende der Wiener Festwochen 2024 eine Verfassung, die sogenannte Wiener Erklärung, präsentieren zu können, gab es am 21.5. das erste Hearing, bei dem der frisch ernannte Rat der Republik über zwei Anträge abstimmte.

Bereits vor Beginn der Veranstaltung wird deutlich, dass das kein erprobter, eingespielter Theaterabend, sondern ein neuer Versuch im Rahmen des Wiener Festwochen Programms ist. Ratsmitglieder, Expert*innen und Zuseher*innen wollen den Sitzungssaal im Volkskundemuseum betreten. Das Museum, das im Zuge der Festwochen als „Haus der Republik“ fungiert und von Szenograph*innen der Bühnenbildklasse der Akademie der bildenden Künste eine Umgestaltung erfahren hat, hat einen revolutionär, punkigen ‚Anstrich‘ bekommen, der die Optik des „Freie Republik Wien-Brandings“ aufgreift. Zuerst dürfen Expert*innen und Ratsmitglieder den Raum betreten, dann folgen Zuseher*innen. Es gibt einen zentralen Tisch der Ausschussvorsitzenden, um den die Ratsmitglieder angeordnet sind. Für die Zuschauer*innen gibt es (zu wenige) bemalte Bierbänke. Bereits im Rahmen der Begrüßung wird um Nachsicht gebeten, falls der Zeitplan nicht ganz eingehalten werden könne. Es handle sich um einen Versuch, ein Experiment, das so im Rahmen der Festwochen noch nicht dagewesen sei. Insofern müsse man gemeinsam herausfinden, wie so ein Hearing funktioniere.

Das Hearing changiert zwischen Inszenierung und realer Politik und es fällt schwer zu entscheiden, was hier gezeigt wird. Einerseits wurde der Rat der Republik nicht demokratisch gewählt. Es handelt sich um angeworbene berühmte Persönlichkeiten aus der Kulturszene, passende Expert*innen und je drei Menschen aus jedem Wiener Gemeindebezirk. Hier wird eine klare Auswahl deutlich, die von den Festwochen bestimmt und in Szene gesetzt ist. Andererseits soll der Rat der Republik am Ende eine reale „Verfassung“ für die Festwochen formuliert haben, die festlegt, wie verschiedene Aufgaben in Zukunft ausgeführt werden. Hier könnte es zu realen Veränderungen in der Organisationsstruktur der Festwochen kommen.

Die Anträge setzen sich an diesem Tag mit Fragen der Kuration auseinander. Es wird beispielsweise abgestimmt, ob es einen Beirat geben soll, der den*die Intendant*in bei der Kuration berät. Es gibt je zwei Expert*inneninputs von fünf Minuten und anschließend fünf Minuten Fragezeit. Die Diskussionen beziehen sich primär auf die konkrete Umsetzung der Vorschläge. Grundsätzlich in Frage gestellt werden die Anträge nicht. Als ein Ratsmitglied zu bedenken gibt, dass die Expert*innenvorträge alle eine Pro-Haltung vertreten, trifft das auf wenig Zustimmung. Echte Diskussionen haben in den kurzen Fragezeiträumen kaum Platz. Das zu beobachtende Schema sieht eher folgendermaßen aus: 1. Antrag wird verlesen, 2. Zwei Expert*innen erklären, warum der Antrag unterstützenswert ist, 3. Rat der Republik stellt Fragen zur konkreten Umsetzung, 4. Rat stimmt für den Antrag. Angesichts dieses Schemas wirkt die Auseinandersetzung wie eine Scheindebatte. Der Rat der Republik besteht aus Menschen, die weitgehend dieselben Interessen zu haben scheinen und einer ähnlichen Bubble entstammen. Die Expert*innenmeinungen liefern zwar gute Gründe, die Anträge zu unterstützen, sind aber nicht diskursförderlich, nachdem keine Alternativvorschläge oder abweichende Perspektiven (die sowohl vom Status quo als auch vom Vorschlag abweichen würden) eingebracht werden. Das Ergebnis fällt dann nicht weiter überraschend aus.

Ob die angenommenen Anträge zur Umsetzung kommen und inwieweit sie dann auch eingehalten werden, bleibt eine Frage, die erst in den nächsten Jahren beantwortet werden kann. Viele Anmerkungen des Rats bringen Sorge zum Ausdruck, dass die eingebrachten Anträge zu schwammig formuliert wären und am Ende nicht bindend seien. Diese Sorge wirkt sehr berechtigt, vor dem Hintergrund, dass die Wiener Festwochen keine*n Mitarbeiter*in mit Behinderung in ihrem Team haben, obwohl es dafür eine gesetzlich festgeschriebene Quote gibt. Stattdessen wird eine Ausgleichstaxe bezahlt. Wird sich nicht an Vorschriften gehalten, die schon bestehen und rechtlich bindend sind, bleibt die Frage, ob beratende Gremien am Ende Veränderung bringen, oder die Freie Republik Wien doch nur inszenierte Offenheit und „Revolution“ war.


Giant leap for Milo, small step for Vienna? 
(Hannah Ruppert)

Unter der neuen Intendanz von Milo Rau sollen die Wiener Festwochen strukturell wie programmatisch grundlegend umgestaltet werden. Im Zuge dessen wurde die sogenannte „Freie Republik Wien“ „mit Hymne, Fahnen, neuen revolutionären Institutionen“ ausgerufen.[1] Erklärtes Ziel ist es, eine „zweite Moderne“ einzuleiten, die hegemoniale Strukturen und Normen infrage stellt.2 Im Zentrum steht dabei der „Rat der Republik“, ein Gremium, das in beratender Funktion an der Konzeption einer Konstitution, der „Wiener Erklärung“, teilhaben soll. Deren Inhalte sollen bei den im Rahmen der Festwochen zweimal wöchentlich im Volkskundemuseum („Haus der Republik“), stattfindenden Hearings besprochen werden, an denen auch eine begrenzte Zahl an Interessierten kostenfrei als Zuschauer*innen teilnehmen kann. Diese sitzen auf Bierbänken oder am Boden, während die anwesenden Ratsmitglieder in einem Stuhlkreis rund um einen Tisch gruppiert sind, an dem die Festival-Organisator*innen Platz genommen haben. 

Die erste Woche der Hearings ist dem Thema „Demokratie versus Steuerung“ gewidmet, wobei im ersten Hearing Fragen der Kuratierung zur Debatte stehen. 

Zu diesem Zweck präsentieren zwei als Vorsitzende eines Ausschusses betitelte Personen in Form zweier Anträge Vorschläge für Maßnahmen, die die Kuration des Festivals inklusiv gestalten sollen. Zu diesen Anträgen sind zwei bis drei Stimmen von als solchen deklarierten Expert*innen zu hören, denen der Rat, von dem jedoch nur ein Teil anwesend ist, im Anschluss Fragen stellen kann. Es folgt eine kurze Diskussionsphase, nach der im besten Fall für oder gegen den Antrag gestimmt, oder dessen genauere Ausarbeitung für einen späteren Zeitpunkt beschlossen werden kann. Insgesamt ist die Veranstaltung zeitlich rigide getaktet. Für die Impulse der Expert*innen und die anschließenden Fragen sind jeweils fünf Minuten, für die Diskussion zehn Minuten vorgesehen. 

Kerngedanke der Anträge vom 21. Mai ist die zukünftige Unterbindung der bisher produzierten strukturellen Ausschlüsse bei Entscheidungsprozessen und Programmausrichtung. Die Auswahl des Festivalprogramms soll so gestaltet sein, dass sich alle Wiener Bürger*innen in ihrer jeweiligen Lebensrealität darin wiederfinden können. Ein Vorschlag hierfür ist der Einsatz eines wechselnden Programmbeirates, dessen Mitglieder über Expertise bezüglich struktureller Ausschlussmechanismen verfügen. Dieser soll die Programmauswahl hinsichtlich verschiedenster Diskriminierungskategorien kritisch beleuchten, wobei die Intendanz auf dessen Input „reagieren“ muss. Beide Expertinnen begrüßen dieses Vorhaben, weisen jedoch auf auffällige Leerstellen in der Formulierung des Antrags hin: Wie werden die Mitglieder dieses Beirates ausgewählt? Welche Befugnisse hat er und inwiefern sind seine Beschlüsse für die Intendanz bindend? Wer entscheidet im Konfliktfall? Wer trägt am Ende die Verantwortung für getroffene Entscheidungen? Diese Bedenken, die von mehreren Ratsmitgliedern aufgegriffen und bekräftigt werden, sollen, so ein*e Festwochenmitarbeiter*in, dem „Rat“ zur Kenntnis gebracht werden – was auch immer das heißen mag, schließlich ist ein Teil des Rates ja anwesend. 

Auch beim zweiten Antrag, in dem es um die Bekennung zu Maßnahmen des Inreach und Outreach geht, durch die, so eine der Ausschussvorsitzenden, „mehr Leute als zuvor“ erreicht werden sollen, wird die Uneindeutigkeit der Formulierung und folglich auch die tatsächliche Wirksamkeit bemängelt. Beide Anträge werden letztendlich mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. Darin, dass es eine Veränderung hin zu Diversität geben muss, scheinen sich die Ratsmitglieder einig zu sein. 

Irritierenderweise ist das Setting der Hearings wie auch der „Freien Republik“ für die Zuschauenden und wie sich im Verlauf der Veranstaltung herauskristallisiert auch für einige der Teilnehmer*innen nicht transparent gestaltet. So stellt die das Hearingmoderierende Person weder sich selbst noch die Ratsmitglieder vor und auch das Konzept der sogenannten Freien Republik und der Wiener Erklärung bleibt ebenso wie in offiziellen Ankündigungen, z. B. auf der Website der Festwochen vage bis gar nicht kommentiert. Außerdem zeigt sich, dass die Ratsmitglieder– zumindest teilweise – wenig über die bisherigen Strukturen des Festivals wissen, etwa ob es sich um eine GmbH oder einen Verein handelt. Auch die Abläufe der Hearings und Ratssitzungen sind unklar. So muss die erste Abstimmung wiederholt werden, weil die Rahmenbedingungen nicht eindeutig kommuniziert wurden. Gleichzeitig soll alles so schnell wie möglich abgewickelt werden, da das dichte Programm für die Diskussion einzelner Punkte sowie Grundsatzfragen kaum Zeit lässt. 

Diese Unklarheiten sind symptomatisch für das Framing der diesjährigen Festwochen im Allgemeinen. Zuschauer*innen, die sich im Voraus über den Ablauf des Formats der Hearings und das Konzept der sogenannten Freien Republik informieren möchten, werden schnell feststellen, dass dies gar nicht so leicht ist. Laut Website der Festwochen besteht der Rat der Republik aus 20 Ehrenmitgliedern – berühmte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – sowie aus 80 Wiener Bürger*innen, die zu großen Teilen von „Bezirkspartner*innen“ ausgewählt wurden und die Gemeindebezirke repräsentieren sollen, teils aber auch aufgrund ihrer künstlerischen, aktivistischen, etc. Expertise dem Rat beiwohnen. Undurchschaubar bleibt jedoch, wer diese Personen nun nach welchen Kriterien ausgewählt hat, denn die eigentlichen Initiator*innen und Entscheidungsträger*innen sowie deren Vorgehensweise werden nie konkret benannt. Wer sind diese Bezirkspartner*innen genau und wer hat die anderen Ratsmitglieder ausgesucht? Wer entscheidet, wer bei den Hearings sprechen darf, wer die Expert*innen sind? Und wer hat die Anträge nach welchen Gesichtspunkten formuliert? Wie divers ist der „Rat der Republik“ selbst, der bei Fragen über die diversere Gestaltung mitentscheiden soll? Wie sieht es generell mit der Zugänglichkeit aus? Werden die Personen für Ihre Tätigkeit bezahlt? Schließlich können sich nur wenige leisten, so viel Zeit zu investieren. Außerdem macht es nicht den Anschein, als hätte sich jede*r Wiener*in für den Rat bewerben können. Dies wirkt vor dem Hintergrund der Selbstdeklaration als „Freie Republik Wien“ befremdlich, denn die Ausweitung des Kontexts der Republik vom Festival auf die ganze Stadt ist eine bewusste künstlerische Setzung. Auf der Website der Festwochen ist nachzulesen „die Staatsform der „Republik“ [stehe] für (politische) Freiheit, Gemeinwohl und Mitspracherecht“.[2] Wäre dieses Konzept zu Ende gedacht worden, so müsste die Auswahl der Entscheidungsträger*innen vom Volk bestimmt werden – eines der Kernmerkmale einer Republik– und zwar sowohl die Intendanz der Festwochen als auch die Zusammensetzung des Rates. Angesichts der zwanzig sogenannten Ehrenmitglieder stellt sich außerdem die Frage nach Hierarchien innerhalb des Rates. So werden besagte Personen auf der Website zuerst genannt und zusätzlich typografisch hervorgehoben. 

Wie sich zeigte, sehen einige der nominierten Ratsmitglieder wie auch der Expert*innen das Projekt durchaus kritisch und es werden Erklärungen eingefordert. Wie viele Menschen mit Behinderung arbeiten denn eigentlich bei den Wiener Festwochen und ist das im rechtlichen Rahmen? Wo bleiben die ankündigten konträren Standpunkte zu den Anträgen und wie verhält es sich mit Gegenstimmen oder sogar jenen Stimmen, die die Veränderungen des Festivals nicht begrüßen? Wie kann es überhaupt sein, dass es nicht schon lange einen Programmbeirat gab? 

Dass durch dieses Format Fragen nach Zugänglichkeit und Organisationsstrukturen von mit öffentlichen Geldern subventionierten Kulturveranstaltungen zu mehr Öffentlichkeit gelangen und zumindest einer größeren Bandbreite an Menschen als bisher eine Plattform geboten wird, über dahingehende wichtige gesellschaftliche, politische und ethische Themen zu diskutieren sowie mögliche Lösungsansätze und Hierarchien kritisch zu hinterfragen, ist sehr positiv zu werten. Das Vorhaben der Intendanz Milo Rau, die Wiener Festwochen diverser, inklusiver und demokratischer zu gestalten soll hier keinesfalls kritisiert werden, sondern ist ein begrüßenswerter und mehr als notwendiger Schritt. Problematisch ist allerdings das Marketing, welches zwar radikal wirkt, im Endeffekt jedoch vage und intransparent bleibt. Dass der Rat der Republik ein „beratendes Gremium“ ist und sich die „Wiener Erklärung“ nur auf den Kontext des Festivals und nicht etwa auf die ganze Stadt bezieht, hat beispielsweise im Erklärungstext eine untergeordnete Rolle. Sicher würden weitreichendere Konzepte an pragmatischen Fragen und am Spannungsfeld von Demokratie und Institution, Kunst und Ökonomie ohnehin scheitern. Jedoch wirkt das ganze Konzept mit seinen ganzen nationalistischen Attributen so provokant als revolutionär vermarktet, dass sich dies auch irgendwo einlösen muss. Die bewusste Entscheidung für das Framing als „Freie Republik“ ist eine große Geste, bei der aktuell mehr als ungewiss ist, was sie tatsächlich zu bewirken im Stande ist. Wie die als Expertin zum Hearing eingeladene Ivana Pilić anmerkt, ist eine drastische Veränderung der Strukturen weder ein Dankbarkeit gebietender guter Wille der Intendanz noch besonders revolutionär, sondern im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext unerlässlich. Pilić bringt die berechtigte Sorge zum Ausdruck, das Ganze könne sich zu einem wenig nachhaltigen, aber gut gemeinten Projekt entwickeln. Es bleibt zu beobachten, ob das, was ein großer Schritt für die künstlerische Intendanz und die Stadt Wien ist, letzten Endes nicht doch nur sehr geringe Auswirkungen für die Wiener Bevölkerung nach sich zieht. 


[1] https://www.festwochen.at/vorwaerts-zu-den-anfaengen 2 Ebd.

[2] https://www.festwochen.at/haus-der-republik, Zugriff am 21. 5. 2024.


Stehen Sie auf, wenn Sie mich sehen wollen. Ich bleibe sitzen.
(Laura Šarochová)

Als Titel habe ich die Paraphrase eines Satzes der Schauspielerin und Performerin Cornelia Scheuer gewählt, welcher mir nach der gestrigen Versammlung besonders stark im Kopf hängen geblieben ist. Cornelia Scheuer, die auf die Mobilitätshilfe eines Rollstuhls angewiesen ist, ist gemeinsam mit vier anderen Expertinnen im Rahmen einer Diskussion unter dem Titel Hearings Woche 1: Demokratie versus Steuerung aufgetreten, um einen der Anträge vom Rat der Freie Republik Wien zu unterstützen. Zwei solcher Anträge würden letztlich präsentiert und nach einer Abstimmung auch angenommen. 

Die Freie Republik Wien strebt in der Kooperation nach… Wonach eigentlich? Laut den Anträgen, die gestern zu sehen waren, besteht eine der Forderungen einerseits darin eine größere Involvierung von Leuten, die sich nicht primär an Kunst und Kultur, vor allem wegen technischen oder finanziellen Gründen, interessieren zu schaffen, andererseits die programmatische Berücksichtigung der in Wien lebenden vor allem sprachlichen Minderheiten zu stärken. Unter anderem haben fünf Expertinnen (Alev Korun, Cornelia Scheuer, Laura Camacho Salgado, Bettina Masuch, Ivana Pilić) in den gestern vorgestellten Anträgen das Thema des Zugänglichmachens von Kultur thematisiert aber auch die Erhöhung des Interesses von Bevölkerungsgruppen, die aus verschiedenen Gründen, außerhalb des direkten Fokus der Kulturproduktion stehen beziehungsweise Minderheiten, die aus verschiedenen Gründen sich nicht so einfach mitteilen können, weil sie andere Sprachen sprechen oder von einer Behinderung betroffen sind wurde im ersten Hearing behandelt. Alev Korun hat in diesem Zusammenhang über ‚Dezentralisation‘ der Kultur und Kunst im Sinne der Platzierung der kulturellen Institutionen und der Abhaltung der kulturellen Veranstaltungen auch außerhalb des Zentrums der Stadt gesprochen. Cornelia Scheuer hat in dem Zusammenhang mit dem neuen Beirat über die Maße der Involvierung der benachteiligten Minderheiten gesprochen und hat sich auf die möglichen Prozesse und Abläufe der Besetzung des Beirats konzentriert. Das zweite häufig diskutierte und von verschiedenen Perspektiven betrachtete Thema waren vor allem die sprachlichen Minderheiten. Laura Camacho Salgado, Bettina Masuch und Ivana Palić haben sich viel mit dem Thema der Berücksichtigung der Minderheiten, nicht nur thematisch, sondern auch sprachlich oder kulturell im Programm der Wiener Festwochen beschäftigt. 

Per sé sind solche Überlegungen und Diskussionen über die Ziele des Festivals in Bezug zu seiner Größe und seinem Renommee absolut verständlich und begrüßenswert. Natürlich steht die ganze Idee des Beirats noch an ihrem Anfang und hat, falls sie als ein selbständiger Beratungskörper arbeiten sollte, noch viele Herausforderungen und Fragen vor sich, welche die ganze Einstellung und Gestalt des Beirats, die Methoden der Wahl der Vertreter*innen, ihre Position und Verantwortung im Produktionsprozess usw. betreffen und diese müssen mit Umsicht beantwortet werden. Und last but not least: Wer ist dann für ein solches Festival das gewünschte Publikum, wen will das Festival ansprechen und wie authentisch und selbsttreu bleibt man bei der Beachtung aller Forderungen. 

Alles oben Genannte ist aber aufgrund der Organisation der gestrigen Debatte eine unsichere Interpretation meiner gemischten und chaotischen Erfahrungen. Abgesehen von der Verspätung am Anfang der Diskussion war für jemanden, der sich mit dem Thema und der Bildung der Freien Republik Wien nicht (tief) beschäftigt, die gestrige Ordnung der Diskussion eine große Verwirrung: wer spricht eigentlich zu wem, wo liegt die Grenze zwischen den Mitgliedern der Freien Republik Wien und den Zuschauer*innen, die diese Versammlung nur beobachten, wer soll/darf/kann mit wem diskutieren, wer soll/darf/kann abstimmen. In Kombination mit den kurzen Zeitfenstern, die jedem kleinen Teil der Versammlung zugeteilt waren und ohne deutliche Vorstellung vom Funktionieren, von der Tätigkeit der Republik und ihrer Struktur hat leider die gestrige Versammlung mehr wie eine improvisierte Vorstellung als eine ernste Versammlung mit der wirkliche Folge erzielt werden können gewirkt.