Grenzenlos Hören? Die HörOrte Volkskundemusuem und Museums Café in Wien

Essay – Jakob Langer

Die HörOrte

Im Rahmen des Proseminars ‚Sound and Senses – Kultur und Mediengeschichte auditiver Räume‘ setzte ich mich gemeinsam mit einer kleinen Gruppe meiner Kommiliton*innen besonders mit zwei Wiener HörOrten auseinander: dem Volkskundemuseum und dem direkt daran angeschlossenen Museums Café, dem Café Hildebrandt, im 8. Wiener Gemeindebezirk. Da der Fokus im Zuge unserer Untersuchung der beiden Orte, unserer HörOrte, von Beginn an auf der auditiven Ebene und Hörbarkeit dieser Orte lag, zeichnete sich schon beim ersten gemeinsamen Besuch des Volkskundemuseums schnell ab, dass das auditiv so stark auf die Ausstellungsräume einflussnehmende Museumscafé als zweiter HörOrt viele spannende Diskussionspunkte öffnen würde. In diesem Essay möchte ich die beiden HörOrte nun ausgehend von unserer gemeinsamen Basisarbeit als Gruppe noch ein Stück näher präsentieren und untersuchen.

Das Volkskundemuseum Wien befindet sich, wie schon angesprochen, im gut belebten 8. Bezirk in der Laudongasse und wird auf der auditiven Ebene schon beim Weg zum Museum in hörbarer Weise gerahmt. Betritt man das Volkskundemuseum über den Vorder- und Haupteingang, so stellen etwa die in kurzen Abständen vorbeiratternden Straßenbahnen verschiedener Linien, wie auch die vorbeifahrenden Autos, starke auditive Marker dar. Nähert man sich dem Volkskundemuseum beziehungsweise dem Hildebrandt Café von der Rückseite des Gebäudes, hat die hörbare Umgebung einen anderen, und wie wir fanden, fast beruhigenden Einfluss auf Besucher*innen. Denn gleich hinter dem kleinen Museumsgarten befindet sich mit dem Schönbornpark eine kleines Stück Natur, in dem sonst sehr bebauten Teil der Stadt. So prägen auch Geräusche die auditive Ebene, die man an einem solchen Ort der Bewegung und Erholung und des Zusammenkommens verschiedener Menschen, die ein Stück Grün inmitten der Stadt genießen wollen, erwarten würde. Man kann am Weg zum Hintereingang etwa den Rufen von spielenden Kindern oder den fußballspielenden Jugendlichen, dem Gehstock einer älteren Dame, aber auch dem Gezwitscher der Vögel und dem nur dumpf wahrnehmbaren Lärm der umliegenden Straßen zuhören. 

Im Stile eines Volkskundemuseums, handelt es sich auf den ersten Blick bei den allermeisten Ausstellungsgegenständen im Museum um circa 100-200 Jahre alte Objekte aller Art, die an ein einfacheres und ländlicheres Leben einer anderen Zeit erinnern. Es ist die „Schausammlung zur historischen Volkskultur“, wie das Volkskundemuseum selbst es auf der Webseite beschreibt.1 Doch stellt sich bei näherem Betrachten der Ausstellungsräume heraus, dass eingebettet in die relativ klassisch zusammengestellte Dauerausstellung ‚altösterreichischer‘ Objekte, auch noch eine zweite Ausstellung zu sehen und vor allem zu hören ist. Die Ausstellung trägt den Namen „Die Küsten Österreichs“und rückt inmitten der älteren Objekte der Dauerausstellung Fluchtgeschichten und mit Fluchtgeschichten verbundene Objekte, Videoinstallationen und Audioinstallationen in den Fokus. Dabei reicht das Rezipierbare von einer von der Flucht übrig gebliebenen, stark gebrauchten Reisetasche, bis hin zu Video- und Audioscreens, die kurze Erzählungen wiedergeben. Auffallend war für uns bei der Untersuchung der HörOrte und besonders der Museumsräume, dass hier die Grenzen zwischen den beiden Ausstellungen verschmelzen.

Um ins Café Hildebrandt zu gelangen, betritt man die Eingangshalle und geht am Rezeptionsraum des Museums vorbei, bevor man links in den auch örtlich kaum vom Museum abgetrennten Gang in Richtung Café abbiegt. Im Café selbst geht es, was uns speziell auch beim Anfertigen einiger Audioaufnahmen auffiel, ziemlich laut zu. Sowohl der Tresen, an dem sämtliche Heiß- und Kaltgetränke zubereitet werden, als auch die dahinter liegende Küche, sind direkt mit dem sehr kompakten und meistens vollen Hauptraum des Cafés verbunden. Daraus ergab sich bei all unseren Besuchen ein nie wirklich abklingender Geräuschpegel, aus dem hin und wieder besonders markante Geräusche und Klänge, wie etwa das Abdampfen des Milchschäumers der Kaffeemaschine oder besonders schrilles oder volles Gelächter, herausstachen. Dieser Geräuschpegel und diese Klänge traten dabei nicht nur für uns als Cafébesucher*innen hervor, sondern waren auch bei unseren Aufenthalten im Museum gut und in fast allen Räumen der Ausstellung zu hören. Auch hier verschmelzen Grenzen, in diesem Fall zwischen den beiden von uns beschriebenen Orten. Grenzen diffundieren auf struktureller und räumlicher Ebene, also den miteinander verbundenen Gängen und Fenstern der Ausstellungen und des Cafés, vor allem aber auch auf der auditiven Ebene, die die auf physischer Ebene mehr oder weniger stark vorhandenen Grenzen noch viel stärker und effizienter zu durchbrechen und überbrücken scheint.

Wie ich nun also schon ein Stück weit herausgearbeitet habe, stellen sich einige Fragen rund um verschiedene Formen von Grenzen und genauer wohl auch deren Nichteinhaltung sowie deren Standhaftigkeit und Berechtigung. Es handelt sich um offensichtliche Fragen wie zum Beispiel jene nach der Grenze des Hörbaren an beiden Orten, aber auch Fragen der Abgrenzung zwischen Café und Museum, sowie, besonders im Hinblick auf die Ausstellungen selbst, auch die Frage nach den Grenzen von österreichischer Kultur, Geschichte und Identität. 

Was heißt es denn, als Objekt oder Aufnahme für einen Platz im Volkskunde Museum Wien berücksichtigt zu werden? Wo sind die Grenzen des Hörenswerten und damit verbunden des Erzählenswerten und wie gehen wir als Besucher*innen mit all diesen Grenzen beziehungsweise auch deren etwaiger Nicht-Einhaltung oder deren Verschwimmen um? Diesen Fragen, denen wir uns auch als Gruppe bei der Ausarbeitung unseres HörOrte Projekts gestellt haben, möchte ich mich nun auch noch einmal im Rahmen dieses Essays stellen und werde versuchen im Weiteren die gesammelten Eindrücke im Lichte einiger produktiver Texte und Gedanken verschiedenster Theoretiker*innen zu erhellen.

Zur Gemachtheit und dem Verfließen von Grenzen

Zuerst möchte ich nun näher auf die strukturelle Ebene der beiden HörOrte eingehen. Bei der Betrachtung, was denn die beiden Orte in Hinblick auf ihre Verwendung und Bezeichnung, als Café und als Museum, ausmacht, stellt sich die Frage danach, was denn ein Museum genau ist und sein soll und wie auch ein Café im Rahmen dieser Frage in seiner Rolle als Treffpunkt und sozialer Hotspot eingeordnet werden kann. Denn diese Einordnungen und Umrahmungen werden besonders im Moment des durch die Nähe gegebenen örtlichen Aufeinandertreffens der Orte interessant. Wie Steffie De Jong im Rahmen ihrer Überlegungen zur geschichtlichen Entwicklung der Museumskultur, mit besonderem Augenmerk auf die auditive Ebene dieser Museumskultur, festhält, ist das Museum als Ort seit seinem Einzug in den öffentlichen Raum im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert immer auch Schauplatz von Hierarchien und klaren Erwartungen, Vorgaben und Grenzen gewesen.2  Mit der Gründung von Museen ging gleich zu Beginn auch die klare Erwartungshaltung einher, dass sich die Betrachter*innen möglichst still und zurückhaltend verhalten sollten und ein respektabler Abstand zu den Kunstwerken einzuhalten sei. Dass sich diese Entwicklung bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte und sich besonders seit den 1920er Jahren zuspitzte, untermauert etwa auch Helen Rees Leahys Fotographie-Installation, die anhand des in den Fokus Rückens von menschenleeren Ausstellungsräumen, das gängige Ideal eines entkörperlichten Blickes aufgreift. Denn die Kunst, so konstatiert De Jong, solle „am besten so wenig wie möglich in Kontakt mit dem Körper der Besucherin oder des Besuchers“ (De Jong, 2018, 291) kommen. Obwohl es auch Ausnahmen wie etwa Blockbuster Ausstellungen gab und gibt, bestehe diese Idealisierung und sehr klare Begrenzung der Besucher*innen auch heute noch in weiten Teilen fort, so De Jong. Besonders auch auf auditiver Ebene ließe sich in den Museen von Beginn an eine klare Hierarchisierung und Eingrenzung des Möglichen und Erwünschten erkennen. Denn das Privileg sich in den Museumsräumen Gehör zu verschaffen, laut zu sprechen, zu lachen oder auch sonstige, lautere Geräusch von sich zu geben, bleibt in der Regel Mitarbeiter*innen und Führer*innen der Museen vorbehalten (De Jong, 2018, 291-292). Die Einnahme eines Stückes des auditiven wie auch örtlichen Museumsraumes durch auditive Lebendigkeit, die über das Mindeste hinausgeht, war und ist in vielen Fällen also, zumindest auf Ebene der Besucher*innen, unerwünscht und in einem in diesem Zusammenhang vielleicht gängigen Ausspruch oder Gedanken ‚fehl am Platz‘. 

Diese Erwartungshaltungen und Konventionen sind deshalb im Falle dieses Essays so relevant, weil die Orte des Cafés und Museums nicht nur örtlich beinahe ineinanderfließen, sondern auch auf auditiver Ebene untrennbar sind. Denn für ein Museum wie das Volkskundemuseum, ein in seiner Form eher als „klassisch“ konnotiertes Museum, ist das durch offene Verbindungstüren und Fenster zwischen den beiden Orten gegebene Hereinschwappen von museums-, ausstellungs- und personalfremden Geräuschen und Klängen eigentlich ein Tabu und in weit verbreiteten Konventionen und Erwartungshaltungen nicht erwünscht. Denn all die Klänge, die wir in unserer Aufnahme- und Recherchearbeit zu den beiden HörOrten im Café heraushören und aufnehmen konnten, und die fast ausnahmslos in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit auch in den Museumsräumen hörbar sind, zählen wohl zu den Klängen, die der Verbreiterung des eigenen (auditiven) Raumes und der Verbreitung lustvoller und lockerer Gefühle dienen. Damit brechen sie auch mit den klassischerweise restriktiven und auch erzieherischen Ausstellungshierarchien. Denn wie De Jong schreibt, fungiert, einhergehend mit der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Konnotation des Museums als einerseits Ort der Kultur und andererseits als Erziehungsanstalt, der auditive Raum und besonders auch die Stimme der Mitarbeiter*innen und speziell Museumsführer*innen als disziplinierende, erzieherische und Grenzen vorgebende Instanz. Neben der Möglichkeit der Museumsmitarbeiter*innen, Informationen nach ihrem Ermessen zu teilen, manifestiere sich diese Hierarchie etwa auch in deren Möglichkeits- und Aufgabenbereich, die Lautstärke und die Unterhaltungen der Besucher*innen zu regulieren (De Jong, 2018, 292).

Eine weitere Ebene, auf der Grenzen neben der visuellen und physischen Ebene zu erheblichen Teilen auch auf der auditiven verhandelt werden, ist die Ausstellung in den Museumsräumlichkeiten selbst. Wie schon erwähnt, laufen die zwei parallel zueinander dargebotenen Ausstellungen, die Dauerausstellung mit Fokus auf

„Historische Volkskultur“ und die vergleichsweise neue Ausstellung zum Thema der „Küsten Österreichs“ in den Räumlichkeiten teils nebeneinander ab, verfließen aber auch miteinander und sind vor allem in der Gesamtrezeption der Räume kaum voneinander zu trennen. Die Ausstellungsexponate zu den „Küsten Österreichs“ wurden zumeist multimedial eingearbeitet und so gibt es, neben ähnlich wie in der Dauerausstellung ausgestellten Objekten, wie etwa Besteck oder einer alten Sporttasche, auch Video- und Audioinstallationen. Diese sind dann entweder in unterschiedlichen Lautstärken über Lautsprechern hörbar gemacht, oder werden über beigelegte Kopfhörer für die Besucher*innen zugänglich. Dass besonders die offen hörbaren Exponate über ihre unausweichliche Einflussnahme auf alle, sich in Hörweite befindenden, Besucher*innen mit der traditionellen Grenzziehung zwischen Ausstellungen bricht, liegt dabei auf der Hand. Denn ganz unabhängig für welche der beiden Ausstellungen man sich primär interessiert, auf auditiver Ebene durchbrechen die Exponate der Ausstellung zu den Küsten Österreichs jegliche Abgrenzung zu anderen Teilen, Ausstellungen und Räumen des Museums und dominieren in den besonders gut hörbaren Fällen, wie etwa einem hör- und seh-baren Interview mit einer Geflüchteten, wohl auch in den allermeisten Fällen die Aufmerksamkeitshierarchie der Besucher*innen.

Über den Einfluss und die Möglichkeiten auditiver Einschaltungen, machte sich schon Bertolt Brecht im Rahmen seiner Überlegungen zum Rundfunk Gedanken. Einige dieser Überlegungen können auch bei der Beleuchtung der Produktivität der hier untersuchten auditiven Ausstellungsexponate erhellend wirken. So thematisiert Brecht am Beispiel des Rundfunks, wie auditive Einschaltungen und Kommunikationstechniken bei den Rezipierenden wirken können und sollen. Dabei denkt er beim Rundfunk die Fähigkeit an, Räume zu öffnen und diese Räume in Austausch und Verhandlung mit bestehenden Räumen und Institutionen treten zu lassen. Bestehende Räume in unserer Gesellschaft könnten über die Verbreitung des Hörbaren gefüllt und neu besetzt werden. Dabei weist Brecht jedoch explizit darauf hin, dass dies nicht in einer das Leben der Menschen lediglich verschönernden und die Lebensdauer und Relevanz etablierter Institutionen und Denkmuster verlängernden Art und Weise passieren könne und solle. Der Rundfunk müsse, so Brecht, als Kanalsystem fungieren, welches die Zuhörer*innen zu mehr als nur zum Zuhören, ja zum Sprechen selbst und zum miteinander in die Auseinandersetzung Treten bringt. Als Mittler, der nicht isoliert, sondern der Räume bewusst füllt und in diesen die Empfangenden und zugleich Sendenden in Beziehung setzt.3

Brecht öffnet mit seinen Überlegungen also ein Feld, das sich auch für die Arbeit um die beiden HörOrte als sehr produktiv erweist. Denn wie eingangs schon erwähnt, geht es bei einer der zentralen Fragestellungen dieses Essays darum, nach welchen Linien die beiden HörOrte inhaltlich und tatsächlich befüllt werden und welche Grenzziehungen damit einhergehen und verhandelt werden. Brecht appelliert, dass die Verbreitung von Hörbarem nicht so aufgeladen und beladen sein soll, wodurch bestehende Institutionen in ihrem bisherigen Sein und Handeln lediglich gefestigt und fortgeschrieben würden, sondern dass gegebene Grenzen durch das Hören auch verschoben werden sollen und die von diesen Linien und Grenzen offen und ungefüllt gelassenen Räume besetzt und verändert werden sollen. Im Falle des Volkskundemuseums und des Café Hildebrandts lassen sich Brechts Überlegungen sowohl auf die verschwimmenden örtlichen Grenzen als auch auf die inhaltliche Auseinandersetzung der Ausstellungen mit Identität, Flucht und Grenzziehungen rund um nationale Identität beziehen.
Auf örtlicher Ebene regt das Verschwimmen der strukturellen Grenzen von Museum und Café etwa dazu an, das Erschließen neuer und anderer Café- und Museumsorte anzudenken und auch auf gehörter Lärm- und Geräuschebene die Verschmelzung als Potential neuer, hybrider Räumlichkeiten zu denken. Im Falle des ausstellungsinhaltlichen Diskurses, scheint es den Verantwortlichen für die Ausstellungen auch um die Öffnung neuer Diskursräume um Themen der nationalen und kulturellen Identität, der Abgrenzung und der Museumsfähigkeit von Fluchtthemen zu gehen. Über den Einsatz auditiver Objekte, deren Potential und Handlungsmacht Brecht ausdrücklich hervorhob, werden eben diese Mauern festgefahrener Ausstellungskonventionen im Sinne einer Brecht‘schen Raumneubesetzung eingerissen und es fungieren die schweigenden Traditions-Ausstellungsexponate als Echo, der nach Diskurs und Beachtung rufenden hörbaren Ausstellungsexponate. Wie von Brecht dem Radio als Kommunikationsform aufgetragen, gelingt es den hörbaren Ausstellungsexponaten und dem Ineinanderfließen an HörOrt Geräuschen des Cafés und des Museums, die Menschen zu mehr als nur zum Zuhören zu bewegen, sie zum Sprechen zu bringen.

An dieser Stelle möchte ich die nun die mit Brecht aufgemachte Dimension des Auditiven mit einer weiteren, an De Jongs Überlegungen anknüpfenden, verbinden. So erinnert De Jong etwa daran, dass die Geräusch Konnotation, die unsere Wahrnehmung und Einordnung der Geräusche maßgeblich mitbestimmt, keineswegs eine selbstverständliche und natürlich gegebene ist, sondern das Produkt einer Reihe an Umständen wie etwa momentaner Entwicklungen, sozialer Klasse und Bildung. Dabei führt sie etwa den Maschinenlärm, der in frühen Phasen der Industrialisierung von Teilen der bürgerlichen Gesellschaftsschichten nicht als wirklicher Lärm sondern viel mehr als Symbol des Fortschritts gesehen wurde, als Beispiel der Gemachtheit und Bedeutungsvielfallt von Klängen und Geräuschen an. Klang wurde nach de Jong zu einem Teil des Spektakels des Möglichen und Wahrnehmbaren. (De Jong, 2018, 293)

Wie De Jong weiter ausführt, wurde Sound in seiner Museumsgeschichte in vielen Fällen nur wenig im Rahmen seiner Klanghaftigkeit selbst präsentiert sondern oft „im Sinne des Museums als Ort des Sehens, mit visuellen Effekten kombiniert“ (De Jong, 2018, p. 293). In geschichtlich jüngeren Entwicklungen ortet De Jong jedoch auch die Integration von penibel geplant und umgesetzten Soundkulissen und Soundstationen, die die Ausstellungen um immersive Räume erweitern und in diesen die Besucher*innen auf einer emotionalen Ebene ansprechen können (De Jong, 2018, 292-294). Das Ausstellungserlebnis in den Räumlichkeiten des Volkskundemuseums spiegelt einige dieser Facetten und Entwicklungen  wieder. So hat etwa die Art und Weise, wie wir die vom angrenzenden Café herüberdringenden Geräusche wahrnehmen und mit Bewertungen verbinden sehr viel damit zu tun, wie auch das Museumserlebnis empfunden wird. Eine, wie in vorigen Teilen schon hergeleitet, gemacht negative Konnotation von Geräuschen oder Lärm in Museen, die unhinterfragt und begrenzend bleibt, würde es Besucher*innen mit einem solchen Zugang wohl erschweren die Inhalte und die Erfahrung der Räume positiv zu erschließen. Denn auch die in die Dauerausstellung eingebettete Ausstellung zu den Küsten Österreichs, stellt sich auf auditiver Ebene als eben eine solche, penibel durchdachte und immersive, Räume öffnende Installation dar, deren Erschließung wohl eine gewisse Offenheit zur Erkundung und Entdeckung von Unerwartetem voraussetzt.

Der abschließende Aspekt, unter dem ich die auditive Dimension der beiden HörOrte nun noch betrachten möchte, entstammt Monika Bernolds Überlegungen zu „auditiven Kulturen, Regulierungen und Design von Urbanität“ und ist ganz wesentlich in Überlegungen zu Grenzen und Bedeutungsbesetzung von Sound und Klängen. Wie Bernold schreibt, werden Kategorien wie Fremdheit und Zugehörigkeit an facettenreichen Orten wie Städten „sinnlich ganz wesentlich durch das Hören erlebt“ (Bernold, 2014, 222). Bei ihren Überlegungen baut Bernold wesentlich auf die Annahme, dass Klänge Geschichte haben und zudem auch die Gegenwart mitkonstruieren. Es geht darum, dass Klänge und Sounds in ihrer Gemachtheit machen, hervorgebracht sind und hervorbringen. Bernold führt etwa am Beispiel eines FPÖ-Wahlslogans an, wie kodierte Klangräume im Spannungsfeld von Othering, also dem Prozess einer Abgrenzung des Selbst in Gegenüberstellung zu einem konstruierten ‚Anderen‘, als Verhandlungsräume nationaler Identität und Zugehörigkeit wie auch politischer Ideologie agieren. So appellierte die FPÖ etwa bei der Landtagswahl in Wien 2005 mit ihrem Slogan „‘Pummerin statt Muezzin!‘“ (Bernold, 2014, 225) an in Österreich weit verbreitete Traditionen der Islamophobie und unterstrich damit die politische und ideologische Besetzbarkeit von Klängen und Sounds. Lärm wurde ab der Mitte des 20 Jahrhunderts nicht mehr nur als die in vorherigen Absätzen schon angesprochene mit der sozialen Frage etwa im Kontext konservativer Kulturkritik gesehen, sondern zunehmend zusammen mit Überlegungen zu ‚kultureller Differenz‘ verknüpft, worin sich eine Art akustischer Rassismus verfestigte (Bernold, 2014, 222-227). Bernolds Überlegungen verdeutlichen die mit Klängen und Sounds verbundene politische und ideologische Aufladung. Auch lassen uns Bernolds Überlegungen den auditiven Raum als Ort der Verhandlung denken und damit einhergehend die Notwendigkeit der bewussten Nutzung von entsprechenden Verhandlungstaktiken erkennen. Denn wie die oben angeführten Auszüge verdeutlichen, sind die oft hochpolitischen und ideologischen Bedeutungen und Wahrnehmungen, die mit Sounds und Klängen einhergehen, keineswegs ein Produkt der Natur oder vermeintlich natürlicher Ordnungen, sondern entspringen im krassen Gegensatz zu solchen Naturalisierungen fortlaufender Verhandlungs- und Produktionsketten, die sich gegenseitig beeinflussen und die die Bedeutungen und Verknüpfungen von Sound und Klängen laufend neu produzieren und neu verhandeln. Diese Bedeutungs- und Deutungsproduktionsprozesse als solch aktive und fortlaufende wahrzunehmen, erschließt, so würde ich argumentieren, all den Menschen, die Interesse haben an der auditiven Konstruktion von Hör- und Wahrnehmungsordnungen mitzuarbeiten, eine ermächtigende Verständnisbasis. 

Im Falle des Volkskundemuseums wird bewusst auch diese politische und ideologische Besetzung von Klängen und Sounds in den Fokus gerückt und in Angriff genommen. Klänge, die zum einen gegenwärtige Fluchtgeschichten und Ankunftsprozesse in Österreich sowie auch Vorstellungen von österreichischer Identität, wie sie in der Vergangenheit hervorgebracht wurden, darstellen und hörbar machen, zeigen den Besucher*innen die unterschiedlichen Grenzziehungen sehr deutlich auf. Durch das Nebeneinanderstellen des stark bedeutungsevozierenden Materials, werden die den Klängen innewohnenden Bedeutungen bewusst gemacht und ermöglichen im Aufeinandertreffen ein Hinterfragen und in weiterer Folge neu Erfassen von offensichtlich häufig wertenden Grenzziehungen. In der Auflösung der festgeschriebenen Raumbezeichnungen und Abtrennungen zwischen einem Ort des Rezipierens und einem Ort des Austausches, ergeben sich Möglichkeiten des Diskurses. Über die Vermischung dessen, was schon hörbar ist, gelingt es, an den beiden Orten wahrhaftig neue Räume des Klanges, des Austausches und der Bedeutungsbesetzung zu eröffnen.

1 https://www.volkskundemuseum.at/schausammlung_zur_historischen_volkskultur_1994-01-30 (20.6.2023)
2  Steffie De Jong, Museum. In: Daniel Morat/Hansjakob Ziemer (Hg): Handbuch Sound. Geschichte Begriffe Ansätze. Heidelberg u. Berlin: Metzler 2018, 291-297, hier 291
 3 Bertolt Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks. In: L. Engell Lorenz u.a. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: Deutsche Verlags Anstalt 2000 (1932), 259-263

Bibliographie

Bernold, Monika: Sound City. Auditive Kulturen, Regulierungen und Design von Urbanität. In: I. Zechner/W. Schwarz (Hg.) Die helle und die dunkle Seite der Moderne. Wien: Verlag Turia + Kant, 222-230

Brecht, Bertolt: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks. In: L. Engell u.a. (Hg.) Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 200 (1932) 259-263.

De Jong, Steffie: Museum. In: Daniel Morat/Hansjakob Ziemer (Hg): Handbuch Sound. Geschichte Begriffe Ansätze. Heidelberg u. Berlin: Metzler 2018, 291-297

https://www.volkskundemuseum.at/schausammlung_zur_historischen_volkskultur_1994-01-30 (20.6.2023)