Eine Kurzkritk von Elena Lutz zu De Humani Corporis Fabrica (Véréna Paravel, Lucien Castaing-Taylor, CH/F/USA 2022)
Filme versuchen uns immer, das Innere des Menschen näher zu bringen: deren Gefühle, ihre Lebenslagen, die Beziehungen, die sie führen. Doch De Humani Corporis Fabrica bringt eine ganz neue Innerlichkeit des Menschen auf die Leinwand – und zwar das Innere seines Körpers.
Bekannt für ihren experimentellen Stil der beobachtenden Dokumentation bringen Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor das Innere eines Krankenhauses und das damit verbundene Leben ins Kino. Die Filmemacher*innen spielen mit Kameraeinstellungen und hinterfragen, was und wie viel ein Film zeigen kann bzw. muss. Wie schon bei einem von ihren vorherigen Filmen, Leviathan, zeigt der Film keine narrativen Strukturen, sondern eine Reihe an unterschiedlichen Szenen, und vermittelt uns so die Strukturen eines Krankenhauses. Zu Beginn des Films sehen wir die Seiten eines französischen Krankenhauses, die man bei einem normalen Krankenhausaufenthalt nicht zu sehen bekommt. Durch dunkle Gänge, verlegt mit Rohren und schweren Türen, verfolgen wir ein Security-Team auf dem Weg entlang versteckter Routen, um sich um eine betrunkene Person auf dem Gelände zu kümmern. Von hier an werden wir sowohl durch verschiedene Szenarien der Krankenhausstationen als auch durch die Leben der Arbeiter*innen und Patient*innen geführt. Mit kleinsten Kameras, die sonst von Ärzt*innen zur Erkundung des Körpers eingesetzt werden, durchforsten wir die innersten Landschaften des menschlichen Organismus. Von den Wölbungen des Gehirns, kleinsten Adern der Harnröhre bis zu den Säften des Magens.
Nichts bleibt verborgen. Bilder, die zwar jeder von uns in sich trägt, zum Glück aber nie zu sehen bekommt. Auf die befremdliche Nähe durch die Aufnahmen der Organe folgen teils wütende Gespräche des überarbeiteten darausfolgend auch frustrierten Krankenhauspersonals während den Operationen. Feine Kameras, die sich durch den Körper schlängeln, im Vergleich zu Knochen, die im Zuge eines Eingriffs mit Hämmern entfernt werden. Die Geburt eines neuen Menschen, welcher nun alleine außerhalb des Leibes der Mutter die ersten Luftzüge nimmt im Gegenzug zu den abbauenden Körpern und Geistern der Personen im Hospizbereich. Die tagtäglichen Ambivalenzen eines Krankenhauses. Abgesehen von der Frage des „Wo im Körper dieser fremden Person befinden wir uns gerade?“ werden weitere Frage aufgeworfen. Ist es ethisch vertretbar, Personen zu filmen und vor einer Unmenge an Menschen einem Kinopublikum zu zeigen, die eventuell nicht mehr oder noch nicht die mentalen Mittel haben um ihre Einwilligung zu geben? Kann man tote Körper zeigen, wenn man dies nicht mit einer aufklärenden Absicht tut, wie es zum Beispiel bei Dokumentationen von Krieg der Fall ist? Gehören Teile des Körpers, die nicht mehr an einem Menschen sind, noch zu Ihnen – und sollen Sie noch über die Entscheidungskraft verfügen, zu sagen, dass dieser Teil von ihnen nicht gezeigt werden soll? Der Film erklärt uns vielleicht nicht, wie der Körper funktioniert oder was das Krankenhauspersonal alles durchmachen muss. Er zeigt jedoch den Organismus, der das Krankenhaus ist, wie viele Leben sich dort verbinden, trennen, enden oder beginnen, Ausschnitte eines Alltages, die so natürlich sind, aber den meisten aber verborgen bleiben, obwohl so gut wie jeder mit ihrem Ursprungsort vertraut ist.