A Tongue Called Mother

Eine Zunge, die wir Mutter nennen?
(von Lisa-Maria Nitzschke)

Kinder
Kinder in der Schule
Das Klassenzimmer ist mit grünen Fliesen bestückt
Es schaut altmodisch aus

Bei meiner Tätigkeit als Lehrerin in einer Montessori-Schule war fast alles aus Holz. Einladend wie ein Baumhaus war das Klassenzimmer. Wir konnten es über eine enge braune Wendeltreppe erklimmen. Auch dort haben die Kinder Französisch gesprochen. Ihre Muttersprache.

Worte
Französische Worte auf der Schultafel
Sie leiten uns durch Bilder und Szenerien, stellen uns einer Familie vor

Muttersprache ist eigentlich ein seltsames Wort. Es ist so stark gegendert.

Sind es etwa nur die Mütter, die die erste Sprache lehren? Ausgeschlossen. Zumindest bilingual erzogene Kinder dürfen das Privileg der Vatersprache genießen. Was ist mit der Großelternsprache? Oder Bindungspersonensprache?

Die Buchstaben sind so filigran gezeichnet
Sie platzieren sich akkurat zwischen den drei Orientierungslinien wie die Kinder auf den Schulbänken im Klassenzimmer
A tongue called mother
Eine Zunge, die Mutter heißt

Es ist lustig. Die einzigen Worte im Film, die in englischer Sprache an die Tafel geschrieben sind: A tongue called mother,
la langue maternelle.

Der Klang der französischen Worte ist gebrochen und trotzdem
Wunderschön
Sie fordern uns auf, fordern uns heraus:
Regarde! Ecoute!

Wie schwierig doch die Muttersprache beim Erlernen sein kann. Sie stellt Beinchen, lässt die Zunge krümmen und sich verbiegen. Es ist ein Kraftakt sie zu entziffern, sie zu lesen. In der mir vertrauten Grundschule in Frankreich waren ähnlich gebrochene Klänge im Klassenzimmer hörbar. Die Kinder waren neugierig und wissbegierig. Auch ich war wieder Kind und lernte ihre Muttersprache mit bebilderten Büchern und im gebrochenen Dialog.

Französisch ist eine träumerische Sprache

Sogar die französische Schrift ist träumerisch. Die Buchstaben sind so schön wie ihre Klänge, verziert, verschnörkelt. Es sind die kleinen Unterschiede.

Der Film zeigt Eindrücke einer Kindheit in Harmonie
Er zeichnet Assoziationsketten zwischen Worten, Schrift und Bildern

Die Muttersprache nimmt uns mit in den mütterlichen Alltag dreier Generationen. Die Zeit wird auf einmal so visuell fassbar, wenn man die Frauen und das Mädchen bei ihren Aktivitäten betrachtet. Auch wenn so viel Zeit zwischen Ihnen liegt finden sie Freude an denselben Dingen. Es ist ein harmonisches Familienporträt. Es sind ausgewählte Momente, die ein idealisiertes Bild vermitteln.

Es drängen sich mir auch ein paar Fragen auf. Wo sind die Väter? Mir gefällt der weibliche Fokus. Und dennoch: Ist der Film feministisch lesbar? Die Frauen werden schließlich sehr häuslich gezeigt. Aber ich möchte dem Film die träumerische und idealisierte Stimmung lassen und sie nicht durch ein Übermaß an Kritik revidieren. Zu schön sind die Bilder und Klänge und die gezeigte Welt der Kinder.

Mit dem Klang ihrer Worte träumen wir uns in die gemeinsamen Familienaktivitäten
Zwei Frauen, ein Mädchen, drei Generationen
Kurz sind wir Teil der Familie
Malen mit ihr, schneiden Äpfel, hängen im Garten die Wäsche ab

Für mich ist der Film meine persönliche Reise zurück in den Alltag meiner französischen Gastfamilien und die Welt der Montessorischule. Eine Erinnerung zurück in die Zeit, die vom Spielen mit Kindern, unterrichten und gemeinsamen Lernen geprägt war. Mit Kindern kann man gut reisen in die eigene Kindheit. Jede Aktivität verlangt besondere Hingabe und Zeit. Die Welt scheint entschleunigt beim gemeinsamen Malen, beim gemeinsamen Kochen beim gemeinsamen Lesen. Die Kinder bestimmen die Geschwindigkeit und es tut gut sich ihnen anzupassen.

Lentement. Langsam. Gemächlich.

Ein wenig sehne ich mich zurück dahin, der Film lässt mich erinnern. Die Sprache ist das was bleibt. Auch in Wien erklingt der französische Klang bei weilen in Bims und auf der Straße. Die Muttersprachen sind überall, flexibel und ortsungebunden können sie egal wohin mitgenommen werden.